Interpretation
der Kurzgeschichte „Der Nachbar“ von Franz Kafka
In
der Kurzgeschichte „Der Nachbar“ von Franz Kafka aus dem Jahre 1917 geht es um
das Mistrauen eines jungen Selbstständigen gegenüber einem anderen Unternehmer.
Ein
aufstrebender Jungunternehmer erzählt zu Beginn von seinen Geschäften. Diese
verlaufen anscheinend relativ gut. Als jedoch die Nebenwohnung von einem Herrn
Harras gemietet wird, der ein Büro betreibt, wird der Jungunternehmer
misstrauisch. Durch Erkundigungen erfährt er, dass Harras ein ähnliches
Geschäft wie er selbst betreibt. Die Existenz eines möglichen Konkurrenten
verunsichert den Jungunternehmer total. Er beobachtet Harras und stellt in
seinem Verfolgungswahn Vermutungen an, dass sein Konkurrent ihm die Kunden
wegnimmt und ihm entgegenarbeitet.
Es
handelt sich bei dem vorliegenden Text um eine Kurzgeschichte, da dieser ohne
Einführung mitten in einer Situation beginnt und ein offenes Ende hat, das
offen für Interpretationen ist und dem Leser die Möglichkeit gibt, selbst einen
Schluss zu finden. Kafka hat den Text aus der Perspektive des „Ich-Erählers“
geschrieben. Grundsätzlich steht der Text im Präsens, jedoch benutzt der
Schreiber teilweise bei Rückschau Perfekt und Präteritum. Als sprachliches
Mittel ist in Zeile 8-9 die Anapher „Ich klage nicht, ich klage nicht.“ zu
finden. Außerdem benutzt Kafka in Zeile 40 die Metapher „Schwanz einer Ratte“
als sprachliches Ausdrucksmittel.
Der
Erzähler ist ein Mann, der anscheinend keine Probleme mit der Führung seines
kleinen Unternehmens hat. Die Textstelle „So einfach zu überblicken, so leicht
zu führen“ (Z.6-7) könnte einen Hinweis auf die Arbeit Kafkas bei einer
Versicherung geben, die dieser ebenfalls einfach und leicht fandt, wie aus
seiner Biografie bekannt ist. Jedoch scheint es so, dass es doch nicht alles so
einfach ist. Ansonsten würde er nicht betonen, dass er Nichts zu klagen hat
(vgl. Anapher (Z. 8-9)).Dies wird auch im weiteren Textverlauf klar, denn wie
kommt ein Mensch ansonsten dazu, so misstrauisch gegenüber anderen zu werden.
Von Kafka ist bekannt, dass er sich selbst gerne zurückzog und den Kontakt zu
anderen Menschen mied. Betrachtet man nun in der Geschichte die Begegnungen mit
dem neuen Nachbarn „Harras“ im Treppenhaus (Z.34-43), dann fragt man sich
automatisch: „Wie kann ein relativ fremder Mensch solche Ängste in einem
auslösen?“. Kafka überträgt meiner Meinung nach sein eigenes Mistrauen und
seine Existenzangst auf den Jungunternehmer in der Kurzgeschichte. Dies
veranschaulicht die Textstelle „Manchmal umtanze ich, die Hörmuschel am Ohr,
von Unruhe gestachelt, auf den Fußspitzen den Apparat und kann es doch nicht
verhüten, dass Geheimnisse preisgegeben werden.“ (Z.57-61). Außerdem könnte
Kafka mit der Angst des Jungunternehmers, dass ihm jemand entgegenarbeitet,
zeigen wollen, dass er ebenfalls diese Angst hat, da sein Vater ihm einen
ungeheuren Leistungsdruck gemacht hat und ihn so fast zum Selbstmord getrieben
hat. Mit der Textstelle „ ehe ich die Hörmuschel aufgehängt habe, ist er
vielleicht schon daran, mir entgegenzuarbeiten.“ (Z.81-82).
Zusammenfassen
kann man sagen das Kafka mit dieser Geschichte möglicherweise seine Ängste und
die Dominanz seines Vaters widerspiegelt. Aus meiner Sicht hatte Kafka wenig
Selbstwertgefühl. Er lies sich ständig vom Vater in bestimmte Rollen drängen.
Kröger