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Universität Zürich Deutsches Seminar

Basismodul 155: Einführung in die diachrone Sprachwissenschaft

HS 16

Der Ratgeber
Wie sich eine Textsorte im Laufe der Zeit verändert Chronologische Einordnung dreier Quellen der Textsorte
RatgeberSprachhistorisch Einordnung 

18 16

8032 Zürich 8630 Rüti

1. Einleitung

In Zusammenhang mit dem Basismodul 155, Einführung in die diachrone Sprachwissenschaft Teil 2, werden in dieser Partnerarbeit drei Quellen anhand der sprachgeschichtlichen Darstellung von von Polenz sprachhistorisch eingeordnet. Zur Analyse der Quellen dienen die Kapitel 4 und 5 aus Peter von Polenz Geschichte der deutschen Sprache (2009).

Die Quellen werden anhand von Merkmalen wieTextsorte, Graphie, Interpunktion, Morphologie, Lexik und Semantik untersucht. Weiter werden aussergewöhnliche und vor allem von der heutigen Standardsprache abweichende Eigenschaften hervorgehoben. Nach der Beschreibung der Eigenschaft der Quellen werden diese chronologisch der Reihe nach angeordnet und mit annähernden Jahreszahlen eines möglichen Entstehungsdatums versehen.

2. Analyse

2.1 Quelle 1: Bei Einladungen und Besuchen

Die erste Quelle mit dem Titel Bei Einladungen und Besuchen erfüllt den Zweck, die Leserschaft sowohl darin zu unterweisen, wie man sich als Gastgeberin bei Besuch zu verhalten hat, als auch wie man sich selbst als Gast in einer (gewohnten oder fremden) Gesellschaftsumgebung einzufügen hat.

Der Text erfüllt weiter also eine Ratgeberfunktion, was uns veranlasst, die Textsorte als ebendiesen Ratgeber zu klassifizieren. Auf den ersten Blick kann die Quelle in vier Elemente aufgeteilt werden – die ersten drei davon sind von grösserer Wichtigkeit als das vierte:

  1. Titel

  2. Haupttext

  3. Illustration eines Mädchens mit einem Kaktus in der Hand

  4. Seitenzahl

Der Titel ist kursiv geschrieben. Der Text besteht aus sieben Paragraphen, wobei der erste Paragraph eine Aufzählung von drei Vorstellungsszenarien einleitet. Das Mädchen links unten am Text ist eher simpel illustriert. Sie trägt hellblaue kniehohe Stiefel, eine blaue Tasche und ein hellblaues Kopftuch.

Ihre Jacke ist grau, ihr Rock weiss und ihre Strumpfhosen schwarz. Wie bereits erwähnt, trägt das Mädchen einen Kaktus in der Hand.

Bei genauerem Betrachten des Texts wird man auf die klare Gliederung durch Nummerierung und die häufige Verwendung von Doppelpunkten, insgesamt sieben Doppelpunkte, und Anführungszeichen aufmerksam. Der Text weist Anführungszeichen auf, die verwendet werden, um entweder wie bei „Darf ich bekannt machen?“ (Zeile 3) Beispiele für die angeführten Ratschläge zu geben, oder die an einer Stelle im Text in den Satz integriert werden, beispielsweise bei „sehr erfreut“ und „sehr angenehm“ (Zeile 22-23), und ansonsten mittels Doppelpunkt oder Gedankenstrich eingeleitet werden.

Anschliessend an den ersten Paragraphen werden drei Regeln für das Vermitteln von Bekanntschaften aufgeführt, deren Aufzählung anhand einer einfachen Nummerierung strukturiert ist.

Auf orthographischer Ebene stellt man fest, dass im Text mehrmals ß verwendet wird anstelle des in der Schweiz gebräuchlichen Doppel-s. Das kann bedeuten, dass der Schreiber aus dem bundesdeutschen Sprachraum stammt und sich an die jeweiligen orthographischen Regeln hält. Was aber ferner auffällt, ist die Schreibung der Konjunktion dass mit ß, also daß (Zeile 22).

Man kann also ausschliessen, dass dieser Text nach 1996 geschrieben wurde, da nach der Rechtschreibereform in eben diesem Jahr die alte Form nicht mehr als korrekt gilt und nur noch die Schreibweise mit Doppel-s gebraucht wird. Des Weiteren fällt hinsichtlich der Graphie auf, dass kürzere Substantive wie Klippe (Zeile 1), substantivierte Verben dasVorstellen (Zeile 1) und substantivierte Adjektive die Jüngeren (Zeile 5) einen grossgeschriebenen Anfangsbuchstaben aufweisen.

Ausserdem wird sowohl das als Anrede verwendete Possessivpronomen Ihnen (Zeile 11) als auch jedes Wort, das am Satzanfang steht, grossgeschrieben. Die Grossschreibung weicht demnach nicht von der heutigen Schreibweise ab.

Was die Syntax betrifft, stellt man fest, dass der Grossteil des Textes in der 2. Person Singular geschrieben ist. Sätze wie wird dir ein junger Herr vorgestellt, so bleibst du sitzen (Zeile 18) lassen sich häufig finden. Die Verwendung des Personalpronomens du lässt den Text zwar persönlicher wirken, bringt aber auch ein Hierarchieverhältnis zwischen Autor und Leser zum Ausdruck – der Autor spricht direkt zum Leser. In Kombination mit Modalverben wie müssen oder können werden etwaige Notwendigkeiten, beziehungsweise Variabilitäten einiger Möglichkeiten untermalt.Es fällt auch auf, dass Verben häufig imperativisch verwendet werden, beispielsweise im Satz „Nenne dazu deinen vollen Namen“ (Zeile 17),was dem Text eine befehlende Wirkung verleiht.

Einen noch höheren Grad an Verallgemeinerung weisen die drei Regeln für das Vermitteln einer Bekanntschaft auf – diese werden in der Passivform beschrieben.

2.2 Quelle 2: Wie man sich beim Tanzen verhalten soll

Beim ersten Betrachten fällt bei der zweiten Quelle der grosse Raum, den die drei Titel einnehmen, auf. Zuoberst steht Anleitung, gefolgt von das neunde (sic) Hauptstücke. Danach liest man den dritten Titel Wie man sich ben (sic) Tanzen verhalten sol (sic). Die Quelle ist in Titel und Text aufgeteilt, wobei es drei Titel gibt und der Text in zwei Paragraphen unterteilt ist.

Der erste Paragraph wird mit einem drei Zeilen hohen N begonnen, das, wie der Rest des Texts, in alter deutscher Schrift (Frakturschrift) geschrieben ist. Inhaltlich zeigt der Text Schritt für Schritt auf, wie man sich beim Tanzen zu verhalten hat. Ebendiese Struktur legt nahe, dass der Text – wie aus dem Titel zu entnehmen ist – über einen anleitenden Charakter verfügt, doch nichtsdestotrotz immer noch als Ratgeber eingestuft werden kann. 

Ausserdem wird bei nuhn (Zeile 9) und nuhr (Zeile 19) ein Dehnungs-h eingesetzt, um einen Langvokal zu markieren. Hingegen werden si (Zeile 12)„si“ und wi (Zeile 16) „wi“ ohne Dehnungs-e geschrieben. Am auffälligsten jedoch sind die anderen Vokalen hochgestellten Vokale, zum Beispiel gefůeret wůerd (Zeile 7-8).

Die Syntax betreffend fällt auf, dass der gesamte Text im Passiv geschrieben ist. Es werden im Text keine Personalpronomen verwendet. Diese indirekte, unpersönliche Art zu formulieren lässt dem Text einen weniger beratenden Charakter zukommen – vielmehr dient er als einfache Hilfestellung.

Des Weiteren ist die besondere Stellung des Genitivs auffällig; dieser wird bei vorangestellt seiner Jungfrauen Hand (Zeile 18) vorangestellt und nicht wie im heutigen Standarddeutschen nachgestellt.


Quelle 4 zeichnet sich dadurch aus, dass sie, was ihren Aufbau betrifft, von einem Rahmen mit Verzierungsschnörkeln in allen vier Ecken umgeben ist. Unterhalb der oberen Seite des Rahmens, sieht man ein Band, das ebenfalls mit runden, symmetrischen, pflanzenartigen Illustrationen verziert ist.

Unter diesem Band steht der Titel der Quelle: Das Vorstellen. Der Text ist wie die zuvor analysierte Quelle in zwei Paragraphen gegliedert. Der erste Paragraph wird mit einem grossen, geschmückten H, das ebenfalls drei Zeilen hoch ist, begonnen. Auch diesem Text wohnt eine beratende Funktion inne; er dient als Ratgeber für das Verhalten in einem fremden Gesellschaftskreis.

Auf syntaktischer Ebene weist der Text keine Sätze im Imperativ auf. Dafür werden Sätze mit den Personalpronomen jemand, beziehungsweise niemand und er in der 3. Person Singular gebildet, was den Text universal und unpersönlich erscheinen lässt. In einem kurzen Teil ab Zeile 4 werden bis Zeile 10 Teilsätze im Passiv geschrieben, um die Folgen des Missachtens der im Text gegebenen Ratschläge zu beschreiben.

Der Text bedient sich ferner einer sehr gehobenen Wortwahl; Phrasen wie gestatten die Herrschaften (Zeile 17-18) oder So lange er dieser Form nicht genügt hat (Zeile 4-5X) sind zwar in der heutigen Zeit nicht völlig ungebräuchlich, werden aber dennoch kaum umgangssprachlich verwendet.

3. Fazit

Nach sorgfältiger Analyse der drei Quellen, beobachtet man, dass alle der selben Textsorte angehören. Weiter lässt sich aufgrund der beschriebenen Merkmale eine Chronologie der Quellen aufstellen. Die Tatsache, dass der Text in Quelle 1 mit der Times New Roman maschinell geschrieben und mechanisch gedruckt wurde, deutet darauf hin, dass die Quelle auf das 20. Jahrhundert zu datieren ist.

Aus dem Grund, dass die Konjunktion „dass“ noch mit ß geschrieben ist, kann man darauf schliessen, dass der Text nicht im 21. Jahrhundert verfasst wurde, da die neuste Rechtschreibereform noch nicht in Kraft getreten war. Betrachtet man den Inhalt, so lässt sich sagen, dass der Text ungefähr in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben wurde und somit die jüngste der von uns untersuchten Quellen darstellt.

Zeitlich kann diese Quelle ins 19. Jahrhundert eingestuft werden.

Quelle 2 ist die älteste der drei analysierten Quellen. Sie weist viele graphemische Eigenheiten, beziehungsweise Abweichungen von den anderen Quellen auf; es fehlt beispielsweise die Gemination beim Wort alein, die Wörter nuhr und nuhn besitzen ein ungewöhnliches Dehnungs-h.

Nicht alle diese auffälligen Schreibweisen werden konsequent umgesetzt. Dies kann man anhand der zwei verschiedenen Schreibweisen des Wortes „und“ betrachten.  Die Lexik dieser Quelle lässt vermuten, dass der Text im 18. Jahrhundert verfasst wurde.

Bibliographie

Polenz, Peter von (2009). Geschichte der deutschen Sprache. 10. Aufl. Berlin: de Gruyter, Kap. 4 und 5.



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