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Seminararbeit
Politik

Universität Rostock

1,7 , anonym, 2013

Lukas E. ©
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sternsternsternsternstern
ID# 60880







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Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften

Sommersemester 2013

GK: Grundlagen der vergleichenden Regierungslehre

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland

Leiter: XXXXXXX


Die Partei Bündnis90/Die Grünen als Beispiel einer erfolgreichen Kleinpartei


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XXXXXXXXXX

XXXXXXXXX

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Inhalt



1. Einleitung


Mit der Landtagswahl im März 2011 in Baden-Württemberg wurde Winfried Kretschmann erster Ministerpräsident der Partei Bündnis90/Die Grünen in Deutschland. Bis heute markiert dieses Ereignis den Höhepunkt des Wahlerfolgs der Grünen und hinterlässt auch Spuren in der Medienlandschaft: Unter anderem die Frankfurter Allgemeine Zeitung betitelte sie wenig später als „Die neue Volkspartei“1.

Auch wenn die FAZ mit dieser Ansicht nicht das erste Medium war - der Spiegel war 2010 schon der Meinung, die Grünen seien „auf dem Weg zur dritten Volkspartei“2 - ist diese Haltung doch besonders im Vergleich zu heutigen Umfrageergebnissen, nach denen die Grünen mittlerweile wieder bei den Kleinparteien am Rande der zehn Prozent angelangt sind3, interessant, um nicht zu sagen mutig.

Ich möchte mich in dieser Arbeit mit der Frage befassen, inwieweit es gerechtfertigt ist, die Grünen anhand eines Umfragehochs oder dem Stellen des Ministerpräsidenten als Volkspartei zu bezeichnen. Sollte es nicht eigentlich feste Kriterien geben, mit denen man die eine Zuordnung als un-, die andere als zutreffend klassifizieren kann? Ist es denn, wo ein Politikwissenschaftler wie Peter Lösche das „Ende der Volksparteien“4 verkündet, überhaupt noch zeitgemäß, von einer, zwei oder eben drei Volksparteien zu sprechen? Diese Hausarbeit wird sich mit diesen und weiteren Fragen auseinandersetzen und so die forschungsleitende Frage zu beantworten versuchen.

Ich werde dabei zunächst versuchen, den aktuellen Forschungsstand der Parteienforschung, insbesondere anhand von Definitionen, wie der für „Volkspartei“ zu finden.

Anschließend versuche ich, die Entwicklung der Grünen von der „Antipartei-Partei“5 über die „Regierungspartei «am Rande des Abgrunds»“6 zur derzeit einzigen Partei der etablierten fünf Parteien mit einer wachsenden Mitgliederzahl7 aufzuzeichnen und schließlich anhand einer Synthese aus diesen Erkenntnissen die Fragestellung meiner Hausarbeit, „Befinden sich die Grünen auf dem Weg zur Volkspartei?“, beantworten.

2. Analyse heutiger Parteibegriffe

2.1 Definition einer „Partei“


Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst definiert werden, was eine Volkspartei ist, beziehungsweise zuallererst, worum es sich bei einer Partei überhaupt handelt. Eine Erläuterung nach Gesetzeslage scheint klar, jedoch für unsere Fragestellung etwas zu ungenau:

„Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß [sic!] nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen[ .].“8

Dass sich eine einfachere Bestimmung nicht sonderlich leicht gestaltet, zeigt sich wenn man berücksichtigt, wie Politikwissenschaftler nach festen Kriterien gesucht haben - so ließ sich in den 90er Jahren bedingt durch das junge Stadium der Parteienforschung noch keine klare Definition des Wortes Partei finden9, was allerdings auch einem bis in die 90er Jahre andauernden mangelnden Interesse an diesem Forschungsbereich geschuldet war10.

Spekulativ könnte man hier anfügen, dass dies auch mangelnden Alternativen abseits der seit 1949 etablierten Dreiparteienlandschaft bestehend aus CDU, SPD und FDP geschuldet war - die erste Koalition, die diese Grenzen sprengte, kam schließlich erst 1998 mit einem Bündnis aus SPD und den Grünen zustande.

2009 schließlich stellt Uwe Jun in Anlehnung an den Parteienforscher Winfried Steffani heraus, dass Parteien in verschiedener Art und Weise analysiert werden können, und zwar als:

  • „Ausdruck sozialer Gruppen, sowie ideologisch-programmatischer Vorstellungen und Ziele

  • Instrumente der Ausübung von Macht

  • Vermittler demokratischer Legitimation

  • Interessenvertreter in eigener Sache und als Rekrutierungsfeld der politischen Führung“11

Für diese Arbeit möchte ich mich in erster Linie an der ersten der vier Möglichkeiten orientieren, das dritte Kapitel wird zeigen, dass die Aspekte Ideologie und Programmatik eine Maßgebliche Rolle in Geschichte und Aufbau der Partei bilden.

Wir können also festhalten, dass Parteien Zusammenschlüsse von sozialer Gruppen mit der Zielrichtung der politischen Teilhabe, sowie auch Ausdruck ideologisch-programmatischen Vorstellungen und Ziele dieser Gruppen sind.


2.2 Die „Volkspartei“


Nun steht allerdings immer noch eine Definition der„Volkspartei“ aus. Ähnlich wie bei „Partei“ herrscht auch hier keine wirkliche Einigkeit zwischen den Politikwissenschaftlern. Der bereits oben genannte Prof. Dr. Peter Lösche schreibt in seinem Aufsatz über das Ende der Volksparteien, „dass Konsens nur darüber, dass »Volkspartei« nicht eindeutig zu definieren ist und synonym benutzt wird mit Massenpartei, Mitgliederpartei, Massenintegrationspartei, Allerweltspartei, Großpartei, Kartellpartei“12.

Weitergehend definiert er selbst Volksparteien über verschiedene Indikatoren - Mitglieder, Parteiaktivisten und Wähler sind nicht auf eine soziale, konfessionelle oder anders zusammengefasste Klasse oder Schicht begrenzt, vielmehr ist das Klientel prinzipiell aus unterschiedlichen sozialen Klassen, Berufsgruppen und Konfessionen zusammengesetzt und damit sozial heterogen13.

Die Volkspartei bemüht sich außerdem, verschiedene dieser Gruppen und Milieus anzusprechen, hier nennt Lösche auch quantitative Faktoren:

Auf Dauer müssen 35% an Stimmen der Wahlberechtigten und ein Prozent dieser als Mitglieder gewonnen werden - betrachtet man in diesem Kontext die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl und die Parteimitgliederzahlen zu diesem Zeitpunkt, steht fest, dass keine Partei dieses Kriterium erfüllt:




Müssen wir also festhalten, dass es zwar feste Kriterien für eine Volkspartei gibt, diese aber von keiner deutschen Partei mehr erfüllt werden? Nach der Definition Lösches muss man scheinbar „ja“ antworten. Jedoch soll dies nicht die verfrühte Beantwortung der forschungsleitenden Fragestellung einleiten - nicht nur Lösche selbst, sondern auch andere Parteienforscher haben durchaus auch andere Kriterien für das Prädikat Volkspartei.

In seinem oben schon zitierten Text ergänzt Lösche die Kriterien einer Volkspartei beispielsweise noch weiter: Koalitionsfähige Parteien und damit auch Volksparteien müssen neben der profilierenden und damit zwangsläufig konfliktverbundenen politischen Haltung, die sie von anderen Parteien unterschiedet, auch eine Kompromissfähigkeit beweisen.

Letztes Kriterium nach Lösche ist die Stammwählerschaft, die bei beiden ehemaligen oder aktuellen Volksparteien CDU und SPD aus „sozialmoralischen Milieus“ hervorgeht und eine Art festen Puffer der Partei bildet - dies scheint nicht abwegig, bei der CDU ist dies das bürgerlich-konservative Lager, bei der SPD das Arbeitnehmer- und das Milieu der Mittelschicht.

Die starke Individualisierung des politischen Apparates und der Wählerschaft durch Kleinparteien und deren Stimmzunahme zeigen uns, wie diese Milieubasis besonders bei der SPD geschwunden ist19. Es stellt sich hier die Frage, ob nicht auch kleine Parteien, wie die Grünen Anfang der neunziger Jahre, im Zuge dieser Individualisierung ein anders orientiertes und aufgebautes Milieu für sich gewinnen konnten.

Etwas weniger umfassend beschreibt Peter Nohlen das signifikanteste Kriterium der Volksparteien als das Streben nach möglichst vielen Stimmen, um diese „schichtübergreifend und weltanschaulich verbindend“20 in „strategische[n] Mehrheiten“21 zu vertreten.

Ist also das einzig aussagekräftige Kriterium, dass Massenparteien eben Massenparteien sind, weil sie Massen an Bürgern vertreten wollen? Um im vorgesehenen Rahmen dieser Arbeit zu bleiben, möchte ich die Suche nach einer finalen Definition der Volkspartei hiermit beenden, da die wissenschaftlichen Meinungen zu weit auseinandergehen.


Ein Kompromiss auf der Suche nach einer Kategorie für eine Partei mit den Erfolgen der Grünen scheint Oskar Niedermayers Definition einer erfolgreichen Partei zu sein. Niedermayer prägt diesen Begriff zwar im Zuge der neuen Parteien wie der der Piraten, jedoch sollten die von ihm eingeführten Regeln zur Bemessung des Erfolgs auch für andere, vielleicht ja auch für Volksparteien anwendbar sein.

Niedermayers Erachtens nach gibt es bestimmte Stufen, an denen sich Erfolg einer Partei bemessen lässt, welche lauten:

  • Wahlteilnahme

  • Wettbewerbsbeeinflussung (tritt auf, wenn Existenz der Partei Handeln anderer Parteien beeinflusst)

  • Parlamentarische Repräsentation

  • Koalitionsstrategische Inklusion (Partei wird in Ãœberlegungen zur Regierungsbildung mit einbezogen)

  • Regierungsbeteiligung (als Juniorpartner einer Regierung)

  • Regierungsübernahme (Partei stellt Regierungschefin/ den Regierungschef)22


Die Definition ist so simpel wie anwendbar: Je mehr Stufen eine Partei passiert hat, desto erfolgreicher ist sie. Die Stufen können hierbei nur nacheinander genommen werden, eine Regierungsübernahme ohne eine vorherige koalitionsstrategische Inklusion schließt Niedermayer beispielsweise aus.


Angesichts der Vielfalt der unterschiedlichen Definitionen und Erklärungen werde ich nun abschließend für dieses Kapitel eine kurze Kriterienmatrix aufstellen, anhand welcher ich später den Erfolg, oder eben die Erfüllten Kriterien der Volkspartei am Beispiel der Grünen ablesen werde. Die Spalte „erfolgreiche Partei“ soll sich hierbei auf eine klassische erfolgreiche Partei nach Niedermeyer beziehen, bei der alle von ihm aufgeführten Kriterien zutreffen.

Nr.

Kriterium

Partei

Volkspartei

(nach Lösche)

Volkspartei

(nach Nohlen)

„Erfolgreiche“ Partei

1.

Zusammenschluss sozialer Gruppen mit Zielsetzung der politischen Teilhabe


X


X


X


X

2.

Klientel nicht beschränkt auf bestimmtes soziales oder konfessionelles/ anderes Milieu






X





3.

Dauerhaft 35% Stimmen und 1% der Wahlberechtigten als Parteimitglieder




X



4.

Kompromissfähig


X


X

5.

Stammwählerschaft in sozialem Milieu


X



6.

Größtes Interesse: Streben nach möglichst vielen Stimmen





X


7.

Wahlteilnahme

X

X

X

X

8.

Parlamentarische Repräsentation


X


X

9.

Koalitionsstrategische Inklusion


X


X

10.

Regierungsbeteiligung




X

11.

Regierungsübernahme




X


[ ]: Kriterium geht nicht aus Definition hervor


3. Entwicklungsverlauf der Grünen


3.1 Parteigründung und erste Wahlerfolge


Kommen wir nun zum eigentlichen Gegenstand der Betrachtung, die Partei Bündnis90/Die Grünen. Für dieses Kapitel werde ich mich auf die für die Beantwortung der Forschungsfrage relevanten Ereignisse innerhalb der Parteigeschichte beschränken.

Gegründet wurden die Grünen 1976/77 in Niedersachsen als damals noch entzweite Bürgerinitiativen „Umweltschutzpartei Niedersachsen“ (USP) und „Grüne Liste Umweltschutz“ (GLU), die sich 1977 als GLU zusammenschlossen. Bei ihrer ersten Landtagswahl 1978 erreichten sie praktisch aus dem Stand 3,9% der Stimmen, was auch damals eine große Überraschung war23. Jedoch war die Partei in ihren Anfängen durch die diverse Zusammensetzung der Mitglieder instabil: ehemalige Teilnehmer der Studentenproteste der 68er-Jahre, darunter auch linksradikale K-Gruppen, trafen auf Bürgerinitiativen der Antikernkraftbewegung und sozialen Bewegungen, wie etwa Frauen- und Friedensbewegungen24.

Nachdem im Oktober 1979 in Bremen der Einzug in die Bremer Bürgerschaft gelang, werden wenig später in Bayern die „Aktionsgemeinschaft unabhängiger Deutscher“ (AUD), sowie in Hessen die „Grüne Aktion Zukunft“ (GAZ) gegründet. Zur Europawahl wird 1979 das Listenbündnis „Die Grünen“ gegründet, welche 1980 in jedem Bundesland der Bundesrepublik vertreten ist und im selben Jahr erstmals an der Bundestagswahl mit einem Ergebnis von 1,5% der Stimmen teilnimmt25,26,27.Der Einzug in den Bundestag gelingt den Grünen erstmals 1983 mit 5,6%28, die erste Regierungsbeteiligung geschieht im selben Jahr in Hessen in Form einer Rot-Grünen Koalition, jedoch unter starker Gegenwehr des fundamentalistischen Flügels der Grünen.29


„Das Streben nach Beteiligung an der Macht um nahezu jeden Preis als angebliche Schicksalsfrage der Grünen ist nur ein hilfloser Regler auf den fundamentalen Dogmatismus und (ist) für die auf grundlegende Veränderung der Gesellschaft zielende Politik der Grünen nicht akzeptabel.“30

So zitierte die Zeitung „Die Zeit“ eine Grundsatzresolution der Grünen vom Juni 1985 - der Ton ist merkbar rau und damit nur eines von vielen Indizien für die innerparteilichen Krisen. Die Grünen müssen sich nach vielerlei Wahlerfolgen auf Bund- und Länderebene positionieren und eine Mitte zwischen fundamentalistisch-radikalem linken und dem realpolitisch orientierten rechten Flügel der Partei finden31.

Hauptsächlich gelingt ihnen dies durch negative Meinungen - nicht nur der oben zitierte Widerspruch gegen etablierte Machtpolitik, auch Kapitalismus, Industrialismus, Amerikanismus, Militarismus und Zentralismus, um nur einige zu nennen, werden von ihnen abgelehnt32. Vielleicht war auch dies ein Grund für die mangelnde klare politische Haltung zur Wiedervereinigung 1989/90, durch die sie zur Bundestagswahl 1990 eine große Niederlage erlitten und nicht mehr im Bundestag vertreten waren33.

1994 kommt die erhoffte Erholung für die Grünen - mit 7,3% der Zweitstimmen sind sie wieder im Bundestag vertreten37. Vier Jahre später folgt die erste Koalition mit den Sozialdemokraten.


3.3 Die Jahre 1998 bis 2013


Der von nun an zunehmend realpolitische Weg der Grünen wird gefestigt durch die Regierungskoalition mit der SPD auf Bundesebene von 1998 bis 2005 - es folgen Zustimmung zur Teilnahme am Jugoslawienkrieg 1998, sowie der Bundeswehreinsatz in Afghanistan 200138. Die Grünen können jedoch auch politische Erfolge verbuchen: 2001 wird der Atomausstieg beschlossen39, im Jahr 2002 erreicht die Koalition erneut die Mehrheit bei der Bundestagswahl.40

Seit dem Jahr 2005 befinden sich die Grünen auf Bundesebene in der Opposition, jedoch folgen Umfragehochs ab 201041 - 2011 gelingt ihnen erstmals die Regierungsübernahme - Winfried Kretschmann wird Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg - nach der Partei die LINKE sind die Grünen nun die zweite Kleinpartei, die diesen Schritt geschafft hat.

4.1 Anwendung der Forschungsergebnisse


Kommen wir nun zur Anwendung der in Kapitel zwei erarbeiteten Matrix auf die Grünen - können sie als Volkspartei bezeichnet werden? Sind sie „nur“ eine erfolgreiche Partei, die den Sprung zum Stellen eines Regierungschefs geschafft hat? Die Grafik und die darauffolgende Erklärung sollten Aufschluss liefern:


Nr.

Kriterium

Vp.

(n. L.)

Vp.

(n. N.)

„Erfolgreiche“ Partei

CDU

Bündnis90/ Die Grünen

Begrün-dung

1.

Zusammenschluss sozialer Gruppen mit Zielsetzung der politischen Teilhabe


X


X


X


X


X

Gründungsgruppen (Kap. 3.1)

2.

Klientel nicht beschränkt auf bestimmtes soziales oder konfessionelles/ anderes Milieu



X






X


X

*a

3.

Dauerhaft 35% Stimmen und 1% der Wahlberechtigten als Parteimitglieder


X







4.

Kompromissfähig

X


X

X

X

*b

5.

Stammwählerschaft in sozialem Milieu

X



X

X

*c

6.

Größtes Interesse: Streben nach möglichst vielen Stimmen



X


X


Grundsatz-resolution von 1985

7.

Wahlteilnahme

X

X

X

X

X

Nieder-sachsen 1978

8.

Parlamentarische Repräsentation

X


X

X

X

Bremen

1979

9.

Koalitionsstra-tegische Inklusion

X


X

X

X

Frauen-quote SPD 1988

10.

Regierungsbetei-ligung



X

X

X

Hessen 1983

11.

Regierungsüber-nahme



X

X

X

Baden-Württem-berg 2011

Legende: [X]: Kriterium für Untersuchungsgegenstand erfüllt

[ ]: Kriterium für Untersuchungsgegenstand nicht erfüllt


Als Vergleich zu den Grünen habe ich mir erlaubt, die klassische Volkspartei CDU anzuführen - schließlich ist beispielsweise Kriterium Nr. 3 für keine der beiden Parteien erfüllt. Zu Begründung der Erfüllung der Kriterien durch die Grünen möchte ich noch einige Anmerkungen anfügen:

a: Dass die Grünen, so wie derzeit nahezu jede Partei, kein spezielles soziales Milieu als einzige Zielgruppe oder Wählergruppe hat, zeigt sich anhand der sozialen Zusammensetzung der Parteimitglieder42 - größter Deckungsbereich mit einer Gesellschaftsgruppe ist lediglich im Bereich der Bildungsherkunft auffindbar und bildet mit 68% Hochschulabsolventen zwar einen erhöhten, nicht aber einen alleinigen Anteil dieses Milieus in der Partei.

Die von den Grünen seit ihrer Gründung bestehende Forderung nach einer Beendigung der Nutzung von Atomkraft wird seitdem nicht nur von allen etablierten Parteien geteilt, sondern auch durchgesetzt.

c: Aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung geht hervor, dass auch die Grünen über eine Stammwählerschaft verfügen, das sind einerseits die frühen Unterstützer seit 1977, andererseits zählt auch das heutige Bildungsbürgertum dazu - die Studie kommt zu dem Schluss, dass dieser „Aufstieg der Grünen“ „ein längerfristiges Phänomen“45 sei.

Diese Ansicht unterstützt auch Oskar Niedermayers Studie über die Parteimitglieder - laut dieser sind die Grünen seit 2010 bis heute die einzige wachsende Partei in der Anzahl der Mitglieder46.

Die hier erarbeitete Tabelle lässt nun drei Schlüsse in Bezug auf unsere Fragestellung zu:



4.2: Deutungsoption I: Die Grünen sind keine Volkspartei


Wenden wir absolute Kriterien für die Volkspartei an, in diesem Fall die Definition von Peter Lösche, so trifft es nicht zu, dass die Grünen 35% der Wahlberechtigten dauerhaft mobilisieren. Es trifft auch nicht zu, dass sie 1% der Wahlberechtigten als Parteimitglieder vorweisen47, daher kann man gerechtfertigter Weise die in Kapitel eins vorgestellten Meinungen der Medien bestreiten.

Diese Meinung würde ich allerdings nicht als so negativ auffassen wie sie dort vielleicht klingen mag: die immer stärker werdende Fragmentierung der Parteienlandschaft, die auch das Aussterben der Massenparteien mit sich bringt, scheint einerseits hervorgerufen durch Bürgerinnen und Bürger, die mehr durch politischen Inhalt, als der Zugehörigkeit zum sozialen Milieu einer Partei beeinflusst werden, was in meinen Augen in Zeiten der Politikverdrossenheit nicht als negativ angesehen werden sollte; und andererseits notwendig, um ein direkteres Meinungsbild der Bevölkerung auf politischer Ebene zu repräsentieren, freilich unter dem Vorbehalt, dass dies nur so lange der Sache dienlich ist, wie noch eine handlungsfähige Regierung und nicht eine Partei pro Bürger die Politik bestimmt.


4.3: Deutungsoption II: Die Grünen sind eine von vielen Volksparteien


Die etwas abstraktere Deutung, die sich an diese Überlegungen anschließt: Vielleicht ist in unserer heutigen Gesellschaft das Bild der Massenpartei, der „Catch-all party“49, wie sie derzeit noch teilweise bei der CDU aufzufinden ist, überholt. Der politische Wettbewerb muss im Rahmen der Pluralisierung mehr Parteien zur Verfügung stellen, wenn die Gesellschaft mehr Parteien zur politischen Willensbildung benötigt.

Fakt ist auch, dass das Bündnis 90 vermehrt Elemente der Volksparteien aufweist, wie beispielsweise eine nach wie vor wachsende Mitgliederbasis - ein Trend, der in der momentanen Politiklandschaft mehr als begrüßenswert erscheint. In meinen Augen sind damit die Grünen gleichwohl so eine Volkspartei, wie es auch die CDU und die SPD sind, und wer weiß, vielleicht wird die Piratenpartei in 20 Jahren auch in die Reihe der Volksparteien passen.


4.4: Deutungsoption III: Die Grünen als „erfolgreiche“ Partei


Besinnen wir uns noch einmal auf die Kriterien der „erfolgreichen Parteien“ nach Niedermayer, müssen wir feststellen, dass diese eigentlich alle Kriterien dieser hier geforderten „modernen Volksparteien“ erfüllen - etablierte Parteien, die das Potential der Umsetzung politischen Willens haben, so wie die Grünen, die seit 2011 auch einen Regierungschef stellen und damit die höchste Erfolgsstufe erreicht haben.

Aber ist dieses Konzept vielleicht ein wenig zu kontrovers? Es muss festgehalten werden, dass es signifikante Unterschiede zwischen CDU und SPD als den großen Parteien und FDP, LINKE und den Grünen als Kleinparteien gibt - während die beiden großen Parteien gemeinsam auf über eine Million Mitglieder kommen, verzeichnen die Kleinparteien zusammengenommen nicht einmal 200.000 Mitglieder51.

Dementsprechend wäre Deutungsoption II dann doch ein wenig weiter in der Zukunft anzusetzen.


5. Schlussbetrachtung


Haben wir damit die Forschungsleitende Frage beantwortet? Ich denke schon - die Grünen befinden sich auf dem Weg zu einer Volkspartei - steigende Mitgliederzahlen und Repräsentation im politischen Apparat sprechen dafür, nur eben nicht zu einer Volkspartei im klassischen, Lösch’schen Sinne. Fakt, und damit abschließende These ist:

„Die Grünen sind ein Beispiel dafür, dass neue Parteien und deren Erfolg nicht nur wichtig für die Bereicherung der politischen Landschaft sind, sondern auch tendenziell eine zunehmende Relevanz innerhalb des politischen Wettbewerbs gewinnen werden.“

Das Konzept der Volkspartei als 35%-Partei ist bei der CDU als Ausnahme vielleicht noch für wenige Jahre erfolgreich, wird aber, und das ist meine Ansicht, im Endeffekt vermutlich zu genau dem Führen, was der SPD in den letzten 20 Jahren widerfahren ist: die CDU muss sich im Spektrum rechts der Mitte entscheiden: quo vadis? Mit dem derzeitigen Kurs, besonders deutlich seit 2009, alle Inhalte der SPD „auf[-zu]saugen“53 wird sie weiter in die politische und damit auch die gesellschaftliche Mitte fahren, was scheinbar vorerst mit einem Stimmengewinn vergütet wird, womit jedoch auch Platz rechts von ihr frei wird, was schließlich zu einer Fragmentierung des rechten Spektrums, symmetrisch zu dem des linken führt - der Gedanke, dass es so, wie seit 1977 die Grünen, bald vielleicht auch eine potentielle Volkspartei rechts von FDP und CDU geben könnte, scheint hier weniger abwegig als er es eigentlich sein sollte.


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