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Seminararbeit
Philosophie

Universität Konstanz

2009

Nancy S. ©
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ID# 15742







Im Namen der Selbstbestimmung

Die individualisierte Eugenik bei Peter Singer


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung. 1

2. Darstellung von Singers Einstellung zum Utilitarismus und Präferenz-2

Utilitarismus2

3. Aspekte der Euthanasie und Eugenik in Singers Argumentation. 7

4. Kritik der Argumentation. 14

5. Allgemeine Utilitarismuskritik. 18

6. Schlussbemerkung. 20

7. Literaturverzeichnis22



1. Einleitung

In der vorliegenden Hausarbeit komme ich Ernst Tugendhats Aufforderung nach die Euthanasiedebatte im Bezug auf Neugeborene aufzugreifen und teilweise auch unabhängig von Peter Singers Theorie zu diskutieren[1]. Dabei zeigt sich meiner Meinung nach besonderer Diskussionsbedarf im Hinblick auf die individualisierte Eugenik.

Diese wird bei Singer im Rahmen oder besser gesagt im Namen der Euthanasie eingeführt ohne sie explizit als solche zu kennzeichnen. Mein Anliegen ist es deshalb diesen Aspekt in der Argumentation Singers herauszuarbeiten, die daraus folgenden Konsequenzen kritisch zu betrachten und gegebenenfalls zu Lösungsansätzen mit deren Umgang zu gelangen, die auf die Praxis anwendbar sind.

Hierbei soll auch die Wechselwirkung von Moral und Ethik mit historischen, sozio-ökonomischen und kulturellen Begebenheiten berücksichtigt werden. Auf Grund des Themenschwerpunktes der individualisierten Eugenik werde ich mich mit der Euthanasie nur im Bezug auf die Eugenik beschäftigen. Deshalb wird auch keine Auseinandersetzung mit dem Kinsauer Manifest erfolgen, da sich dieses  hauptsächlich mit der Tötung auf Verlangen kritisch auseinander setzt, das in unserem Fall nicht vorliegt.

Auch werde ich mich nicht tiefergehend mit der Biopolitik, speziell Foucaults Governmentalität, auseinandersetzen, die die pränatale Diagnostik als poltische und moralische Diagnostik charakterisiert, wie sie Andrea Trumann ausführlich behandelt hat.[2] Damit zusammenhängend müssten dann auch die Ethiken des Sozialdarwinismus, des Transhumanismus und Posthumanismus als Bevölkerungspolitik behandelt werden, was dem Umfang entsprechend eine eigene Hausarbeit wert wäre.     

Beginnen werde ich die Hausarbeit mit der Darstellung von Singers veränderter Einstellung gegenüber dem Utilitarismus die ihn zum Präferenz-Utilitarimus führte, dessen allgemeine Kritik ich direkt im Anschluss an die Darstellung einbringe. Danach werde ich die Argumentation Singers für die nichtfreiwillige Euthanasie wiedergeben, wobei ich auch die Aspekte der individualisierten Eugenik an Hand der Pränatalen Diagnostik herausarbeite um diese in der anschließenden Kritik der Argumentation aufgreifen zu können.

Da sich die anschließende Kritik hauptsächlich mit der Problematik im Umgang mit der Pränatalen Diagnostik beschäftigt, werde ich schon in der Darstellung der Argumentation auf kritische Punkte im Bezug auf Singers Theorie zur Euthanasiedebatte eingehen. Darauf folgt vor der Schlussbemerkung, die einen Lösungsvorschlag zum Umgang mit der Pränatelen Diagnostik beinhaltet, eine allgemeine Utilitarismuskritik.

Die bezieht sich nicht wie gewohnt auf die formelle Struktur, die enthaltenen systemimmanenten Widersprüche und dessen Umsetzbarkeit in die Praxis, sondern fragt etwas allgemeiner nach der Eignung einer solchen mit dem Kapitalismus entstandenen Ethik für unsere Gesellschaft.

Als Primärtext dient mir die im Seminar gelesene Lektüre Praktische Ethik von Peter Singer. Da es auf diese entsetzte Reaktionen gab, konnte ich auf eine Vielzahl von Sekundärtexten zurückgreifen. Dabei habe ich mich hauptsächlich mit den Texten von Robert Spaemann, Thomas Fuchs, Regine Kollek, Thomas Lemke, Sabine Huber, Wolfgang Lenzen, Hans Küng, Walter Jens und Ernst Tugendhat auseinandergesetzt, da diese sich speziell mit der Hausarbeitsthematik befasst haben. 


2. Darstellung von Singers Einstellung zum Utilitarismus und Präferenz-Utilitarismus

Singers Position im Bezug auf den Utilitarismus hat sich zeitbedingt verändert. Auf diesen Umstand weist er im Vorwort der zweiten Auflage seiner Praktischen Ethik hin, die revidiert und erweitertet wurde. Er hat demnach im Gegensatz zur ersten Auflage die Position des Handlungsutilitaristen verlassen, die der Position der extremen Utilitaristen zuzurechnen ist, welche fordert jede Handlung direkt am Nutzenprinzip zu überprüfen.

Der Nutzen bemisst sich dabei, stark verkürzt dargestellt, an der allgemeinen Glücksmaximierung. An Hand der Nutzensbeurteilung kann so auf die Moralität einer Handlung geschlossen werden.

Singer bedient sich nun in der zweiten Auflage der Theorie R. M. Hares aus „Moral Thinking“, die beinhaltet, dass zwei Ebenen moralischen Argumentierens existieren, die es zu unterscheiden gilt. Zum einen in die Ebene des Alltags und der Intuition, zum anderen in die Ebene der kritischen Reflexion. Moralische Überzeugungen im Sinne der reflexiven Ebene sollten nach dieser Theorie nicht als Testinstanz des realistischen Denkens gelten, da die Anwendung dieser als schwierig und langwierig gilt und deshalb im praktischen Leben kaum Anwendung finden kann.

Die Ebene der kritische Reflexion mutiert in diesem Modell zur Handlungsvariable, die als Orientierung herangezogen werden kann, aber nicht obligatorisch ist. Diese Theorie ist als Zwei-Stufen-Theorie bekannt und Singer setzt zusätzlich an die Stelle der eben besprochenen Variable seine Version des Präferenz-Utilitarismus.[3]

Auch diese Modulation stellt eine Änderung zur ersten Auflage der Praktischen Ethik dar, in der er noch den klassischen Utilitarismus vertreten hat. Der Unterschied zur ersten Auflage besteht darin, dass Singer zuvor für eine Zweiteilung des klassichen Utilitarismus plädiert hat, die sich auf Grund der Unterscheidung in empfindungsfähige, selbstbewusste Wesen und in solchen die empfindungsfähig, aber nicht selbstbewusst sind, ergibt.

Damit ergab sich die Anwendung der „Vorherige-Existenz“-Version auf empfindungsfähige und selbstbewusste Wesen und die „Totalansicht“-Version auf empfindungsfähige, aber nicht selbstbewusste Wesen. Die damit angestrebte Kombination der beiden Versionen des Utilitarismus möchte er nun anstatt dessen durch den Präfernz-Utilitarismus trennen.

Da die zwei Existenz-Versionen auch in der zweiten Auflage für Singers Argumentation eine Rolle spielen, möchte ich sie an dieser Stelle schon an Hand Singers neuer Auffassung einführen. Die zwei Ansätze unterscheiden sich in der Umsetzung des gemeinsamen Zieles, die lustempfindenden Wesen zu vermehren und die Lust der schon vorhandenen lustempfindenden Wesen zu erhöhen.

Wobei man unter der Vermehrung von lustempfindenden Wesen nicht ausschließlich eine Populationssteigerung zu verstehen hat, sondern sich beispielsweise auch eine positive Förderung von schmerzempfindenden Wesen vorstellen kann.

Unter dem Ansatz der „Totalansicht“ ist es jedoch tatsächlich gleichgültig, ob die positive Glücksbilanz durch bereits existierende oder neu gezeugte Wesen angehoben wird. Bei der Aussicht auf die Steigerung der gesamten Glücksbilanz ist diese sogar verpflichtend. Bei einem zeugungsfähigen Paar, für das Kinder keine Vor- oder Nachteile bedeuten würden und die notwendigen Voraussetzungen gegeben wären, würde diese Ansicht somit zur Zeugung verpflichten.

Betrachten wir hierbei wieder ein Paar, das diesmal jedoch nicht geeignete Voraussetzungen bietet ein glückliches Wesen zu zeugen, da es genetisch vererbbare Krankheiten aufweist. Singer kommt hierbei zum Urteil, dass es nicht dirket unrecht sei ein potentiell unglückliches Kind zu zeugen, da die Summe des Schmerzes auf Grund des unglücklich lebenden Menschen durch Euthanasie wieder verringert werden könnte.

Da die letztgenannte Möglichkeit voraussichtlich sehr belastend wäre, solle man deshalb besser gänzlich auf eine Empfängnis verzichten. Durch die neue Erkenntnis, dass die beiden Existenz-Versionen zwei verschiedener Seinskategorien zugeordnet werden müssen, ist Singer in der Lage wieder einen gemeinsamen Utilitarismus zu postulieren, zumindest für alle nach seiner Definition empfindungsfähigen Wesen.

Singer argumentiert von der Position einer utilitaristisch ausgerichteten Ethik, die im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Industriellen Revolution und des Kapitalismus, begründet wurde. Demzufolge wendet er sich gegen die Berufung auf Tradition, Konvention und Sitte. Die Maßstäbe des Utilitaristen bemessen sich an den Konsequenzen seiner Handlung.

Deshalb resultiert Singers Sympathie für das Zwei-Stufen-Modell von Hare daraus, dass sich seine „modernen“ Überzeugungen bei Regelkonflikten im Bezug auf neue und ungewohnte Situationen umsetzten lassen. Regelkonflikte treten nach Singer deshalb auf, weil die ungewohnte Situation gegenüber der intutiven abgewogen wird. Hier soll dann nämlich nicht mehr wie bereits erwähnt variabel die reflexive Ebene gewählt werden können um das Problem, wie beispielsweise die Euthansiedebatte, zu lösen, sondern ausdrücklich auf dieser reflexiven Ebene geeignete Prinzipien ausgewählt werden, an denen sich das intuitive Denken orientieren oder ableiten lassen kann.[4]

An Hares Theorie wird allgemein kritisiert, dass er mit der Zweiteilung der Ebenen des moralischen Argumentierens „eine nicht berechtigte Spannung im Bereich der Ethik und Moral auslöst.“[5] Weiter widerspricht auch J. C. Wolf der Annahme der Problemlösungskapazität des kritischen moralischen Denkens mittels des Präferenz-Utilitarismus, indem er betont, „dass das moralische Denken nicht alle Menschen zu den selben Resultaten führen muss.“[6]  Wie Singer den Konflikt auf dieser Ebene mit Hilfe seines Präferenz-Utilitarismus bewältigt, stelle ich nachfolgend anhand der Euthanasieproblematik dar.Der Präferenz-Utilitarismus stellt eine Weiterentwicklung und Modifikation des klassischen Utilitarismus dar.

Im vierten Kapitel „Weshalb ist Töten unrecht?“ charakterisiert Singer innerhalb der Thematik „der Wertdes Lebens“ den Präferenz-Utilitarismus dadurch, dass Handlungen dann moralisch falsch sind, wenn sie die Präferenzen von Wesen verletzen, ohne dass dies durch eine entgegengesetzte Präferenz ausgeglichen wird.

Auf Grund der Ausgangsfrage, ob Personen ein höheres Lebensrecht haben als Nicht- oder Un-Personen, gibt Singer eine Antwort. Die Tötung einer Person würde demnach ihren Wunsch zu existieren verletzen und zusätzlich auch deren zukunftsspezifischen Präferenzen. Die Tötung einer Person ist laut Singer schwerwiegender als die einer Nicht- oder Un-Person, da diese keine zukunftsorientierten Präferenzen haben kann.

Auf die hier zu Grunde liegende Unterscheidung von Singer zwischen Personen und Nicht- oder Un-Personen komme ich später noch ausführlicher zu sprechen. Angemerkt sei an dieser Stelle bloß schon, dass Singer die Unterscheidung zwischen selbstbewussten und nicht-selbstbewussten empfindungsfähigen Wesen durch die Unterteilung in Person und Nicht- oder Un-Person ersetzt.

Im Gegensatz zum klassischen Utilitarismus leitet sich aus den zu berücksichtigenden Präferenzen ein höheres Lebensrecht für Personen ab. Diese fanden im klassischen Utilitarismus keine Beachtung, da Handlungen dort an Hand erfahrbarer Lust bewertet werden und die mit der Tötung vernichteten Zukunftswünsche irrelevant für die Glücksbilanz dieser Person sind. Vorstellbar sind jedoch negative Auswirkungen auf andere Personen, die indirekt durch die Tötung und den damit einhergehenden Verlust der Person betroffen sind, was deshalb jedoch nicht für den höheren Lebenswert von Personen sprechen würde.

Ich stelle hier nur kurz die allgemeine Kritik gegenüber dem Präferenz-Utilitarismus und seinen drei konstituiven Elementen, der universale Aspekt, das Prinzip der gleichen Interessenabwägung und der hedonistische Aspekt von Singer dar, bevor ich nachfolgend zur speziellen Kritik im Bezug auf das Eugenikproblem komme.

Auch kann die im Utilitarismus geforderte Interessenberücksichtung der an der Handlung Betroffenen, die nach Singer zum sogenannte Gleichheitsprinzip führt, nicht bedeuten, dass die Interessen der Betroffenen im gleichen Maße berücksichtigt werden müssen.

Die Formalisierung der Grundsätze scheint darüber hinwegzutäuschen, dass nur im Kriterium der Universalisierbarkeit die moralische Begründung liegen kann, wie das beispielsweise bei Kant der Fall ist. Moralisch relevant ist deshalb nicht der Einbezug aller von meinen Handlungen Betroffenen genauso wenig wie die Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen im gleichen Maße.

Weiter stellen gerade die abstrakten, universalen Interessen bei der Bewertung ein Problem dar, da Phänomene wie Glück, Leid und Interesse entsprechend quantifiziert werden müssen.[7] „

Ein schwerwiegendes Problem in der Position Singers besteht also in der Frage „welcher Maßstab bei völlig divergenten Interessen anzulegen ist, wie diese also kommensurabel gemacht werden können.“[8] Nicht nur der Maßstab, auch die Begründung und Definition fehlt für die Bevorzugung bestimmter Entitäten wie Leid, Glück und Lust.

3. Aspekte der Euthanasie und Eugenik in Singers Argumentation

Bevor ich zur Darstellung Singers übergehe, in der die nichtfreiwillige Euthanasie und  die Eugenik im Bezug auf den Präferenz-Utilitarismus abgehandelt wird, möchte ich vorab kurz auf die allgemeine Begriffsklärung von der Euthanasie eingehen. Zur näheren Bestimmung der Eugenik komme ich an der entsprechenden Stelle im Text.

Singer behandelt im siebten Kapitel im Rahmen des Themas der Euthanasie auch die Tötung von menschlichen Wesen, die nicht direkt auf Grund ihrer Willensäußerung vollzogen wird, aber laut Singer auch nicht entgegen dieser ausgeführt wird. Er zählt hierzu Fälle von Neugeborenen, die jedoch seiner Meinung nach nicht im strengen Wortsinn der Euthanasie zugerechnet werden können.

Der Infantizid fällt deshalb für Singer unter die Art von Kategorie, die der nicht-freiwilligen Euthanasie zuzurechnen ist.

Der Unterschied zur Euthanasie ist hierbei auf den fehlenden Bewusstseinszustand der betroffenen menschlichen Wesen zurückzuführen, der diejenigen nicht dazu befähigt ihre Zustimmung zur eigenen Tötung zu geben. Ihnen fehlt das Verständnis für die Unterscheidung zwischen Leben und Tod und deshalb können sie auch keine Entscheidung diesbezüglich treffen.

Dies ist laut Singer eins von mehreren Unterscheidunsmerkmalen, das eine Person von einer Nicht- oder Unperson unterscheidet, auf die ich im nachfolgenden Text noch eingehen werde. Bei der Aufzählung der menschlichen Wesen, die nicht fähig sind eine solche Entscheidung zu treffen, irritiert, dass nur schwertsbehinderte und unheilbar kranke Säuglinge genannt werden und Singer nicht den zuvor benutzten neutralen Terminus von Neugeborenen gebraucht, der auch gesunde Säuglinge mit einschließen würde.

Uns interessieren auf Grund des Hausarbeitsthemas der individualisierten Eugenik hierbei nur die Neu- oder Ungeborenen.

Hierzu nennt Singer beispeilhaft zwei eindrückliche Fälle von Kindstötungen. In einem der zwei Fälle handelte es sich um die Unterbrechung der gewaltsamen Lebensverlängerung,  die durch die Lebensverlängerung auf Grund von Apparaten möglich gemacht wurde.[10]

Singer wechselt hierbei nun überraschend sein vorhergehendes Argumentationsmuster, dass er im Bezug auf die freiwillige und unfreiwillige Euthanasie folgendermaßen angewendet hat: Bei diesen beiden Euthanasiearten nimmt er bei der freiwilligen Euthanasie die Tötung auf Verlangen als Grundlage an und bei der unfreiwilligen Euthanasie das Töten, das auf der einen Seite gegen den Willen des getöteten menschlichen Wesen geschieht und auf der anderen Seite zumindest im Sinne des getöteten menschlichen Wesens geschehen ist, wenn das Motiv des Tötens die Leidensminderung war und man davon ausgehen konnte, dass die Zustimmung bei nicht versäumter Befragung erfolgt wäre.

Im Fall der nichtfreiwilligen Euthanasie scheint jedoch vielmehr fast ausschließlich die Fremd- oder Außenperspektive einen gewichtigen Grund für die Entscheidungsfindung für oder gegen das Töten zu spielen. Im Zusammenhang mit dem Infantizid wirft Singer deshalb die Frage auf, inwiefern der Tod des Kindes aus der Perspektive der betroffenen Familie zu beurteilen sei und ob er nicht allein schon um ihretwillen zu befürworten wäre.

Der Wechsel des Argumentationsmusters liegt in Singers Auffassung vom Menschsein begründet. Dieses sieht er nicht durch die biologischen Merkmale begründet, die ein menschliches Wesen wie selbstverständlich der Mitgliedschaft zu der Spezie Homo Sapiens zuordnen würden. Diese Ansicht ist beispielsweise auch im deutschen BGB gesetzlich festgelegt: Die Formulierung „Die Würde des Menschen ist unantastbar“[11] impliziert das jede menschlichen Existenz als Würdenträger anzusehen ist und ihr deshalb Schutz zu gewähren ist.

Dabei spielt es keine Rolle, ob sich der Mensch dieser Würde bewusst ist. Diese Auffassung, die den Menschen als schützenswertes Lebewesen auf Grund seiner Gattung definiert, bezeichnet Singer jedoch in seinem dritten Kapitel als falschen Speziesismus[12] und spricht sich deshalb für eine neues Verständnis von schützenswerten Leben aus, dass er an Hand des Personenstatus festmachen will, der menschliche sowie nicht-menschliche Lebewesen miteinschließt.

Plakativ mit James Rachels formuliert müssen Personen statt eines nur biologischen Lebens ein biographisches Leben vorzuweisen haben. Dies bedeutet, dass nicht mehr alle Menschen als Personen gelten würden, was in unserem Fall insbesondere für Ungeborene, Neugeborene und Behinderte relevant wäre und damit beinhaltet, dass das Töten von Unpersonen einen anderen moralischen Stellenwert hat wie das Töten von Personen.

Zusätzlich verweist Singer auch auf die Begründung aus der Erörterung zur Abtreibung, die noch mal verdeutlichen soll, dass er sich nicht nur auf behinderte Säuglinge bezieht, sondern seine Auffassung bezüglich des Infantizids alle Un- und Neugeborenen erfasst. Zur kurzen Wiederholung stelle ich die Argumentation der Abtreibungserörterung dar: Singer macht auch hier das Lebensrecht eines Menschen abhängig vom Personenstatus und lässt auch das Argument der potentiellen Fähigkeit eines Fötus, sich von einem Wesen als Unperson zu einem Wesen als Person zu entwickeln, nicht gelten[13].

Der Unterschied zwischen dem Töten von einem gesunden und behinderten Säugling ist nach Singer nur in der Erwägung über das Töten zu finden:

Die Erwägung über das Töten erfolgen nun zunächst jedoch wieder aus der Fremdperspektive der Eltern oder Familie. Wenn diese ein behindertes Kind ablehnt, kann diese Entscheidung nach Singer auf Grund der oben genannten Argumente ohne moralische Bedenken zur Tötung des Kindes führen. Hierfür führt Singer jedoch noch zusätzlich die Argumente an, dass das Bedauern der Eltern über die Geburt eines schwer beeinträchtigten Säuglings und die schlechte Chance auf Adoption nur zu einem „Dahinsiechen im Heim“ führen wird.[15]

Hier stellt sich dem Leser die Frage, ob Singer die Argumentation für die Tötung eines beeinträchtigten Säuglings nicht vom falschen Ansatzpunkt beginnt und damit Ursache und Wirkung zu verwechseln scheint. Ich bin der Meinung, dass es nicht gerechtfertigt ist auf Grund schlechter Heimbedingungen bei schwer vermittelbaren Adoptionsfällen auf die Tötung derer zu schließen.

Anschließend an die Erwägung über das Töten aus der Fremdperspektive diskutiert Singer jedoch wieder aus der Sicht der Innenperspektive die „Vorherige-Existenz“- und „Totalansicht“-Version.Das Problem stellt hierbei die Erfassung der Innenperspektive dar, da sich ein Un- oder Neugeborenes nicht zu seinem Existenzwunsch äußern kann und es sich deshalb auch nicht um ein Töten auf Verlangen handelt und man deshalb auch nicht das Wort Innenperspektive verwenden sollte.

Sollte das Kind eine schwere Behinderung aufweisen, hält es Singer aus der Sicht der inneren Perspektive von beiden Versionen für gerechtfertigt, dass Kind zu töten. Bei einer leichteren Behinderung des Kindes entscheidet er dann im Sinne der „Vorherige-Existenz“-Version, dass es sich hierbei um Tötung oder Mord und nicht mehr um Euthanasie handeln würde. Bei der „Totalansicht“-Version hängt die Entscheidung der Beantwortung von zwei Fragen ab.

Wenn die Antworten auf die Fragen positiv ausfallen, ob die Frau anstatt des beeinträchtigten Säuglings ein weiteres Kind plant und dieses eine bessere Lebensqualität und damit ein lebenswerteres Leben in Aussicht hätte, dann wäre das Töten des beeinträchtigten Säuglings moralisch gestattet. Die Totalansicht behandelt Säuglinge und Ungeborene genauso wie nicht-selbstbewusste Tiere, was Singer darauf schließen lässt, dass sie als gleich ersetzbar gelten.

Der Unterschied zum Mord würde bei diesem Verfahren nur auf Grund des Zeitpunktes bestimmt.[16]

Ohne den Begriff zu nennen führt Singer zu diesem Zeitpunkt in die Themenbereiche der Eugenik ein, die er als Selektionsmöglichkeit umschreibt. Unter Eugenik oder auch Eugenetik versteht man aktuell die AnwendunghumangenetischerErkenntnisse auf die Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik mit dem Ziel, den Anteil positiv bewerteter Erbanlagen zu vergrößern, was auch positive Eugenik genannt wird, oder den der negativ bewerteter Erbanlagen zu verringern, was auch negative Eugenik genannt wird[17].

In dem hier vorliegenden Fall würde man entsprechend der Definition von negativer Eugenik sprechen. Singer hat zwar nicht das primäre Ziel den Erbanlagenpool der Bevölkerung zu verbessern, suggeriert aber indirekt, dass die Bevölkerung mit besseren Erbanlagen ein lebenswerteres und damit glücklicheres Leben hat, was dann sekundär die negative Eugenik erfordert.

Singer spricht sich positiv für die Behandlungsmethode der Pränatalen Diagnostik aus, obwohl er anmerkt, dass weder Hämophilie noch das Down-Syndrom dafür sprechen würden, die so geschädigten Föten abzutreiben, da aus der Innenperspektive der betreffenden Person das Leben noch lohnenswert sei. Ansonsten würde kein Unrecht darin bestehen geschädigte Föten abzutreiben, was Singer auf Grund der Ersetzbarkeit im Sinne der „Totalansicht“-Version als moralisch akzeptable Option auch auf Säuglinge angewendet wissen will.


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