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Seminararbeit / Hausarbeit

Das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt

6.253 / ~27 sternsternsternsternstern Georg R. . 2012
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Seminararbeit
Geschichte / Historik

Universität Duisburg-Essen - UDE

2010, Dr.Hiepel

Georg R. ©
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sternsternsternsternstern
ID# 16818







Das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt


1.Einleitung


Das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas. Noch vor 30 Jahren wäre dies für die meisten Menschen in Deutschland undenkbar gewesen und die Menschen in Europa hätten das Ruhrgebiet gar nicht als einheitliches Siedlungs- und Kulturgebiet gekannt.

Das Ruhrgebiet galt vielen damals noch als grau und dreckig und wenn Kultur im Ruhrgebiet stattgefunden hat, dann bestenfalls im Bereich von Fußball, Bier und Currywurst.

Dieses Bild scheint sich aber schlagartig geändert zu haben. Das Ruhrgebiet ist nichtmehr nur belächelte Besonderheit mit verschrobenen Einwohner, sondern ein kulturelle Besonderheit in Deutschland und wohl auch in Europa.

Diese Arbeit soll zunächst die Frage klären, was überhaupt dieses „Ruhrgebiet“ ist und was man darunter versteht. Der lange Weg von Schwerindustrie zur Dienstleistungsregion, sprich der Strukturwandel, soll kurz nachgezeichnet werden, woraufhin dann verstärkt auf das Thema Kulturhauptstadt Europas und Kulturhauptstadt 2010 eingegangen werden soll.

Wie stellt sich letztlich das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt dar und lässt sich das Jahr 2010 als Höhepunkt des Strukturwandels ansehen.

Gerade im letzten Teil der Arbeit wird es schwierig sein auf diese Frage gemünzte Forschungsliteratur zu finden, da das Thema mehr als Aktuell ist. Dennoch soll versucht werden herauszustellen, welche Beweggründe das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt hat und wie Kultur in diesem Zusammenhang gebraucht wird.


2.1 Ausdehnung und Bevölkerung im Ruhrgebiet


Will man sich dem Ruhrgebiet zunächst eher nüchtern und auf reine Fakten begrenzt nähern, so dient ein Blick auf die Internetseite des Regionalverbandes Ruhr(RVR), um erste, glaubwürdige Erkenntnisse zu bekommen.

So besteht, nach der letztlich allgemein anerkannten Definition des RVR das Ruhrgebiet aus elf kreisfreien Städten und vier Kreisen mit weiteren 42 angehörenden Städten – also insgesamt aus 53 Städten und Gemeinden.[1]

Dies sagt jedoch wenig darüber aus, welche immense Fläche das Ruhrgebiet überzieht. Insgesamt umfasst das Ruhrgebiet 13 % der Gesamtfläche Nordrhein-Westfalens, also knapp 4435km². Dabei erstreckt sich die größte Ausdehnung von Nord nach Süd über 67 km und von West nach Ost über 116km. Immer zu bedenken gilt hierbei, dass es sich um die Ausdehnungen des Gebietes des RVR handelt.[2]

Auf diesem Gebiet leben momentan ca. 5 Millionen Einwohner, was einer Bevölkerung von ungefähr 1100 Menschen pro km² entspricht.[3]


2.2 Naturräumliche Gliederung


Natürlich besteht eine Region nicht nur aus seiner Bevölkerung und der reinen territorialen Ausdehnung. Vielmehr bestimmt auch die naturräumliche Gliederung eine solche Region wie das Ruhrgebiet.

Letztlich wird die Raumstruktur des Ruhrgebiets auch heute noch vom Verlauf der für das Ruhrgebiet wichtigen Flüsse bestimmt. Im nord- südlicher Richtung grenzt der Rhein das Ruhrgebiet von der Niederrheinebene ab und bildet eine Verbindung zur Nordsee über den Hafen von Rotterdam.

In ost- westliche Lage wird das Ruhrgebiet von drei kleinere Flüssen, Ruhr, Emscher und Lippe, strukturiert und nicht zuletzt, schon in historischer Sicht durch den alten Handelsweg Hellweg, der schon im Mittelalter den Handel Richtung Osten bestimmte.[4]


2.3 Kulturräumliche Entwicklung


Viel wichtiger für den Fortlauf dieser Arbeit soll aber die Entwicklung des Kulturraumes Ruhrgebiet sein, da nur diese Betrachtung die nötige Basis gibt um den strukturellen Wandel im Ruhrgebiet verstehen zu können. Hierbei soll vornehmlich auf die Entwicklung des Wirtschaftsraumes und auf die Entwicklung der Bevölkerung im 19. Jahrhundert eingegangen werden, da diese Zeit den Grundstock für alle Entwicklungen des 20. Jahrhunderts gelegt hat.


2.3.1 Entwicklung des Wirtschaftsraumes im 19. Jahrhundert


Noch im 18. Jahrhundert war das Ruhrgebiet ein stark landwirtschaftlich dominiertes, nicht besonders dicht besiedelter Lebensraum, deren vornehmliche Ausdehnung am Hellweg und der Lippe orientierte. Städte wie Dortmund, Duisburg und Essen hatten dabei noch im 15. Jahrhundert keine ungewichtige Stellung als Handelsstädte inne, was sich aber durch die Kriegswirren zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert stark änderte.[5]

Nichtsdestotrotz wurde schon im 18. Jahrhundert die an der Oberfläche lagernde Kohle für den Hausbrand verwendet. Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden dann zunehmen auch überregionale Absatzmärkte für die Kohle gesucht und gefunden, was letztendlich zu einem ersten Höhepunkt der Kohleförderung führte.

So gab es um 1800 schon ca. 900 Zechen. Nur ungefähr 50 Jahre später wurden auf der, durch Schleusen, schiffbar gemachten Ruhr jährlich knapp 800000 Tonnen Steinkohle transportiert.[6]

Einen massiven Aufschwung erlebte der Ruhrbergbau dann in den Jahren bis zum 1. Weltkrieg. Von einer Jahresfördermenge um 2. Mio t. Kohle stieg die Fördermenge auf ca. 114 Mio t. Im Jahre 1913 an.

Dies hatte natürlich verschiedene Ursachen. Eine der Hauptursachen war die technische Weiterentwicklung der Dampfmaschine in den 1830er Jahren. Durch den Einsatz der Dampfmaschinen wurde es möglich Steinkohle auch aus wesentlich tieferen Stollen zu fördern, weil somit das sonst störende Grundwasser abgepumpt werden konnte. Somit konnte der Bergbau vom Ruhrtal weiter nördlich rutschen.

Die Dampfmaschine war aber nicht nur in produktionstechnischer Sicht ein wichtiger Anschub für den Bergbau, sondern war auch direkt einer der Hauptabnehmer der geförderten Kohle – nämlich als Dampflokomotive. In den 1840er Jahren entstand mit der Köln-Mindener Eisenbahn ein erstes großes Bahnnetz in Westdeutschland, welches einerseits half die geförderten Kohlemengen zu transportieren, andererseits ein großer Abnehmer der nun auch im Ruhrgebiet erzeugten Stahlmengen war.

Da gegen Ende der 1840er Jahre erstmal Erz mit Koks anstatt mit Holz verhüttet wurde, erkennt man hier einen Kreislauf, der zum umfassenden wirtschaftlichen Aufschwung des Ruhrgebiets im 19. Jahrhundert geführt hat.[7]


2.3.2 Die Bevölkerungsentwicklung im Ruhrgebiet im 19. Jahrhundert


Natürlich unterwarf die wirtschaftliche Entwicklung auch der Bevölkerung weitreichende Veränderungen. Lebten 1852 in den Städten und Gemeinden des Ruhrgebiets gerademal knapp 400000 Menschen, waren es knapp 70 Jahre später ca. 4 Millionen Menschen, die im Ruhrgebiet lebten und arbeiteten. Zu begründen ist dies natürlich mit dem immensen Bedarf an Arbeitskräften, der durch die Ausbreitung der Industrie bestand.

Als folge dieses massiven Zuzugs entstanden neue Siedlungskerne auf bisher kaum bewohnten Land. Dies geschah zumeist nach recht ähnlichen Abläufen. In Betriebsnähe zu neu geteuften Schächten wurden Werksarbeiterwohnungen errichtet, die dann weitere infrastrukturelle Bauten nach sich zogen. Auf diese weise dehnte sich der Siedlungsraum immer weiter aus.[8]

Ab den 1880er-Jahren bestand die Zuwanderung vornehmlich aus Menschen aus Ost- und Westpreußen, Galizien und Slowenien.[9]


2.3.3 Die weitere Entwicklung nach dem 1. Weltkrieg


Der 1. Weltkrieg stellte für Wirtschaft und Bevölkerung des Ruhrgebiets einen tiefen Einschnitt dar. War bis zum 1. Weltkrieg die Region von starkem Aufschwung gekennzeichnet, war die Zeit zwischen den Weltkriegen von Krisen und Katastrophen, aber auch von neuerlichem Aufschwung gekennzeichnet. Selten zuvor war die Region in einem so starken Ausmaß durch politische Entscheidungen gekennzeichnet, wie in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg.

Auf eine teilweise Besetzung folgte die Inflation, auf die Inflation die Weltwirtschaftskrise und auf die Weltwirtschaftskrise der Nationalsozialismus.

Nach dem 1. Weltkrieg, als Folgen des Versailler Vertrages, stieg die Bedeutung des Ruhrgebiets noch weiter an. Durch die Ausgliederung anderer Industriezentren, wie Lothringen, das Saarland und Oberschlesien, war das Ruhrgebiet das dominante Gebiet der Schwerindustrie im Deutschen Reich. Nicht nur der Anteil an montanindustrieller Produktion stieg, sondern auch das absolute Produktionsniveau erfuhr einen Aufschwung.

Dabei sind besonders zwei Tendenzen zu kennzeichnen. Die Betriebe wurden in immer größeren Unternehmen zusammengefasst und die die Rationalisierung der Produktionsabläufe führte auch im Ruhrgebiet zum Abbau der Beschäftigung.[10]

Schaut man sich die konkreten Zahlen an, wird dies besonders deutlich. Waren zum Höchststand im Jahre 1922 noch 545000 Menschen in der Industrie des Ruhrgebiets beschäftigt, waren es 1930 ca. 360000 weniger. Natürlich spielte in diesem Rückgang auch die Weltwirtschaftskrise eine wichtige Rolle, wobei der Beschäftigungsverlust aufgrund von Rationalisierungen im Produktionsablauf nicht unterschätzt werden darf.[11]

Einen deutlichen Einschnitt stellte die Rüstungspolitik in der Zeit des Nationalsopzialismus dar. So war diese Zeit geprägt durch die Ausrichtung der Industrie im Hinblick auf die Aufrüstung unter den Nationalsozialisten. Dennoch hatte das Ruhrgebiet nicht mehr einen solch exklusiven Status inne, wie es noch in der Kaiserzeit war.

Dies lag daran, dass die Industrie in anderen Teilen des Landes ebenso stark in den Fokus der nationalsozialistischen Rüstungsindustrie rückte. Zwar wurden auch im Ruhrgebiet neue Anwendungsfelder für den Bergbau geschaffen, wie die Produktion synthetischen Mineralöls, aber schlussendlich führte der Bedarf an rüstungsrelevanter Produktion zu einer Verfestigung alter Industriezweige.

Auch auf der Seite der Bevölkerung hatte der hohe Industrieabsatz während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft kaum günstige Auswirkungen. So war das Ruhrgebiet sozial besonders belastet und hatte erhebliche Probleme im Bereich der sozialen Infrastruktur. Eine wirkliche Wirtschafts- und Strukturpolitik, abseits der schon erwähnten üblichen Industriestruktur, hat es nicht gegeben.[13]


2.3.4 Die weitere Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg

Nach dem 2. Weltkrieg folgte im Ruhrgebiet ein verhältnismäßig rascher Wiederaufbau. Die im Krieg auf unter 4 Miliionen gesunkene Bevölkerungszahl stieg nach Kriegsende rasch wieder auf über 5,5 Millionen an. Das Ruhrgebiet konnte als Motor des Wirtschaftswunders bezeichnet werden.[14]

Diese Entwicklung fand mit der Kohlekrise 1958 ein frühes Ende. Unter dem Wettbewerbsdruck von ausländischen Importregionen und durch die Konkurrenz des Öls mussten bald bemerkbar viele Kohlezechen schließen. Was ursprünglich als Motor des „Wirtschaftswunder“ angesehen wurde, wurde nun schnell zu einem Sorgenkind der noch jungen Bundesrepublik Deutschland.[15]

Eine ähnliche Auswirkung hatte der Niedergang der Stahlindustrie auf das Ruhrgebiet. Waren gegen Ende der 1950er- Jahre noch über 300000 Menschen beschäftigt, sind es heute nur noch wenig mehr als ein sechstel der damaligen Zahl.[16]

Der Niedergang dieser beiden über viele Jahrzehnte so dominaten Industriezweige hatte natürlich weitreichende Auswirkung auf die Arbeitsmarktstrukturen.

Noch in den 1960er-Jahren waren fast 60% der Beschäftigten im sekundären Sektor zu finden. Natürlich fielen diese Arbeitsplätze durch den zuvor geschilderten Prozess der Deindustralisierung zum Opfer. Gegen Ende des Jahrtausends hatte sich die Lage umgekehrt. Nun waren über 60% der Beschäftigen im tertiären Sektor zu finden und nur noch knapp über 30% waren Teil der industriellen Produktion.[17]



Will man wissen, wie sich das Ruhrgebiet im Jahre 2010 versteht und was es in diesem Zeitraum kulturell leisten will, lohnt es sich zunächst anzuschauen, was überhaupt unter dem Begriff der Kulturhauptstadt zu verstehen ist. Dazu dient der Beschluss Nr. 1622/2006/EG des Europäischen Rates. So ist es mit der Ernennung einer Stadt zur Kulturhauptstadt Ziel „des Reichtum und die Vielfalt nder europäischen Kulturen sowie ihren Gemeinsamkeiten herauszustellen und einen Beitrag zum gegenseitigen Verstehen der europäischen Bürger zu leisten“.[18]

Diese Leitlinie wurde letztlich wörtlich auch in den FAQ der Homepage 2010 übernommen. Doch was sind nun die genauen Rahmenbedingungen und Ausgestaltungen dessen, was recht pauschal und allgemein gehalten einerseits beschlossen wurde und andererseits als erstes im Internet zur Zielsertzung zu finden ist? Und, wie kam es, dass sich Essen stellvertretend für das Ruhrgebiet für diesen Titel beworben hat und welche Auswirkungen mag das Jahr 2010 im Sinne des Strukturwandels gehabt haben?


3.1 Ein Blick in die Geschichte der Kulturhauptstadt- Entstehung und Nutzung der Kulturhauptstadt


Zunächst sei angemerkt, dass Kultur zu Beginn der Europäischen Gemeinschaft, als den 1950er-Jahren, kaum eine Rolle spielte. Hauptaugenmerk der Kooperation europäischer Staaten lag auf der technischen-wirtschaftlichen Seite. Kultur wurde weithin als nationale Angelegenheit betrachtet, da die Unterschiede zwischen den Staaten als zu unterschiedlich angesehen wurden.

So ist die Idee er europäischen Kulturhauptstadt noch recht Jung. Die Idee kam 1983 durch die griechische Kultusministerin Mercouri auf und 1985 wurde das erste Mal eine Stadt, Athen, zur Kulturhauptstadt/Kulturstadt Europas.

Umsetzbar war diese Idee, weil die Organisation außerhalb der üblichen Gemeinschaftsverträge, also auch ohne die übliche Vertragsgrundlage, getroffen wurde. Mercouri sah den Nutzen in einer Kulturhauptstadt darin, dass durch eine Kulturhauptstadt die gemeinsamen Ursprünge der europäischen Staaten und deren Kultur darstellbar wurden und hierdurch die europäische Identität, samt Zustimmung zur europäischen Einheit, gestärkt werden sollte.[20]

Was sollte nun inhaltlich geschehen, wenn eine Stadt zur Kulturhauptstadt auserkoren wurde? Primär sollte es in diesem Jahr einen intensiven Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen geben. Auf wirklich strikte inhaltliche Vorgaben wurde aber zunächst verzichtet – einige Kriterien gab es dennoch. So hieß es im 1985 verabschiedeten Minimalkatalog:


Man erkennt an diesen recht ungenauen die betont groß geschriebene Freiheit, die die ausgewählten Städte programmatisch auszufüllen hatten. Es sollte bei der Kulturhauptstadt dennoch nicht singulär um einen Austausch der Kulturen gehen- auch kulturelle Besonderheiten der austragenden Städte sollten einen Platz im Programm finden. Gemeinsamkeiten sollten durch Blick auf Besonderheiten geschärft werden.

Die ersten austragenden Städte gegen Ende der 1980er-Jahre waren folglich auch Städte, die sinnbildlich für die Europäische Kultur stehen und Standen. Anzumerken ist dabei natürlich, dass zunächst nur westeuropäische Städte ausgewählt wurden. Erste Kulturhauptstadt war demnach 1985 Athen, gefolgt von Florenz, Amsterdam, Westberlin und Paris in den kommenden Jahren.

Programmatisch legten diese Städte ihren Schwerpunkt auf die europäische Hochkultur. Lokale Künstler und Szenen wurden dabei nur sehr verhalten mit einbezogen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass in diesen Anfangsjahren noch sehr verhalten mit dem Label Kulturhauptstadt umgegangen wurde. Oftmals wurden schon bestehende kulturelle Veranstaltung in den Städten lediglich ausgebaut oder modifiziert.

Ein erster Thematischer Einschnitt ist mit der Auswahl Glasgows zur Kulturhauptstadt 1990 zu sehen. Einerseits wurde das Programm das erste Mal von Beginn an für ein Jahr ausgelegt, andererseits wurde die Programmatik um einige Themenfelder erweitert. Die städtebauliche Perspektive wurde stärker in den Vordergrund gerückt und auch das Prinzip der Nachhaltigkeit hoben die Kulturhauptstadt Glasgow von den bisherigen Trägern ab.

Schon allein die Auswahl zeigte dies. Waren die anderen Städte Kulturstädte, wie sie plakativer nicht sein konnten, war Glasgow eine Stadt, die eine eher industrielle Geschichte hatte und unter dieser Bürde, und dem Strukturwandel, litt.

Aus diesem Grund zielte das Programm auch weniger auf Beiträge der Hochkultur – dies wäre wenig glaubwürdig und passend gewesen. Vielmehr sollte Kultur aus mehreren Bereichen ausgewählt werden und somit die Lebensqualität für alle Bürger erhöht werden. Dazu zählten auch städtebauliche Projekte, die ein hohes Budget forderten, aber schlussendlich zu einer messbaren Steigerung der Lebensqualität der Bürger führten.

In den 1990er-Jahren lässt sich eine Zweiteilung der Ausgestaltungen des Labels Kulturhauptstadt erkennen. Traditionell für Hochkultur stehende Städte beschränkten sich vermehrt darauf, genau diese Seite ihrer Stadt zu präsentieren. Es wurde also ein starker Fokus auf die rein künstlerische Ausgestaltung des Jahres gelegt.

Andere, weniger für hoch kulturelle Einrichtung bekannte Städte, versuchten durch Bau und Renovierungen repräsentativer Gebäude zu punkten. Städtebauliche Aspekte standen als im Vordergrund. Ganz grundsätzlich wollten aber alle Städte ihr Image verbessern und den Städtetourismus, der in den 1990er-Jahren immer beliebter wurde, auszunutzen.[24]

Diese touristische Perspektive gewann in der Folge immer größere Bedeutung. So war der Tourismus eine der wichtigsten Möglichkeiten ein neues und bemerkenswertes Image der jeweiligen Stadt möglichst vielen Menschen zu präsentieren und nicht zuletzt waren durch den Tourismus Einnahmen zur Refinanzierung der Projekte garantiert.

Durchschnittlich steigerten die Städte die Einnahmen aus dem Tourismus nach dem Kulturhauptstadtjahr um ca. 12% - der nachhaltige Imagegewinn ist hingegen nicht finanziell messbar, aber sicherlich auch vorhanden. Gerade Städte, die über keinen allzu ausgeprägtes Image als Kulturmetropole verfügten, konnten sich nun nachhaltig in das Gedächtnis der Menschen bringen.[25]

Die Ausrichtung der Kulturhauptstadt wurde nun immer begehrter – gerade auch aus finanzieller Sicht.


3.2 Essen auf dem Weg zur Kulturhauptstadt Europas – der Berwerbungsprozess


Will man den Bewerbungsprozess Essens auf dem Weg zur Kulturhauptstadt 2010 darstellen, kann man diesen Prozess grob in vier unterschiedliche Phasen einteilen. Zunächst bestand die eher wage und ungenaue öffentliche Idee, dass eine Bewerbung zur Kulturhauptstadt sinnbringend sein könnte. Auf diese erste Idee, die von Medien und Politik aufgegriffen wurde, kam es zu ersten internen Besprechungen und Sondierungen, die sich über nahezu drei Jahre hinzogen.[26]

Ein erstes Grundsatzpapier wurde in diesem Zeitraum am27.August 2001 verabschiedet. Erstellt wurde dieses Grundsatzpapier von einer Expertenkommission im Auftrag des damaligen Kommunalverbandes Ruhrgebiet. Inhalt des Papieres war unter anderem, dass, solange es nicht explizit durch die EU-Regularien festgelegt sein sollte, die ganze Region Ruhrgebiet Teil der Bewerbung sein soll – und nicht nur eine bestimmte Stadt.

Zwischen Bochum und Essen kam es letztlich auch zu der entscheidenen Abstimmung in der Verbandsversammlung des KVR, welche Stadt als „Bannerstadt“ fungieren sollte – eine Bewerbung als Region war in der Tat durch die EU nicht zugelassen worden. Essen entschied diese Abstimmung mit 23 von 44 Stimmen für sich und ging als Bewerbungsstadt in die nächste Phase des Bewerbungszyklus, der Landesausscheidung.[27]

Die Landesausscheidung war eine eher kurze Angelegenheit. Konkurrenten für Essen und das Ruhrgebiet waren die Städte Köln und Münster. Essen hatte im Vergleich zu den beiden anderen Städten die am meisten ausgearbeiteten Konzepte und auch den wohl stärksten Rückhalt in Industrie und Bevölkerung. Diverse Marketingaktionen als Zeichen der Geschlossenheit ließen es letztlich nicht verwunderlich wirken, dass die Jury des Landes NRW einstimmig Essen als Bewerber aus NRW um die Kulturhauptstadt auswählte.

Dabei sollten Essen und das Ruhrgebiet als Symbol des Strukturwandels von Industrie hin zur Kultur- und Dienstleistungsregion gelten.[28]

Um die Kräfte zu Bündeln, wurde auch diesmal, wie schon auf Landesebene, eine Sponsorenkonforenz einberufen, an der Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Medien und Sport teilnahmen. Auch diesmal sollte die Konferenz ein Zeichen der Kraft und des Willens sein Kulturhauptstadt zu werden. Letztlich sollte auch dieser Bewerbungsschritt von Erfolg gekrönt sein.

Am 29.April 2005 wurde entschlossen Essen der Europäischen Kommission für die letzte Entscheidungsrunde vorzuschlagen. Argumentative Grundlage für diese Entscheidung war einmal mehr der, in den Augen der Jury, gemeisterte Strukturwandel und die Relevanz der Kultur bei der Versöhnung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen im Ruhrgebiet.[29]

Die EU-Ausscheidung war die letzte zu bestehende Ebene. Tag der Entscheidung sollte hierbei der 11.April 2006 sein. Auf dem Weg bis zu dieser Entscheidung hatten die Bewerberstädte die Aufgabe und die Möglichkeit besonders plakative Projekte zu präsentieren, die die kulturelle Vielfalt darstellen sollten. Im Falle Essens wurde das Projekt „Melez“ aus der Taufe gehoben, welches darstellen sollte, wie stark ein friedliches Miteinander der unterschiedlichen Kulturen im Ruhrgebiet verwurzelt ist.


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