1.
Defizite und Entwicklungspotential in der Technischen Orthopädie
1.1.
Defizite in der Technischen Orthopädie
Defizite
in der Orthopädietechnik bestehen für mich besonders in struktureller Hinsicht.
Beginnend mit dem Ausbildungssystem zum Orthopädietechniker (OT) lassen sich
meines Erachtens folgende Kritikpunkte aufstellen:
Zum einen haben
sich die Anforderungen an Orthopädietechniker in den letzten Jahren wesentlich verändert
und werden sich auch zukünftig weiterentwickeln. Vor allem wegen des
fortlaufenden technologischen Wandels und ständiger Neuentwicklungen muss
bereits das Ausbildungssystem, welches seit 1990
keine Veränderungen erfahren hat, neu ausgerichtet und an die Anforderungen
angepasst werden.
Zum anderen wurde
der Unterrichtsinhalt, welcher in den Berufsschulen vermittelt wird, seit
Jahrzehnten nicht an die zukünftigen Anforderungen angepasst. Dies ist
eventuell auch auf die unzureichend spezifische Ausbildung mancher
Lehrkräfte bzw. auf fachfremde Lehrkräfte zurückzuführen. Der Unterricht an den
Berufsschulen sollte sich nicht nur auf die Grundkenntnisse und die
handwerklichen Ausbildungsinhalte beschränken, sondern auch zukünftig wesentlichere
Inhalte, wie den Umgang mit Messsystemen und Computern, (Bio‑)Mechanik
und Konstruktionstechniken sowie Englisch, für die Kommunikatio mit
ausländischen Patienten und Firmen, beinhalten. Auch die soziale Komponente,
die für den richtigen Umgang mit den Patienten unumgänglich ist, sollte im
Unterricht mitverankert werden.
Aufgrund der
immer höheren technischen Anforderungen an Orthopädietechniker und um sicherzustellen,
dass gut ausgebildete, verantwortungsbewusste Fachleute aus dieser Ausbildung
hervorgehen, sollten auch die Zulassungsvoraussetzungen überdacht werden. Zur
Zeit bestehen keinerlei Zulassungsvoraussetzungen und sogar Umschüler aus
fachfremden Berufen, deren Ausbildungszeit sich dadurch auch noch verkürzt,
können diesen Beruf ohne weiteres erlernen. Um der dadurch auftretenden
Problematik entgegenzuwirken, denke ich, ist es notwendig, zumindest den
Realschulabschluss und ein erfolgreich absolviertes Praktikum in der
Orthopädietechnik als Zulassungsvoraussetzung anzustreben. Somit wäre
gewährleistet, dass die Auszubildenden den Anforderungen gewachsen sind und
sich aus Interesse und nicht aufgrund der unbeschränkten Zulassung für den
Beruf des Orthopädietechnikers bzw. Orthopädieschuhtechnikers entscheiden.
Als weiteren
Kritikpunkt in der Orthopädietechnik sehe ich den Umgang mit einzelnen
Patienten. Aufgrund von Personalmangel in den Werkstätten bei einer zu großen
Auftragslage und Fristeneinhaltungen oder einfach aus Desinteresse, kommt die
individuelle Betreuung und Versorgung des einzelnen Menschen oft zu kurz.
Häufig erfolgt eine unzureichende Aufklärung über die Versorgung und es wird
vielmehr am, als mit dem Patienten gearbeitet.
Auch das
Gesundheitssystem ist ein großes Problem für die Versorgung der Patienten. Oft
sind „Kassenpatienten“ benachteiligt, da ihre Krankenkassen die angestrebte
Versorgung gar nicht oder nur teilweise übernehmen und die Patienten selbst
finanziell nicht in der Lage sind die Versorgung privat zu bezahlen. Allerdings
werden auch in den Sanitätshäusern oftmals Kassenpatienten „schlechter“ bzw.
unzureichender versorgt, da das Hauptinteresse auf den Privatzahlern und somit
„Geldbringern“ liegt. Viele Versorgungen der Kassenpatienten erfolgen über
Fertig- bzw. Halbfertigprodukte, obwohl eine individuelle Versorgung notwendig
wäre. Besonders deutlich wird dies in der Schuheinlagen- Versorgung – hier
entsteht ein Bild der „Fließband- Abfertigung“. Die fehlende Bereitschaft
mancher Orthopädietechniker und Meister, neue Techniken anzuwenden und neue
Produkte und Werkstoffe auszutesten ist oft ein weiterer Grund für eine nicht
ausreichende oder für den Patienten unzufriedenstellende Versorgung.
Vor allem die
„alteingesessenen“ Techniker bzw. Meister, welche mit ihren bisherigen Arbeits-
und Fertigungsweisen immer „gut gefahren“ sind, sehen oft keinen Grund für ein
Umdenken und nehmen Neuentwicklungen oder in Fortbildungen vermittelte neue
Denkansätze nicht an. Sie sind in ihrem Denken häufig eingefahren und oft nicht
bereit für Neues. Dies hindert sie natürlich an einer persönlichen und somit
auch einer betrieblichen Weiterentwicklung.
Auch die
interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Therapeuten, Orthopädie(‑schuh)‑Technikern,
Krankenkassen und Herstellern sollte eine größere Aufmerksamkeit und Bedeutsamkeit
erhalten. Aufgrund von mangelnder oder fehlender Kommunikation kommen unzufriedenstellende
Versorgungen oder zum Teil auch Fehlversorgungen zustande. Diese könnten durch
eine intensivere Absprache der einzelnen Verantwortlichen oftmals vermieden
werden. Des Weiteren kommt vor allem die Aufklärung und Absprache mit den
Patienten oft zu kurz.
Die Einführung
des Studiengangs zum Dipl.-Ing. bzw. Bachelor der Technischen Orthopädie wirft
eine weitere „Problematik“ auf. Bei vielen Technikern herrscht eine Art
Konkurrenzdenken, welches darin besteht, dass die ausgebildeten Diplom-
Ingenieure bzw. Bachelor auf dem Arbeitsmarkt die Stellen der Gesellen oder
Meister der Orthopädietechnik und -schuhtechnik beanspruchen. Dies kommt meines
Erachtens vor allem dadurch zustande, dass in diesem Bereich eine unzureichende
Aufklärung seitens der Innungen und Fachhochschulen besteht. Es sollte besser
darüber informiert werden, wie ein zukünftig synergetisches Arbeiten zwischen
Praxis und Theorie erfolgen kann.
1.2.
Entwicklungspotential in der Technischen Orthopädie
Entwicklungspotential
sehe ich in sehr vielen Bereichen, da hier weitgefächerte Aufgaben- und
Forschungsgebiete bestehen. Neben der immer fortlaufenden Entwicklung im
Bereich der Prothetik, Orthetik und Rehatechnik vor allem hinsichtlich neuer
bzw. verbesserter Werkstoffe und Konstruktionstechniken, sollte der Fokus der
Entwicklung auch auf andere, weniger erforschte Gebiete fallen. Diesbezüglich
möchte ich hier vor allem die Gebiete der Neuroprothetik, Bionik und Therapieansätze
nennen, da hier noch großes Forschungs- und Entwicklungspotenzial besteht.
Im Bereich der
Neuroprothetik ist speziell die Entwicklung von Arm- und Handprothesen von
großer Bedeutung, da die Steuerung der oberen Extremitäten wesentlich komplexer
ist, als die der unteren Extremitäten. Hierbei wird versucht, durch biologische
Steuerung über das ZNS und PNS die Prothese zu bewegen und Greiffunktionen
auszuführen – d.h. die technische Prothese durch körpereigene Signale zu
steuern.
Interessant ist hier vor allem eine Entwicklung hinsichtlich der
Wiederherstellung der Sinneseindrücke, wie Tastsinn, Temperatur- und
Druckempfinden. Das Fehlen dieser Empfindungen bzw. der sensorischen
Rückmeldung ist für Patienten oft ein Grund dafür, die Arm- bzw. Handprothese
abzulegen und ausschließlich mit dem vorhandenen Stumpf zu arbeiten. Die
Prothese ist hier oftmals eher ein Hindernis als ein Hilfsmittel.
Im Bereich der
Bionik besteht vor allem hinsichtlich der Prothetik und Rehabilitation
Entwicklungspotential. Da sich die Bionik mit dem Vorbild der Natur
beschäftigt, ist es hier interessant Prothesenkonstruktionen dahingehend zu
entwickeln, die natürliche Funktionalität der verlorenen Extremität möglichst gut
nach zu empfinden.
Auch in der
Rehabilitation von bspw. querschnittsgelähmten Menschen oder Patienten nach
einem Schlaganfall, ist die Weiterentwicklung des Exoskeletts von großer
Bedeutung. Hierdurch soll es diesen Patienten ermöglicht werden, ihr Leben
größtenteils eigenständig zu bewältigen und nicht ausschließlich an ihr zu
Hause oder eine Pflegeeinrichtung gebunden zu sein. Außerdem könnte das
Exoskelett eine Unterstützung des Pflegepersonals hinsichtlich der Versorgung
bettlägeriger Patienten darstellen, indem es aufgrund seiner „hydraulischen
Muskulatur“ möglich ist, diese Patienten ohne Kraftaufwand umzulagern oder
bspw. aus dem Bett in einen Rollstuhl umzusetzen.
Hinsichtlich der
Therapiemöglichkeiten besteht vor allem Entwicklungspotential dahingehend, dass
Therapien so weiterentwickelt werden, um Operationen möglicherweise vermeiden
zu können. Bspw. ist die Fragestellung interessant, ob Skoliosetherapien
unterstützend zum oder sogar anstelle des Korsetts auch mit Botulinumtoxin
möglich wären (Bezug zum Seminar: Behandlungsmöglichkeiten von Spastiken mit
Botulinumtoxin, U.Hafkemeyer, Coesfeld). Oft entsteht eine Skoliose durch das
Ungleichgewicht der Rückenmuskulatur. Mit Hilfe des Botulinumtoxins wäre es
evtl. möglich, die Muskulatur mit einem zu starken Tonus für eine gewisse Zeit
zu entspannen und somit den einseitigen Zug auf die Wirbelsäule zu minimieren. Eine
Verkürzung der Tragezeit des Korsetts könnte somit evtl. erreicht werden. Hier
wäre allerdings eine Zusammenarbeit von Medizinern und Technischen Orthopäden
gefragt.
2.
Eigene Entwicklung im Fach Orthopädietechnik nach dem Studium
Die
Einschätzung meiner persönlichen Entwicklung im Bereich der Orthopädietechnik
nach dem Studium ist für mich z. Zt. nur eingeschränkt möglich da mein Interesse
in vielen Bereichen dieses Fachs liegt.
Unter
anderem sehe ich mich in den, unter dem Punkt des Entwicklungspotentials
bereits genannten Bereichen, wie z. B. der Entwicklung der Neuroprothetik,
Bionik und Rehatechnik. Ich finde es interessant Prothesen dahingehend
weiterzuentwickeln, dass sie direkt durch körpereigene Signale angesteuert
werden können und Orthesen zu konstruieren, die angenähert an die Bionik,
möglichst natürliche Bewegungsabläufe ermöglichen, ohne ihre stützende und
führende Funktion einzuschränken. Das Ziel dabei ist auch, Hilfsmittel bei
aller Funktionalität so minimalistisch, also wenig auftragend, wie möglich und
so einfach wie für den Patienten nötig zu entwickeln.
Da
es mir wichtig ist, den Patientenkontakt in meinem späteren Beruf nicht zu
verlieren sehe ich meine Tätigkeiten nach dem Studium bspw. auch in
Rehabilitationseinrichtungen bzw. Kliniken oder im Bereich der Biomechanik.
Hier möchte ich gern mit den Patienten zusammenarbeiten und bspw. überprüfen,
inwiefern eine Versorgung für sie geeignet ist und in welchen Bereichen noch
Verbesserungspotential im Umgang mit dem Hilfsmittel oder im Bewegungsablauf
besteht.
Des
Weiteren halte ich es auch für möglich, dass meine zukünftige Tätigkeit im
Bereich der Gutachtenerstellung besteht. Hierbei liegt mein Interesse vor allem
in der Prüfung der Hilfsmittelqualität , –sicherheit und –handhabbarkeit für
einen Patienten vor einer Versorgung oder auch nach einem Unfall mit einem
Hilfsmittel.
Literaturverzeichnis
1 Jüttner, F.;
2009; Gesundheitspolitischer Tag des BIV in Bielefeld;
14. März 2010
2 Wünschmann,
B.; 2008; Cyberhände, Neuroprothetik und die bionische Revolution – die neue
Welt der Orthopädie; cyberhaende_neuroprothetik/index_ger.html;
14. März 2010
3 Unbekannter
Autor; 2008; Exoskelett hilft beim Gehen; wissenschaft/mensch/0,1518,582728,00.html;
14. März 2010