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Sonstige
Geschichte / Historik

Universität Rostock

2010

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Der Reinheitsmythos im
Nationalsozialismus


„Das Regime des Nationalsozialismus war die größte, selbstverschuldete und zugleich die

unbegreiflichste Tragödie in der deutschen Geschichte.“[1] Die Nationalsozialisten[2] errichteten

eine totalitäre Diktatur. Sie waren für zahllose Verbrechen an ethnischen, sozialen und

politischen Minderheiten verantwortlich.

Die nationalsozialistische Ideologie war eine Sammlung von Wertvorstellungen, Leitbildern

und Überzeugungen. „Die Kernpunkte sind: das Führerprinzip, die Überwindung der verschiedenen Klassen innerhalb der Gesellschaft mit dem Ziel der Volksgemeinschaft, die Rassendiskussion, der Antisemitismus, die Blut-und-Boden-Ideologie, chauvinistische Ideen, die Auffassung des Lebens als eines ewigen Kampfes, zurückgreifend auf sozialdarwinistisches Gedankengut, innerstaatliche Feindbilder, außenpolitische Gegner sowie das Ziel der Expansion zum Zwecke der Weltherrschaft“[3]

Die Nationalsozialisten wollten „Reinheit“, sie wollten eine vollkommene Volksgemeinschaft, einen erbbiologisch und rassisch idealen Volkskörper hervorbringen.

„Reinheit“ - Wie definiert sich „Reinheit“?

Pollution/purity norms serve clear sociological and biological purposes, reinforcing the boundaries of the community, ensuring the survival of the group, reinforcing principals of health, and assisting individuals to cope ritually with life crises.[4]

Wir verbinden Reinheit mit Anständigkeit, Fleckenlosigkeit, Gepflegtheit, Hygiene, Jungfräulichkeit, Keuschheit, Klarheit, Makellosigkeit, Ordnung, Reinlichkeit, Sauberkeit, Unberührtheit oder Unschuld. Je nach Gesellschaftsform und Gemeinschaft existieren unterschiedliche Konzepte von Reinheit. In allen Religionen der Welt spielt der Begriff Reinheit eine elementare Bedeutung.

Der Begriff Reinheit steht immer im Zusammenhang mit Unreinheit. Die Ideologie von Reinheit und Unreinheit ist ein wichtiger Bestandteil für die Gruppenzugehörigkeit und soziale Bindungen. Die Bedeutung des Reinheitsbegriffs liegt darin, dass „er – je nach Bedarf – dazu dient, Abgrenzungen vorzunehmen und bestimmten Grundsätzen die Aura der ‚Wahrheit‛ zu verleihen, gegen die das Unreine als unwahr gilt.“[5]

Mary Douglas, deren Abhandlungen richtungsweisend sind, konzentriert sich auf den Begriff des Unreinen:

Die Vorstellung einer Verunreinigung ergibt nur einen Sinn im Zusammenhang mit einer umfassenden Denkstruktur, deren Hauptstützen, Grenzen, Randbereiche und inneren Unterteilungen durch Trennungsrituale aufeinander bezogen sind.[6]

Michael Stausberg verwendet den Begriff Reinheit als Instrument der Grenzziehung.[7] Christina von Braun komplementiert dies:

Was sich letztlich hinter der Reinheit verbirgt, ist eine Definition von dem, was die Gemeinschaft zu einer ‚Einheit‛ werden lässt. Es sind Gesetze, die die Gemeinsamkeit ebenso betonen wie den Ausschluss von allem oder allen, die als ‚unrein‛ oder als verunreinigend bezeichnet werden.[8]

Reinheit hat ein enormes Machtpotenzial. James J. Preston erläutert, „dass Richtlinien zur Reinheit und Unreinheit ideologische und soziale Systeme innerhalb einer Gesellschaft symbolisieren.“[9] Wir alle kennen den Werbeslogan, dass die Wäsche „nicht nur sauber, sondern rein“[10] sein soll. Für die Rassenwäsche in vielen Konzentrationslagern wurde das Waschmittel Zyklon B eingesetzt. „Reinheit“ im Nationalsozialismus verbinden wir mit Begriffen wie Rassenhygiene, „Ethnische Säuberung“ und Euthanasie.Ethnische Säuberung“ beschreibt einen Prozess der Zwangsumsiedlung beziehungsweise des Völkermordes von Menschen aus ethnischen, politischen oder religiösen Gründen aus einer Gesellschaft.

Neben der Massentötung von Juden sowie Sinti und Roma gibt es zahlreiche Beispiele für „Ethnische Säuberungen“ in der Geschichte, beispielsweise die „Säuberung“ der Armenier durch die Türken, die Kambodschaner unter den Roten Khmer, im ehemaligen Jugoslawien sowie die Tötung der Tutsi-Minderheit durch die Hutu-Mehrheit in Ruanda 1994. Während Völkermord weltweit als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt ist, sind es „Ethnische Säuberungen“ nicht.

Nach der Machtübernahme 1933 propagierten die Nationalsozialisten, dass die Juden die Schuld an der Niederlage des Ersten Weltkrieges hatten.

Sie führten einen Propagandafeldzug, indem sie eine Dämonisierung der Juden vornahmen und gleichzeitig die Deutschen als Arier glorifizierten. Sie entwarfen „Aktionen“ zur „Reinigung“ des Landes von Juden, Zigeunern, Slawen und Homosexuellen.

In Adolf Hitlers Grundlagenwerk „Mein Kampf“ ist vielfach die Rede von „rassischer Reinheit“ sowie der „Reinheit des Blutes“:

Die Folge dieses in der Natur allgemein gültigen Triebes zur Rassenreinheit ist nicht nur die scharfe Abgrenzung der einzelnen Rassen nach außen, sondern auch ihre gleichmäßige Wesensart in sich selber.[11]

Der Arier gab die Reinheit seines Blutes auf und verlor dafür den Aufenthalt im Paradiese, das er sich selbst geschaffen hatte. Er sank unter in der Rassenvermischung, verlor allmählich immer mehr seine kulturelle Fähigkeit, bis er endlich nicht nur geistig, sondern auch körperlich den Unterworfenen und Ureinwohnern mehr zu gleichen begann als seinen Vorfahren.[13]

Die verlorene Blutsreinheit allein zerstört das innere Glück für immer, senkt den Menschen für ewig nieder, und die Folgen sind niemals mehr aus Körper und Geist zu beseitigen.[14]

Seit dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hatte der Begriff der Rassenhygiene tiefe Wurzeln in Deutschland. Der deutsche Eugeniker Alfred Ploetz führte den Begriff der Rassenhygiene ein. Eine wesentliche Grundlage der Rassenhygiene ist der Sozialdarwinismus.

Fachleute kritisierten in Deutschland den Geburtenrückgang, die Urbanisierung, die Armut, die Kriminalität sowie die Ausbreitung von Krankheiten, sie nahmen an, dass sich minderwertiges Erbgut stärker vermehren könnte, als wertvolles. Der Verlust von fast zwei Millionen deutschen Männern im Ersten Weltkrieg verschärfte die Ängste der Bevölkerung und spornte neues Interesse in der Genetik und Eugenik als Weg zur Erlösung.

In der Zeit des Nationalsozialismus verkaufte ein Großteil der deutschen Ärzteschaft ihre Seele an die NSDAP, sie war Befürworter der „Rassenhygiene“ beziehungsweise Eugenik.

Mit ihren Ideen und Techniken unterstützen sie die Rassengesetzte und den Reinheitsgedanken, die deutsche Gesellschaft zu „säubern“ von Menschen, die eine biologische Bedrohung für die Nation und Gesundheit des Volkes sind. Die „Enzyklopädie des Nationalsozialismus“ leitet den Artikel zur Medizin wie folgt ein:

Die Nationalsozialisten verfolgten eine ‚biomedizinische Vision‛ (R. Lifton); sie wollten die soziale Frage medizinisch lösen (K. Dörner). Ihre Gesundheitspolitik war ein wichtiger Bestandteil der biologistischen Ideologie.[15]

[…] die Rasse in den Mittelpunkt des allgemeinen Lebens zu setzen. Er hat für ihre Reinerhaltung zu sorgen. Er hat das Kind zum kostbarsten Gut eines Volkes zu erklären. Er muß dafür Sorge tragen, daß nur, wer gesund ist, Kinder zeugt; daß es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen […].[16]

Am 14. Juli 1933 verabschiedete die deutsche Regierung das Gesetz „Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses“. Im Rahmen des Gesetzes sollten Menschen sterilisiert werden, die an genetischen Krankheiten leiden, wie beispielsweise:

angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, erblicher Fallsucht, erblichem Beitstanz (Huntingtonsche Chorea), erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, schwerer erblicher körperlicher Mißbildung.[17]

„Rassenschande“[19] war ein prävalenter Propagandabegriff mit dem Beziehungen zwischen Juden und deutschen Staatsangehörigen angeprangert wurden. Im „Gesetz zum Schutze des Deutschen Blutes und der Deutschen Ehre“ vom 15. September 1935 wurden Eheschließungen zwischen Juden und „Deutschblütigen“ verboten.

Argumentiert wurde, „daß die Reinheit des deutschen Blutes die Voraussetzung für den Fortbestand des Deutschen Volkes ist.“[20] Die Strafmaßnahmen des Gesetzes waren sehr unspezifisch. Zwischen 1935 und 1943 wurden 2.211 Männer wegen „Rassenschande“ verurteilt.[21] Die Anzahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren, meistens durch Denunziationen initiiert, war erheblich höher.

Das zwischen 1935 bis 1939 eingeführte Euthanasieprogramm repräsentiert den zweigleisigen Versuch zur Verwirklichung „rassischer Reinheit“ zum einem innerhalb der arischen Rasse und zum anderen zur Verhinderung der Verunreinigung durch andere, vermeintlich gefährliche Rassen. Die Opfer der Rassenhygiene waren physisch, psychisch, sensorisch und besonders geistig behinderte, so genannte „Asoziale“ und „Fremdrassige“.

Schließlich fanden die rassenhygienischen Maßnahmen ihren Höhepunkt in der Vernichtung. Mit der Kinder-Euthanasie wurde am 18. August 1939 die Tötung von mindestens 5000 erbkranken und kognitiv oder körperlich beeinträchtigten Säuglingen und Kindern eingeleitet. Wenig später folgte die Erwachsenen-Euthanasie, in der etwa 70.000 Bewohner ermordet wurden. Im Zusammenhang mit der Entscheidung über die „Endlösung der Judenfrage“ 1941 wurden behinderte Menschen, sowohl jüdische, als auch Arier, Opfer der ersten großen systematischen Massenmordaktion des nationalsozialistischen Regimes.

Unter Berücksichtigung dieser „Aktionen“, durch die die soziale Frage restlos gelöst werden sollte, kann von einer „biomedizinischen Vision“ gesprochen werden. Die Rasse-Hygienemaßnahmen spielten eine Schlüsselrolle im Nationalsozialismus, sie begannen mit der Massenproduktion Sterilisation der „Erbkranken“ und endete mit der Beinahe-Vernichtung des europäischen Judentums.


Literaturverzeichnis

o   Becker, Peter E.: Zur Geschichte der Rassenhygiene. Wege ins Dritte Reich. Stuttgart/New York 1988.

o   Benz, Wolfgang; Graml, Hermann; Weiß, Hermann (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. München 19983.

o   Douglas, Mary: Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu. Berlin 1985.

o   Essner, Cornelia: Die „Nürnberger Gesetze“ oder die Verwaltung des Rassenwahns 1933‑1945. Paderborn 2002.

o   Harten, Hans-Christian; Neirich, Uwe; Schwerendt, Matthias: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reiches. Bio-bibliographisches Handbuch. Hannover 2006.

o   Henke, Klaus-Dieter: Tödliche Medizin im Nationalsozialismus. Von der Rassenhygiene zum Massenmord. Köln 2008.

o   Hitler, Adolf: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. Ungekürzte Ausgabe. Erster Band: Eine Abrechnung. Zweiter Band: Die nationalistische Bewegung. München172-173 1936.

o   Jung, Michael: Liederbücher im Nationalsozialismus. Band 1: Darstellung. Frankfurt a. M. 1989.

o   Koch, Thomas: Zwangssterilisation im Dritten Reich. Das Beispiel der Universitätsfrauenklinik Göttingen. Frankfurt a. M. 1994.

o   Müller-Hill, Benno: Tödliche Wissenschaft. Die Aussonderung von Juden, Zigeunern und Geisteskranken 1933-1945. Berlin 1989.

o   Preston, James J.: Purification. In: Jones, Lindsay (Hrsg.): Encylopedia of Religion, Bd. 11, Detroit 2005.

o   Proctor, Robert N.: Racial Hygiene. Medicine under the Nazis. Cambridge 1988.

o   Przyrembel, Alexandra: „Rassenschande“. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus. Göttingen 2003.

o   Rost, Karl Ludwig: Sterilisation und Euthanasie im Film des „Dritten Reiches“. Nationalsozialistische Propaganda in ihrer Beziehung zu rassenhygienischen Maßnahmen des NS-Staates. Husum 1987.

o   Stausberg, Michael: Rein und unrein. In: Religion in Geschichte und Gegenwart VII. Stuttgart 2004, S. 239-240.
Turda, Marius; Weindling, Paul (Hrsg.): „Blood and Homeland” Eugenics and Racial Nationalism in Central and Southeast Europe, 1900-1940. Budapest/New York 2007.

o   Vasold, Manfred: Medizin, In: Benz, Wolfgang; Graml, Hermann; Weiß, Hermann (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Stuttgart 1997, S. 235-250.

o   Von Braun, Christina: Zum Begriff der Reinheit. In: Metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis, Nr. 11, 1997, S. 7-25.
documentArchiv.de [Hrsg.], URL: Stand: 01.05.2010.

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[1] Vgl. Klose, Dirk: Tiefpunkt deutscher Geschichte. Der Bundestag gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament, Nr. 05/06, 2006, S. 1.

[3] Jung, Michael: Liederbücher im Nationalsozialismus. Band 1: Darstellung. Frankfurt a. M. 1989, S. 15f.

[4]Preston, James J.: Purification. In: Jones, Lindsay (Hrsg.): Encylopedia of Religion, Bd. 11, Detroit 2005,
S. 7510.

[5]Von Braun, Christina: Zum Begriff der Reinheit. In: Metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis, Nr. 11, 1997, S. 6.

[6]Douglas, Mary: Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu. Berlin 1985, S. 60.

[7] Vgl. Stausberg, Michael: Rein und unrein. In: Religion in Geschichte und Gegenwart VII. Stuttgart 2004,
S. 239.

[8]Von Braun, Christina: Zum Begriff der Reinheit. In: Metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis, Nr. 11, 1997, S. 9.


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