0413007
Monika
Allgemeines
Sozialversicherungsgesetz
für Österreich
ASVG
„Es gibt wohl kein
Rechtsgebiet, das einer derartigen dynamischen Entwicklung unterliegt wie das
Sozialversicherungsrecht. Der fortschreitende Ausbau der sozialen Sicherheit in
Österreich betrifft heute weiteste Kreise der Bevölkerung und hat zur Folge,
dass nahezu das Schicksal jedes einzelnen vom Sozialversicherungsrecht maßgeblich
berührt wird.“
Die
Sozialversicherung
ist eine wichtige Säule für den Zusammenhalt unserer modernen Gesellschaft.
Ihre Wurzeln reichen bis ins Mittelalter zurück. Damals kam den Klöstern
und Ritterorden die Versorgung von Hilfsbedürftigen und Armen zu. Hiermit
entstand die Notwendigkeit einer öffentlichen Armenpflege. Karl der Große
(772-804) trug diesem Umstand Rechnung. Er verpflichtete die Kirche, den
„Zehenten“
zu Wohlfahrtszwecken zu verwenden, legte 779 den Bischöfen, Grafen und Vasallen
eine Armensteuer auf und zwang die Grundherren zur Unterstützung der
Gefolgsleute. Schließlich sorgte er für die Witwen und Waisen.
Parallel
dazu bildeten die Handwerker (auch Handwerkszünfte) eigenes Vermögen durch Mitgliedsbeitrage
um ihre Meister und Gesellen im Falle von Krankheiten, Unfällen und im Alter
abzusichern. wobei zunächst den Selbsthilfeorganisationen, später vor allem den
"Bruderladen"
der Bergleute große Bedeutung zukam. Aufgabe der Bruderladen war, für
Krankenbehandlung und Sterbegeld zu sorgen und Vorsorge für die Invalidität zu
tragen.
1
ASVG,
Schriftenreihe des österreichischen Gewerkschaftsbundes, Nr. 87, Wien 19622
2
Zehent:
zehnter Teil der Feldfrucht als Abgabe zum
Unterhalt des Klerus, eingeführt mit der Christianisierung im Mittelalter.
3
Peters
Horst, Die Geschichte der Sozialversicherung. In: Schriftenreihe der
Zeitschrift „Wege zur Sozialversicherung, Heft 39 (1959), Seite 16
4
Leistungen
des Bruderladens: Im Krankheitsfalle: Behandlung durch den Bergmedikus,
Geldentschädigung in Höhe des Verdienstausfalles
Im
Umfalle: Bezahlung des Arztes, Weiterzahlung des Lohnes bis zu 4 Wochen
Bei
Invalidität: kleine Rente
Bei
der mit großen Gefahren verbundenen bergmännischen Tätigkeit erwies sich die
solidarische Gemeinschaftshilfe als unentbehrlich. Streit besteht darüber, ob
diese Knappschaftsversicherung
den Vorläufer für die Sozialversicherung im heutigen Sinne darstellt.
Doch das
Zunft
und Handwerkswesen wandelte sich mit dem Vormarsch der Industrie. Der Weg von
einer Agrargesellschaft hin zu Industrialisierung forderte seine Opfer. Mit den
ersten Industrieansiedlungen stellten sich auch die sozialen Missstände ein. Verelendung
in den Städten, Kinderarbeit und Arbeitsunfälle nahmen überproportional zu. Der
Gesetzgeber musste einschreiten!
Doch
zu einer gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und Altersversorgung für
Arbeiter kommt es bis zum Ende der Monarchie nicht mehr.
Im
Deutschen Reich wurde ein 1883 und 1884 ein Kranken und
Unfallversicherungsgesetz von Reichskanzler Bismarck verabschiedet.
Nach
deren Vorbild kamen auch in Österreich die ersten Sozialversicherungsgesetze
zustande.
Zu
einer gesetzlichen Regelung der Sozialversicherung im heutigen Sinn kam es
erstmals im Jahre 1887 mit dem Arbeitsunfall-(RGBl 1888/1) und 1888 mit dem
Arbeiterkrankenversicherungsgestz (RGBl 1888/33). Beide lehnen sich an die durch
Reichskanzler Bismarck geprägten deutschen Regelungen an, die aus dem
Klassenkampf hervorgingen. Das dem Wesen der Sozialversicherung immer das Odium
einer Armen-Leute Einrichtung anhängt wie zur damaligen Zeit, trifft
mittlerweile schon lange nicht mehr zu!
Die
schwere soziale und wirtschaftliche Lage nach Ende des Krieges war jedoch förderlich
für das voranschreiten von sozialer Gesetzgebung seitens des Staates.
Weitere
Meilensteine waren die Einrichtung einer Privatversicherung für die
Privatangestellten im Jahr 1906, das Angestelltenversicherungsgesetz 1926 und
das GSVG
1935, das die Arbeiter und Angestellten zusammenfasste.
Mit
dem Anschluss Österreichs an Deutschland traten die österreichischen Gesetze in
den Hintergrund. Nach dem Einmarsch von Nazi-Deutschland trat am 1.1.1939 durch
Kundmachung GblÖ 1938/703 die Rechtsverordnung in Kraft die – mit Änderungen- bis
zur Ablöse durch das ASVG mit 1.1.1956 als vorläufiges österreichisches Recht
in Geltung blieb.
5 Knappschaft: organisierter
Zusammenschluss von Bergleuten mit dem Ziel der Arbeitnehmerinteressensvertretung
6 Zunft:
Zusammenschluss von Handwerkern
7
Hofmeister
Herbert, Ein Jahrhundert Sozialversicherung in Österreich, in: Zacher Hans F.,
Schriftenreihe für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht, Band 6b, München,
1982, Seite 43
8
GSVG:
Gewerbliches Sozialversicherungsrecht
Daneben
ist besonders auf den deutlichen Modernisierungsschritt hinzuweisen, der durch
die Ausdehnung deutschen Rechts nach Österreich geschah. So auch im Bereich der
Sozialversicherung: Seit 1939 wurden endlich alle Arbeiter altersversichert.
Nach
Ende des Dritten Reiches und der Besatzungszeit Österreichs trat 1956 das ASVG
in Kraft. (BGBl. Nr.189/1955) Es löste damit die reichsdeutschen und
österreichischen Vorschriften ab und fasste die Kranken – Unfall und
Pensionsversicherung der Arbeiter und Angestellten zusammen.
Sachliche
und personelle Geltung:
Die
allgemeine Sozialversicherung umfasst die Kranken-, Unfall- und
Pensionsversicherung mit Ausnahme der Sonderversicherungen. Versicherungsschutz
genießen alle Erwerbstätigen in Österreich.
Als
wichtigste Reformen seit dieser Zeit gelten die Einführung des Pflegegeldes
1993, das Kinderbetreungsgeld und die Pensionsreform von 2003/2004.
Geltungsbereich
im Allgemeinen:
§
1 ASVG
Dieses
Bundesgesetz regelt die Allgemeine Sozialversicherung im Inland beschäftigter
Personen einschließlich der den Dienstnehmern nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes
gleichgestellten selbstständigen Erwerbstätigen und die Krankenversicherung der
Pensionisten aus der Allgemeinen Sozialversicherung.
Wesensmerkmale
der österreichischen Sozialversicherung:
1.
Merkmal: die SV beruht auf dem Versicherungsprinzip (Beitrags-Leistungs-Äquivalenz)
2.Merkmal:
die SV knüpft an die Erwerbstätigkeit an
3.
Merkmal: die SV ist eine obligatorische
Pflichtversicherung
4.
Merkmal: Grundsatz der Meldeunabhängigkeit
5.
Merkmal: Grundsatz der familienbezogenen Erwerbstätigensicherung
6.
Merkmal: Grundsatz der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsanstallten
9 Bruckmüller
Ernst, Sozialgeschichte Österreichs, Wien, 2001
10
Grillberger
Konrad, Österreichisches Sozialrecht, Wien, 2010
11 Ivansits
Helmut, Sozialrecht graphisch dargestellt, 1 Auflage, Lexis Nexis Verlag, Wien,
2010
12
Äquivalenz:
Gleichwertigkeit
13 obligatorisch:
zwingend
Neben
originären
österreichischen Rechtsquellen wird unser Sozialversicherungsrecht durch
Anordnungen internationalen Ursprungs bestimmt, wie Zwischenstaatlicher Regelungen
(siehe
Übersicht: unter internationale
Abkommen).
In
welcher Situation bestimmte Personen staatliche Leistungen erhalten sollen,
steht nicht dauernd fest, sondern richtet sich nach den wandelbaren
Auffassungen und hängt maßgeblichen mit sozialem Wertewandel und Änderungen in
der Gesellschaft zusammen.
Gegenwärtig
handelt sich vor allem um Lebenslagen wie: Krankheit, Arbeitsunfall, Berufsunfähigkeit,
Arbeitslosigkeit, Mutterschaft und Alter.
„
Die Absicherung gegen die erwähnten Risiken erfolgt auf unterschiedliche Weise.
Man spricht auch von verschiedenen Sicherungssystemen. Zum einen fasst der
Gesetzgeber Personengruppen die im Wesentlichen gleichartigen Risiken ausgesetzt
sind zu einer Risikogemeinschaft zusammen. Er verpflichtet sie, zur
Finanzierung der Leistung selbst beizutragen. Verwirklicht sich bei einem
Mitglied dieser Gruppe ein gesetzlich umschriebenes Risiko, so erhält er die hierfür
vorgesehen Leistung. Nur wer Beiträge geleistet hat hat auch Anspruch auf die Leistung.
Es handelt sich somit um ein Gegenseitigkeitsverhältnis. Diese Art der
Sicherung liegt im Wesentlichen der Sozialversicherung zugrunde.“
Das
Sozialversicherungsrecht ist durch außerordentliche Novellierungsfreudigkeit
des Gesetzgebers gekennzeichnet, die maßgeblich Mitverantwortlich für dessen Unübersichtlichkeit
ist.
„Das
ASVG nimmt in der Skala unverständlicher Gesetze einen unbestrittenen
Spitzenrang ein. Dennoch scheiterte der Versuch einer Expertenkommission zur
Neuerlassung des ASVG auf Grund mangelnder politischer Unterstützung.“
14 originär:
anfänglich, ursprünglich
15 Grillenberg
Konrad, Österreichisches Sozialrecht, 8. Aktuelle Auflage, Springer Verlag,
Wien-New York, 2010
16
Grillberger
Konrad, österreichisches Sozialrecht, 8. Aktuelle Auflage, Springer Verlag,
Wien-New
York, 2010
17
Tomandel
Theodor, Das Ende des Projektes ASVG-Neu, ZAS 2006/12 in: Sonntag Martin, ASVG
Kommentar, 1 Auflage 2010, Linde Verlag, Wien, S74