510.201: KS Wissenschaftliches Arbeiten
(Die Alltagskultur des Mittelalters)
Die Auswirkung der Brunnenvergiftungslegende auf die jüdische Bevölkerung während der Pestepidemie 1348-1350
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 2
2. Die Judenpogrome zwischen 1348 und 1350 3
2.1 Hintergrund und Tradierung der Brunnenvergiftungslegende 5
2.2 Die Judenverfolgung in Straßburg 7
2.3 Judenschutz in Österreich: ein Gegenbeispiel9
3. Zusammenfassung 11
4. Literaturverzeichnis 13
1. Einleitung
Dass Judenhass und Judenmord keine Phänomene des Nationalsozialismus sind, steht außer Zweifel. Die barbarischen Auswüchse des Antisemitismus ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und fanden mehrere tragische Höhepunkte. Die Pogromwelle der Jahre 1348 bis 1350 ist als ein solcher zu nennen. In dieser Arbeit soll das Hauptaugenmerk auf jene ‚Legende‘ gerichtet werden, die als Rechtfertigung für diese größte Pogromwelle des Mittelalters fungiert – die sogenannte ‚Brunnenvergiftungslegende‘.
Die ungerechtfertigte Beschuldigung der jüdischen Bevölkerung als Verursacher der Pest lieferte die ideologische Grundlage für die Pogrome. Diese Anschuldigungen waren weit verbreitet, obwohl nicht alle Zeitgenossen von ihrer Richtigkeit überzeugt waren. An mehreren Stellen lässt sich belegen, dass es einflussreiche Herrscher wie beispielsweise Albrecht von Österreich sind, die Juden in Schutz nehmen und sich der weit verbreiteten Salvationsklausel entgegensetzten.
In dieser Proseminararbeit werde ich mich mit der Frage beschäftigen, welche Motive hinter den Ausschreitungen der Jahre 1348 bis 1350 steckten. Ist der Vorwurf der systematisch organisierten Brunnenvergiftung in Wahrheit nur ein Deckmantel, unter dem viele Christen ihrer ökonomischen Misere entgehen wollen? Ich versuche aber auch aufzuzeigen, dass es mächtige Gegenstimmen gab, die diese Gerüchte als haltlos erkannten, wodurch regionale Unterschiede in Bezug auf die Härte der Pogrome bestanden.
Dies werde ich anhand der Ereignisse in Straßburg und Österreich skizzieren und mit Quellen belegen.
Das folgende Kapitel soll zunächst einen allgemeinen Überblick über den Verlauf der Pogrome bieten und wesentliche Charakteristika darstellen. Im Anschluss daran wird im Kapitel 2.1 das Augenmerk auf die Brunnenvergiftungslegende gelegt, welche die Rechtfertigung für die Pogrome liefert. Zunächst wird die Herkunft der Legende näher betrachtet und im Anschluss daran ihre erstaunliche Verbreitung und ihr langes Bestehen untersucht.
Im Kapitel 2.2 gehe ich näher auf die Judenverfolgung in Straßburg ein, indem ich detailliert ihren Verlauf skizziere und die wahren Motive für die Gräueltaten beleuchte. Zuletzt soll dann Österreich unter dem Regenten Albrecht II. als Gegenbeispiel dienen, dass zeigt, wie Juden durch einen Herrscher geschützt wurden.
2. Die Judenpogrome zwischen 1348 und 1350
Der offene Antisemitismus der Jahre 1348 bis 1350 stellt einen traurigen Höhepunkt in der Geschichte der jüdischen Bevölkerung dar. Obwohl die jüdische Lebenswirklichkeit durch Verpottung, Diffamierung und Ausgrenzung gekennzeichnet war, ist die systematisierte Ermordung in Massenaktionen in diesen Jahren eine bislang unerreichte Zuspitzung der Feindseligkeiten.
Um diesem Phänomen auch begrifflich gerecht zu werden, wird dafür das aus dem Russischen kommende Wort ‚Pogrom‘ eingeführt, das eine „Hetze [bzw.] Ausschreitungen gegen nationale, religiöse [oder] rassische Gruppen“ be.....[Volltext lesen]
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Bitte Dokument downloaden. Die Frage nach den Initiatoren bzw. Nutznießern der Pestpogrome, aber auch nach den Schutzherren der Juden ist nicht ganz einfach zu klären. Graus skizziert hierfür ein detailliertes Geflecht an Motivationen und Beziehungen, das die Basis der Ausschreitungen, aber auch die Grundlage für zumeist zum Scheitern verurteilte Schutzaktionen bildet. Einer der Vorwände für die Judenverfolgungen war die Unterstellung, sie hätten Brunnen vergiftet.
Dieser Legende soll im folgenden Kapitel nachgegangen werden.
2.1 Hintergrund und Tradierung der Brunnenvergiftungslegende
Wie bereits erwähnt, ist die Feindschaft gegenüber der jüdischen Bevölkerung gegenüber in den Jahren 1348 bis 1350 kein neues Phänomen, sondern eines, das über Jahrhunderte kultiviert wurde. Dennoch sind die Ausschreitungen dieser Jahre derart ausufernd, dass sie nach einer ‚neuen‘ Begründung verlangen, die sich in Form der Brunnenvergiftungslegende findet.
Diese Legende besagt, dass Juden und ihre christlichen Helfer systematisch das Brunnenwasser vergiften und damit die ‚wahren‘ Verursacher des Massensterbens sind. Die Anschuldigungen sind allerdings nicht gänzlich neu: Einen ersten Hinweis auf die Brunnenvergiftungslegende gibt es 1096 (?) in Worms. Danach wird sie im Jahr 1161 wieder aufgegriffen, als einem jüdischen Mediziner der Pestausbruch in Böhmen angelastet wird, und auch 1321 wird sie in Südfrankreich erneut belebt. 1321 beschuldigt man allerdings vorrangig Leprose, Brunnen auf Anweisung von arabischen Fürsten vergiftet zu haben – den Juden ordnet man dabei die Rolle der Vermittler zu.
Dies ändert sich in den Jahren 1348 bis 1350 insofern, als Juden nun der systematisch organisierten Vergiftung bezichtigt werden. Nach Graus verbinden sich an dieser Stelle „zwei Vorstellungskomplexe, die aus früheren Epochen gut bezeugt sind“: Zum einen werden häufig unerklärliche Phänomene durch Verschwörungstheorien begreiflich gemacht und zum anderen fungiert der Jude als Sündenbock.
Den Juden wird zum einen Geldgier und Machtstreben als Motiv für ihr arglistiges Handeln unterstellt, zum anderen sind sie nach zeitgenössischer Meinung von Hass- und Rachegefühlen gegenüber den Christen getrieben. Das unterstellte Motiv reicht jedoch nicht aus, um eine kollektive Verfolgung zu rechtfertigen. Deshalb versucht man die Gerüchte ‚amtlich‘ zu bestätigen, auch wenn noch keine unmittelbare Verbindung zwischen der Brunnenvergiftungslegende und der Pest gegeben ist.
Um sich zu vergewissern, dass es Juden sind, die zur Verantwortung gezogen werden müssen, wendet man verschiedenste Foltermethoden an. Die dadurch gewonnenen Geständnisse sind Anlass genug, um vehement gegen die vermeintlichen Gräueltaten der Juden vorzugehen. Widersprüche in den Geständnissen sind dank der gut durchdachten Suggestivfragen der Inquisitoren selten, und wenn Aussagen doch voneinander abweichen, ist man gewillt, dies großzügig zu übersehen.
Auch die Tatsache, dass es trotz der Brunnenvergiftung nicht zum Ausbruch der Pest kam, stellt einen gravierenden Widerspruch dar, dessen Existenz damit gerechtfertigt wird, dass „falsche Handhabung“ und eine „göttliche Fügung“, die Menschen vor dem Schl.....
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Bitte Dokument downloaden. Dieser ‚Klassenkampf‘ findet im August des Jahres 1348 mit der Hinrichtung sechs vermeintlicher Brunnenvergifter seine ersten Opfer. Nach diesen Morden wird eine Sonderkommission eingesetzt, die jedoch keine Beweise für die Unterstellungen liefern kann und deshalb kurzerhand verdächtigt wird, von den Juden bestochen worden zu sein.
Dieses Verhalten ist symptomatisch: Wenn keine Beweise zu finden sind, liegt dies nicht an der Unschuld der Verdächtigten, sondern an widrigen Umständen bzw. Verschwörungen, die eine Überführung verhindern. Trotz eines Warnbriefs aus Köln, der auf den Mangel an konkreten Beweisen hinweist – eine Meinung, die Ammannmeister Peter Swarber offensichtlich teilt – und dadurch einem erneuten Ausbruch von Aufständen entgegenkommen will, kann ein weiteres Vorgehen gegen die vermeintlich verschwörerischen Juden nicht verhindert werden.
Ausschlaggebend dafür ist vor allem die hohe Verschuldung angesehener Bürger – unter ihnen auch der Bischof von Straßburg – die folglich die Opposition in Straßburg unterstützen und voranzutreiben versuchen. Dies bestätigt abermals die im Kapitel 2.1 angeführte Tatsache, dass spontane Aufstände der niederen Leute nur selten als wahre Ursache für die Lynchjustiz zu identifizieren sind.
Ganz im Gegenteil weisen diese eine Regie bzw. detailliert geplante Inszenierung auf.
Den ersten Schritt dieser Inszenierung bildet eine Tagung in Benfeld im Januar 1349, bei der die „Abschaffung der Juden“ diskutiert wird. Peter Swarber kann die Verteidigung der Juden dannach nicht mehr länger gewährleisten und so kommt es am 9. und 10. Februar 1349 zum Eklat. Wie in vielen anderen Städten auch dokumentiert, sind es die Fleischer, die den Aufruhr zunächst anleiten.
Die Motive für ihr Einschreiten ist einerseits die Aussicht auf eine politisch hoch angesehene Position und andererseits die Möglichkeit, unliebsame jüdische Konkurrenten aus dem Weg zu schaffen. Die Rädelsführer ziehen mit ihrer Gefolgschaft zum Haus des Ammannmeisters Peter Swarber, der als einflussreichster und mächtigster Mann Straßburgs gilt und dessen Amt auf Lebenszeit gewählt wird.
Zunächst fordern sie eine Beteiligung an den Einnahmen, die aus den Steuern und dem Schutzbrief der Juden resultieren. Als dieser erste Versuch fehlschlägt, fordern sie – gestärkt von den Kürschnern – den Rücktritt des Ammanmeisters. Nachdem Peter Swarber und die vier Bürgermeister Straßburgs ihr Amt niedergelegt haben, kommt es zu einer Neuordnung der städtischen Regierung, bei der ein Zunftgenosse der Fleischer zum neuen Ammannmeister ernannt wird.
Als nächster Schritt wird nun die Liquidierung der jüdischen Gläubiger geplant und sogleich in die Tat umgesetzt. Ohne Prozess und ohne Beweise lockt man die Juden aus der Stadt, um sie, wie sie glauben, zu vertreiben. Angekommen am jüdischen Friedhof, an dem schon ein Holzhaus für die Verbrennung errichtet worden ist, zwingt man sie, sich zu entkleiden, und verbrennt sie bei lebendigem Leib. Über die schnelle Abfolge der Ereignisse weiß der Chronist Fritsche Closener Folgendes zu berichten: „An der mittewoche swur man den rot, an dem dunrestage sw.....
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Bitte Dokument downloaden. Dies stellt insofern eine Ausnahme dar, als in den seltensten Fällen ein direkter Zusammenhang zwischen der Brunnenvergiftungslegende und den Pogromen festgestellt werden kann. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass die Gerüchte von den Brunnenvergiftern zu einem denkbar günstigen Zeitpunkt in Straßburg eintreffen und den noch vorhandenen Schutz der Stadtherren in ein zweifelhaftes Licht rücken.
Dies liegt für mich vor allem deshalb nahe, weil Straßburg eine der größten Judensiedlungen des Reichs hat, die einen erheblichen Teil des Steuereinkommens der Stadt liefert. So ist verbürgt, dass Juden im Jahr 1242 zweihundert Mark Silber Reichssteuer zahlen, was Graus als „die größte Summe überhaupt“ bezeichnet. Auf einen näheren Zusammenhang zwischen diesem finanziellen Aspekt und dem relativ lang anhaltenden Schutz der Juden von seiten der Stadtherren geht Graus allerdings nicht ein.
2.3 Judenschutz in Österreich: ein Gegenbeispiel
Einen ersten Hinweis auf Österreich als eine Zufluchtsstätte der Juden liefert die Limburger Chronik, die folgendes berichtet: „Und im gleichen Jubeljahr, als das Sterben aufhörte, wurden die Juden überall in den deutschen Landen ermordet und verbrannt. Das taten die Fürsten, Grafen, Herren und Städte, mit Ausnahme des Herzogs von Österreich, der seine Juden beschützte.“
Herzog Albrecht von Österreich hält seine schützende Hand über die in Österreich ansässige jüdische Bevölkerung und ist nach Bergdolt in der Zeit des Schwarzen Todes „der einzige weltliche Herrscher Europas, der die Juden wirklich beschützte.“ Dies bringt ihm den vom Volk spöttisch verwendeten Titel ‚Judenherr‘ ein.
Hier zeigt sich, wie tief die Verachtung der Juden in den Köpfen der Zeitgenossen verankert ist, wenn nicht nur Juden, sondern auch deren Beschützer beschimpft werden.
Die Quellenlage erweist sich leider als sehr dürftig, was den Schutz der Juden zur Zeit der Pestpogrome in Österreich anbelangt. Zumeist wird nur nebenbei erwähnt, dass Wien, Bayern und Böhmen weitgehend von Pogromen verschont bleiben oder dass Herzog Albrecht von Österreich als judenfreundlich gilt. Es lassen sich jedoch indirekt Schlüsse über die Situation im gesamtösterreichischen Gebiet ziehen.
Die Klosterneuburger Chronik berichtet über Ausschreitungen in Krems, bei der zahlreiche jüdische Bewohner ihr Leben lassen. Als Begründung der Morde wird einmal mehr angeführt, dass Juden „säcklein und pälglein“ gefüllt mit „pulver und gift“ in die Brunnen geworfen hätten. Der Verlauf der Pogrome wird sehr drastisch geschildert: Es wird von Frauen berichtet, die ihre Kinder in die Flammen werfen, um deren Zwangstaufe zu verhindern, Zwangsgetaufte übergeben sich aus Scham über den Verrat an ihrer Religion freiwillig den Flammen und nur die wenigsten können sich auf die Burg retten und dort Schutz finden.
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Bitte Dokument downloaden. 3. Zusammenfassung
Die Judenpogrome der Jahre 1348 bis 1350 erlangten aufgrund ihrer Härte und Konsequenz traurige Berühmtheit. Die Ausschreitungen ziehen sich von Süden nach Norden und von Westen nach Osten über das deutschsprachige Gebiet und gehen sowohl dem Ausbruch der Pest als auch den Geißlerzügen voraus. Das ‚Judenschlagen‘ zeichnet sich durch besondere Grausamkeit aus und wird häufig aus rein ökonomischen Motiven initiiert.
Seine Legitimation erhält es aufgrund der Unterstellung, Juden würden das Brunnenwasser systematisch vergiften und damit den Ausbruch der Pest auslösen. Diese Beschuldigung liefert die ideologische Grundlage der Pogrome und zeigt, wie sich die Angst vor Verschwörungen mit dem Phänomen (!) des Juden als Sündenbocks verbindet. Widersprüche wie die Tatsache, dass die Pest zeitlich verzögert oder gar nicht ausbricht, werden entweder als ‚göttliche Fügung‘ angesehen oder damit gerechtfertigt, dass die Juden das Gift falsch ‚gehandhabt‘ hätten.
Nach der gängigen Volksmeinung sind Geld- und Machtgier, sowie Hass- und Rachsucht die vermeintlichen Motive der Juden. Entscheidende Triebkraft erhält die Brunnenvergiftungslegende aber vor allem durch die erzwungenen Geständnisse, die Angst der Bevölkerung vor der Pest sowie durch ihre negative Grundeinstellung gegenüber den Juden. Diese Faktoren liefern den fruchtbaren Nährboden, der das ‚Judenschlagen’ ermöglicht.
Der Verlauf der Verfolgung in Straßburg ist ein seltenes Beispiel dafür, dass Gerüchte um die Brunnenvergiftung durch Juden und der Pogrom zeitlich zusammenfallen. Bei einer genauen Betrachtung der Ereignisse lässt sich unschwer erkennen, dass die Legende nur die Rechtfertigung für das Blutbad liefert. Die wahren Motive liegen in der hohen Verschuldung angesehener Bürger bei jüdischen Geldgebern und in innenpolitischen Umwälzungen: Der soziale Aufstieg der Handwerker, ihr neuer Anteil an der Stadtherrschaft und die Uneinigkeiten in der ‚Judenfrage‘ ermöglichen erst das jüdische Martyrium. Dass die Pogrome einer genauen Planung und Inszenierung unterliegen und dass – wie Quellen beweisen – vielen Zeitgenossen die Fehlerhaftigkeit der Anschuldigungen bewusst ist, zeigt einmal mehr, dass die Pest nur eine sekundäre Rolle für die Judenverfolgungen spielt.
Obwohl die Anzahl der Pogrome im deutschsprachigen Gebiet überwältigend ist, gibt es auch einige Zufluchtsstätten, die den Juden Schutz bieten. Zu ihnen gehört Österreich, das aufgrund des judenfreundlichen Regenten Albrecht II. eine seltene Ausnahme bildet. Herzog Albrecht von Österreich versucht nicht nur die Juden im eigenen Land zu beschützen, indem er Pogrome und jegliches judenfeindliches Verhalten konsequent bestraft, sondern betreibt aktiv eine Außenpolitik, die den Juden zugute kommt.
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