<
>

Die Leibesauffassung und Rolle der Körpererziehung Platons im Vergleich zu der der Philanthropen und der Nationalsozialisten

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

2. Die Rolle der Leibeserziehung bei Platon 1

2.1 Die „gymnastische“ und die „musische“ Erziehung 1

2.2 Das Ziel der Leibeserziehung der Wächter 3

2.3    Konkrete Maßgaben der Leibeserziehung Platons 4

3. Körpererziehung bei den Philanthropen 5

3.1 Der Körper als Werkzeug der Seele 5

3.2 Ziele der philanthropischen Leibeserziehung 8

4. Die nationalsozialistische Leibeserziehung 8

4.1 Die Auffassung des Sports in er NS-Ideologie 9 4.2 Der Leib als „Politicum“ 10

5. Fazit 12

6. Literatur


Die Leibesauffassung und Rolle der Körpererziehung Platons im Vergleich zu der der Philanthropen und der Nationalsozialisten


1. Einleitung


Dem menschlichen Körper kommt seit jeher in sämtlichen Kulturen der Erde eine tragende Bedeutung zu. In den Anfängen der Menschheitsgeschichte war man auf seine Unversehrtheit und Tüchtigkeit unbedingt angewiesen, um gegen die Natur und Feinde zu bestehen und sich Nahrung zu beschaffen.

In heutiger Zeit ist ein trainierter Körper zwar nicht mehr lebensnotwendig, allerdings trägt er immer noch entweder unmittelbar zum Erwerb bei oder wird als eine Art persönliches Aushängeschild zur Schau gestellt.

Mit jeder der unterschiedlichen Zeitepochen verknüpft, ist auch eine Philosophie zum Körper im Allgemeinen und eine Auffassung welchem Zweck dieser zu dienen habe. Je nachdem wie diese Vorstellungen ausfallen und in welcher Situation sich die jeweilige Gesellschaft befindet, unterscheiden sich auch die Art, in welcher der Körper ausgebildet werden soll und der Umfang dieser Ausbildung.

Im Folgenden sollen diese Aspekte für die Zeit Platons, der Philanthropen und des nationalsozialitischen Regimes dargestellt werden und abschließend im Fazit kurz hinsichtlich Gemeinsamkeiten und Unterschieden gegenübergestellt werden.


2. Die Rolle der Leibeserziehung bei Platon


2.1 Die „gymnastische“ und die „musische“ Erziehung


Platon stellt in seiner „Politeia“ die Grundfrage, wie in einem Staat Gerechtigkeit zu verwirklichen sei. Unter anderem philosophiert er dabei über die aufgabengemäße Erziehung der Bürger eines Staates, die nicht für alle gleich, sondern nach deren später angestrebten Stand hin ausgerichtet sein soll. Es wird zwischen drei Ständen unterschieden: dem der Bauern und Handwerker, dem der Wächter und dem der Regenten.

Für die vorliegende Arbeit stehen die Ausführungen zur „gymnastischen“ und „musischen“ Erziehung der Wächter im Mittelpunkt.

Nach Platon sind alle Unterrichtsgegenstände, die der Ausbildung des „Körpers“ dienen Bestandteil der Gymnastik, solche, die sich der „Seele“ zuordnen lassen, dagegen Teil der musischen Erziehung.[1] Derjenige, der die beiden Teile am besten miteinander in Einklang zu bringen vermag, wird zum „Wohlgesinntesten“ erklärt.[2] Allerdings stellt Platon Leib und Seele nicht gleichberechtigt nebeneinander, sondern erklärt die Seele zur vorrangigen Instanz: „Die vollkommene Seele [bildet] durch ihre Tugend den Leib aufs bestmögliche [aus]“.[3] Auch ist es die „gehörig gebildete“[4] Seele, die dem „Leib“ vorgibt, wie er zu walten hat, worin er sich zu üben hat und wovon er sich fernhalten muss.[5]

Es zeigt sich, dass der von Platon verwendete Begriff der „Gymnastik“ mit seinen strikten Vorgaben und Verboten über eine heute gängige Vorstellung der „Gymnastik“ als reinem Fitnesssport hinausgeht. Vielmehr erkennt Stefan Müller in der Politeia, dass Platon zwischen zwei wesentlichen Teilen der „Gymnastik“ unterscheidet: Teil 1 stellt „Gymnastik“ als Diätetik mit dem Zweck der Gesunderhaltung dar, Teil 2 sieht in der „Gymnastik“ ein Mittel das „Thymoeides“, den Mut und die Kampfeslust der Wächter zu stärken.[6]

Die Vorgaben zur Diätetik lassen sich unter dem Begriff „Enthaltsamkeit“ zusammenfassen. Die Wächter sollen zugunsten ihrer Gesundheit auf übermäßige Speisen, Alkohol und Vergnügungen mit Frauen verzichten.[7] Neben dieser gesundheitserhaltenden Aufgabe der Gymnastik hat sie das Ziel durch strapaziöse Übungen den „natürliche Mut“ zu wecken. Ihr wird also nicht nur eine Wirkung auf die Physis des Übenden, sondern auch auf seine psychische Entwicklung und geistige Haltung zugesprochen.

Letztere mache sich im Ernstfall, also bei der Verteidigung des Staates in Form von Aggressivität und Kampfeslust bezahlt.

Nach Platon sei es zudem unabdingbar, auch einer musischen Ausbildung der Wächter Bedeutung beizumessen. Nur wer sich neben der rein körperlichen Anstrengung auch noch in „einfacher Musik“[8]übe werde ebenso milde, wie er kampfeslustig ist. Wenn die Ausbildung eine musische Erziehung gänzlich außer Acht lassen würde, wären die Wächter zwar stark und tapfer, aber ohne Sinn für „Überredung durch Worte“[9] und somit von „Gewalt und Wildheit wie ein Tier“[10]. Demgegenüber würde ein solcher, der ständig „weichliche und klägliche Melodien“[11] höre nach Platon zunehmend an Mut verlieren und schließlich verweichlichen.

Platon fordert also keine einseitige Ausbildung der Wächter sondern eine ausgewogene Mischung der beiden Teile, da er der Ansicht ist, dass „die sich einseitig der Gymnastik ergebenden rauer werden als billig, und wiederum die der Musik weichlicher, als es schön für sie wäre“[12].


2.2 Das Ziel der Leibeserziehung der Wächter


Das übergeordnete Ziel, dem die gymnastischen und musischen Übungen dienen sollen, ist für Platon einzig die Wehrhaftigkeit und Kriegstauglichkeit des Wächterstandes. Bereits im Kindesalter seien Vorübungen anzustreben, deren militärischer Charakter „im Kriege wie im Frieden dem Staate wie den einzelnen Häusern von Nutzen [sei]“[13].

Steht diese militärische Zweckmäßigkeit in Frage, so sind die Spiele und Übungen für den Staat nutzlos und somit zu unterlassen.[14] Der geeignete Wächter kann seiner Aufgabe, der Bewachung der Polis, nur dann angemessen nachgehen, wenn sowohl sein Leib durch Leibesübungen „scharf und schnell“, als auch seine Seele durch musische Übungen „sanft und eifrig“ geformt wurde.[15] Nimmt dabei jedoch die sportliche Ausbildung Überhand, sieht Platon die Gefahr, dass die dadurch zu kriegerischen und aggressiven Wächter schnell von Verteidigern zu einer großen Gefahr für die Innenpolitik werden und diese sogar durch einen Putsch bedrohen könnten.[16] Das Idealbild des Wächters in der Polis entspricht nach Platon dem eines Wachhundes, der „von Natur aus gegen Hausgenossen und Bekannte so sanft [ist] wie nur möglich, gegen Unbekannte aber ganz das Gegenteil“[17].


2.3 Konkrete Maßgaben der Leibeserziehung Platons


Platon gibt sowohl in seinem Werk Nomoi, als auch seiner Politeia konkrete Anweisungen, wie die gymnastische Ausbildung der Wächter zu erfolgen habe. Sowohl Diätetik, als auch Musik unterliegen dem Gebot der „Einfachheit“. Zu reichliche oder raffinierte Speisen, sowie ein „überzogener Hang zur Variation“ in der Musik sollen vermieden werden, da sie zu Zügellosigkeit und Krankheit führen.

Durch das Befolgen der Maxime der Einfachheit wird hingegen Gesundheit und Besonnenheit erreicht.[18]

Um zu erfahren, wer sich überhaupt zu einem Wächter eigne, sollen „Anstrengungen und Schmerzen und Wettübungen“ veranstaltet werden, um die „untadeligen“ unter den Knaben und Jünglingen auszumachen, die der Stadt am meisten nützlich wären.[19] Sind geeignete Wächter gefunden, lehnt Platon für sie eine Leibesausbildung, wie sie Berufsathleten erfahren, strikt ab, da deren Lebenswandel zu Schläfrigkeit und schlechter Gesundheit führe, sodass sie stets anfällig für Krankheiten seien, sobald sie von ihrem gewohnten Tagesablauf abweichen.[20]

Stattdessen sollen bereits im Knabenalter Waffenspiele veranstaltet werden, die auf der einen Seite gezielt auf einen späteren Krieg vorbereiten, auf der anderen Seite in Friedenszeiten bei Festen vorgeführt werden können. Neben den Waffenspielen thematisiert Platon insbesondere das Ringen und den Tanz, die er die „zwei Teile“ der Gymnastik nennt.

Beide „Teile“ werden noch weiter differenziert. Der Tanz hat zwei Formen: Eine, die „die Behändigkeit und Schönheit aller Glieder und Teile des Körpers an sich zum Zwecke hat“ und eine weitere, die „in allen Stücken Würde und die einem freien Manne geziemende Haltung bewahrt“. Beide Arten des Tanzes hält Platon für angemessen, da sie ihre Zweckmäßigkeit für den Staat erfüllen.

Der Ringkampf wird im Gegensatz dazu nur teilweise akzeptiert. Alle Formen des Ringens, die „unnützem Ehrgeiz“ dienen, sind für den Krieg unbrauchbar. Besonders hervor hebt Platon „die Anstrengungen im aufrechten Ringen“, welche mit „ geschickte[r] Herauswindung des Halses, der Arme und Seiten“ echten Ehrgeiz fördern und Training für Stärke und Gesundheit darstellen.[21]

Um der nach Platons Einschätzung enorm wichtigen Aufgabe gerecht zu werden, soll die Schulung der Fähigkeiten von speziellen Lehrmeistern, die vom Staat beauftragt und besoldet werden, übernommen werden.[23] Dadurch wird gewährleistet, dass die gesamte Ausbildung vom Staat kontrolliert werden kann.

Sämtliche Übungen und Spiele, aus denen kein unmittelbarer Nutzen für den Staat hervorgeht, sollen unterlassen werden und werden nicht weiter erwähnt.


3. Körpererziehung bei den Philanthropen


3.1 Der Körper als Werkzeug der Seele


Die philanthropische Bewegung spielt eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Leibesübungen. Unter ihrem Begründer Johann Bernhard Basedow kommt es im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts zu einer enormen Aufwertung des Körpers. In seiner Bildungsstätte in Dessau und später in der seines Mitstreiters Christian Gotthilf Salzmann wird, entgegen der in mittelalterlichen Mönchsschulen verkündeten „Abtötung des Leibes“, eine aktive Hinwendung zum Körper gefordert.[24] Der Körper wird als pädagogisches Bezugsfeldwahrgenommen, dem es sich mit wissenschaftlichen Methoden[25], nicht mit altertümlichen Glaubensvorstellungen zu nähern gilt.

Michael Krüger sieht daher die philanthropische Körperziehung vor dem Hintergrund des durch die französische Revolution beeinflussten sozialen und gesellschaftlichen Umbruchs in Deutschland um 1800, dem „Geist der Aufklärung“[26].

Die Philanthropen verstehen in der Leib-Seele-Beziehung zwar nach wie vor die menschliche Seele als die vorrangige Instanz, allerdings räumen sie dem Körper eine außergewöhnlich hohe Stellung ein. Nur mit seiner Hilfe nehme der Mensch sämtliche sinnliche Eindrücke wahr und erst nach der Vervollkommnung des Körpers könne man sich dem übergeordneten Ziel, der Vollkommenheit der Seele widmen.[27] Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage von C.G. Salzmann zu lesen:

handeln wir; Bei unserem Denken ist er uns unentbehrlich; soll ich denn noch beweisen, daß man bei ihm den Anfang machen müsse, wenn man sich vervollkommnen will?[28]


Der Leib wird folglich als „Werkzeug“ angesehen, mit dessen Hilfe an der Seele gearbeitet werden könne. Die Seele wird damit zwar aufgewertet, gleichzeitig verliert sie aber auch ihre Autonomie, da der Geist allein zu keiner „spontanen Leistung fähig [sei]“[29], sondern einen „Rezipient der Sinneswahrnehmungen“[30] darstellt.

Die hohe Bedeutsamkeit des Körpers veranlasst die Philanthropen auch zu der Annahme, dass ein kranker oder gebrechlicher Körper die Wahrnehmung nur unzureichend zur Seele weiterleiten könne.[31] In diesem Zusammenhang hat auch Gerhard Lukas das bekannte Zitat von Juvenal „Mens sana in corpore sanum“[32] für die philanthropische Bewegung korrigiert zu „Mens sana per corpore sanum“[33].

Die Philanthropen sahen sich in ihrer Funktion als „Menschenfreunde“ geradezu in der Pflicht dazu, ihre Kenntnisse an die Allgemeinheit zu verbreiten um „das Seelenwohl der Mitmenschen zu befördern“[34] und diese nicht in ihrer Unwissenheit zu lassen. „Vielmehr müssen wir thun, was wir können, um seine Gesundheit zu erhalten, ihm die Schriften bekannt machen, die eine vernünftige Gesundheitspflege lehren […]“[35]

Die Philanthropen hatten zwar generell eine sehr positive Einstellung zum Körper des Menschen, aber gerade aus der tragenden Funktion, die ihm als „Werkzeug der Seele“ zukommt, können sich in den Augen der Philanthropen eine .

Das erste Problem stellt die doppelte Abhängigkeit der Seele vom Körper dar. Sie ist unbedingt auf ihn angewiesen zum einen als „Zuträger von Bildungselementen zu ihrer Konstitution“ zum anderen „als irdischen Vermittler, um ihre Macht zu realisieren“.[37] Erkannt und benannt wird diese Problematik auch von Peter Villaume:


„Freilich ist die Seele das Wesen, die eigentliche Kraft, der Leib ist nur Werkzeug. Aber er ist Werkzeug, einiges und universales Werkzeug, wodurch einzig und allein die Kräfte der Seele entwickelt werden und sich äußern können. Und ohne gutes Werkzeug kann der geschickteste Künstler nichts verrichten. Man bedenke dieses wohl – nicht bloß Werkzeug der Tätigkeit, sondern Werkzeug der Entwicklung der Vervollkommnung der Kräfte!“[38]


Ohne das geeignete Werkzeug, einen gesunden und tüchtigen Körper, sei es der Seele weder möglich die notwendigen Sinneswahrnehmungen zu erfahren noch sich vollkommen zu entfalten.

In diesem Fall wäre es der Seele nicht mehr möglich, sich aus ihrem Abhängigkeitsverhältnis über den Körper zu erheben und ein harmonisches Verhältnis beider Teile zu erreichen, das von den Philanthropen angestrebt wird.[39]

Soviel Wertschätzung der Körper auch von den Philanthropen erfahren mag, so ist dennoch gerade er es, der in seiner Anfälligkeit dem philanthropischen Streben nach Vervollkommnung im Wege stehen kann. Allein dadurch, dass der Mensch sich seines Körpers und seiner selbst bewusst wird, vermag er in den Augen der Philanthropen das seine Seele bedrohende Abhängigkeitsverhältnis zu überwinden.


3.2 Ziele der philanthropischen Leibesübungen

Die Philanthropen sehen in klar strukturierten und angewiesenen Leibesübungen den einzigen Weg, um von Kindheit an einen gesunden Körper und ein angemessenes Körperbewusstsein zu schaffen. Dieses Bewusstsein wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Seele über den Körper erheben kann und nicht in Abhängigkeit seiner Triebe und Instinkte handelt.

Es soll eine gymnastische Ausbildung durchgeführt werden mit dem Ziel des Einklangs von Körper und Geist. Das Streben nach harmonischer Ausgestaltung führt auch dazu, dass die bisher praktizierte, sehr strenge und mit körperlichen Züchtigungen verbundene Ausbildung, einer „humaneren“ weicht. Die Körperbildung soll nicht durch Zwang bestimmt sein, sondern auf Verstand und Einsicht beruhen.[42]

Die aufgeklärtere Herangehensweise der Philanthropen an den Sport fördert auch die methodische Aufarbeitung der Leibesübungen. Es wird sich nicht mehr einfach nur auf irgendeine Weise bewegt, sondern ausgehend von einer Untersuchung der Ursache-Wirkungs-Beziehungen im Körper ein methodologisches Konzept von Leibesübungen auf Basis einer Zweck-Mittel-Relation entwickelt.

Somit sind der Körper und seine Funktionen systematisch strukturiert und jeder Bewegung wird eine spezifische Übung zugeteilt.[43] Die strikte Einhaltung dieses „Nützlichkeitsaspektes“ führt allerdings auch dazu, dass nur solche Spiele gefördert werden, die auch als nützlich angesehen werden. Alles, was nicht dem bürgerlichen Erziehungsideal entspricht, also gegen gesunde Haltung, Ordnung und Disziplin geht, wird als unvernünftig abgelehnt.[44]


4. Die nationalsozialistische Leibeserziehung


4.1 Die Auffassung des Sports in er NS-Ideologie


Die drastischen Änderungen, die Deutschland nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 erfuhr, hatten unmittelbare Auswirkungen auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, somit auch auf den Sport. Die vom NS-Regime propagierte Auslegung des Erziehungsbegriffes im weiten Sinne und des Sportbegriffes im engeren Sinne stehen beispiellos in der bisherigen deutschen Geschichte und außerhalb allersporthistorischen Tradition Deutschlands.

Die Grundsteine dieser Auffassung legte Hitler bereits in seinem 1925 erschienenen Buch „Mein Kampf“. Demnach sei die Erziehung des deutschen Volkes vorrangig auf körperliche Gesundheit und das „Heranzüchten kerngesunder Körper“ durch Leibesertüchtigung auszurichten und erst zuletzt auf die wissenschaftliche Schulung. Ein körperlich starker, aber geistig schwacher Mensch sei der „Volksgemeinschaft“ zuträglicher als ein „geistreicher Schwächling“.[45] Die NS-Ideologie war ganz bewusst gegen Wissen und den „schwächlichen Geist“ gerichtet und räumte körperlicher Kraft und Gewalt höchste Priorität ein.

In einem aufgezeichneten Gespräch zwischen Hitler und seinem NSDAP-Parteikollegen Hermann Rauschning wird die Bedrohung, die von der nationalsozialistischen Auffassung vom Nutzen der Leibeserziehung für die Jugend ausgeht, deutlich: „ In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird.

Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. Jugend muss das alles sein. Schmerzen muss sie ertragen. Es darf nicht Schwaches und Zartes an ihr sein.“[47] Einige der hier verwendeten Motive wie die Betonung von Kraft, körperlicher Gesundheit und Abhärtung sind bereits aus vorherigen leibeserzieherischen Ansichten bekannt und per se nicht negativ behaftet.

Die Ansicht, junge Menschen seien lediglich „geist- und willenloses Körpermaterial“[48] und die völlige Aufgabe ethischer Werte als Grundvoraussetzung zur Erziehung im Sport, ist jedoch neu und erschreckend.

Die NS-Führung strebt durch die Beschränkung der sportlichen Werte auf bedingungsloses Durchsetzungsvermögen und Brutalität eine enge Verknüpfung des Sports mit dem Krieg an. Diese Tendenz wird durch den häufigen Gebrauch eigentlich sportterminologischer Wendungen zur Beschreibung des Kriegsgeschehens im Rundfunk oder Fernsehen noch verstärkt.[49] Die ursprünglichen Ziele des Sports wie z.B. Gemeinschaft und Freude an der Bewegung werden dabei entweder gänzlich fallen gelassen, oder so manipuliert, dass sie den kriegsvorbereitenden Zielen des NS-Regimes gerecht werden.

4.2 Der Leib als „Politicum“


Die Gründe für die enorme Aufwertung und die Einverleibung der gesamten sportlichen Strukturen, die unter dem NS-Regime vollzogen wurde, lassen sich relativ leicht nachvollziehen. Der Sport wurde schon sehr früh als politisches Mittel erkannt, weshalb bereits im Parteiprogramm der NSDAP von 1920 unter Punkt 21 ausdrücklich die „körperliche Ertüchtigung“ vorgeschrieben war. Mittels der Leibesübungen glaubte man, die angestrebten politischen Intentionen durchsetzen und die Machtverhältnisse festigen zu können.[51] Die NSDAP-Führung versuchte dies zu erreichen, indem sie die Organisationsformen des Sports denen der Partei anglich.

So wurden nicht etwa erfahrenen Sportler, sondern altbewährte SA und SS Führer an die Spitze des „Reichsbundes für Leibesübungen“ gesetzt[52], wodurch sämtliche Leibeserzieher ihre Weisungen ausschließlich von einer strikt nationalsozialistischen Führung erhielten. Der politische Sinn der Gesamterziehung, somit auch der Leibeserziehung, war letztlich die Formung des „politischen Soldaten“.[53]

Der NS-Psychologe Erich Jaensch ging sogar so weit, in der körperlichen Ertüchtigung und der Einstellung zum Körper einen „Gradmesser für die Beteiligung an der ,Deutschen Bewegung‛ “ zu erkennen.[55]

Die Leibesübungen teilten sich in zwei große Bereiche auf, wobei den Jungen und Männern das „politische“ Kämpfen und Turnen, den Mädchen und Frauen das „volkstümliche“ Tanzen und Spielen vorbehalten war[56], das jeweils auf die spätere Rolle als Soldat oder Mutter vorbereiten sollte. Als „liberalistischer Sport“ komplett abgelehnt, wurden solche Leibesübungen, die zum bloßen Vergnügen betrieben wurden, da die NS-Führung in ihnen keinen Zweck im Sinne der „deutschen Volksgemeinschaft“ erkennen konnte.[57]

Ein weiterer Nutzen des Sports für die NS-Politik lag in dessen enormer Propagandafunktion. Groß inszenierten Massensportveranstaltungen wurden genutzt um die Einheit des gesamten Volkes zu demonstrieren und ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen Völkern zu erzeugen.

Für sportliche Leistungen galt stets die Maxime keine Rekorde einzelner zu erreichen, sondern große Leistungen des Durchschnitts.[58] Überdurchschnittliches Niveau sollte zurück in die Masse, zum Mittelmaß gedrängt werden. Für den Fall, dass dennoch außerordentliche Leistungen, wie der Vizeolympiasieg des deutschen Weitspringers Lutz Long bei den Olympischen Spielen 1936 in München, erbracht wurden, so wurden diese nicht als Leistung eines Individuums, sondern als „Ergebnis und Resultat der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft[59]dargestellt.



| | | | |
Tausche dein Hausarbeiten

G 2 - Cached Page: Thursday 28th of March 2024 08:30:36 AM