Der
Vorzugsschüler
Die
Kurzprosa „Der Vorzugsschüler“ wurde 1969 von dem Autor Thomas
Bernhard verfasst und ist in „Thomas Bernhard: Erzählungen“
erschienen. Sie handelt von dem Alptraum eines Vorzugsschülers,
welcher dessen Ängste wiederspiegelt.
In
diesem Traum gelingt es dem Jungen nicht eine Rechenaufgabe richtig
zu lösen, daraufhin stellt ihn der Lehrer zur Rede und droht seine
Eltern zu benachrichtigen. Die Mitschüler des Vorzugsschülers sind
hingegen voll Schadenfreude und stoßen ihn in einen Kanal, aus
welchem er sich nur mit viel Anstrengung befreien kann. In Folge
traut er sich am nächsten Tag nicht mehr in die Schule und schwänzt
den Unterricht. Dabei wird er jedoch erwischt. Der Junge erwacht aus
dem Traum und begibt sich ins Schlafzimmer der Eltern, diese wollen
natürlich den Inhalt des Traums erfahren, doch egal wie sehr sie
sich bemühen und auf ihn einreden, verrät er ihn nicht.
„Aber
so tief und mit welchen Mitteln sie auch versuchen in ihn
einudringen, er sagt ihnen nicht den Inhalt seines Traums. Er weigert
sich immer wieder, ihn zu erzählen.“ (Thomas Bernhard, Zeile
18-21)
Strukturell
ist der Text sehr einfach gestaltet, nachdem der Text nicht besonders
lang ist, wird auf Absätze verzichtet. Die Erzählhaltung kann als
distanziert, nüchtern und emotionslos, beinahe wie ein Protokoll,
beschrieben werden. Das deutet darauf hin, dass der Autor nicht
parteiisch sein und die Leser und Leserinnen selbst zum Nachdenken
anregen möchte. Weiters kann man zwei Handlungsebenen feststellen:
Die des Traums, in welcher man die Gefühle und Ängste des
Protagonisten erfährt und die der Realität, in welcher das
Geschehen von außen betrachtet wird. Sprachlich gesehen ist der Text
keinesfalls schwer verständlich, es wird weder umgangssprachlich
noch in einem besonders altem Stil geschrieben. Jedoch kann man zwei
der gebrauchten Wörter wie „er
getraut sich nicht“ (Thomas Bernhard, Zeile 11) und „Schuldiener“
(Thomas Bernhard, Zeile 15)
aus der heutigen Sicht schon als veraltet bezeichnen.
Im Text wird nicht mit
Fremdwörtern, Frage- beziehungsweise Ausrufungssätzen gearbeitet,
was wieder den neutralen, distanzierten Stil unterstreicht. Weiters
ist keine bevorzugte Verwendung bestimmter Wortarten zu erkennen. Er
ist in der dritten Person und im Präteritum verfasst.
Wie
bereits erwähnt, handelt es sich bei dem Text um eine
Kurzgeschichte, dies kann man besonders gut an den folgenden
Merkmalen erkennen. Die Geschichte beginnt mit einem plötzlichen
Einstieg und hat, da man nicht weiß wie die Handlung weiter
verläuft, ein offenes Ende. Man erfährt nur wenig über die
Charaktere und nur das Nötigste vom Protagonisten.
Der
Titel der Geschichte lautet „Der Vorzugsschüler“, dies lässt
sogleich darauf schließen, dass der Fakt des Vorzugs im Vordergrund
steht. Nun stellt sich die Frage, warum der Autor Thomas Bernhard
ausgerechnet von einem Vorzugsschüler schreibt und nicht von einem
einfachen Durchschnittsschüler. Dies hat eine einfache Erklärung,
denn Studenten und Studentinnen, welche gute Noten schreiben und vom
Lehrer bevorzugt werden, werden meist als „Streber“ oder
Schwächling angesehen. Oft gelten sie als Kinder mit wenig Freunden
und sozialen Kontakten und da sie Großteils des Tages sitzen und
lernen, treiben sie wenig Sport und haben keine körperliche Kraft.
Dies kann man auch im Text lesen.
„Die
Mitschüler sind voll Schadenfreude und stoßen den Vorzugsschüler,
der körperlich ein Schwächling ist, in einen Kanal aus dem er sich
nur mit äußerster Anstrengung befreien kann“
(Thomas Bernhard, Zeile 7-10)
Das
dies im wahren Leben der Fall sein kann, aber selbstverständlich
nicht sein muss steht außer Frage. Sehr interessant ist auch die
Aktion der Mitschüler, wie im Zitat beschrieben, diese ist ja eine
Reaktion darauf, dass der Hauptcharakter eine Rechenaufgabe nicht
lösen kann und daraufhin von dem Lehrer zurechtgewiesen wird. Die
anderen Schüler sind deshalb sehr schadenfroh. Dies ist ganz
eindeutig auf Eifersucht zurück zu führen. Denn natürlich wird der
Vorzugsschüler, vom Lehrer oft bevorzugt, da er ein Muster für den
perfekten Schüler darstellt und die Mitschüler streben nach
Gleichberechtigung.
Allerdings darf man nicht außer Acht
lassen, dass dieses Szenario in der Wirklichkeit gar nicht
stattgefunden hat, es ist nur eine Erfindung vom Unterbewusstsein des
Jungens. Daraus lässt schließen, das der Vorzugsschüler selbst
denkt, dass er von anderen so gesehen wird und unter welchem Druck er
steht, wenn er überzeugt ist, dass so etwas schon wegen einer nicht
gelösten Rechnung passiert. Also spiegelt dieser Traum ganz klar die
Ängste des Buben wieder. Es könnte sein, dass ihm dies bereits klar
ist und er deshalb den Inhalt des Traums gegenüber seinen Eltern
verschweigt.
Zusammenfassend
kann man sagen, dass der Text ein ganz wichtiges Thema behandelt und
zeigt unter welchem Druck ein einziger Schüler, auch wenn er ein
Vorzugsschüler ist, steht und welchen Ängsten er bereits in so
jungen Jahren ausgesetzt ist. Mir persönlich gefallen der Text und
auch der Schreibstil sehr gut.