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Der Einfluss auf das Gelingen von Identität der "jungen Alten" durch deren freiwillige Arbeit mit alten und hochbetagten Menschen. Vorschlag zur sozialpädagogischen Begleitung von biographischen Lernprozessen

2           Die Postmoderne: Das Ende der Eindeutigkeit

2.1            Annäherung an ein Konstrukt

Sich dem Begriff der ‚Postmoderne’ zu nähern, bedeutet, ein unwegsames Terrain zu betreten, dessen Wege zahlreich sind, in meist unscharfen Konturen verlaufen und nicht selten in gegensätzliche Richtungen zeigen. Eine Reihe an weiteren Bezeichnungen wie etwa „(reflexive) Moderne“, „postindustrielle Gesellschaft“, „Risikogesellschaft“ u.a. schließen sich dem Begriff ‚Postmoderne’ an und hinterlassen dabei ein unübersichtliches Gemenge.

Der Ausspruch von Wolfgang Welsch (1997: 319), „man muss nicht auf den Ausdruck, sondern auf die Sache achten“, erscheint da wie ein erster Anhaltspunkt, der Orientierung zu schaffen versucht. Blickt man jedoch unterhalb der Schlagworte auf deren Inhalte, so zeigt sich ein Bild, das ebenfalls aus unterschiedlichsten Teilen und Grundierungen besteht und das ein Begreifen dieses Gegenstandes als eine große Herausforderung darstellt.

Aus diesem Grund ist es vor einem konkreten Einstieg in die inhaltlichen Diskussionen wichtig, eine erste Annäherung an den Begriff „Postmoderne“ über den Weg einer allgemeinen Beschreibung zu erreichen.

Das gemeinsame Merkmal der genannten Bezeichnungen ist die Entwicklung der Gesellschaft als der ihr zugrunde liegende Interessensgegenstand. Die einzelnen Begriffe verweisen auf den sozialen Wandel[3] in unserer Gesellschaft. Ohne jedoch Ausdruck einer empirisch begründeten Theorie zu sein, sind sie folglich als Gesellschaftsmodelle zu bezeichnen (Immerfall 2001: 259).

Gesellschaftsmodelle sind Konstruktionen, die empirisch nicht widerlegbar sind und in erster Linie das Ziel haben, über die Ergebnisse der empirischen Sozialforschung hinaus gesellschaftliche Entwicklungen zu deuten und zu prognostizieren. Sie leisten dabei einen wichtigen Beitrag zu den Diskussionen um die Zukunft der Gesellschaft und tragen somit wesentlich zu deren Gestaltung bei.

Die Postmoderne ist demnach ein ‚diskursiv konstruiertes Phänomen’, das in erster Linie durch die Architektur, Literaturwissenschaft, Malerei und später auch durch die Philosophie und Soziologie erschaffen worden ist (vgl. Hillmann 1994: 683). Die Annäherung an die Postmoderne durch die unterschiedlichen Disziplinen mit ihren jeweiligen Zugängen machen die Postmoderne zu einer unscharfen, mehrdeutigen und zum Teil widersprüchlichen Begrifflichkeit (ebd.) mit wechselnder Bedeutung (Fuchs-Heinritz u.a. 1995: 507).

Schließlich hängt „die Interpretation des Phänomens … von unterschiedlichen Orientierungsstandorten, Überzeugungen u. Reflexionsergebnissen ab“ (Hillmann, 1994: 683).

In der vorliegenden Arbeit wird sich dem Phänomen Postmoderne über einen philosophischen und soziologischen Zugang genähert. Bei den Autoren, auf die sich die Ausführungen zur Postmoderne in dieser Arbeit im Wesentlichen stützen, ist die Postmoderne als Begriff jedoch umstritten. Während der Philosoph Wolfgang Welsch und der Soziologe Zygmunt Bauman als Vertreter der Postmoderne gelten, lehnen die Soziologen Ulrich Beck und Anthony Giddens diesen Begriff aus verschiedenen Gründen ab.

Den inhaltlichen Differenzen in der Ausgestaltung der Gesellschaftsmodelle und ihren jeweiligen unterschiedlichen begrifflichen Verwendungen zum Trotz sehen alle vier Autoren die aktuellen sozialen Entwicklungen als ein Symptom eines Wandlungsprozesses, der primär die westlichen Gesellschaften tangiert und schließlich auf die ganze Weltgesellschaft übergreift (vgl. Zema 1997: 1 f.). Dieser Wandel steht dabei in unmittelbarem Zusammenhang mit der Epoche der Moderne, aus der heraus sich die sozialen und kulturellen Entwicklungen, „Verschiebungen, Verwerfungen und Brüche“ (ebd. 18) ergeben.

Der Grund für diesen Wandel wird übereinstimmend in einer Radikalisierung der Moderne bzw. ihrer Folgen gesehen. Die Frage, ob es sich dabei um einen Bruch mit der Moderne oder sogar um eine neue Epoche handelt, sich die Moderne in einer Krise befindet oder der Wandel lediglich eine radikalere Fortführung der Moderne mit neuen Mitteln darstellt, wird von den genannten vier Autoren unterschiedlich beantwortet.

Eine zeitliche Fixierung sowie Differenzierung dieser radikaleren Moderne ist bisher ebenfalls nicht einheitlich bestimmt worden. Zema (1997: 5 ff.) weist darauf hin, dass es sich weder bei der Moderne, noch bei der Postmoderne um eine rein chronologische Epoche oder um ein Wertesystem in Form einer Großideologie handelt. Vielmehr werden sie als gesellschaftliche und historische „Problematiken“ (ebd. 8; kursiv im Original) konstruiert.

Auch handelt es sich bei der Postmoderne seiner Auffassung nach nicht um eine „völlig neue Zeit“, denn auch „in unserer Zeit wirken vormoderne, moderne, … und postmoderne Strömungen in Politik, Wissenschaft und Kunst zusammen“ (ebd. 18).

Die Postmoderne ist daher mehr ein Phänomen, welches verschiedene kulturelle und geschichtliche Strömungen in sich vereint und dabei über die heutige Zeit hinausweist. Der früheste Beginn der postmodernen Zeit wird als die Zeit nach dem 2. Weltkrieg angegeben (Welsch 1997: 26). Wie bereits erwähnt, kann die Postmoderne (bzw. die radikale Moderne) nicht ohne die Moderne gedacht werden.

In ihr ist das Fundament gelegt, das heute in einer radikaleren und weitreichenderen Ausprägung in Erscheinung tritt. Wenn Giddens (1995) die Bedeutung der Postmoderne darin sieht, dass „nichts mehr mit Sicherheit gewußt werden kann, … daß es in der Geschichte keine Teleologie gibt …, daß in sozialer wie politischer Hinsicht neue Dinge auf der Tagesordnung stehen“ (ebd. 64), dann weist dies klar auf Entwicklungen hin, die in der Zeit der Moderne ihren Ursprung haben.

Die Moderne bildet somit die Voraussetzung für ein Verständnis der Postmoderne, so dass in dem vorliegenden Kapitel in einem ersten Schritt auf die geschichtliche Entwicklung hin zur Moderne und deren neuzeitlichen Prinzipien eingegangen wird. Daran anschließend wird anhand von vier zentralen Autoren, welche die Diskussion um die derzeitige gesellschaftliche Entwicklung grundlegend mit beeinflussen, der Grund für die Absage an diese neuzeitlich-modernen Prinzipien in den Blick genommen.

Im Weiteren werden drei wesentliche Merkmale der gegenwärtigen und kommenden Entwicklung aufgezeigt, sowie der Begriff der „Postmoderne“ dort verankert. In einem zweiten Schritt geht es um die sich für den einzelnen Menschen daraus ergebenden Herausforderungen und Risiken und um mögliche Wege, mit diesen entsprechend umzugehen. In einem Fazit wird schließlich aus dem Fundus der bisherigen Darstellungen die Frage beantwortet, warum die narrativ verfassten Überlieferungen der älteren Mitglieder einer Gesellschaft sich immer weniger als einheitliche und übergreifende Koordinaten zur Orientierung für das Leben der nachkommenden Generationen eignen.


2.2            Die Postmoderne als radikale Moderne

2.2.1       Die Absage an die Prinzipien der neuzeitlichen Moderne

Die Postmoderne begreifbar machen heißt zunächst, die Moderne zu verstehen. Als ein Ausgangspunkt der Moderne kann die Zeit der Aufklärung (18. Jahrhundert) gesehen werden. Der Philosoph Immanuel Kant beantwortete am Ende der Aufklärung die Frage „Was ist Aufklärung?“ mit den Worten: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit … Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!“ (Kant 1784 zitiert in Vogt 2003: 180).

Begrifflichkeit, Vernünftigkeit, Ordnung, Fortschritt, Vernunftsoptimismus … Subjektivismus und Individualismus“ (Fuchs/ Raab 1987) dynamisierten und die Moderne zu ihrem entscheidenden Durchbruch verhalfen (Hillmann 1994: 569): Die englische industrielle Revolution von 1760 bis 1830 beschleunigte den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, sowie die Ausbreitung eines kapitalistischen Wirtschaftssystems.

Die politische Französische Revolution 1789 hatte eine fortschreitende Differenzierung und Individualisierung der Gesellschaft zur Folge. Parallel zu der zunehmenden Säkularisation wurde ein einheitliches und durchgängiges Wertesystem geschaffen, welches auf „Solidarität, individ. Freiheit, Rationalität, aktive Weltgestaltung u. Universalismus“ (ebd.) basierte.

Die Entstehung der Moderne geht für Zygmunt Bauman (1995: 10 f.) mit einem „Traum“ nach Ordnung in der Welt einher, mit dem eine „entfesselte … bisher unbekannte Angst“ gebändigt werden soll. Diese Angst gründet sich auf dem Wissen, dass die menschliche Ordnung nicht vorgegeben ist, sondern durch den Menschen selbst gestaltet werden muss.

Die Menschen des Mittelalters hatten auf den Erlöser gewartet. Nun ist der Erlöser der Mensch selbst, er nimmt sein Leben in die eigene Hand. Diese Freiheit, die Zukunft selbst bestimmen zu können, geht jedoch mit der Aufgabe einher, diese auch selbst verantworten zu müssen und ist demnach eng mit der Angst „vor dem Chaos“ (ebd. 11) verbunden. Dieser Angst setzte der Mensch mit dem ausgehenden Mittelalter die Radikalität und Universalität der Neuzeit in Form der ‚Mathesis Universalis’ entgegen:

„Es herrscht ein Pathos des radikalen Neuanfangs … Descartes sagt, dass er alles von Grund auf umstoßen und von den ersten Grundlagen an neu beginnen müsse … Der Anspruch auf Universalität (…) folgt aus dem ersten, der Radikalität des Neuansatzes, gewissermaßen von selbst …Und in der Tat wird die neue Wissenschaft von ihrer Methode her als Mathesis universalis verstanden.

Descartes schreibt nicht eine Abhandlung über eine Methode – für bestimmte Wissensgebiete –, sondern über die Methode – für alle Wissensgebiete.“ (Welsch 1997: 70 ff.; kursiv im Original)

Die Neuzeit stellt somit einen Bruch mit dem Denken der traditionellen Ständegesellschaft des Mittelalters dar. Fortan werden durch den Zweifel an allem Bisherigen, ein Zweifel der schließlich zu einer „zweifelsfreien Gewissheit führen soll“ (Küng 2004: 31), die Welt und der Mensch zum Objekt menschlichen Handelns und es kommt zu einer „Entzauberung der Welt“ (Bauman 1995: 9).

Dieser lineare Fortschrittsglaube beinhaltet eine „Unumkehrbarkeitsprämisse“ (Beck 1993: 95, kursiv im Original), die sich auch in dem Begriff der „Modernisierung“ wieder findet (vgl. Hillmann 1994: 571). Die Zeit der Aufklärung ist jedoch nicht als ein einheitliches und konfliktfreies System zu verstehen, vielmehr stellt sich darin eine Reihe von Gegenströmungen in Opposition zu dem neuzeitlichen Denken.

Nach Welsch (1997) sind diese aber ebenfalls als „neuzeitlich“ zu sehen, da sie „die formalen Charakteristika der Neuzeit – Radikalität und Universalität – ungebrochen übernehmen“ (ebd. 73 ff.). Es gilt somit, unabhängig von der jeweiligen Haltung zur Aufklärung, ein gemeinsames Glaubensbekenntnis: es gibt nur einen richtigen Weg und ein wahrhaftiges Ziel: die durch den Menschen geplante Ordnung.


In den heutigen Gesellschaftsmodellen wird ein Ende dieses neuzeitlich-modernen Denkens diagnostiziert. Es gelten nicht länger die propagierten „Einheitsprogramme“ (ebd. 36) mit ihrer Intoleranz gegenüber dem Anderen (Bauman 1995: 14) und es schüren auch nicht weiter die „Fesseln der Rationalität“ (Giddens 1995: 172), denn es kommt zu einer „Wiederkehr der Ungewißheit“ (Beck 1993: 45) und somit zu einer Auflösung der umfassenden Ordnung (Baumann 1995: 224).

An diesem Punkt schließen sich eine Reihe von Fragen an, deren Beantwortung es zu einem genaueren Verständnis dieser Entwicklung bedarf: Wie lässt sich dieser scheinbare Bruch in der Entwicklung erklären? Was macht die Verfasstheit dieser ‚neuen’ Entwicklung aus bzw. welche wesentlichen Merkmale charakterisieren diese Entwicklung? Welche Begriffe stehen für diesen Entwicklungsprozess zur Verfügung und wie kann der Begriff der „Postmoderne“ dort verortet werden?

Der ausschlaggebende Grund für das veränderte Verhältnis zu den Prämissen der neuzeitlichen Moderne liegt für alle vier der hier zentral verwendeten Autoren in der Radikalisierung der Moderne. In der Folge dieser Radikalität stellt die Moderne mit ihrem Impetus zum Zweifel und zur Wahrheit ihre eigenen Grundlagen in Frage. Die Moderne hinterfragt nicht mehr nur die vorgegebene Welt, sondern sie macht sich selbst zum Thema, sie wird reflexiv.

Spätestens über die ‚Relativitätstheorie’ von Albert Einstein, sowie über den ‚Unvollständigkeitssatz’ von Kurt Gödel wird das auf Universalität und Totalität ausgerichtete Denken aus der wissenschaftlichen Rationalität ausgeschieden. Diese „Grundsatzrevision“ (ebd. 78; kursiv im Original) in der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung bedeutet folglich das endgültige Ende der drei großen Meta-Erzählungen der Neuzeit, auf die der Anspruch der einen und universellen Wahrheit beruht.

Welsch bezieht sich an diesem Punkt auf den Philosophen Jean-Francois Lyotard (vgl. 1990), dessen zentrale These das Ende der drei großen Meta-Erzählungen ist, welche die neuzeitliche Moderne hervorbrachte: die Emanzipation des vernünftigen Subjektes (in der Aufklärung), die Dialektik des Geistes hin zum Absoluten (im Idealismus) und die Hermeneutik des Sinns (im Historismus).

An das Ende der Meta-Erzählungen knüpft auch Zygmunt Bauman (1995) an, der allerdings das tatsächliche Ende dieser Erzählungen erst mit dem Fall des Kommunismus einhergehen sieht. Er versteht den Kommunismus als einen bis ins „Extrem getriebenen . Versuch, im Sinne der modernen Ambitionen, des aus der Aufklärung gebornen Geistes“ und setzt daher das Ende des Kommunismus gleich mit der „Niederlage für das Projekt einer totalen Ordnung, . den endgültigen Rückzug von den Träumen und Ambitionen der Moderne“ (ebd. 212; kursiv im Original).

Den Ausgangspunkt bilden vielmehr die Folgen der Moderne, welche durch die Moderne – genauer: durch die Industriegesellschaft – selbst erzeugt werden, diese aber zu beheben sie nicht imstande ist (Beck 1993: 37). Eine reflexive Moderne bedeutet also in erster Linie eine Selbstkonfrontation (Reflexivität) mit den Modernisierungsfolgen, durch die es zu einem „reflexartigen Übergang von der Industrie- zur Risikogesellschaft“ (ebd.; kursiv im Original) bzw. von der „einfachen, industriellen“ zu einer „reflexiven Moderne“ (ebd. 12; kursiv im Original) kommt.

Erst in einem zweiten Schritt kann es zu einer Reflexion der Moderne im Sinne einer „öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen . Reflexion“ (ebd.) kommen, die schließlich ihre eigenen Grundlagen kritisch hinterfragt. Die Aufhebung dieser Grundlagen beginnt allerdings schon bereits auf der Ebene der Selbstkonfrontation, indem die Normensysteme der Moderne ihre "Rationalitäts- und Kontrollversprechen" (ebd. 43) uneingelöst lassen, da sie die Modernisierungsfolgen nicht (angemessen) kontrollieren können.

„wo die gesellschaftlichen Normensysteme versprochener Sicherheit angesichts der durch Entscheidungen ausgelösten Gefahren versagen . [und, P.Z.] das Normensystem der Rationalität mit seiner Autorität und Durchsetzungsmacht seine eigenen Grundlagen aufhebt“ (ebd. 40 ff.).

Für Beck beginnt bei den sich auflösenden Prämissen der modernen Industriegesellschaft die „Risikogesellschaft“ als Übergang zu einer Epoche der Moderne, die er als eine „noch namenlose“ (ebd. 57) bezeichnet und die sich durch eine „andere gesellschaftliche Gestalt“ (Beck 1986: 14) auszeichnen wird. Die Risikogesellschaft kennzeichnet sich dabei neben einem veränderten Verhältnis der Gesellschaft zu den von ihr erzeugten Gefährdungen und Problemen vor allem durch die „Entzauberung der kollektiven und gruppenspezifischen Sinnquellen (z.B. Fortschrittsgedanken, Klassenbewußtsein) .“ (Beck 1993: 38).

Als eine Folge dieser sich auflösenden Prämissen der modernen Industriegesellschaft sieht Beck den „Individualisierungsprozeß“ (ebd. 39; kursiv im Original), der die Menschen aus „der Industriegesellschaft in die Turbulenzen der Weltrisikogesellschaft“ (ebd.) entlässt. Auf die Frage nach den Ursachen für die Entwicklung hin zu einer Negation des neuzeitlich-modernen Anspruchdenkens, zeigt sich die gemeinsame Schnittstelle der hier verwendeten Erklärungsmodelle an einer radikalen und unkontrollierten Verselbständigung der Modernisierungsfolgen.

Es bleibt schließlich noch die Frage nach der Verfasstheit und der begrifflichen Zuordnung dieser Entwicklung zu beantworten. Der Begriff „Postmoderne“ wird, wie in dem Kapitel 2.1 bereits angedeutet, von den hier primär verwendeten Autoren lediglich von Wolfgang Welsch und Zymunt Bauman verwendet. Das aus dem Lateinischen abgeleitete Präfix ‚Post-’ (zeitl.: nachher, später) meint zunächst eine Zeit, „die der Moderne folgt und trotz aller Affinitäten von dieser abweicht“ (Zema 1997: 5).

Mehr als diese begriffliche Zuordnung sind jedoch die Inhalte bzw. „Problematiken“ (ebd. 20; kursiv im Original) der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung von Interesse. Die unterschiedlichen inhaltlichen Ausformulierungen dieser Entwicklung seitens der vier Autoren erklären zugleich deren uneinheitliche Terminologie. Der Begriff „Postmoderne“ wird von Ulrich Beck (1986: 12) abgelehnt, da seiner Meinung nach damit bereits „alles zu verschwimmen“ beginnt.

Mit dem Zusatz ‚Post-’ verbindet er eine „Ratlosigkeit, die sich im Modischen verfängt“ (ebd.). Die „Risikogesellschaft“ bzw. die „reflexive Moderne“ ist für ihn die gegenwärtige Epoche, welche den Übergang bildet in eine „andere“ und „noch namenlose . zweite Moderne, deren Konturen unscharf sind“ (ebd. 57 ff.). Entgegen des Selbstverständnisses von Beck attestiert Zema (1997) ihm dennoch eine „postmodernistische Krisendiagnose“ (ebd. 46), da seiner Meinung nach das Modell der „Risikogesellschaft“ zu wesentlichen Schlussfolgerungen gelangt, durch welche sich auch postmoderne Modelle ausweisen.

Die heutige Zeit zeichnet sich jedoch durch Züge aus, „die man sich als ‚postmodern’ zu etikettieren angewöhnt hat“ und er spricht daher von „unserer postmodernen Moderne“ (1988: 35). Ein zentrales Merkmal in dem Gesellschaftsmodell von Welsch ist, dass seiner Ansicht nach die Entwicklung hin zur Postmoderne eine Fortführung der Moderne ist und somit keinen gegenwärtigen Bruch darstellt (1997: 6).

Die Pluralität der Moderne des 20. Jahrhunderts wird in der Postmoderne radikal und erlangt dadurch eine allgemeine „Grundverfassung“ (ebd. 5), so dass die Postmoderne eine Moderne ist, „die nicht mehr den Auflagen der Neuzeit folgt, sondern die des 20. Jahrhunderts einlöst“ (ebd. 84). Der Soziologe Zygmunt Bauman hingegen sieht die Postmoderne in unserer Gegenwart bereits verwirklicht und sogar „im Augenblick ihres definitiven Triumphes“ (1995: 6).

Er beschreibt die Postmoderne zum einen als eine erweiterte Moderne, die sich „vom falschen Bewußtsein emanzipiert hat“ und sich zugleich „als ein neuer Typ gesellschaftlicher Verhältnisse“ kennzeichnet (ebd. 222).

Die Radikalisierung der Modernisierungsfolgen bedeutete nicht nur eine „Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Geltungsansprüche“ (Beck 1986: 256) und „Weltanschauungen“ (Welsch 1988: 25), sondern auch eine Pluralisierung „in den Funktionssystemen der Gesellschaft“, sowie der Lebensphasen, Lebenswelten (ebd. 26 f.) und Sinnwelten (Welsch 1997: 79). Diese Pluralität wird zu einer globalen „Grundoption“ (ebd.), mit der aber auch jede Eindeutigkeit verloren geht.

Das Nebeneinander von Gegensätzen, als „Einheit unvereinbarer Werte wie Gut und Böse, Wahrheit und Lüge“ (Zema 1997: 25) folgt der Pluralität somit auf dem Fuß. Dieses auch als „Ambivalenz“ bezeichnete Phänomen birgt jedoch Widersprüche in sich, welche zur Normalität alltäglichen Lebens werden. So geht beispielsweise eine stark steigende soziale Ungleichheit mit einer abnehmenden (wahrnehmbaren) Klassenbildung einher (Beck 1997: 77).

Oder es offenbart sich neben der Chance, „ein sicheres und lohnendes Dasein zu führen“ eine risikoreiche Schattenseite, die „viele Menschen dem Drill einer stumpfen, repetitiven Fron unterwirft“ (Giddens 1995: 16).

Erst eine funktionale Differenzierung der Gesellschaft ermöglichte den „Schritt von kleinformatigen Systemen zu agrarischen Zivilisationen und von da aus zu modernen Gesellschaften“ (ebd.) und damit auch die Entbettung aus der vorgegebenen sozialen Ordnung. Das Vertrauen in symbolische Zeichen, sowie in Expertensysteme bilden dabei eine wesentliche Grundlage für den Entbettungsprozess: „Jeder, der Geldzeichen benutzt, geht dabei von der Voraussetzung aus, daß andere . ihren Wert anerkennen“ (ebd. 34 ff.). Das Vertrauen in symbolische Zeichen sowie in die abstrakten Fähigkeiten eines Expertensystems (z.B. in ein Bauunternehmen) lösen die sozialen Beziehungen aus ihren unmittelbaren Bedingungen.

Die im Vertrauen auf die ausdifferenzierten Funktionssysteme erfolgte Entbettung aus den fixen Vorgaben hat jedoch zur Folge, dass das Leben zu einem „Ort ständiger Mobilität und Veränderungen“ (Bauman 1995: 234) wird. Dieser beschleunigte Veränderungsprozess geht mit der ambivalenten Situation einher, dass er zum Einen vorgegebene Koordinaten zur Orientierung relevanter werden lässt und zum Anderen aber der Mensch den „Rollenkäfig“ (Beck 1993: 63) durchbricht und somit die Risiken und Gefahren des Lebens selber tragen und ohne Rückgriff auf vorgegebene soziale Netzwerke in Form eines Familienverbandes, einer sozialen Klasse oder einer dörflichen Gemeinschaft bewältigen muss.

Die kollektiven Überlieferungen, d.h. die „narrativ verfaßten, kontextübergreifenden Darstellungen der gesellschaftlichen Entwicklung“ (Honneth, 1990: 669), lösen sich aufgrund von Pluralität, Ambivalenz und Entbettung zunehmend auf und damit auch ihre „identitätssichernden und kommunikationsstiftenden Funktionen“ (ebd.). Die ausdifferenzierten Formen von Wissen, Lebensentwürfen und Handlungsmustern widerstreben einer allumfassenden normativen Bindekraft von Werten und Normen.

Die Pluralität von Sinnwelten lässt auf eine Frage mehrere (widersprüchliche) Antworten entstehen, welche schließlich nicht länger in die dem „Subjekt vorangehenden Grundlagen der Gesellschaftlichkeit“ (Bauman 1995: 231) eingebunden sind. Die Entbettung aus den sozialen Milieus und Rollenmustern mit ihren normativen Vorgaben bedeutet zugleich, keine Orientierung mehr über diese erhalten zu können.

Der einzelne Mensch ist dadurch gefordert, eine Orientierung über eigens geschaffene Sinnstrukturen herzustellen und diese den zunehmend beschleunigten Veränderungsprozessen der Gegenwart anzupassen.


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