Der heimliche Aufbruch zur Quelle –
Iweins Motive
Texteinführung:
Während einem Pfingstfest am Artushof
nutzt der Ritter Kalogreant die gesellige Runde unter den anderen
Artusrittern um ein „maere“ zu erzählen. Kalogreant berichtet,
dass er vor 10 Jahren ausgezogen war um sich auf aventiure zu
begeben. Ausführlich beschreibt er wie sein Weg ihm zu einer Burg
führte auf der man ihn herzlich empfing und gut bewirtete. Weiter
führte ihn die Reise zu einem grauenhaften Waldmenschen, dem er von
seiner Suche nach aventiure erzählte. Der Waldmensch wies dem
Artusritter den Weg zu einem Brunnen, an dem angeblich eine solches
Ereignis, wie er bei seiner aventiure sucht warten würde. Kalogreant
machte sich sofort auf den Weg zu besagtem Brunnen und tat was ihm
der Waldmensch beschrieben hatte. Er begoss einen Stein mit einer
Schüssel Wasser aus der Quelle. Daraufhin brach ein gewaltiges
Unwetter über der Lichtung aus und der zuvor wunderschöne Ort wurde
grausam und kahl. Als sich das Unwetter gelegt hatte sah Kalogreant
aus der Ferne einen mächtigen, erbosten Ritter auf sich zureiten.
Dieser machte kein Geheimnis um seine Kampfabsichten und griff den
Artusritter sofort an. Kalogreant verlor den Kampf und musste
schließlich ohne Pferd den Heimweg antreten. Iwein, Kalogreants
nächster Verwandter, erkennt in dieser Geschichte sofort die Schmach
welche Kalogreant zugefügt wurde und beschließt auch zum Brunnen
aufzubrechen und dessen Ehre wiederherzustellen. Keii, ein
Artusritter vorspottet dieses vorhaben jedoch. Als König Artus die
Geschichte erfährt, beschließt auch er mit seinen Rittern zu dem
Brunnen aufzubrechen und setzt dafür eine Frist von 14 Tagen an.
Doch Iwein will ihm heimlich zuvorkommen und reitet alleine zu dem
Ort, dabei nimmt er die selbe Route wie zuvor auch Kalogreant. An dem
Brunnen angekommen begießt auch er den Stein, woraufhin wieder ein
Unwetter ausbricht und der Gegner abermals erscheint. Iwein kämpft
mit ihm und versetzt seinem Kontrahenten einen tödlichen Streich.
Der verwundete flüchtet jedoch zu seiner Burg und Iwein jagt ihm
hinterher. Zwar gelingt es ihm seinen Gegner zu töten, doch er gerät
zwischen zwei Toren der Burg in Gefangenschaft und verliert sein
Pferd.
Was ist „êre“:
Als Iwein die Geschichte seines Neffen
erfährt möchte er dessen Ehre wieder herstellen. Doch was hat man
im Mittelalter unter „êre“ verstanden ?
ïƒ In Zahlreichen Artusromanen ist von
ritterlichen Tugenden die Rede. Diese Tugenden lassen sich jedoch
nicht zu einem einheitlichen Katalog zusammenfügen, da viele Dichter
unterschiedliche ritterliche Tugenden und Leitmotive verwenden.
Allgemein tauchen jedoch im
Zusammenhang mit den ritterlichen Tugenden immer wieder 5 Begriffe
auf:
1. Triuwe
2. Mâze und staete
3. Milte
4. êre
5. zuht
Für Iwein scheint vor allem die Tugend
der êre eine herausragende Rolle im ritterlichen Selbstbild zu
spielen.
Definition: Der mittelhochdeutsche
Begriff „êre“ wird zur Beschreibung von Personen verwendet, die
gesellschaftliches Ansehen besitzen. Diese Eigenschaft wird
grundsätzlich erworben und kann jedoch innerhalb der
Verwandtschaftsverhältnisse Auswirkungen haben und sich übertragen.
Der Ritter legitimiert sich nicht durch adlige Geburt sondern durch
Leistung. Durch einen erfolgreichen Kampf wird ihm beispielsweise das
Ansehen der Gesellschaft zu teil.
Im Mittelalter definiert die „êre“
auch das Selbstbewusstsein und stellt eine abstrakte
Unverletzlichkeit dar, die sich nicht nur auf den Kampf sondern auch
die Persönlichkeit bezieht.
Textinterpretation:
Hartmann nutzt die Erzählung des
Ritter Kalogreant um die höfische Gruppe, ihre Denkweise sowie den
vorherrschenden internen Konkurrenzkampf der Artusritter
vorzustellen. Dies ist für die weitere Erzählung von Bedeutung,
denn anhand dieses Maßstabs wird sich später Iweins Handeln messen.
Sowohl die Artusritter, als auch Iwein
sind sich darüber einig, dass die gescheiterte aventiure und der
Konflikt mit Askalon eine ungelöste Auseinandersetzung darstellen.
Kalogerant jedoch scheint diese Meinung
nicht zu teilen, denn sonst hätte er nicht 10 Jahre lang über die
aventiure geschwiegen.
Iwein bewertet die Geschichte jedoch
anders als der Rest des Artushof.
Der Waldmensch fragt Kalogreant was
eine aventiure ist und der Artusritter gibt ihm eine Definition.
Dieser versteht zwar die Worte, jedoch nicht die Bedeutung, denn
außerhalb des Artushof scheint es die aventiure nicht zu geben.
Daraus entwickelt sich ein
Missverständnis und der Waldmensch weist den Artusritter an einen
Ort, wo keine aventiure sondern eine Fehde auf ihn warten. Denn der
Waldmensch interpretiert aventiure als kampforientierte
Auseinandersetzung zweier Parteien.
Kalogreant löst den folgenden Konflikt
am Brunnen also nicht beabsichtigt, sondern fälschlicher Weise aus,
da er glaubt auf einen gleichgesinnten Ritter mit aventiure-Absichten
zu treffen.
Mit dem begießen des Steins und dem
dadurch ausgelöstem Unwetter und der folgenden Verwüstung greift
Kalogreant also unwissend Askalons Land an. Damit setzt er unschuldig
den ersten Stein für eine Fehde. Ascalon hat nun im Gegensatz zu
dem Artusritter einen Grund für den Angriff und den folgenden Kampf.
Kalogreant wird also durch ein
Missverständnis zum grundlosen Aggressor und trägt die alleinige
Schuld am Kampf und der damit verbundenen Niederlage.
Ascalon, der als Siger hervorgeht,
genügt es seine Überlegenheit demonstriert zu haben und er behält
lediglich das Pferd des Artusritter ein und sieht von einer Tötung
ab, wodurch der Kampf eigentlich beendet ist.
Nicht nur Kalogreants zehnjähriges
Schweigen, sondern auch seine wertungslose Erzählweise geben
Auskunft darüber, dass der Ausgang der Geschichte für ihn selbst
nicht von Bedeutung ist. Auch bei den Adligen scheint die
gescheitere aventiure keine Folgen zu haben, weder am Artushof, noch
beim Burgherrn nimmt sein Ansehen Schaden, seine êre wird also nicht
angegriffen.
Das Scheitern der aventiure und der
verlorene Kampf gegen Ascalon scheinen auch keine Folgen für das
Ansehen des Ritters am Hofe zu haben. Denn selbst der spöttische
Keie macht keine Bemerkung darüber. Der Ausgang der Geschichte
spielt für sein Ansehen eine geringere Rolle als die Galantarie
(sein gutes und zuvorkommendes Verhalten) am Hofe. Dadurch lässt
sich schlussfolgern das Kalogrenants Ehre eigentlich gar nicht
verletzt ist und Iwein seine folgende Reise zum Brunnen und den
dortigen Kampf gegen den Brunnenhüter nur aus reiner
Selbstdarstellung antritt und somit ein egoistisches Motiv hat.
Unmittelbar nach Kalogreants Erzählung
kehrt Ich wein die Verwandtschaftsverhältnisse der beiden hervor und
beschließt nach dem damaligen Recht zu handeln. Später wird Iwein
sich darüber beklagen das Artus ihm genau diesen Rechtsanspruch
streitig machen will indem er mit seinem Gefolge zum Brunnen reiten
will.
Kalogreant erzählt seine Geschichte im
Kreise seiner Verwandten, Freunde und Getreuen. Diese beschließen,
dass es einem neuen Aufeinandertreffen am Brunnen und der König
beschließt innerhalb von 14 Tagen dorthin zu reiten.
Das der König sich über Iweins
Verwandtschaftsrecht hinwegsetzt verdeutlicht das alle außer Iwein
die Reise in erster Linie als erneute aventiure und nicht als Fehde
betrachten. Iweins oberste Priorität ist jedoch Rache zu nehmen für
die Schmach die Kalogreant angetan wurde.
Keie äußert sich Iweins Vorhaben
gegenüber spottend und wirft ihm vor sein Mut Rache nehmen zu wollen
käme nur von seiner Trunkenheit.
Diese verbale Verhöhnung in
Anwesenheit der Königin schädigt Iweins guten Ruf am Hofe. Durch
die stichelnden Worte von Keie wird auch der Konkurrenzkampf zwischen
den Artusrittern deutlich. Durch diesen ist Iweins Befürchtung zu
begründen, dass Gawein ihm im Kampf zuvor kommen könnte, weshalb er
auch beschließt alleine zum Brunnen zu reiten um sich dort zu
beweisen.
Iwein macht im Gegensatz zu Kalogreant
sein Vorhaben den Brunnenritter zu besiegen öffentlich, dadruch
erhöht sich der Druck und er verschärft seinen Zwang nach
Ehrbestätigung.
Durch den Befehl in 14 Tagen zum
Brunnen aufzubrechen weckt Artus bei den Rittern die Lust auf eine
aventiure. Für die Artusritter ist Mut der Anlass zum Brunnenritt.
Iweins Motive sind jedoch Recht und Ehrbestätigung unter der
Bedingung einer Fehde. Iweins Entschluss zeugt jedoch von purem
Egoismus und Eigennutz. Denn eigentlich steht er im Dienste des
Königs, diesem widersetzt er sich jedoch um seine eigene Ehre zu
beweisen.
Auch Iweins Frist von 3 Tagen betont
seine Fehdeabsicht. Seit Friedrich dem 1. Ist die 3 Tages Frist
gesetzlich den Fehderegeln zugeschrieben. Artus 14 tägige Frist
weist hingegen auf Turnierabsichten hin, was wiederum sein
Aufbruchsmotiv der aventiure bestätigen würde.
Iweins Alleingang lässt darauf
schließen, dass er den Kampf alleine, ohne die Hilfe der anderen
ausfechten will, um diese mit seinem Sieg dann vor vollendete
Tatsachen zu stellen.
Als Iweins sich auf den Weg zum Brunnen
macht erreicht auch er die Etappen die sein Neffe zuvor genannt hat.
Diese werden jedoch viel schneller abgearbeitet und es wird nicht so
ausführlich berichtet wie zuvor bei Kalogreant. Das macht deutlich
das nicht die Reise und das Erleben im Vordergrund steht sondern
einzig der bevorstehende Kampf.
Nach dem begießen des Steins erscheint
Askalon. Durch die gegenseitige Begrüßung machen beide ihre
Kampfabsichten klar. Hier handelt Iwein anders als Kalogreant, denn
beide Kontrahenten treffen nun mit den gleichen Erwartungen an einen
Kampf aufeinander, der Tod einer der beiden ist also nicht
ausgeschlossen.
Anders als Kalogreant fürchtet Iwein
seinen Gegner nicht, er ist sich seiner sicher.
Der Kampf verläuft zunächst
ausgeglichen und ehrenhaft, bis es Iwein gelingt den Brunnenhüter
mit einem Streich lebensgefährlich zu verletzten. Dieser versucht
sich jedoch in seine Burg zu retten. Iwein will seinen Gegner jedoch
nicht lebendig davonkommen lassen,
denn so hätte er keinen Siegesbeweis
für den Artushof und sein ganzes Unterfangen wäre umsonst gewesen.
Iwein jagt dem tödlichen Verwundeten also nach um sich später mit
einem Beweis am Artushof profilieren zu können.
Dass Iwein so schnell handelt und
Ascalon sofort verfolgt hängt auch mit der baldigen Ankunft der
übrigen Arrtusritter zusammen, Iwein will den Brunnenhüter
unbedingt alleine besiegen.
In seinem egoistischen Wahn nach dem
Erlang von Ehre schreckt Iwein auch vor Mord nicht zurück. Diese Tat
macht wiederum deutlich das es sich bei seinem Handeln nicht um eine
aventiure, sondern um eine Fehde handelt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
Iweins Motiv nicht ehrenhafter Natur ist, sondern von reinem Egoismus
kommt. Er nutzt Kalogreants gescheiterten Kampf um seine eigene
Selbstdarstellung und Ehre am Artushof zu verbessern.
Fehde ïƒ
Zustand der Feindschaft zwischen zwei Parteien, dient als Mittel um
das eigene Recht durchzusetzen