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Hausübung
Geschichte / Historik

Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald - EMAU

2010, Kiel, Europäische Integration

Michel R. ©

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ID# 7788







Inhaltsverzeichnis

Einleitung. 3

Die „schwachen Prototypen“ europäischer Organisationen und die wirtschaftspolitischen Pläne Frankreichs nach 1945. 4

Von den Einflüssen und der Ausarbeitung des Schumanplanes. 6

Die Regierungserklärung vom 9. Mai 1950 von Außenminister Robert Schuman   - Die Vorstellung der Supranationalität 9

Politische Reaktionen auf den Schumanplan. 10

Der weitere Verhandlungsverlauf im Hinblick auf die letztendlich geschaffene Organisationsstruktur der EGKS  12

Resümee. 15

Literatur- und Quellenverzeichnis. 16

Anhang. 17

 

Einleitung

Überblickt man 60 Jahre europäischer Einigungsgeschichte, so zeigt sich die Europäische Union in vielen Punkten als erfolgreich. Staaten, die lange miteinander im Unfrieden lagen, haben heute eine gemeinsame Währung und gemeinsame Institutionen, die ihre Wirtschafts- und Handelsinteressen verwalten. Das am 9.Mai 1950 unterbreitete Angebot einer Zusammenführung der Kohle- und Stahlindustrie in einer gemeinsamen Organisation von dem französischen Außenminister Robert Schuman, welches in erster Linie an Deutschland gerichtet war, sollte nach der Umsetzung im EGKS[1]-Vertrag am 18. April 1951  nur sechs europäische Staaten betreffen.

Im Vergleich zum heutigen poltischen und wirtschaftlichen Raum Europas, welcher gleichzeitig den größten Binnenmarkt der Welt darstellt, mag dieser nur den Kohle- und Stahlsektor umfassende Wirtschaftsraum und die mit ihm geschaffene Organisation der EGKS unter Leitung der Hohen Behörde schnell seine Bedeutung einbüßen. Erst recht, weil die Kohle- und Stahlindustrie längst nicht mehr zu den Schlüsselindustrien zu zählen ist.

Diese Betrachtung wäre allerdings ungerechtfertigt und würde die erreichten Leistungen, welche zweifelsfrei einen wichtigen friedenspolitischen, aber auch wirtschaftlichen Beitrag zur damaligen Integration der beteiligten Länder  in ein europäisches Gefüge erfüllten, vorschnell absprechen. Denn im Vertragswerk der EGKS konnte erstmalig das bahnbrechende Element der Supranationalität umgesetzt werden und somit ein wegweisendes Modell für später errichtete Organisationen, wie das Europaparlament, die Europäische Kommission oder den Europäischen Gerichtshof überhaupt erst hervorgebracht werden.[2]

Die folgende Arbeit soll den Weg der Entstehung des sogenannten Schumanplanes skizzieren. Weiterhin sollen meine Ausführungen aufzeigen, unter welchen Vorbedingungen und Einflüssen das Vertragswerk der EGKS entstanden ist, aber auch welche Ziele und Absichten die Mitwirkenden  im Ver-handlungsverlauf erreicht haben bzw. fallen lassen mussten. Abschließend möchte ich die Frage klären, mit welchem Erfolg die vorgeschlagene Organisations-struktur des Schumanplanes im EGKS-Vertrag wirklich umgesetzt wurde.        

Die „schwachen Prototypen“ europäischer Organisationen und die wirtschaftspolitischen Pläne Frankreichs nach 1945

Als erster vielversprechender Meilenstein für den europäischen Integrations-prozess nach dem Ende des zweiten Weltkrieges könnte der durch die USA indizierte Marschallplan angeführt werden.  Mit diesem außenpolitischen Manöver gelang es dem amerikanischen Staatsekretär George Marschall Hilfe für die notleidende und teilweise verhungernde Bevölkerung des durch den Krieg zerstörten Europas bereitzustellen und gleichzeitig sechszehn europäische Nationen am 6. März 1948 zum Zusammenschluss zur OEEC[3] zubewegen.[4] Der gemeinsame Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft, sowie die Ausweitung und Erleichterung des europäischen Handels- und Zahlungsverkehrs hingen nun von der Fähigkeit der Selbstverwaltung einer zwischenstaatlichen europäischen Organisation ab. [5]  Doch gerade der Charakter des Intergouvernementalismus stellte sich als unlösbares Problem heraus, sollte es darum gehen „nationale Interessen“ zu vernachlässigen, um die „europäischen Anliegen“ voranzutreiben. Jede Nation war natürlich bedacht darauf, sich möglichst viel, von denen im Marschallplan veranschlagten Hilfen des European Recovery Program zu sichern.[6]   

Ebenso die im Londoner Zehnmächtepakt erreichte „erste und einzige politische Organisation in Gestalt des Europarates“, „entsprach in keiner Hinsicht den damaligen Bestrebungen und Erwartungen zur Einigung Europas.“[7]

Gerade die Tatsache, dass die beratende Versammlung bei ihrer ersten Zusammenkunft vom 10. August bis zum 5. September 1949  nicht in der Lage war, aufgrund des Vetos des britischen Regierungsvertreters im Ministerkomitee,  den Europarat mit weitergehenden Kompetenzen auszubauen und ihn zu einer anerkannten politischen Autorität im europäischen Raum emporzuheben, zeigte die Schwäche einer Organisationsform, welche die Entscheidungsgewalt in den Händen der nationalen Regierungen ließ und auf die Einstimmigkeit der Beschlüsse angewiesen war.[8]  In seiner 1976 veröffentlichten Autobiographie „Erinnerungen eines Europäers“ wird Jean Monnets Überzeugung deutlich, dass man aus den Strukturfehlern dieser „schwachen Prototypen“ europäischer Organisationen lernen musste und wie ein Zusammenschluss internationaler Montanindustrie folglich nicht organisiert werden durfte:  

 

„Der Vorschlag, die Kohle und den Stahl mehrerer Länder unter einer Oberhoheit zu stellen, war ein simples Konzept. Man musste es bis zum handlichen Werkzeug entwickeln, und hier konnte ich mich nicht mehr auf meine Erfahrungen berufen – außer dass Systeme, deren Unwirksamkeit bereits erwiesen war, nicht in Frage kamen, wie die entscheidungsunfähigen Kooperationsorgane.“[9]

 

Zwischen 1945 und 1950 war Monnet Leiter des französischen Planungsamtes und entwickelte Modernisierungsprogramme für die schwer angeschlagene französische Wirtschaft, insbesondere Konzepte für die stark unterentwickelte Kohle- und Stahlindustrie.[10]Für eine feste wirtschaftliche Kooperation wollte Frankreich zunächst noch in mehreren Versuchen Großbritannien als Partner  gewinnen. Durch die mangelnde Bereitschaft der britischen Regierung Entscheidungskompetenzen von der nationale Ebene zu verlagern oder sich gar weitergehend an das zu schwach eingeschätzte Frankreich zu binden, scheiterte dieser Unterfangen endgültig 1949.[11]  

Ebenso auf der politischen Bühne des europäischen Kontinents wurde für Frankreich eine Neuorientierung seiner eigenen Rolle notwendig. Nach 1945 propagierte Frankreich eine engstirnige Negativpolitik gegenüber Deutschland, dessen Zweck eine vollständige Isolierung und Ausschaltung eines souveränen deutschen Staates, als wirtschaftliche und politische Großmacht verfolgte. Verschiedene Bemühungen deutsches Staatsgebiet territorial zu spalten, dessen wirtschaftliche Produktion zu beschränken, Großunternehmen und Unternehmensverbände zu zersprengen, sowie dessen politische Souveränität stark zu beschneiden und es unter dauerhafter Beaufsichtigung den Siegermächte des 2. Weltkrieges zu unterstellen, trafen zunehmend auf Widerstand und wurden immer schwieriger durchzusetzen.[12]Schon auf der Londoner Sechsmächte-konferenz von Februar bis Juni 1948, auf der die Zusammenlegung der drei westlichen Besatzungszonen zur Trizone beschlossen wurde, konnte Frankreich nur mühsam die Bedingung abringen, dass das Saarland  wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen und das Ruhrgebiet weiter kontrolliert werden sollte. Die deutsche Kohle- und Stahlindustrie war zwar  zunächst stark eingeschränkt in ihrem freien Handeln, trotzdem zeigten sich zunehmend Tendenzen, dass die USA und Großbritannien eine schrittweise Wiedererlangung der vollen poltischen und wirtschaftlichen Souveränität eines deutschen Staates befürworteten, was für Frankreich das Streben nach der früheren deutschen Führungsrolle, als wirtschaftliche Großmacht erschweren, vielleicht sogar unmöglich machen würde.[13]

Im Zentrum von Jean Monnets Plänen stand die Versorgung der französischen Industrie mit Kohle aus den deutschen Gebieten, was durch eine Eingliederung in französisches Zollgebiet ermöglicht werden konnte.[14] Die erfolgreiche Ent-wicklung der französischen Stahlindustrie war eine ausschlaggebende Basis für die erhoffte Wirkung der Modernisierungsvorhaben, mit dem die Wirtschaft Frankreichs wieder auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig werden würde. Beabsichtigte Frankreich geringstenfalls ein Minimum an Kontrolle über den ehemalige Kriegsrivalen zu erhalten, musste man, insbesondere im wichtigen Schlüsselsektor der Kohle- und  Stahlindustrie, zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen.[15]

Von den Einflüssen und der Ausarbeitung des Schumanplanes

Jean Monnets Befürchtungen um die französische Wirtschaft trieben ihn schließlich umso mehr in die Durchsetzung einer Leitlinie, welche für die Kohle- und Stahlprobleme eine effektive Lösung herbeiführen würde. Zuvor erfolgte im März 1950 für ihn ein weiterer schwerer Rückschlag in den Einigungsgesprächen über eine Freihandelszone, welche Italien, Frankreich und die Beneluxländern umfassen sollte. Der Versuch scheiterte wieder an der Uneinigkeit über eine Beteiligung Westdeutschlands.[16]

Die diplomatische „Pattsituation“, in die sich Frankreich unter Ministerpräsident Georges-Augustin Bidault mit seiner „Anti-Deutschen-Haltung“ selber herein manövriert hatte, konnte nur durch Vorschläge internationaler Tragweite verlassen werden, wollte man sich nicht wirtschaftlich, als auch außenpolitisch vollkommen isolieren.[17]  

Zudem war man sich in Frankreich im Vorhinein bewusst darüber, dass Großbritannien und die USA auf der geplanten Außenministerkonferenz am 10. Mai 1950 in London eine Befreiung von Produktionsinterdikten und eine Entschärfung der Souveränitätsbegrenzungen für Deutschlands erzielen wollten.[18] Brunn beurteilt die Gründe für einen Umschwung in der französischen Außenpolitik, als Versuch Deutschland in eine „festgefügte europäische Struktur“ einzubinden, bevor es durch „Wiedererlangung wirtschaftlicher und politischer Macht“ Frankreich erneut überholen konnte.[19]

Zahlreiche Vorschläge dazu wurden bereits in der Vergangenheit national, als auch international diskutiert, sind aber von der französischen Regierung stets abgewiesen bzw. ignoriert worden.  An der Bereitschaft seitens des deutschen Nachbarn sollte es jedenfalls nicht mangeln und ein Richtungswechsel der französischen Regierung hatte man schon lange herbeigesehnt.[20] So versinnbildlicht ein Auszug aus der Rede des Industriellen und Bundestagsabgeordneten Günter Henle zur deutsch-französischen Verständigung am 22. November 1949 die Erwartungen an ein französisches Signal für die Aufnahme Deutschlands in einem Wirtschaftsbund:

„Wirklich das europäische Problem lösen kann aber nur ein deutsch-französischer Zusammenschluss wirtschaftlicher Art, für den die Voraussetzungen günstiger liegen als bei den anderen Kombinationen, da die deutsche und französische Wirtschaft sich wirklich in vielfacher Hinsicht zu ergänzen vermögen. Wir wollen bestimmt einer ‚Fritalux‘ keine Schwierigkeiten bereiten, sondern vielmehr den Vers aus Schillers Bürgschaft befolgen und mit dem Dichter sagen: Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte.“[21]

Desweiteren hatte schon Bundeskanzler Adenauer, als ersten Schritt zu einer Vergemeinschaftung der Schwerindustrie am 28. August 1949 eine Inter-nationalisierung der Thyssen-Hütte vorgeschlagen. Im März 1950 weitete er das Angebot auf das Ziel einer vollständigen deutsch-französischen Union aus. 

Zölle und Wirtschaft beider Länder sollten zusammenwachsen und durch ein „gemeinsames Wirtschaftsparlament“ könnte die Überwachung beider National-regierungen garantiert werden.[22] Ebenso auf der Beratenden Versammlung des Europarats erklangen nun gleich mehrere Stimmen, welche bessere Kontrollmöglichkeiten für die internationale Schwerindustrie befürworteten.

Im Dezember 1949 beteiligte sich Paul Reynaud an der Diskurssion mit der Idee, dass man die Kohleindustrie einer gemeinsamen Behörde unterstellen könnte und damit fand er schnell zahlreiche Unterstützer, wie  Edouart Bonnefous, André Philip oder Robert Boothby.[23]

Jean Monnet konnte also auf vorhandene Ansätze bei der Entwicklung seines Projektes einer „Montanunion“ zurückgreifen, musste sich aber gegen die Stimmen aus der eigenen Regierung und der französischen Öffentlichkeit behaupten. Für die konzeptionelle Ausführung nahm er ab dem 15. April 1950 die Hilfe von Prof. Paul Reuter in Anspruch, welcher als Rechtsberater des Quai d’Orsay fungierte.[24] In den folgenden zwei Wochen wurden vom französischen Planungsamt unter der Leitung Monnets insgesamt neun Entwürfe gefertigt, bis die Schlussfassung des zur Veröffentlichung gedachten Dokuments am 6. Mai 1950 schließlich vorlag.[25] Nachdem Monnet Premierminister Bidault das Do-kument zukommen lassen hatte und dieser nicht einmal bereit dazu war, sich mit dem Plan näher auseinanderzusetzen, vertraute er das geheim gehaltene Projekt nun in seiner endgültigen Fassung Außenminister Schuman an.[26] 

Dieser erkannte die sich bietende Chance und sicherte Monnet seine Unterstützung zu, in einer öffentlichen Bekanntgabe und im Kabinett für die Umsetzung zu werben. Schuman wollte aber zuvor noch den amerikanischen Außenminister Dean Acheson und den deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer informieren, um sich deren persönliche Zustimmung für diese französische Initiative einzuholen. Mit der Gewissheit einer deutschen Beteiligung an  „Monnets Modellversuch“ trat Schuman am 9. Mai 1950 vor das französische Kabinett und es gelang ihm gegen den Protest des Ministerpräsidenten Bidault die Mehrheit der Stimmen für sich zu gewinnen.[27]

Die Regierungserklärung vom 9. Mai 1950 von Außenminister Robert Schuman – Die Vorstellung der Supranationalität

In der darauf folgenden Regierungspressekonferenz am Nachmittag des 9.Mai 1950 erklärte Außenminister Robert Schuman, dass die zentrale Bedingung für  Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa, sowie eine angestrebte „Vereinigung der europäischen Nationen“ grundlegend davon abhinge, ob der deutsch-französische Gegensatz überwunden werden könne.[28]

Schuman betonte in diesem Zusammenhang die mehr als 20-jährige Voreiterrolle Frankreichs auf dem Weg zu einem Vereinten Europa und bereitete in Namen der französischen Regierung das Angebot, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, wobei auch andere europäische Länder diesem Bund beitreten  könnten.[29]

Nicht allein die lange herbeigesehnte, aber unerwartete diplomatische Entspannung in den deutsch-französischen Beziehungen war der Anlass hochbrisanter politscher Reaktionen, sondern eher die mit Ausblick auf das Ziel einer Europäischen Föderation erwähnte  supranationale Struktur der neuen Organisation:[30]   

„„Durch die Zusammenlegung der Grundindustrien und die Errichtung einer neuen Hohen Behörde, deren Entscheidungen für Frankreich, Deutschland und die anderen teilnehmenden Länder bindend sein werden, wird dieser Vorschlag den ersten Grundstein einer europäischen Föderation bilden, die zur Bewahrung des Friedens unerläßlich ist.““[31]

Gleichzeitig untermauerte Schuman in seiner Rede immer wieder indirekt den Autoritätsanspruch der Hohen Behörde, womit er gleichzeitig die Grundlage weiterer Verhandlungen nach außen offerierte.

Deutlich unterstrich er ihren Kompetenzbereich und stellt die zukunftsnahe Realisierung der wichtigsten Aufgaben in ihre Verantwortung. So sollte die Produktion schnellstmöglich modernisiert und die Qualität der Kohle- und Stahlerzeugnisse dauerhaft verbessert werden, alle beteiligten Märkte den gleichen Ein- und Ausfuhrbedingungen unterliegen, der Export zu unbeteiligten Ländern einheitlich geregelt und die Lebensbedingungen der Arbeiter im Kohle- und Stahlsektor  in allen Mitgliedsländern entsprechend angepasst werden. [32]

In keinster Weise sei die geplante Organisation mit einem Kartell zu vergleichen, da Märkte ineinander verschmelzen sollen und eine Ausdehnung der Produktion angestrebt werde. Weiterhin kündigt er die ausführliche Ausarbeitung eines Vertragswerkes an, welches im Detail  durch die einzelnen Staaten, mit Hilfe eines bei Differenzen in letzter Instanz entscheiden Schiedsrichters, verhandelt werden wird.

Der Vertag erhält seine Rechtskräftigkeit in den Mitgliedsländer, durch die endgültige Absegnung in deren Parlamenten.[33] Zum Aufbau der Hohen Behörde äußert sich Schuman nochmals am Ende seiner Regierungserklärung und spricht davon, dass die gesamte  Administration über dieses „eine Organ“ erfolgen wird. Die Hohe Behörde wird sich aus unabhängigen Experten zusammensetzen, welche auf gleichberechtigter Basis von den Regierungen ernannt werden. An die Spitze der hohen Behörde soll ein wählbarer Präsident, die für alle Mitgliedsländer bindenden Entscheidungen verkünden.  Für die Mitgliedsländer sichert Schuman  jedoch geeignete Mittel des Einspruchs zu.[34]

 

Politische Reaktionen auf den Schumanplan

Während eines Zeitraum von nur drei Wochen entwickelt, war der Schumanplan natürlich nur in Ansätzen durchdacht, sodass gerade in Hinsicht auf die zu schaffende Organisation weitgehende Spielräume für kommende Verhandlungen offen blieben.[35] Als wichtigster Unterschied zu den vorangegangen Entwürfen europäischer Verbundsysteme bleibt jedoch die institutionelle Struktur, mit der Monnet gezielt erreichen wollte, dass die einzelnen Nationalstaaten ihren direkten Einfluss an die Hohe Behörde abgeben.[36] Dieses Novum einer überstaatlichen Organisation hebt Schuman mehrmals in seiner Rede hervor, vielleicht auch mit der versteckten Intention heraus, den Kreis der gewünschten Verhandlungspartner einzugrenzen. Der Schöpfer des Planes, Jean Monnet, musste schlicht davon ausgehen,  dass nicht alle Staaten einer Kompetenzumverteilung von der na-tionalen Ebene auf eine unabhängige europäische Behörde zwangsläufig bejahten.

Zuweilen äußert Brunn sogar den Verdacht, einer geplanten Ausgrenzung Großbritanniens. Zu keinem Zeitpunkt hätte es eigene Souveränitäts-beschneidungen durch eine supranationale Organisation akzeptiert.[37] Ein Argument, was dieser These durchaus Berechtigung verleiht, ist die sehr späte Benachrichtigung der britischen Regierung, welche erst unmittelbar vor der Regierungserklärung von Schuman am 9. Mai  über den Plan informiert wurde.

 

Der britische Außenminister Ernest Bevin reagierte erschüttert und setzte den Schumanplan gleich einem Komplott gegen den britischen Handel, welchen er mit lautstarkem Protest bekämpfen würde.[38] Vielleicht sah Monnet in einer Beteiligung Großbritanniens eine zu große potenzielle Gefahr für das Herzstück der Montanunion, „seiner“ Hohen Behörde, denn schließlich hatten die Briten schon andere Organisationen, wie der OEEC oder den Europarat immer wieder Kompetenzen abgerungen und ihnen so den Einfluss genommen.[39]

Jedenfalls stellte man eine Teilnahme einer britischen Delegation an den eigentlichen Verhandlungen zum EGKS-Vertrag sehr schnell in Frage.  Monnet betonte noch einmal ausdrücklich, dass das Prinzip der supranationalen Behörde, wie in der Regierungserklärung von Außenminister Schuman bereits offenkundig wurde, vor der Aufnahme der Beratungen von allen Beteiligten akzeptiert werden müsse, woraufhin die britische Regierung endgültig ablehnte. [40]                                       

Kritische Stimmen gab es allerdings auch in den Reihen der belgischen und niederländischen Regierungen zu vernehmen. Beispielsweise trug der spätere Delegationsleiter der Niederlande, Dirk Spierenburg, Monnet seine Bedenken bei einem Gespräch am 24. Mai 1950 in Paris vor.  Er befürchtete die Errichtung einer völligen Diktatur einiger weniger Experten der Hohen Behörde über die Kohle- und Stahlindustrie, in der niemand wirklich die Verantwortung für Entscheidungen übernehmen müsste und hatte Angst vor einer Benachteiligung kleinerer Länder, wenn die nationalen Produktionsraten mit dem Stimmengewicht in Verbindung gesetzt würden.[41]  Das Urteil der belgischen Regierung fiel ähnlich aus, sodass sie sogar über konkrete Veränderungswünsche in der  Organisations-struktur der hohen Behörde beraten hatte. [42]

Ein Vorschlag war die Dreiteilung der hohen Behörde: Als exekutive Kraft sollte ein „Board“ unter der Leitung eines Präsidenten arbeiten. Für die Interessen der Unternehmen, Arbeitnehmer und Regierungen war ein „Konsultativorgan“ vorgesehen. Bei der Verletzung nationaler Belange sollten die Mitgliedsstaaten zudem ein “Vermittlungs- und Schiedsorgan“ hinzuziehen können, welche als Berufungsmöglichkeit die Klage vor einem Gerichtshof anbieten würde.

Noch vor dem eigentlichen Verhandlungsbeginn am 20. Juni 1950 sah es aus, als würden die Beneluxregierungen die „Rolle“ des ausgeschiedenen Großbritanniens übernehmen und sich immer stärker für die Einflussstärkung der National-regierungen und die Begrenzung des supranationalen Charakters der hohen Behörde  aussprechen.[43]

Nur Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte am 23. Mai 1950 bei einer Unterredung mit Monnet die bindende Entscheidungskompetenz der Hohen Behörde ohne Zögern anerkannt. Die Bundesrepublik Deutschland war ohnehin zu diesem Zeitpunkt dem Besatzungsrecht unterworfen und verfügte nur über eingeschränkte Souveränität, weshalb es bedeutend leichter fiel, die Autorität der neuen europäischen Behörde zu akzeptieren, da sie schließlich die Möglichkeit bot, langfristig auf europäischer Ebene wieder als gleichberechtigter Partner behandelt zu werden. Italien stimmte aus den gleichen politischen Motiven zu, obwohl die wenig entwickelte Stahlindustrie Schwierigkeiten haben würde, mit den „neuen“ Konkurrenten mitzuziehen.[44]  

Der weitere Verhandlungsverlauf im Hinblick auf die letztendlich geschaffenen Organisationsstruktur der EGKS

Die Beneluxländer konnte Monnet dagegen nur am Verhandlungstisch halten, wenn er eine Kontrollinstanz für die Hohe Behörde zusicherte. So wurde als neue Verhandlungsgrundlage eine parlamentarische Versammlung und die Möglichkeit eines Misstrauensvotums hinzugefügt. Folglich sollte die Hohe Behörde einen jährlichen Rechenschaftsbericht ablegen, welcher das Parlament genehmigen musste oder andernfalls die Hohe Behörde abberufen konnte. [45]  Ebenfalls vorrangig auf Initiative der Beneluxländer wurde eine Beschränkung der Entscheidungsbefugnisse der Hohen Behörde durch die Errichtung eines Ministerrates eingeräumt. Dieser durfte von seinem Zustimmungsrecht für Entscheidungen der Hohen Behörde in solchen Fällen Gebrauch machen, in denen es unmittelbare Auswirkungen auf andere Wirtschaftsbereiche der Teilnehmerländer außerhalb des Kohle- und Stahlsektor geben könnte. [46]

Entscheidungs- oder Weisungsrechte hatte der Ministerrat nur in Krisenfällen, welche beispielsweise durch Überproduktion bzw. Mangelwirtschaft hervorgerufen wurden oder wenn die Hohe Behörde bei der Festsetzung von Höchst- und Mindestpreisen, sowie Zollsätzen untätig blieb und wiederum bei Beitrittsersuchen weiterer Staaten zur Vertragsgemeinschaft. Ein zugesichertes Anhörungsrecht eröffnete dem Ministerrat außerdem ein Podium für die eigene Meinungsäußerung vor jeder endgültigen Entscheidungsfindung durch die Hohe Behörde.[47]

Der Gerichtshof sollte die Funktionen eines Verfassungsgerichtes, Verwaltungsgerichtes und eine Entscheidungs- und Schlichtungsinstanz für Rechtsstreitigkeiten vereinen. Ein Klagerecht besaßen die Organe, sowie die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft, aber auch alle natürlichen und juristischen Personen.[48] Damit auch die Gewerkschaften, Interessenverbände der Arbeit-nehmer und Unternehmen sich nicht vollkommen ausgrenzt fühlen mussten, fügte man als weiteres Organ einen Beratungsausschuss hinzu, welcher Vorschläge direkt an die Hohe Behörde  weiterreichen konnte. [49]

Nachdem man sich über Struktur der Montanunion weitgehend geeinigt hatte, bildeten in der nächsten Phase der Verhandlungen die Anzahl der Mitglieder und die Stimmengewichtung in den einzelnen Organen Streitthemen. In Bezug auf die Hohe Behörde schrieb man die Anzahl der Mitglieder auf neun fest. Dabei bekamen Deutschland und Frankreich jeweils  zwei Plätze in der Hohen Behörde und jeweils ein Platz wurde durch die anderen Mitgliederstaaten für die Dauer von sechs Jahren besetzt. Die Ernennung dieser acht Mitglieder sollte im Einvernehmen mit allen Nationalregierungen geschehen. Ein „Anwärter“ auf den neunten Platz in der Hohen Behörde benötigte mindestens fünf Stimmen von den bereits gewählten acht Mitgliedern.[50]

Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Mitglieder der Hohen Behörde ihre Tätigkeit vollkommen unabhängig und nur zum Wohle der Gemeinschaft ausüben sollten. Im Gegensatz dazu verlieb die „personelle Besetzung“ des Ministerrates bei den Nationalregierungen, da sie selber einen Abgeordneten entsenden konnten und so mit einer Stimme vertreten waren.

Entscheidungen im Ministerrat sollten grundsätzlich durch den Mehrheitsbeschluss erfolgen, allerdings in Fällen, wo die Hohe Behörde, dessen Zustimmung benötigte, einigte man sich auf einen anderen Abstimmungsmodus. Die Zustimmung konnte somit nur dann erzielt werden, wenn aus mindestens einen der beiden Hauptproduzenten[51] und den anderen vier Mitgliedsstaaten eine Mehrheit gebildet werde konnte. Im Falle einer Stimmengleichheit würde die Hohe Behörde den Vorschlag nach zweiter Beratung, den Ministerrat nochmals vorlegen, allerdings würde dann alleine die Zustimmung der beiden Hauptproduzenten  reichen.[52]

Die Mitgliedszahl und der Wahlmodus der Gemeinsamen Versammlung waren  Streitpunkte, indem die Benelux-Staaten erneut Durchsetzungsfähigkeit bewiesen. Sie erhielten zusammen mit je zehn Sitzen für die Niederlande und Belgien, sowie vier Sitze für Luxemburg, ein größeres Gewicht, als jeder der drei Staaten Frankreich, Deutschland und Italien, welche jeweils mit achtzehn Sitzen vertreten waren. Zuvor neigte man unter „französischer Invention“ dazu, sich an den Quoten der Beratenden Versammlung des Europarats zu orientieren, wobei die Beneluxländer insgesamt neun Sitze weniger bekommen hätten. [53]

Eine von Deutschland und Frankreich befürwortete Direktwahl der Abgeordneten durch die Bevölkerung der Mitgliedsstaaten konnten die Beneluxländer ebenfalls verhindern, mit der Aussage, dass man ein solche Maßnahme für politisch verfrüht halte und sie für künftige Integrationsschritte offen stehen bleiben müsste.  

Der Gerichtshof sollte aus sieben Richtern bestehen, welche einvernehmlich von den nationalen Regierungen für die Dauer von sechs Jahren ernannt werden sollten. Die Mitgliederanzahl im Beraten Ausschuss konnte nach Bedarf variieren und war dagegen nur in einer Spanne zwischen 30 und 51 Mitglieder festgesetzt.[54]

 

 

 

 

Resümee

Ich denke, dass alleine die kritische Haltung der Beneluxstaaten in den Verhandlungen deutlich macht, wie schwer es letzten Endes gewesen sein muss, den Charakter der Supranationalität für die EGKS zu wahren. Nur durch ein wirksames Eingreifen Monnets und die Einbeziehung wichtiger Staatsmänner, allen voran Robert Schuman und Konrad Adenauer, ist ein halbwegs zufriedenstellendes Ergebnis einer Montanunion überhaupt möglich geworden. Zwar muss man gestehen, dass der Ursprungsentwurf in vielen Punkten starke Abänderung erfahren musste, allerdings würde ich kein so hartes Urteil fällen, wie u.a. Trausch in seinen Ausführungen. Er spricht davon, dass durch ein „Trompetenstoß“ mit der Supranationalität große Erwartungen aufgeweckt wurden, letztendlich sei es aber nicht das revolutionäre Ereignis geworden, was die Ankündigung in der Schumanerklärung versprochen hätte. Ich stimme ihn in dem Punkt zu,  dass die Hohe Behörde auf Betreiben der  Beneluxländer durch die Ermächtigungen eines Ministerrats abgeschwächt wurde, teile aber nicht die Ansicht, dass die Verhandlungen keinen Durchbruch zur Europäischen Föderation gebracht hätten.[55] Immerhin hatten sich die Mitgliedsstaaten im Vertrag verpflichtet, den überstaatlichen Charakter der Hohen Behörde zu achten und deren Mitglieder nicht bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu beeinflussen. In festgelegten Bereichen mussten die Mitgliedsstaaten die bindenden Beschlüsse der mit Mehrheit getroffenen Entscheidungen befolgen und haben so einen Teil ihrer nationalen Souveränität auf eine europäische Behörde verlagert. Brunn erläutert für mich schlüssig, dass „das Bestehen von Gegengewichten gegen die Hohe Behörde den Prinzipien der Machtkontrolle und demokratischer Legitimation folgte“.[56]

Auf dieser Grundlage wurden auch heutige europäische Institutionen aufgebaut, welche meines Erachtens ohne die Ideen Jean Monnets und seiner Gehilfen, nicht in dieser Gestalt verwirklicht worden wären, denn schon Schuman erkannte:

„Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.“ [57]

 

Literatur- und Quellenverzeichnis

 

·         Brunn, Gerhard: Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Stuttgart: Reclam 2002 (=Reclams Universalbibliothek; Nr. 17038).

 

·         Bührer, Werner (Hg.): Die Adenauer-Ära; Die Bundesrepublik Deutschland 1949-1963, München: R.Piper 1993 (Serie Piper Dokumentationen; Nr. 1744). 

 

·         Gruner, Wolf D.: Der Platz Deutschlands in Europa nach dem zweiten Weltkrieg aus der Sicht Jean Monnets (1940 -1952), in: Wilkens, Andreas (Hg.):  Interessen verbinden. Jean Monnet und die europäische Integration der Bundesrepublik Deutschland, Bonn: Bouvier 1999 (=Pariser historische Studien; Nr. 50); S.31-72.

 

·         Keller, Mathias: Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl: Ein idealistisch-europäisches Werk? Deutsche und französische Interessen bei der Gründung der Europäischen Union, Siegen: Scylda 2006 (=Schriftenreihe des Faches Politikwissenschaft).

 

·         Küsters, Hanns Jürgen: Die Verhandlungen über das institutionelle System zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, in: Schwabe, Klaus (Hg.):  Die Anfänge des Schuman-Plans 1950/51; Beiträge des Kolloquiums in Aachen, 28. - 30. Mai 1986, Baden-Baden: Nomus 1988 (Veröffentlichungen der Historiker-Verbindungsgruppe bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften; Nr. 2).

 

·         Monnet, Jean: Erinnerungen eines Europäers, München: Hauser-Verlag 1978.

 

·         Niess, Frank: Die europäische Idee - Aus dem Geist des Widerstands, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001 (=Edition Suhrkamp; Nr. 2160).

 

·         Pescatore, Pierre: Die Geschichte der europäischen Einigung zwischen Realität und Utopie, Baden-Baden: Nomus 2007 (=Schriftenreihe Europäisches Recht, Politik und Wirtschaft; Nr. 330).

 

·         Rheinisch, Thomas: Europäische Integration und Industrielles Interesse: die Deutsche Industrie und die Gründung  der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Stuttgart: Steiner 1999 (=Vierteljahrschrift        für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Beihefte; Nr. 152).

 

·         Trausch, Gilbert: Der Schuman-Plan zwischen Mythos und Realität. Der Stellenwert des Schuman-Planes, in: Rainer Hudemann, Hartmut Kaelbe, Klaus Schwabe (Hgg.): Historische Zeitschrift. Europa im Blick der Historiker, München 1995, S.105-128.

 

 

 

 

Anhang

 

Dokument 1:  Schuman, Robert: Regierungserklärung (9. Mai 1950) [1]

Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen. Der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, ist unerläßlich [sic!] für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen. Frankreich, das sich seit mehr als zwanzig Jahren zum Vorkämpfer eines Vereinten Europas macht, hat immer als wesentliches Ziel gehabt, dem Frieden zu dienen. Europa ist nicht zustande gekommen, wir haben den Krieg gehabt.

Europa läßt [sic!]  sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen. Die Vereinigung der europäischen Nationen erfordert, daß [sic!] der Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht wird. Das begonnene Werk muß [sic!]  in erster Linie Deutschland und Frankreich erfassen.

Zu diesem Zwecke schlägt die französische Regierung vor, in einem begrenzten, doch entscheidenden Punkt sofort zur Tat zu schreiten. Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offensteht.

Die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion wird sofort die Schaffung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung sichern – die erste Etappe der europäischen Föderation – und die Bestimmung jener Gebiete ändern, die lange Zeit der Herstellung von Waffen gewidmet waren, deren sicherste Opfer sie gewesen sind.

Die Solidarität der Produktion, die so geschaffen wird, wird bekunden, daß [sic!]  jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich ist. Die Schaffung dieser mächtigen Produktions-gemeinschaft, die allen Ländern offensteht, die daran teilnehmen wollen, mit dem Zweck, allen Ländern, die sie umfaßt, [sic!]  die notwendigen Grundstoffe für ihre industrielle Produktion zu gleichen Bedingungen zu liefern, wird die realen Fundamente zu ihrer wirtschaftlichen Vereinigung legen.

Diese Produktion wird der gesamten Welt ohne Unterschied und Ausnahme zur Verfügung gestellt werden, um zur Hebung des Lebensstandards und zur Förderung der Werke des Friedens beizutragen. Europa wird dann mit vermehrten Mitteln die Verwirklichung einer seiner wesentlichsten Aufgaben verfolgen können: die Entwicklung des afrikanischen Erdteils. So wird einfach und rasch die Zusammenfassung der Interessen verwirklicht, die für die Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft unerläßlich [sic!] ist und das Ferment einer weiteren und tieferen Gemeinschaft der Länder einschließt, die lange Zeit durch blutige Fehden getrennt waren.

Durch die Zusammenlegung der Grundindustrien und die Errichtung einer neuen Hohen Behörde, deren Entscheidungen für Frankreich, Deutschland und die anderen teilnehmenden Länder bindend sein werden, wird dieser Vorschlag den ersten Grundstein einer europäischen Föderation bilden, die zur Bewahrung des Friedens unerläßlich ist. Um die Verwirklichung der so umrissenen Ziele zu betreiben, ist die französische Regierung bereit, Verhandlungen auf den folgenden Grundlagen aufzunehmen: Die der gemeinsamen Hohen Behörde übertragene Aufgabe wird sein, in kürzester Frist sicherzustellen:

die Modernisierung der Produktion und die Verbesserung der Qualität, die Lieferung von Stahl und Kohle auf dem französischen und deutschen Markt sowie auf dem aller beteiligten Länder zu den gleichen Bedingungen, die Entwicklung der gemeinsamen Ausfuhr nach den anderen Ländern, den Ausgleich im Fortschritt der Lebensbedingungen der Arbeiterschaft dieser Industrien.

Um diese Ziele zu erreichen, müssen in Anbetracht der sehr verschiedenen Produktionsbedingungen, in denen sich die beteiligten Länder tatsächlich befinden, vorübergehend gewisse Vorkehrungen getroffen werden, und zwar: die Anwendung eines Produktions- und Investitionsplanes, die Einrichtung von Preisausgleichsmechanismen und die Bildung eines Konvertierbarkeits-Fonds, der die Rationalisierung der Produktion erleichtert. Die Ein- und Ausfuhr von Kohle und Stahl zwischen den Teilnehmerländern wird sofort von aller Zollpflicht befreit und darf nicht nach verschiedenen Frachttarifen behandelt werden. Nach und nach werden sich so die Bedingungen herausbilden, die dann von selbst die rationellste Verteilung der Produktion auf dem höchsten Leistungsniveau gewährleisten.

Im Gegensatz zu einem internationalen Kartell, das nach einer Aufteilung und Ausbeutung der nationalen Märkte durch einschränkende Praktiken und die Aufrechterhaltung hoher Profite strebt, wird die geplante Organisation die Verschmelzung der Märkte und die Ausdehnung der Produktion gewährleisten. Die Grundsätze und die wesentlichen Vertragspunkte, die hiermit umrissen sind, sollen Gegenstand eines Vertrages werden, der von den Staaten unterzeichnet und durch die Parlamente ratifiziert wird. Die Verhandlungen, die zur Ausarbeitung der Ausführungsbestimmungen unerläßlich [sic!]  sind, werden mit Hilfe eines Schiedsrichters geführt werden, der durch ein gemeinsames Abkommen ernannt wird. Dieser Schiedsrichter wird darüber zu wachen haben, daß [sic!] die Abkommen den Grundsätzen entsprechen, und hat im Falle eines unausgleichbaren Gegensatzes die endgültige Lösung zu bestimmen, die dann angenommen werden wird.

Die gemeinsame Hohe Behörde, die mit der Funktion der ganzen Verwaltung betraut ist, wird sich aus unabhängigen Persönlichkeiten zusammensetzen, die auf paritätischer Grundlage von den Regierungen ernannt werden. Durch ein gemeinsames Abkommen wird von den Regierungen ein Präsident gewählt, dessen Entscheidungen in Frankreich, in Deutschland und den anderen Teilnehmerländern bindend sind. Geeignete Vorkehrungen werden Einspruchsmöglichkeiten gegen die Entscheidungen der Hohen Behörde gewährleisten. Ein Vertreter der Vereinten Nationen bei dieser Behörde wird damit beauftragt, zweimal jährlich einen öffentlichen Bericht an die Organisation der Vereinten Nationen zu erstatten, der über die Tätigkeit des neuen Organismus, besonders was die Wahrung seiner friedlichen Ziele betrifft, Rechenschaft gibt.

Die Einrichtung einer Hohen Behörde präjudiziert in keiner Weise die Frage des Eigentums an den Betrieben. In Erfüllung ihrer Aufgabe wird die gemeinsame Hohe Behörde die Vollmachten berücksichtigen, die der Internationalen Ruhrbehörde übertragen sind, ebenso wie die Verpflichtungen jeder Art, die Deutschland auferlegt sind, solange diese bestehen.

 

Quelle: Minister für Auswärtige Angelegenheiten Robert Schuman, Regierungserklärung, 9. Mai 1950, in: Fontaine, Pascal, Eine neue Ordnung für Europa. Vierzig Jahre Schuman-Plan (1950-1990), Luxemburg 1990, S. 46-48.

Verfügbarkeit im Internet:

[Abruf 06-09-2010 14:35Uhr]



[1] Europäische Gemeinschaft für Kohle- und Stahl

[2] Keller 2006, S. 3.

[3] Organisation for European Economic Cooperation

[4] Rheinisch 1999, S. 10.

[5] Pescatore 2007,  S.18/19. + Niess 2001,  S. 230.

[6] Gruner 1999, S. 61. + Rheinisch 1999, S. 10.

[7] Vgl. Pescatore 2007, S. 19.

[8] Brunn 2002, S. 64-66 + Rheinisch 1999, S. 12.

[9] Monnet 1978, S. 375.

[10] Gruner 1999, S. 47/48.

[11] Brunn 2002,  S. 73. +  Gruner 1999, S. 62.

[12] Keller 2006,  S. 6/7.

[13] Brunn 2002, S.61/62 + Keller 2006, S. 7.

[14] Keller 2006 S. 7.

[15] Rheinisch 1999, S. 13.

[16] Küsters S. 1988, S. 73/74.  + Brunn S.74.

[17] Küsters S. 1988, S. 74.

[18] Küsters 1988, S. 74. + Keller 2006, S. 11.

[19] Brunn 2002,  S.74/75.

[20] Küsters 1988, S.74.

[21] Bührer 1993,  S. 54.

[22] Keller 2006, S.8 + Küsters 1988 S. 74.

[23] Vgl. Küsters 1988, S. 74.             

[24] Vgl. Küster 1988, S.74/75.

[25] Vgl. Gruner 1999, S.65.

[26] Brunn 2002, S. 78.

[27] Brunn 2002, S. 78/ 79.

[28] Vgl. Dokument 1 + Vgl. Gruner 1999, S. 66.

[29] Vgl. Dokument 1

[30] Brunn 2002, S. 81/82.

[31] Vgl. Dokument 1

[32] Vgl. Dokument 1

[33] Vgl. Dokument 1

[34] Vgl. Dokument 1

[35] Küsters 1988, S. 77.

[36] Brunn 2002, S. 79.

[37] Brunn 2002 S. 76.

[38] Brunn 2002,  S. 81.

[39] Vgl. Brunn 2002, S. 64-66. + Rheinisch 1999, S.12.

[40] Küsters 1988, S. 78. + Brunn 2002,  S. 81/82.

[41] Vgl. Küsters 1988, S. 79.

[42] Küsters 1988, S. 79.

[43] Vgl. Küsters 1988, S. 79.

[44] Brunn 2002, S. 80ff. + Küster S. 78/79.

[45] Küsters 1988, S. 79/80.

[46] Küsters 1988, S. 91.

[47] Küsters 1988, S. 92.

[48] Küsters 1988, S. 94/95.

[49] Küsters 1988, S. 92/93.

[50] Küsters 1988, S.97.

[51] Mitgliedstaat, welcher 20% des Gesamtwertes der gemeinsamen Kohle- und Stahlproduktion beisteuerte (d.h. Frankreich oder Deutschland)

[52] Küsters 1988, S. 98

[53] Küsters 1988, S. 98

[54] Küsters 1988, S. 99

[55] Vgl. Trausch 1995, S. 126.

[56] Vgl. Brunn 2002, S. 83.

[57] Vgl. Dokument1


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