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Seminararbeit / Hausarbeit

Der Händedruck von Verdun: Fotoanalyse

2.275 Wörter / ~12 Seiten sternsternsternsternstern Autorin Dagmar S. im Jul. 2019
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Dokumenttyp

Seminararbeit
Geschichte / Historik

Universität, Schule

Justus-Liebig-Universität Gießen - JLU Giessen

Note, Lehrer, Jahr

13, Kejag, 2017

Autor / Copyright
Dagmar S. ©
Metadaten
Preis 5.30
Format: pdf
Größe: 1.28 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern
ID# 84135







Fotoanalyse

Der Händedruck von Verdun“


Inhalt

1.Einleitung 3

2.Die deutsch-französische Beziehung 4

3.Geste mit Symbolkraft 6

3.1Der Händedruck als historisches Referenzbild 7

3.2 Veröffentlichung und Wahrnehmung der Fotografie 9

4.Schluss 10

5.Abbildungsverzeichnis 11

6.Literaturverzeichnis 11


  1. Einleitung


Am 22.09.1984 entstand auf dem Soldatenfriedhof Douaumont in Frankreich ein Foto, das zum Symbol der Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland wurde.1 Das Bild zeigt im Vordergrund den französischen Präsident François Mitterand und den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, die sich an den Händen halten. Mitterand befindet sich links der Bildmitte, Kohl steht rechts.

Ihre Hände treffen sich im Zentrum der Fotografie. Beide tragen Anzug und Mantel, stehen sehr aufrecht und sind dem Betrachter frontal zugewandt. Kohl ist etwas größer und blickt links an der Kamera vorbei. Mitterands Blick ist dagegen schräg nach rechts unten gerichtet und fällt auf das Katafalk, das sich zwischen den beiden befindet. Man sieht nur dessen vorderen Teil.

Der Rest des Sarges ist, wie die Füße der Politiker, vom unteren Bildrand abgeschnitten. Auch von den beiden Trauerkränzen auf Holzständern, die Kohl und Mitterand flankieren, ist jeweils nur ein Teil sichtbar. Beide Staatsmänner schweigen. Im Hintergrund ist eine größere, ebenfalls frontal zur Kamera gerichtete Menschenmenge zu sehen, die nur unscharf abgelichtet ist.

Die Gruppe bestehen aus Männern in Anzug und Mantel von denen einige die Hände gefaltet haben. Die meisten Köpfe sind ganz oder teilweise vom oberen Bildrand abgeschnitten. Kohl und Mitterand nehmen von der Höhe des querformatigen Bildes etwa zweidrittel ein. Zwischen ihnen und den Anwesenden im Hintergrund, liegt eine helle, frei Pflastersteinfläche. Von dieser heben sich die beiden dunkel gekleideten Politiker im Vordergrund deutlich ab.

Die Symbolkraft des Bildes erklärt sich nicht nur durch seine Ästhetik, sondern besonders durch den geschichtlich Kontext, in dem es entstanden ist. In Zusammenhang mit diesen historischen Begebenheiten wird im Folgenden Entstehung, Wirkung und Nachleben der Fotografie thematisiert. In den Tagen nach der Aufnahme wurde das Bild von den Medien vielfach reproduziert und die darauf dokumentierte Gestediskutiert.

Die Fotografie stammt aus dem ullstein bild Archiv.2 Nach Angaben des Archivs stammt das Foto von einem Zulieferer, der Fotoagentur Sven Simon. Angaben zum Fotografen gibt es laut Agentur nicht.3

  1. Die deutsch-französische Beziehung

Die Bildaufnahme hält einen wirkmächtigen Moment der französisch-deutschen Beziehung fest, die während der Neuzeit bis nach Ende des Zweiten Weltkriegs4 von der sogenannten „Erbfeindschaft“5 zwischen beiden Nationen geprägt war. Auf den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 folgte der Erste Weltkrieg (1914 – 1918), der unter anderem mit der Schlacht von Verdun die Feindschaft zementierte.6 Im Sommer 1940 fielen die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges in Frankreich ein und besetzten das Land.

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Erst nach diesem Krieg nährten sich die Nationen schrittweise an. Zunächst war die Annäherung geprägt von Pragmatismus und sicherheitspolitischen Erwägungen.7 Einerseits wollte Frankreich mit der Einbindung Deutschlands in westliche Bündnisse den Erbfeind einhegen. Andererseits wuchs die Sorge vor sowjetischen Expansionsbestrebungen. Die vielversprechendste Antwort gegen ein Ausbreiten des Kommunismus in Europa versprach ein starkes westliches Bündnis unter Einbezug Deutschlands.8 Mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge im März 1957 sind die ehemaligen Erzfeinde Frankreich und Deutschland zu Bündnispartnern geworden, die sich zunehmend als Motor der europäischen Idee verstanden.9 Einen vorläufigen Höhepunkt erfuhren die bilateralen Beziehungen mit dem Élysée-Vertrag10 vom 22.01.1963.11 Vorangetriebenen wurde diese Entwicklung auch durch die gute Beziehung zwischen den Staatschefs Charles de Gaulle und Konrad Adenauer.12 Adenauer nannte die französisch-deutsche Beziehung eine der wichtigsten Entwicklungen seiner Amtszeit.13 Schon 1962 setzten sie mit dem gemeinsamen Besuch eines Gottesdienstes in der Kathedrale von Reims14 ein Zeichen der Verständigung.15 Wie durch de Gaulle und Adenauer erwiesen sich auch in der Folgezeit „historische Persönlichkeiten als der eigentliche Motor historischen Wandels“.16 Nach einer Zeit der Stagnation gewann die Entwicklung durch das „freundschaftliche Verhältnis“17 zwischen Valéry d’Estaing und Helmut Schmidt neuen Schwung.

Ebenso war die Beziehung zwischen dem Sozialisten François Mitterand und dem Christdemokraten Helmut Kohl durch persönliche Sympathie gekennzeichnet und wurde durch die erstmalig Einladung eines deutschen Staatsoberhaupts nach Verdun, zum gemeinsamen Gedenken des Ersten Weltkrieges, auf eine neue Ebene gehoben.18 Diese Entwicklungen machten schließlich den „Händedruck von Verdun“ und die Aussöhnung der beiden Nationen möglich.19 Bis heute wird diese freundschaftliche Beziehung fortgesetzt, wobei sich die Intentionen inzwischen mehr auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit verlagert haben.20 Die Tradition des gemeinsamen Gedenkens existiert noch immer.21 Zuletzt beging 2016 Kanzlerin Angela Merkel mit Präsident François Hollande den 100-jährigen Jahrestag der Schlacht von Verdun auf einem der Soldatenfriedhöfe.22

Hier standen sich französische und deutsche Soldaten monatelang in einem erbitterten Stellungskrieg gegenüber. Mehr als 700000 Soldaten beider Seiten wurden verwundet oder verloren hier ihr Leben.25 Dadurch wurde Verdun für die Franzosen zum Gedenkort der gefallenen Soldaten und des Heldenmuts, der an Frankreich als starke Nation erinnert.26 Nach dem zweiten Weltkrieg gedachten die französischen Präsidenten hier regelmäßig ihren Gefallenen.

Zum 50. Jahrestag der Schlacht erwähnte Präsident de Gaulle in seiner Ansprache zum ersten Mal auch das Leid der anderen Seite. Die Erinnerungskultur begann sich langsam von der nationalen Ebene hin zu einem gemeinsamen Erinnern beider Völker zu entwickeln. Verdun wurde zu einem Ort an dem sich Jugendliche und Veteranen beider Nationen begegneten und gemeinsam gedachten.27 Der erste offizielle politische Besuch in Verdun fand jedoch erst 1984 mit Mitterand und Kohl statt.

Für beide hat der Ort persönliche Bedeutung, hier kämpfte Mitterand selbst als Soldat und ebenso Kohls Vater.29 Die Festlichkeiten folgten einem strengen Protokoll. Zuerst wurde der deutsche Soldatenfriedhof Consenvoye besucht, darauf der Gedenkort, Esnes-en-Argonne und schließlich die Gedenkstätte Douaumont nahe der Stadt Verdun.30 Während die Marseillaise erklang, griff Mitterand nach Kohls Hand.

Dieser erwiderte die Geste. So verharrten die beiden minutenlang, Hand in Hand, bis zum Ende der Hymne.31 Die spontane Geste stand im Kontrast zum straffen Ablaufplan der Veranstaltung. Ob sie tatsächlich spontan war oder eine geplante Inszenierung, lässt sich nicht belegen. Mitterand und Kohl bestreiten, dass dies im Voraus feststand. Sicher ist aber, dass sich Mitterand der Symbolkraft der Geste bewusst war.

Nach einer Jahrhunderte währenden Zeit der Feindschaft und nach Jahrzehnten der schrittweisen Annäherung wurde dieser Weg in einer einzigen Geste bildlich.34 Der Händedruck war auch deshalb so besonders, weil er die Erinnerungskultur endgültig veränderte. Seither gedenken beide Länder auch der jeweils anderen Opfer.35

    1. Der Händedruck als historisches Referenzbild


Erinnerungswürdig macht diese Fotografie auch seine besondere Ästhetik, die es zu einem historischen Referenzbild macht. Martin Hellmold bezeichnet ein Bild als „historisches Referenzbild“36 wenn es sich „als Symbol für einen bestimmten historischen Ereigniszusammenhang etabliert“37 hat. Der historische Zusammenhang bezieht sich hier, wie bereits beschrieben, auf die deutsch-französische Aussöhnung.

Diesen Kriterien folgend stellt eine Gebärdefigur das zentrale Motiv eines Referenzbildes dar. Diese Figur wird hier aus Mitterand und Kohl geformt, sie hebt sich durch den Kontrast der dunklen Körper gegenüber den hellen Pflastersteinen ab und steht isoliert in der Bildmitte. Keiner der beiden Männer steht im Mittelpunkt, sondern die versöhnende Geste der Handreichung.

Da allein Körperhaltung und Gestik die Botschaft der Aussöhnung transportieren, werden sie zur Gebärdefigur.

Weiteres Kriterium ist die Verdichtung eines Handlungsverlaufs im entscheidenden Augenblick. Mitterand und Kohl stellen den Sinn und Zweck der Zeremonie, die endgültige Versöhnung ihrer Länder, in einem Bild dar. Die Intention des Treffens wird in dieser Aufnahme festgehalten. Die Authentizität des Bildes entsteht vor allem durch die verschiedenen Blickrichtungen Mitterands und Kohl.

Dadurch wird der Moment nicht zu einem elitären Ereignis, sondern einem Geschehen für die gesamte Öffentlichkeit.

Nach Gerhard Paul wird die Einprägsamkeit eines Bildes noch verstärkt, wenn bereits Vorbilder existieren, die dem Bild in Ästhetik und Bedeutung ähneln.39 Die vorliegende Konstellation erinnert stark an Bundeskanzler Adenauer und Staatspräsident de Gaulle, die bereits 1962 in der Kathedrale von Reims nebeneinander stehend, ein Symbol setzten, mit dem sie das Ende der Erbfeindschaft besiegelten.

Ein halbes Jahr später wurde der Elyseé-Vertrag unterzeichnet.40

3.2 Veröffentlichung und Wahrnehmung der Fotografie


Der Symbolkraft waren sich Medien und Öffentlichkeit bewusst. Die Aufmerksamkeit für das Treffen war groß und das Bild wurde in den folgenden Tagen von allen großen französischen und deutschen Zeitung gedruckt.41 Die Geste der beiden Staatsmänner wurde im Nachhinein allerdings eher negativ bewertet.42 Es wurde vor allem das scheinbar willkürlich gewählte Datum kritisiert, das in keinem Bezug zu einem historischen Ereignis stand.43 Hinzu kam, dass der Termin von der Öffentlichkeit wie ein Ersatz für die ausbleibende Einladung Kohls zur Feier des „D-Day“ wahrgenommen wurde.

Zurück blieb, wie Mitterand wohl beabsichtigt hatte, ein Symbol der Freundschaft und Versöhnung.48 Durch die häufige Reproduktion wurde für eine breite Öffentlichkeit in beiden Nationen „politische Wirklichkeit“49 visualisiert.

Schließlich fand das Bild auch außerhalb seines eigentlichen Kontextes Verwendung. Im Rahmen der Europawahl 1988 wurde es als Symbol für ein geeintes Europa genutzt. Häufig wird es in Karikaturen zitiert50 oder als Werbefoto von dem Fernsehsender Pink TV verwendet, der hauptsächlich ein homosexuelles Publikum anspricht.51 Die Umdeutung und Verwendung der Fotografie funktioniert auch deshalb so gut, weil die Geste des Händehaltens universell verständlich als Zeichen für Freundschaft, Einheit und Frieden gelesen wird.52

Der Händedruck hat nicht maßgeblich zur Versöhnung beigetragen. Diese war auf politischer wie gesellschaftlicher Ebene bereits vorher in Gange. Durch diese Fotografie wurde der Prozess der Versöhnung jedoch für die Öffentlichkeit festgehalten und greifbar. Die öffentliche Wahrnehmung des Händedrucks von Verdun hat sich mit der Zeit, auch dank der Fotografie, gewandelt.

Im unmittelbaren zeitlichen Kontext war die Kritik am Zustandekommen und der mutmaßlichen Inszenierung des Händedrucks groß. Im Laufe der Jahrzehnte verblasste die negative Wertung, übrig blieb mit der Momentaufnahme ein dauerhaftes Sinnbild der Versöhnung.


  1. Abbildungsverzeichnis

Abb.1: ullstein bild: #00587097 Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident Francois Mitterand gedachten am 22.9.1984 nahe dem ehemaligen Schlachtfeld von Verdun der Gefallenen der beiden Weltkriege, ves/derivative/cthumb/df307R80985hfh3P8d71f982wbb1qb789P5f8b m0 o8s0vPdfi8y8nhs8o 8vdz9ud92kbxbbb.jpg/ullstein_thumb_00587097.jpg, zuletzt aufgerufen 03.03.2017.

Dokument: Der Élysée-Vertrag von 1963, in: Defrance, Corine /Pfeil, Ulrich (Hg.), Der Élysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003, Berlin 2016, S. 297-284.

Gunkel, Christoph: Kohl und Mitterrand in Verdun. Geschichte zum Anfassen, zuletzt aufgerufen 11.03.2017.

Hacke, Christian: Weltmacht wider Willen: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1993.

Hellmold, Martin: Warum gerade diese Bilder? Überlegungen zur Ästhetik und Funktion der historischen Refe-renzbilder moderner Kriege, in: Schneider, Thomas (Hg.), Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des „modernen“ Krieges in Literatur, Theater, Photographie und Film, Bd.1, Osnabrück 1999, S. 34-50.

Kohl, Helmut: Erinnerungen. 1982-1990, München 2005.

Marcowitz, Reiner: „Hand in Hand“. Francois Mitterand und Helmut Kohl in Verdun 1984, in: Defrance, Corine / Pfeil, Ulrich (Hg.), Verständigung und Versöhnung nach dem „Zivilisationsbruch“? Deutschland in Europa nach 1945, Wien 2016, S.103-116.

Ménudier, Henri: Adenauer, de Gaulle und der Élysée-Vertrag nach Alain Peyrefitte, in: Defrance, Corine / Pfeil, Ulrich (Hg.), Der Élysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003, Berlin 2016, S. 81-97.

Miard-Delacroix, Hélène: Im Zeichen der europäischen Einigung 1963 bis in die Gegenwart, Darmstadt 2011, S.308f.

Paul, Gerhard: Die Geschichte hinter dem Foto. Authentizität, Ikonisierung und Überschreibung eines Bildes aus dem Vietnamkrieg, in: Paul, Gerhard(Hg.), Das Jahrhundert der Bilder. 1949 bis heute, Göttingen 2008, S.426-433.

Rogg, Matthias: Die Schlacht von Verdun. Ein deutscher und französischer Erinnerungsort, in: Hörter, Michael / Voigt, Diego (Hg.), Verdun 1916. Eine Schlacht verändert die Welt, Münster 2016, S.9-16.

Wiegel, Michaela: Merkel und Hollande in Verdun. Neues Gedenken an 300.000, zuletzt aufgerufen 02.03.2017.

1Vgl. Pfeil, Ulrich: Der Händedruck von Verdun. Pathosformel der deutsch-französischen Versöhnung, in: Paul, Gerhard (Hg.), Das Jahrhundert der Bilder. 1949 bis heute, Göttingen 2008, S.498-505, hier S. 498.

2Ullstein bild ist Teil der Axel Springer Syndication GmbH.

3Dies ist eine telefonische Auskunft der Fotoagentur Sven Simon vom 13.03.17.

4Vgl. Marcowitz, Reiner: „Hand in Hand“. Francois Mitterand und Helmut Kohl in Verdun 1984, in: Defrance, Corine / Pfeil, Ulrich (Hg.), Verständigung und Versöhnung nach dem „Zivilisationsbruch“? Deutschland in Europa nach 1945, Wien 2016, S.103-116, hier S.113.

Quellen & Links

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