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Seminararbeit / Hausarbeit

Die Mädchen­lieder Walthers von der Vogel­weide: Schwie­rig­keiten bei der Gattungs­ein­ord­nung

5.442 Wörter / ~20 Seiten sternsternsternsternstern Autorin Emilie Z. im Jun. 2017
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Seminararbeit
Deutsch

Universität, Schule

Universität Augsburg

Note, Lehrer, Jahr

1,3/Prof. Löser

Autor / Copyright
Emilie Z. ©
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Preis 8.00
Format: pdf
Größe: 0.65 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern
ID# 66428







Sommersemester 2015

UNIVERSITÄT AUGSBURG

Lehrstuhl:       Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters


Die Mädchenlieder Walthers von der Vogelweide
Die Schwierigkeiten der Gattungseinordnung



Inhalt         

1. Einleitung. 2

2. Gattungseinordnungen. 2

3. Mädchenlieder 3

3.1 Standesfrage. 4

3.2 „Herzeliebe“ und Gegenseitigkeit 5

3.3 Zwischenfazit 7

4. Herzeliebez vrowelîn. 8

4.1 Werbelied. 8

4.2 Frauenpreis. 10

5. Under der linden. 12

5.1 Pastorelle. 12

5.2 Tagelied. 14

5.3 Frauenmonolog. 15

6. Fazit 17

7. Literaturverzeichnis. 19

7.1 Primärliteratur 19

7.2 Sekundärliteratur 19

1. Einleitung

Biografisch gibt es zu Walther von der Vogelweide nicht viel Neues zu sagen, denn nicht nur in Germanistenkreisen ist sein Name bekannt. Zu seinen bekanntesten Werken zählt „Under der linden“, welches bis heute noch in verschiedenen Adaptionen zum Tragen kommt. Walthers Kritiker bemängelten jedoch schon zu seiner Zeit, dass er in seinen heute als Mädchenliedern – früher wurden sie jedoch ein wenig abwertend klingend als Lieder der niederen Minne  bezeichnet – bekannten Werken die Prinzipien des Minnesangs verrät.

Dies gilt auch für Werke  wie „herzeliebez vrowelîn“ und „nemet frowe disen cranz“.

Bei genauerer Betrachtung der Themen und Motive, sowie des lyrischen Ichs und der beschriebenen Liebesbeziehung fällt jedoch auf, dass die Gattungszuordnung nicht hundertprozentig eindeutig ist. Wie schon Heike Sievert und Carl von Kraus ausführten, spielen auch Gattungen wie das Frauenlied, die Pastourelle, das Tagelied oder die Mädchenbeichte in den Mädchenliedern eine Rolle.

Im Folgenden soll untersucht werden, wodurch sich diese Gattungen in „Under der linden“ und „herzeliebez vrowelîn“ äußern. Wie werden sie in die Mädchenlieder eingebunden und wodurch unterscheiden sie sich von ihren ursprünglichen Gattungsmerkmalen.

2. Gattungseinordnungen


„In der Vielgestalt der mhd. Minnesangs des 12. Und 13. Jh.s zeichnen sich Liedgruppen ab, die durch mehr oder weniger ausgeprägte formale, inhaltliche und motivliche Gemeinsamkeiten poetische Reihen, sog. ‚Gattungen‘, bilden.“[1] Anhaltspunkte für die heutigen Bezeichnungen gaben die bereits im Mittelalter gebräuchlichen Begriffe liet, leich, minnelied oder loblied.

Die heutigen Gattungen sind allerdings genauer definiert und klar klassifiziert. Dabei ist es möglich sie unter anderem nach ihrer Form, den handelnden Personen, der Struktur oder auch der Minnehaltung einzuordnen.

Da es auch im Mittelalter häufig zu Mischformen kam ist es bei der Analyse wichtig, verschieden Klassifikationsmerkmale mit einzubeziehen. Werden zum Beispiel nur die dargestellten Situationen betrachtet, kann man zwar auf ein Tagelied, eine Pastourelle oder ein Kreuzlied schließen, lässt dabei allerdings außer Acht, ob es sich vielleicht auch gleichzeitig um ein Frauenlied handelt, da das lyrische Ich in dem vorliegenden Werk eine Frau ist.

Dadurch würden einige wichtige Interpretationsmöglichkeiten ausgelassen werden, wie sich auch im weiteren Verlauf der Arbeiten zeigen wird. Auch scheinbar einfache mittelalterliche Lieder wie „Under der linden“ und „Herzeliebez vrowelîn“, die durch ihren einfachen Aufbau und den klar verständlichen Text als „zuo/so nider“[2] kritisiert wurden, bestechen auf den zweiten Blick durch ihre Vielschichtigkeit und das geschickte Spiel mit verschiedenen Gattungsmerkmalen.

3. Mädchenlieder


In der lateinischen Vagantendichtung ließen die Dichter zum ersten Mal von der mittelalterlichen Verschleierung ab. Sie nutzen ihre Werke um ehrlich ihre Meinungen und Gefühle hinauszuposaunen. Dabei stand neben Trink-, Streit- und Spottdichtung auch die Liebeslyrik im Vordergrund. Der Vagant – ein fahrender Kleriker – „war zunächst im Dorf gewesen und hatte mit dem Dorfmädchen geschwatzt, getanzt, gekost, er hatte sich zuerst einer Liebe gehuldigt, die sich voraussetzungslos geben konnte, unbeschwert von Vorschriften und Gedanken, unstilisiert und unverhüllt.“[3] Dabei kam es jedoch nicht nur zur Liebe zwischen Vagus und Dorfmädchen, auch zwischen höfischer Dame und Geistlichem.

Man könnte daher behaupten, „daß der Partnerinfigur der >Mädchenlieder< unter anderem die puella, virgo lateinischer Vagantendichtung Modell stand, die Entgegenkommen, aber nicht unbedingt Verläßlichkeit in der Liebe personifizieren konnte.“[4] Wie auch in der Vagantendichtung wird in den Mädchenliedern von der Verschleierung abgesehen und ein Entgegenkommen des Mädchens erwartet, mit dem Unteschied, dass Verlässlichkeit und Treue mittlerweile zu wichtigen Tugenden avanciert sind, auf die der Partner in den Liedern großen Wert legt.

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Zum anderen wird sich zeigen, dass auch in den Mädchenliedern versucht wird eine Unbeschwertheit der Liebenden zu schaffen. Eine Unbeschwertheit die sich daraus ergibt, dass die Partner nicht an Regeln der mittelalterlichen Sitte gebunden sind, beziehungsweise diese zu ihrem eigenen Wohle übergehen.

3.1 Standesfrage


Die Standesfrage spielt auch in den Mädchenliedern eine große Rolle oder, je nachdem wie man es betrachtet, keine Rolle. Walther von der Vogelweide bricht hier, wie oben bereits erwähnt, mit einigen Prinzipien des hohen Minnesangs. Er entwickelt „zu der gesteigerten und übersteigerten Fiktion der hohen Minne, des Werbens um ein als unerreichbar vorgestelltes Frauenidol“[5] die Gegenposition der sogenannten niederen Minne.

In der niederen Minne wenden sich die Lieder entweder an  ein Mädchen von „der straze“[6] oder an eines, dessen gesellschaftlicher Stand komplett nicht erwähnt wird. „Ihre Minnewürdigkeit, das ist die provozierende Pointe, ist jedenfalls nicht an hohen oder höchsten Stand gebunden, wie in der hohen Minne vorausgesetzt wird.“[7]

In „Under der linden“  liefert die Anrede „here frouwe“[8], den einzigen Ansatzpunkt für den Stand des Mädchens. Dabei „muss aus der Übersetzung in „hohe Frau“ nicht zwangsläufig geschlossen werden, dass es sich bei ihr um ein Mitglied des Hofes handelt, denn ebenso ließe sich darin ein Ausruf an die „heilige Jungfrau“ lesen. Über die wahre Bedeutung der „here frouwe“ kann aber nur spekuliert werden.“[9] Es könnte, je nach Edition und der darin gesetzten Interpunktion, auch darauf zielen, dass das Mädchen von ihrem Partner „wie eine adelige Dame“ begrüßt wurde.

Geht man von dieser Übersetzung aus, so liegt die Vermutung nahe, dass sie einem niederen Stand angehört, jedoch von ihrem Partner wie eine Frau eines hohen Standes behandelt wird.  Der Stand des Mädchens ist also nicht genau zu erkennen,  denn außer dieser kleinen Passage, werden keine weiteren Anhaltspunkte geliefert, die den hohen oder niederen Stand des Mädchens eindeutig klären könnten.

In „herzeliebez vrowelîn“ liefert der Text im Gegensatz dazu zwei Anhaltspunkte, welche die Standesfrage beantworten. Zum einen den Diminutiv „vrowelîn“[10]. Tom Bein gibt als Übersetzungshilfe „junge, vornehme, ggf. adelige Dame“[11] an. Es ist natürlich klar zu erkennen, dass der Diminutiv auf „vrowe“, also die adelige Dame, zurückgeht.

Dennoch wäre es wohl gegen die Etikette gewesen eine Frau des hohen Standes mit der Verkleinerungsform anzusprechen, denn dies würde ihren Rang heruntersetzen.  Für eine junge Frau jedoch, deren Manieren, Charakter und Auftreten für den Partner denen einer Adeligen ebenbürtig sind  wäre dies eine passende, aufwertende Anrede – ein großes Kompliment.

Im weiteren Verlauf des Textes ist zudem von einem „glesîn vingerlîn“[12], einem gläsernen Ring, die Rede. Für eine wahre Dame des Adels wäre es unter ihrer Würde nur einen gläsernen Stein auf ihrem Ring zu tragen. Für eine solche Frau gehörten sich Diamanten und edle, teure Steine. Für ein Mädchen des niederen Standes wäre der Ring jedoch passend.


Die Adressierung der Lieder an den niederen Stand bringt jedoch einige Kritik auf. Walther verrät laut seinen Kritikern den Minnesang und wird deshalb von diesen öffentlich angegriffen. Jedoch erwidert er, dass jeder der in der Minne den Maßstab zuo/so nider anlegt und danach misst, offensichtlich nicht begriffen und nie erfahren hat, was liebe ist.[13] Liebe, genauer gesagt herzeliebe, und Gegenseitigkeit werden zu einem der zentralen Aspekte der Mädchenlieder.

Wo vorher nur ein kleiner Blick der Partnerin erlaubt war, geht es jetzt um die Erfüllung der Liebe. Damit geht vor allem auch einher, dass sich die Prioritäten in der Partnerwahl wandeln. Nun stehen, wie Walther in „Herzeliebez vrowelîn“ seinen Kritikern zu erklären versucht, nicht mehr „das guot, Besitz, Reichtum, und eine darauf begründete, aufwandsabhängige schoene[14] im Vordergrund, sondern die güete, die inneren Werte der Partnerin.

Diese Werte und das Vermögen zu Lieben und geliebt zu werden, sind es, die eine Frau schön machen, denn äußere Schönheit erzeugt mehr Neid als Liebe.[15]

Daraus ergibt sich auch für „…und hâst genuoc“[16] eine weitere Deutungsmöglichkeit. Es lässt sich nicht nur wortwörtlich übersetzen oder auf die Schönheit der Angesprochenen beziehen. Als dritte Deutungsmöglichkeit lässt das genouc nicht nur auf den Besitz der Dame schließen, sondern vor allem auf die innere Werte dieser.

Die Kenntnis über die inneren Werte des Partners setzt jedoch voraus, dass man sich mit diesem auseinandersetzt, dass man ihn nicht nur aus der Ferne anhimmelt. Sie beinhaltet eine Interaktion der Liebenden miteinander – ein weiterer Gegensatz zum hohen Minnesang. Von der Frau wird nun eine Reaktion, eine Erwiderung, gewünscht, erhofft, in gewisser Weise sogar erwartet.Denn ohne Reaktion würde es die Gegenseitigkeit der Liebenden nicht geben.

„…und nim dîn glesîn vingerlîn vür einer küneginne golt“[17] meint der Sprecher in „Herzeliebez vrowelîn“.


„Das gläserne Ringlein bezeichnet [aber] nicht nur und nicht in erster Linie den minderen Besitz und Stand der Partnerin. Es ist etwas, das dargereicht und angenommen wird […], es ist ein Geschenk der Nachbarin, ein Liebeszeichen, ein Liebespfand. Wenn es dem Mann ebenso viel oder sogar mehr wert ist […] als das Gold meiner Königin edelstes Metall der Ranghöchsten, dann wegen der Gesinnung in der es gegeben wird…“[18]


„Es geht um jene ethnischen Grundwerte, die Minne erst zur Minne der höfischen Kultur mit allen ihren Wirkungen machen, zu einer frei wählbaren Geschlechterbeziehung, auf die man dennoch das ganze Leben bauen kann…“[19]. Denn diese Werte sind es, die in den Mädchenliedern zwischen hohem und niederem Stand entscheiden und nicht die Menge an Gold, welche die Partnerin besitzt.

In „Under der linden“ wird die Gegenseitigkeit der Liebe nur implizit angesprochen. „Dâ unser zweier bette was“[20] sinniert das lyrische Ich zu Beginn. „In der ersten Strophe geht dabei noch nicht hervor, daß ein Mädchen spricht – so sehr steht das „wir“ im Vordergrund“.[21] Das „unser“ ist in diesem Lied allerdings der einzige Hinweis auf eine Vereinigung der zwei Liebenden.

Sie gehören zusammen und werden hier zunächst als eine Einheit dargstellt. „Er und ich, das steht in unlösbarer Bezüglichkeit zueinander, aber doch nebeneinander – als ein Symbol der Zusammengehörigkeit und „Bewahrung individueller Gestalt“ (Schaefer, 1966, S. 28) andererseits.“ [22] Auch der angedeutete Vollzug der Liebe, wie sich aus diesem Satz schließen lässt, zeigt eine Gegenseitigkeit, denn die Dame spricht davon voller Freude, wodurch ihr Einverständnis deutlich wird.


3.3 Zwischenfazit


An dem Versuch verschiedene Aspekte der Mädchenlieder festzuhalten zeigt sich, wieso die Gattungseinordnung nicht leicht ist und wieso es nötig ist, die Lieder auf weitere Klassifikationsmerkmale und Gattungen zu untersuchen.

Klar ist zunächst, dass für die Mädchenlieder die ungeklärte Standesfrage beziehungsweise der niedere Stand der Dame, die Gegenseitigkeit der Liebe und die herzeliebe wichtig sind.

In „Herzeliebez vrowelîn“ sind alle drei Gattungsmerkmale gegeben. In „Under der linden“ jedoch wird zwar ein kleiner Hinweis auf den Stand der Frau gegeben und auch die Gegenseitigkeit der Liebe lässt sich vermuten, allerdings stützt sich dabei einiges auf Vermutungen. Es werden keine Hinweise darauf gegeben, ob sich das Paar wieder treffen wird oder ob es sich um eine einmalige Vereinigung handelt.

Die wenigen klaren Merkmale der Mädchenlieder machen es daher nötig, noch weitere Gattungen mit einzubeziehen. Wichtig zu untersuchen ist nun, welche Gattungen dies sind, welche hauptsächlichen Merkmale sie haben, welche verwendet Walther von der Vogelweide und wenn möglich, sollte auch die Frage beantwortet werden, wieso er ausgerechnet diese Gattungsmerkmale beziehungsweise Gattungen in seine Mädchenlieder einbaut.

Inwiefern ändert Walther von der Vogelweide die Gattungsmerkmale ab und was hat dies zur Folge?

4. Herzeliebez vrowelîn

4.1 Werbelied


In einem Werbelied werden in monologischer Form die „Werbebemühungen und deren Vergeblichkeit, Kundgaben von Gefühlszuständen, Wunschvorstellungen, eine Art emotionaler Lagerbericht“[23] aus der Sicht des Mannes dargestellt. Diese Lieder haben meist keinen direkten Adressaten, das heißt sie sind nicht an eine bestimmte Dame gerichtet, sondern richten sich an „eine abstrakte Instanz wie >Frau Minne<.“[24] In direkten Werbeliedern, welche relativ selten zu finden sind, obwohl „doch eine – wenn auch fingierte – unmittelbare Konfrontation der Angebeteten mit den Bitten oder dem minneleid des Werbenden eher Wirkung versprechen müßte.“[25] –  wird in einer Vielzahl von Werken nicht nur eine Frau, sondern die frouwen oder die wîp, angesprochen.

Wichtiger sind jedoch die inneren Hindernisse. Diese können zum einen beim Werbenden liegen – Schüchternheit – oder bei der Umworbenen. Der Minnesänger klagt über ihre Zurückweisung, ihre Gleichgültigkeit oder aber auch ihre Unnahbarkeit. Dieses Problem ergibt sich daraus, dass der Minnesänger in seinen Liedern der Dame seine Dienste ausschließlich und für eine bestimmte Dauer zur Verfügung stellt.

Dafür erwartet er jedoch nach dem Motto servitium et beneficium  eine Gegenleistung für seine Dienste. Wenn er diese nicht bekommt, wird dies in Werbe- und Klageliedern dargestellt. Paradoxerweise wird bei Zurückweisung die Werbung aber nicht eingestellt, sondern die Minne selbst wird als Lohn gesehen, denn sie bringt dem Sänger Ansehen bei Hofe. „Schließlich kann der Leidgestus auch ästhetisiert, als >Kunst< thematisiert […] werden.“[26]

In „Herzeliebez vrowelîn“ liegt eines der seltenen Werbelieder vor, dass mit einer direkten Anrede beginnt. Es entsteht durch die Anrede „Herzeliebez vrowelîn“[27] zu Beginn des Textes der Eindruck einer Du-Anrede und somit gleich auch der Vertrautheit, eines in herkömmlichen Werbeliedern nicht vorkommenden individuellen Verhältnisses zwischen Mann und Frau.

Walther geht nicht auf Umstände ein, die die Zusammenkunft der Liebenden verhindern. Es steht nicht die Zurückweisung der Frau im Mittelpunkt und auch werden der Dame keine Dienste in Aussicht gestellt, auch über die Länge der Treue werden keine Angaben gemacht. Es geht vielmehr um die wahren Gründe, wieso man sich einer Dame zuwenden sollte. Dabei geht der Sänger auch direkt auf die Gründe ein, wieso er genau diese Frau liebt – „du bist schoene und hâst genouc“.[29]

Weiter noch, an der Stelle, an der normalerweise die Zurückweisung steht stellt Walther die Gegenseitigkeit in den Vordergrund. Als Liebespfand wird dem lyrischen Ich ein Ring gegeben, welchen er annimmt.[30] Jedoch werden auch bei gegenseitiger Liebe bestimmte Forderungen gestellt. „Hast dû triuwe und staetekeit, sô bin ich dîn âne angest gar“[31] welche hier jedoch nicht in einem Paradoxon enden, denn falls die Angebetete diese nicht erfüllen möchte, ist dies in den Mädchenliedern nicht auf eine bestimmte Weise eine Erfüllung für den Sänger, sondern wäre für ihn ein Grund zur Trauer.

Von Walther wird hier eine Änderung des Fokus bei der Frauenwahl initiiert. Es geht um den Einklag der inneren und äußeren Schönheit. Dafür beschränkt er die Klage auf die erste Strophe und wendet sich das restliche Lied den Gründen zu, die eine Frau interessant machen. Da es sich in Mädchenliedern um herzeliebe und Gegenseitigkeit dreht, lässt Walther von der Vogelweide sämtliche störenden Faktoren weg und ersetzt diese durch die Gründe.

4.2 Frauenpreis


Diese Gründe werden in zwei Strophen des Liedes konkretisiert. Dieser sogenannte Frauenpreis nimmt in den seltensten Fällen das gesamte Lied ein. Meist ist der Preis in ein Lied integriert und kann dabei, als laudative Rede, eine oder zwei Strophen einnehmen. Es gibt jedoch laudative Epitheta, einzelne Sätze, die auch unter anderem in eine Klage mit eingebaut werden können.

Der Frauenpreis wird als eine seltene Unterform des Werbeliedes angesehen. Dabei findet eine Verschiebung der Prioritäten statt. Statt Schönheit und Affekte, wird vor allem der Bereich der Tugend in den Vordergrund gestellt.





Sieht man die Definition des Frauenpreises besonders eng, dann würden Passagen, die die Frauenpreisoptik primär dafür benutzen, die Qualitäten der Dame oder der Frauen zu problematisieren, nicht unter die Gattung fallen. Auch eine implizite Anrede der Dame, wie sie in Klagen oft vorkommt, würde streng genommen nicht unter einen Frauenpreis zählen. Genauso wenig wie in hymnischem Tonfall verfasste Lieder. [33]

Unter diesen Umständen wäre Strophe II bis IV kein Frauenpreis, sondern wären primär dem Werbelied zuzuschreiben.  Aus den bisherigen Untersuchungen ist jedoch schon ersichtlich, dass Walther von der Vogelweide die in die Mädchenlieder verwobenen Gattungen, für seine Zwecke verändert. So auch in diesem Fall. Nach einem allgemeinen, erzählerischen Teil, beginnt der Frauenpreis.

Das lyrische Ich spricht zwar seine Angebetete an, richtet sich zu Beginn jedoch mehr an seine Kritiker, um diesen erläutern, welche Werte für die Liebe tatsächlich relevant sind.[34] In diesem umstrittenen Teil des Liedes reflektiert Walther über schoene und liebe. Neben der Reflexion, enthält genau dieser Part allerdings auch einen direkt an die Frau gerichtetes Lob, denn er spricht diese ja zu Beginn direkt an.

Walther von der Vogelweide vermischt geschickt das Werbelied mit dem Frauenpreis, sodass man beide Gattungen kaum auseinanderhalten kann und dennoch die grundlegenden Klassifizierungsmerkmale erhalten bleiben. Es ist dabei von großem Vorteil, dass die beiden Gattungen sehr nah aneinander liegen. Für die Mädchenlieder sind beide prädestiniert, da sie von ihren Grundzügen her schon darauf ausgelegt sind, das Gute und Schöne an Frauen hervorzuheben.

5. Under der linden

5.1 Pastorelle


Pastourellen sind vor allem aus dem Altfranzösischen bekannt. Dabei handelt es sich um erzählerische Lieder, welche in der Ich-Perspektive die Geschehnisse aus Sicht des Mannes schildern. Die Lieder beginnen meist damit, das sich der Mann, im Regelfall ein Ritter oder Kleriker – „wichtig ist nicht in erster Linie sein Stand, vielmehr ist es die Tatsache, daß er einen Vertreter der höfischen (oder städtischen) Welt darstellt“[36] – zum Beispiel auf einem Ausritt ein hübsches Mädchen – eine Schäferin oder ein Bauernmädchen – trifft.

Der weitere Verlauf unterscheidet sich, denn der Ritter kann entweder sein Ziel erreichen oder aber auch nicht. Letzteres tritt besonders dann ein, wenn die Hirtin sich durch eine List entziehen kann oder aber durch eine dritte Person gerettet wird. In manchen Fällen kann es jedoch auch vorkommen, dass sich der Ritter an seine edle Gesinnung erinnert und von selbst von dem Mädchen ablässt.

Häufiger kommt es jedoch zur ersten Variante: Der Ritter erreicht sein Ziel. Dabei wird jedoch nicht unbedingt das Einverständnis der Begehrten vorausgesetzt. Meist handelt es sich eher um Vergewaltigungen, welche jedoch durch den Sprecher für die Frau nicht als negatives Ereignis dargestellt wird. Vielmehr hat sie danach „Geschmack am Liebesabenteuer gefunden, und nicht selten preist sie abschließend die besonderen Fähigkeiten ihres neuen Liebhabers.“[37]

Es gibt jedoch auch einige Mädchen, die sich entweder von den Worten des Mannes verführen lassen oder die sich durch die Geschenke, aus materialistischen Gründen, bewogen dem Mann hingeben.

Ohne Zweifel lässt sich auch Walthers von der Vogelweide Mädchenlied „Under der linden“ auch der Gattung der Pastourelle zuordnen – trotz der großen Unterschiede zur herkömmlichen Gattung. Es wird, wenn auch nur indirekt, der Vollzug der Liebe beschrieben. Jedoch nicht aus der Sicht eines Mannes, sondern aus der einer Frau.

Doch dies ist nicht das einzige, das Walther umkehrt. Im Gegensatz zur französischen oder lateinischen Pastourelle kommt hier nicht der Mann zum Mädchen, sondern sie kommt „zuo der ouwe, dô was mîn friedel komen ê.“[38] Die Wortwahl „Mann“ ist in diesem Fall beabsichtig gewählt, da auch der Stand des männlichen Partners im Lindenlied nicht geklärt wird. Dabei fällt auch das Werben um die Begehrte und die darauffolgende Diskussion aus, denn beiden ist der Grund für dieses Treffen im Vorhinein schon bewusst.

Im Lindenlied wird der Liebesakt jedoch auch nicht direkt beschrieben. Es werden Hinweise auf das Geschehen geliefert, um sofort wieder davon abzulenken. Das Mädchen beschreibt in der ersten Strophe, wo man das gemeinsame Bett findet und das dort „schône beide gebrochen bluomen unde gras“[39] zu finden sind. Um daraufhin sofort mit dem „tandaradei“ der Nachtigall abzulenken.

Quellen & Links

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