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Seminararbeit


Michael Mann- Die Entstehung des modernen Staates (Band 3, Teil II)

Der Ursprung des Wohlfahrtsstaates


Im Rahmen der Lehrveranstaltung

Aktuelle soziologische Literatur (Sozialer Wandel und Historische Soziologie)

319.333 SS

abgegeben am 08. September 2016


Inhaltsverzeichnis



Abbildungsverzeichnis


Einleitung

In der vorliegenden Arbeit soll, ausgehend von Michael Manns „Die Geschichte der Macht“, die Entstehung des modernen Staates (Band III, Teil 2) ausgearbeitet werden. Besonderer Fokus soll hierbei auf die historische Entwicklung des Wohlfahrtsstaates, bzw. die Umstände und die Situation dessen Ausgangspunkt, gelegt werden. Nachdem die Vorgehensweise von Manns Gesamtwerk kurz vorgestellt wird, widmet sich ein Großteil dieser Arbeit mit der Frage, wie sich im 19. Jahrhundert die modernen Staaten herausgebildet haben.

Hierzu soll ganz nach Mann auf die vier Wachstumsprozesse staatlicher Modernisierung (Umfang des Staates, sein Funktions- und Aktionsradius, die verwaltungsmäßige Bürokratisierung und die politische Repräsentation) eingegangen werden. Zentrale Fragestellung dieser Arbeit lautet: Welche Entwicklungen und Machtnetzwerke waren entscheidend für die Herausbildung der ersten Formen des modernen Sozialstaates? Dazu sollen die zentralen sozialwissenschaftlichen Theorien der Entwicklung des Wohlfahrtstaates, sowie zentrale Aspekte der Entwicklung des Sozialstaates erarbeitet werden.

Zudem folgt eine kurze Beschreibung der Anfänge des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und Österreich.


Michael Mann: Die Geschichte der Macht

Der britisch-amerikanische Soziologe Michael Mann hat in seinem dreibändigen Werk „Die Geschichte der Macht“ eine historisch-soziologische Analyse von Machtstrukturen in der Entwicklung der Menschen vorgelegt. Der Zeitrahmen der von ihm untersucht wird ist der Anfang der Zivilisation bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Die einzelnen Epochen werden anhand des von Mann entwickelten IEMP-Modell, also den vier Quellen der Macht: ideological, economic, military und political power analysiert. Von großer Bedeutung bei dieser Herangehensweise ist die Betrachtung dieser vier Machtquellen als „sich überlagernde und gegenseitig beeinflussende Machtgefechte“ und nicht als einzelne getrennte Systeme (vgl. Mann: 2001:203).

So lautet auch die Grundthese von Mann wie folgt:

„Gesellschaften sind keine Systeme. Es gibt kein endgültiges Sozialgefüge für die menschliche Existenz. Was wir als Gesellschaften bezeichnen sind nur lockere Aggregate vielfältiger, sich überlappender oder überschneidender Machtnetzwerke“ (Mann 2001:360).

Die Entstehung des modernen Staates (Band III, Teil2)

In seiner Analyse der Geschichte im 19. Jahrhundert angekommen, stellt sich Michael Mann die entscheidende Frage: „Wie kam es zu so einer massiven Ausweitung des Staates im 19. Jh. und warum vollzog sie sich in so unterschiedlichen Ländern in so verblüffend ähnlicher Weise?“ Länder auf die er sich im Besondern bezieht sind: Amerika, Deutschland-Preußen, Österreich-Ungarn, Frankreich und Großbritannien.

Ausgangspunkt bei der Analyse der Entstehung des modernen Staates ist zudem die Überprüfung der Annahme der „Vorwärts-Aufwärts-Evolution“ und dem „Gesetz der immer währenden Expansion des modernen Staates“. Diese beiden Annahmen gehen von einem stetigen Wachstum des Staates aus. Mann hat diese Annahmen überprüft und herausgearbeitet was zu welchem Zeitpunkt wie stark gewachsen ist.

Mann fokussiert sich bei der Bearbeitung dieser Fragestellung auf die vier Wachstumsprozesse staatlicher Modernisierung: (1) Umfang des Staates, (2) sein Funktions- und Aktionsradius, (3) die verwaltungsmäßige Bürokratisierung und (4) die politische Repräsentation. Diese vier entscheidenden Aspekte der Entstehung des modernen Staates sowie die damit einhergehende Rolle der Macht sollen im Folgenden genauer dargestellt werden (vgl. Mann 2001:241).


Der Umfang des Staates

Den Umfang des Staates analysiert Mann mittels quantitative Daten, wobei er sich dabei auch auf die anderen drei Wachstumsprozesse bezieht. Für das Wachstum des Staates werden besonders Daten über Staatsfinanzen sowie staatliche Beschäftigung herangezogen (vgl. Mann 2001:201). Mann stellt sich die Frage, ob es tatsächlich so war, dass die Staaten immer mehr Geld ausgegeben haben und demnach auch immer weiter im Umfang gewachsen sind.

Allgemein gesprochen ist es so, dass sich das Finanzvolumen aller Zentralregierungen im 19. Jh. massiv ausgeweitet hat. In Österreich und Preußen-Deutschland hat es sich beispielsweise um das Verzigfache erhöht. Dieses immense Wachstum, wie es auch in der „Vorwärts Aufwärts Theorie“ und dem „Gesetz der immer währenden Expansion des modernen Staates“ beschrieben wird, ist jedoch nicht ganz richtig.

Denn in Relation zur Inflation und dem Bevölkerungswachstum, war der Anstieg dann doch nicht so immens. Es ist schon ein Anstieg der Ausgaben zu erkennen, aber nicht um das 40-fache. Die Daten für Großbritannien und Preußen zeigen sogar (siehe Abbildung 1), dass die staatlichen Pro-Kopf-Ausgaben schrumpften (vgl. ebd.: 202ff.).

Abbildung 1: Staatsausgaben in Relation zum Bevölkerungswachstum und zur Inflation


Quelle: Mann 2001:204


Mann hat in seiner Analyse weiters bedacht, dass dies die Zeit der industriellen Revolution war und in diesen Ländern ein massives Wirtschaftswachstum herrschte. So sagt Mann, dass die Volkswirtschaften schneller wuchsen als die Staaten. Und das die wirtschaftliche Bedeutung des Staates sogar abnahm. Denn der Anteil der staatlichen Aktivitäten an den volkswirtschaftlichen Gesamtaktivitäten (Abb. 2) ist von der Mitte des 18. Jh. bis ins frühe 20. Jh. sogar rückläufig.

Er spricht sogar von einem Niedergang des Staates im 19. Jh. (vgl. ebd.: 203).


Abbildung 2: Anteil staatlicher Aktivitäten an der Volkswirtschaft

Quelle: Mann 2001:206


Für diese Rückläufigkeit nennt Mann drei Gründe. Zum einen variierten die Staatsausgaben je nachdem ob Krieg oder Frieden herrschte. Von 1815-1914 beispielsweise gab es weniger und kürzere Kriege und somit auch weniger Staatsausgaben. Zudem haben militär-taktische, organisatorische und technische Erneuerungen die Armeekosten und infolgedessen auch die Staatsausgaben verringert.

Des Weiteren gilt es die häufig aufgenommen hohe Kredite für Kriege zu beachten. So kam es dazu, dass es zu Beginn des 19. Jh. vermehrt militärische Staatsausgaben gegeben hat. Mann betont zudem, dass die Staatsausgaben nicht weiter gesunken sind, weil es erstmals vermehrt Zivilausgaben gab. Diese stiegen von etwa 25% um 1760 auf etwa 75 % um 1900 und definieren einen einschneidenden Wandel bei der Entstehung des modernen Staates.

Im Zuge der zivilen Ausweitung gab es vermehrt Arbeitsteilung, welche ein Heer aus Zivilbeamte schaffte, die für die Verwaltung verantwortlich wurden (vgl. ebd.: 212).

Um den Wachstum in einer weiteren Form zu messen, stellte sich Mann die Frage wie viel ziviles und militärisches Personal der Staat hatte. Hierbei betont er „Kann ein Staat seine Beamten nicht zählen, kann seine Bürokratisierung nicht allzu fortgeschritten sein“ (Mann 2001:233). Bis zum Ende des 19. Jh. wusste kein Staat genau wievielte Personen im öffentlichen Dienst beschäftigt waren.

Andererseits wusste man genau über den Umfang der Armee Bescheid. Bei der Personalzählung war Österreich gemeinsam mit Schweden das erste Land, das (unvollständige) Berufszählungen durchführte. Erst um 1890 fand eine allgemeine Zählung statt bei der auch lokal regionale Verwaltungen, Handarbeiter, Schreibkräfte etc. mit eingeschlossen wurden. Weibliche Kräfte wurden nicht mitgezählt.

So verweist Mann darauf, dass die Anzahl der Angestellten zwar anstieg, aber man auch beachten muss, dass auch das Zählvermögen gestiegen ist. Somit kann erst ab 1870 von einem realen und massiven Wachstum der Beschäftigten ausgegangen werden (vgl. ebd.: 235ff.).

Die Analyse der quantitativen Daten schließt Mann mit der Erkenntnis, dass die Entstehung des modernen Staates deutlich komplexer war als es die Vorwärts Aufwärts Theorie, die eben nur von Stetigem Wachstum ausgeht, besagt. So konnten anhand der quantitativen Analysen schon zentrale Veränderungen am Wandel hin zum modernen Staat ausgemacht werden. Die Veränderung des Charakters des Staates beschreibt Mann so, dass zu Beginn eine traditionelle, militärische Staatskristallisation mit entsprechenden Funktionen herrschte, diese sich jedoch mit der Zeit auf folgende drei zivile Aufgabenbereiche verlagerte.

Zum einen gab es eine (1) Schaffung neuer materieller und symbolischer Kommunikationsstrukturen (Infrastrukturen: Eisenbahn, Kanäle etc.), (2) gab es vermehrte staatliche Eingriff in die Wirtschaft sowie Privatisierungen und (3) ganz am Ende der Periode, entwickelten sich moderne Formen der Sozialfürsorge. Diese drei starken Veränderungen kennzeichnen nach Mann einen eindeutigen Übergang des Staates zu einem halb-militärischen, halb-zivilen, also einem „diamorphen Staat“. Dieser Gesamttrend hin zu einem modernen, diamorphen Staat entstand aus drei Prozessen: der vermehrten Eigenständigkeit des Militärs, der zunehmenden Bürokratisierung, und der Übernahme von sozialen Funktionen des Staates.


Der Funktions- und Aktionsradius

Das Kapitel zuvor hat mittels Analyse quantitativer Daten aufgezeigt, das die Funktion des Staates vor allem zu Beginn stark von seinen militärischen Aktivitäten dominiert war. Diese Dominanz des Militärs ist der Ausgangspunkt des modernen Staates. Aber auch noch 1910 wurde die Hälfte der zur Verfügung stehenden Mittel für das Militär aufgewendet.

Es wird also sehr deutlich welche Bedeutung das Militär für die Entstehung des modernen Staates gehabt hat und soll im Folgenden genauer betrachtet werden (vgl. Mann 2001:249).


Die Autonomie militärischer Macht

Der Staat, der zu Beginn auf die Funktionen des Militärs reduziert war hatte zudem eine Doppelfunktion: den Militarismus im Inneren und den geopolitischer Militarismus. Der Militarismus im Inneren war dafür dar, Unmut und Unzufriedenheit im inneren des Landes ruhig zu halten. Die Funktion des Militarismus im Inneren war Repression, also Machtdemonstration, und kann in vier Stufen unterteilt werden. (1) Keine Repression (2) Bekämpfung von Verbrechen und Unordnung durch Polizeigewalt (3) paramilitärische Formationen gegen Aufruhr (4) Ausgewachsene militärische Repression.

Die Aufgabe des Militarismus wurde durch die mitunter wichtigste Schaffung im 19. Jahrhundert, der Schaffung kommunaler, regionaler und nationaler Polizeikräfte, stark reduziert (vgl. ebd.: 251). Zudem betont Mann, dass durch die routinemäßige Polizeiüberwachung nicht eine Pazifizierung der Zivilgesellschaft stattgefunden habe, sondern lediglich eine „internalisierte Disziplin“ vorangetrieben wurde (siehe Faucoult, Giddens, Elias).

So trat (militärische) Gewalt vermehrt versteckt und institutionalisiert auf (vgl. ebd.:253f.). Mann formuliert es wie folgt: „Wir zählen, so das Fazit – nicht mehr die Leichen, wir schicken die Opfer in die Psychoanalyse“ (Mann 2001:254). Die zweite Funktion des Militärs, der Geopolitische Militarismus, widmete sich der Außenpolitik und hauptsächlich dem Führen von Kriegen.

Somit war Maria Theresia (1740-83) erste österreichische Herrscherin im Besitz der obersten militärischen Befehlsgewalt. Treueschwüre galten ab da an nicht mehr dem jeweiligen Kommandeur, sondern dem Kaiser/König/in. Somit einstanden hierarchische Befehlsketten (vgl. ebd.: 263f.).

Die Funktionen des Militärs zusammenfassend heißt dies, dass aufgrund der Außenpolitik enge Beziehungen zum alten Regime (Adel etc.) gehalten werden mussten. Die innenpolitische Repressionsaufgabe verlangte es aber die besitzenden Klassen als Gesamtheit zu vertreten und die modernen Industrie- und Grundbesitzerkapitalisten von den unzufriedenen Arbeitern zu schützen.

Somit war das Militär war ein wichtiges Bindeglied zwischen den früheren und den neuen herrschenden ökonomischen Klassen (vgl. ebd.: 270).


Die militärische Organisation

In einem weiteren Schritt widmete sich Mann der Analyse der Organisation des Militärs. So zeigt er auf, dass das Militär zu Beginn primär aus Adeligen bestand und es eine tiefe Kluft zwischen Offizieren und einfachen Soldaten gab. Das Militär war eine hierarchische Zwei-Klassen-Gesellschaft, die aus Disziplin, Drill und Autorität bestand. Zudem stand die Zivilbevölkerung dem Militär, vor allem wegen Zwangsrekrutierungen und unterschiedlichen Wertvorstellungen, feindselig gegenüber (vgl. Mann 2001:270ff.). Die stetig voranschreitende Bürokratisierung, Demokratisierung und Professionalisierung führte jedoch zu entscheidenden Änderungen in der Organisation des Militärs.

Die Militärstruktur war gekennzeichnet durch einen unfreiwilligen Rückgang der Dominanz vom Adel, da einfach die Anzahl der Offiziere aus anderen Schichten, besonders auch durch das Bevölkerungswachstum stieg. Somit gestaltete sich eine Hierarchie bei der primär nur die Spitze durch den Adel geprägt war (vgl. ebd.: 279ff.). Die Technokratisierung und Industrialisierung führte zu einer wachsenden Feuerkraft und somit wurde weniger Ausbildung benötigt.

Die Folge waren deutlich mehr mobilisierbare Streitkräfte, aber auch ein Rückgang der Bürgerarmeen, da man Angst hatte einem freien Volk Feuerwaffen in die Hand zu geben. Dies führte zu einer deutlichen Professionalisierung der Armee und einer größer werdenden Berufsarmeen. Das Eigenleben als Kaste, entwickelte zudem, vor allem auch durch die Technokratie und die Feuerwaffen, ein übersteigertes Selbstvertrauen (vgl. ebd.:286ff.). Mann bezeichnete dies als verborgene Zeitbombe, da es zu einer internen Ausbildung einer Taktik führte, welche den Angriff und die Mobilmachung in den Mittelpunkt rückte und Verteidigung eher vernachlässigte.


Die verwaltungsmäßige Bürokratisierung

Im Abschnitt über die Bürokratisierung stellt sich Mann die Frage, welchen Einfluss die Bürokratisierung auf die Entstehung des modernen Staates hat und stellt beginnend fest, dass Modernisierung und Bürokratisierung immer einhergehen. Mann fokussiert sich darauf wann und in welcher Form die Bürokratisierung in den westlichen Ländern vorangeschritten ist und somit zur Entstehung des modernen Staates beigetragen hat.

Anhand von fünf Elementen, von denen das Maß der Bürokratisierung abhängt, zeigt Mann wie sich die Bürokratisierung im untersuchten 19. Jh. entwickelt hat. Eines dieser Elemente sind die Beamten, dessen Auswahl, Beförderung und Bezahlung. Weiters hängt die Bürokratisierung auch entscheidend von der Struktur der Ämter, also ihrer Zentralisierung und ihrer funktionalen Arbeitsweise, ab.

Ein weiteres wichtiges Element ist das Bestehen einer Gesamtverwaltung, die alle Ämter und Ressorts mit einander verbindet und ebenso hierarchisch und funktional strukturiert ist. Das fünfte Element für das Maß der Bürokratisierung und auch die zentrale Grundvoraussetzung für das Funktionieren der Bürokratie, ist die Trennung von Verwaltung und Politik (vgl. Mann 2001:295).

Die zweite Phase ist eine Zwischenphase, in der revolutionäre und parteidemokratische Regime unter Druck von Bürgerbewegungen und Krieg die Führung übernommen haben und somit als repräsentative und staatsbürger-rechtliche Kristallisation bezeichnet wird. Dies war eine beginnende bürokratische Offensive wobei beispielsweise der korrupte Amtsbesitz abgeschafft wurde.

Dennoch hielt sich die Bürokratisierung aber in Grenzen, da die vielen nationalen Probleme nicht gelöst werden konnten. Erst in der dritten Phase, mit der industrie-kapitalistische Kristallisation, wird die Bürokratisierung entscheidend vorangetrieben. Dadurch, dass es den Regimen gelang zentrale Parteidemokratien zu institutionalisieren konnten, besonders auch mithilfe von der Errichtung staatlicher Infrastrukturen, die unteren und mittleren Verwaltungsebenen strukturiert und vorangetrieben werden (vgl.ebd.:317f.).

Nach Mann durchlieg die Bürokratisierung einen Wandel von einer partikularen, also teils unvollständigen, dezentralisierten Amtsführung hin zu einer universalen, nationalen Meritokratie, also eine auf Leistung beruhende Verwaltung und wurde zentraler Bestandteil des modernen Staates (vgl. ebd.:319).


Zum einen kam zu einer massive Ausweitung der Infrastrukturen der materiellen und symbolischen Kommunikation. Dies bedeutet es wurden Straßen, Kanäle, Eisenbahnen, die Post, Telegrafie ausgebaut. Besonders wichtig wurde aber auch das Erziehungswesen samt aller Einrichtungen. Zudem wurden Staaten Direkteigentümer von materiellen Infrastrukturen und Fertigungsindustrien und verstärkten die Privatisierung.

Eine weitere Ausweitung des Staates auf den zivilen Bereich ist die zunehmenden Wohltätigkeitspraxis und die langsame Entwicklung eines Sozialstaates (vgl. Mann 2001:324).

Die Durchdringung des Staates in das soziale Leben wurde immer intensiver, und somit einhergehend auch die Politisierung der Bürger. Sie konnten den Staat immer weniger ignorieren. So sagt Mann, „die käfigartige Erschließung von Klassen und Nationen ging weiter, etwas leiser und weniger dramatisch als zuvor. Dies bezeichnet er als die „Naturalisierung“ des sozialen Lebens, die besonders auch durch die infrastrukturelle Macht zunahm und den somit Staat mächtiger machte.

Mit Fokus auf die frühe und intensive Industrialisierung in Großbritannien sieht Mann Kapitalismus und Moral bzw. ideologische Strömungen als sich wechselseitig bedingend und schwer trennbar. Es kam zu einer moralischen Verpflichtung und aber auch einer Angst des Regimes vor den „gefährlichen“ Klassen am Rand, da man beispielsweise dachte, dass die Sittenlosigkeit der unteren Klassen alle anstecken würde.

Jedenfalls wurden sozialpolitische Anliegen in der Politik besprochen und es kam es zur Meinung der herrschenden Klasse, dass Volksgesundheit, massenhafte Schriftkundigkeit, aber auch effiziente Verkehrs- und Kommunikationsmittel die nationale Stärke und die menschliche Entwicklung im Allgemeinen voranbringen würde. Wie Mann betont, ist dieses soziale Engagement, neben der Angst vor den unteren Schichten an sich, auch aus Angst vor der großen Konkurrenz Deutschland zustande gekommen (vgl. ebd.:326ff.).

Wie sahen die konkreten sozialen Reformen aus? Zum einen gab es beispielsweise in England eine Ausweitung des Wahlrechts nachdem ab 1832 auch Kleinbürger und Facharbeiter, nur Männer, wählen dürften. Dies war auch der zentrale Grund warum ab da die größte innenpolitische Aufgabe des Staates die Erziehung und Bildung der Mittelschicht, sprich der Mehrheit der Wähler, war.

Zudem wandelten sich die Bürgerrechte von Rechte für nur fix angestellte Arbeiter hin zu einem allgemeinen Staatsbürgerrecht. Dies ist für Mann ein entscheidender Beweis für die Entwicklung des dualen militärischen und zivilen Staates (vgl. ebd.:351ff.).

Aber welchen Einfluss hatte diese gesteigerte Macht des Staates aufgrund der Ausweitung auf den zivilen Bereich für die Zivilgesellschaft? Mann kommt in seiner Analyse zum Ergebnis, dass obwohl der Staat in seinem Umfang und seinem Aktionsradius, also seinen Funktionen, gewachsen ist, sich aber dadurch weder die autonome noch die despotische Macht des Staates vergrößerte hat.

Das Gegenteil war der Fall. Die Staaten entwickelten einen dualen Charakter. Er beschreibt, dass durch die Politisierung des sozialen Lebens die Parteien mehr Bedeutung als die Eliten erlangten. An die Stelle von elitistischen Staatsaktivismus trat eine Art kollektiver Parteienaktivismus. Damit einhergeht zum Beispiel dass die Gesetzgebung ihren Ad-hoc Charakter verliert und sich auch vermehrt öffentlichen Anträgen widmet.


Fazit über die Entstehung des modernen Staates

Abschließend definiert Mann zwei entscheidende Wandlungen bzw. Modernisierungen, die ausschlaggebend für die Ausweitung und Entstehung des modernen Staates waren. Zum einen ist dies das enorme, hauptsächlich militärisch begründete Wachstum des Umfanges des Staates bis in das Jahr 1800. Dadurch werden die Funktionen des Staates auf das Militär konzentriert und die beginnende Politisierung des sozialen Lebens beginnt.

Die zweite entscheidende Wandlung ist das enorme Wachstum des Aktionsradius des Staates im späten 19. Jh. Diese Ausdehnung der zivilen Funktionen des Staates führte letztendlich zur Entstehung des dual militärisch-zivilen Staates (vgl. ebd.: 357f.).


Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates

Definitionen

Im folgenden Abschnitt rückt die Entstehung des Wohlfahrtstaates in den Fokus. Für eine genaue Analyse dessen, sollen zuerst einige wichtige Begriffe, besonders Sozialpolitik, Sozialstaat und Wohlfahrtsstaat, definiert werden. Hierbei ist vorerst anzumerken, dass eine Definition dieser Begriffe teils umstritten ist. Besonders weil es sich auch um Begriffe aus dem Politikbereich handelt und immer mit bestimmten Wertungen verbunden ist.


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