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Seminararbeit
Soziologie

Universität Bern

2007, Prof. Dr. C. Honegger

Philipp T. ©
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ID# 3903







Selbstinszenierung und HipHop

Das Konzept der Selbstinszenierung als neuer Baustein einer Theorie sozialer Integration und seine Bedeutung für die Jugendkultur HipHop


Arbeit im Rahmen des interdisziplinären Seminars ‚Jugendkulturen’ bei

Prof. Dr. , , lic. rer. soc. (Institut für Soziologie)

Prof. Dr. J. , Dr. (Institut für Kunstgeschichte)


Sommersemester 2007

Olten, 24.9.2007


Universität Bern, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Institut Soziologie


Eingereicht von

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung 3

1Die Veränderung gesellschaftlicher Strukturen in der Postmoderne 5

2Stauber’s Ansatz einer Handlungstheorie sozialer Integration 8

2.1Staubers Jugend-Konzept 8

2.2Neue Inhalte der Gesellschaftsanalyse . 10

2.3Das Konzept der Selbstinszenierung . 10

Selbstinszenierung und Handlungsfähigkeit 11

Selbstinszenierung und Zugehörigkeit . 11

Selbstinszenierung und Sinn 11

Funktion von Selbstinszenierungen 12

3Selbstinszenierungen und HipHop 14

3.1Stil, Authentizität, Battles und Selbstinszenierung . 14

3.2Entstehung und Verbreitung des HipHop und sein Beitrag zur Bewältigung von Problemlagen 15

HipHop in New York . 15

HipHop in den USA 17

HipHop in Deutschland . 18

4Schluss . 21

Literatur 23


Einleitung

Der Wandel westlicher Gesellschaften von modernen Industriegesellschaften zu postmodernen Dienstleistungs- oder Informationsgesellschaften geht mit einer Reihe von einschneidenden Veränderungsprozessen einher (siehe u. a. Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005: 13f.). Diese Veränderungen werden mit Stichworten wie Individualisierung, Destandardisierung, Fragmentierung oder Pluralisierung umschrieben und haben weitreichende Konsequenzen für die Lebensbewältigung der Individuen.

Im sozialwissenschaftlichen Diskurs ist angesichts dieser Veränderungen die Forderung laut geworden, dass sich die soziologische Forschung diesen Veränderungen anzupassen habe. Damit ist insbesondere die Forderung verbunden, dass „eine den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen angemessene Theorie sich mit anderen Inhalten als die herkömmliche Soziologie beschäftigen muss, weil sie die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ernst nimmt und (endlich) anerkennt, dass es wichtige soziale Veränderungsdynamiken auch jenseits der vermeintlich zentralen gesellschaftlichen Institutionen gibt“ (Stauber 2004: 28).

Stauber (2004) führt als theoretischer und praktischer Zugang zu diesen „neuen Inhalten“ das Konzept der Selbstinszenierung ein. Sie will damit erfassen, dass unter den Bedingungen eines individualisierten Lebensverlaufs, wo also feste Lebenslaufmuster zur Orientierung und Sinngebung fehlen, die Subjekte „die eigene Biographie immer mehr nach aussen und nach innen, vor sich selbst, begründen müssen“ (Stauber 2004: 32).

Stauber’s Selbstinszenierungskonzept ist mit der Einschränkung behaftet, dass es anlässlich einer Untersuchung der Technoszene entstanden ist. Die Frage, ob das Konzept auch für die Analyse anderer Kontexte tauglich ist, steht damit noch offen. Um einen Ansatz für die Beantwortung dieser Frage zu liefern, stelle ich in dieser Arbeit die HipHop-Jugendkultur aus dem Blickwinkel des Selbstinszenierungskonzepts dar.

HipHop ist wie Techno spätestens seit Mitte der 90er Jahre weltweit eine der erfolgreichsten und am weitesten verbreiteten Jugendkulturen (Klein/Friedrich 2003: 84, s 2005) Den Nachweis zu erbringen, dass das Konzept der Selbstinszenierung auch im HipHop fruchtbar anzuwenden ist, wäre also mehr als nur ein erster Hinweis auf die Generalisierbarkeit des Konzepts.

Meine Arbeit ist wie folgt gegliedert: In Teil 1 gebe ich einen Überblick über die Veränderungsprozesse in postmodernen Gesellschaften. Teil 2 dient der Darstellung von Stauber’s Konzept der Selbstinszenierung. In Teil 3 erkläre ich die Bedeutung der Selbstinszenierung für die HipHop-Kultur und zeige anhand einer Darstellung der Entstehung und Verbreitung der HipHop-Kultur auf, dass sie für ihre Akteure oft einen entscheidenden Beitrag zur Lebensbewältigung geleistet hat.

In Teil 4 fasse ich die Erkenntnisse zusammen und versuche deren Aussagekraft für meine Fragestellung und den Bedarf an weiter.....

Im Bereich der Freizeit fand eine Erweiterung des verfügbaren Freizeitbudgets (auf Tages-, Wochen-, Jahres- und Lebensniveau) und eine Verallgemeinerung der ökonomischen Mittel, die die Teilnahme am Freizeitmarkt ermöglichen, auf praktisch alle Schichten statt (Zinnecker 1987: 173). Auch was den Bereich der Sozialisation betrifft, findet Veränderung statt: Individuelle Orientierungen und Sinnsetzungen werden immer weniger in traditionellen „Sozialisationsagenturen“ (Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005: 17) wie Familie oder Schule vermittelt, sondern vermehrt in neuartigen Vergemeinschaftungsformen, wie Peer Groups oder Szenen (Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005: 17f.).

Diese Veränderungen haben dazu geführt, dass viele Autoren theoretische Anpassungen in der Soziologie der Jugend und der Jugendkulturen und darüber hinaus fordern und vorschlagen (siehe u. a. Zinnecker 1979: 174, Klein 2004: 60f., Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005: 19f.). Zunächst wird kritisiert, dass das Konzept von Jugend nicht mehr angemessen sei: Das traditionelle soziologische Konzept von Jugend versteht diese als eine klar eingegrenzte Lebensphase, die durch eine Standardabfolge von Übergangsereignissen (Beginn der Pubertät, Ende der Schulzeit, Eintritt in die Erwerbsarbeit, Auszug aus dem Elternhaus, .) begrenzt ist, welche zu einer Integration der Jugendlichen in die Welt der Erwachsenen führen, und die den Charakter eines sozialen Schonraums hat.

Wie oben aufgezeigt haben die Übergangsereignisse stark an Aussagekraft für eine zeitliche Einordnung der Jugendphase verloren, von einer Integration in die Erwachsenenwelt kann man nicht mehr sprechen und damit verbunden kann die Jugendphase auch nicht mehr als Schonraum bezeichnet werden. Es werden deshalb neue theoretische Konzepte von Jugend notwendig. Zweitens muss benannt werden, welche gesellschaftlichen Institutionen die Rolle der bisherigen Sozialisationsinstanzen übernehmen – falls es denn solche gibt – und wie die Sozialisation von statten geht.

Dazu müssen gegebenenfalls Lebensbereiche ins Zentrum des soziologischen Interesses gerückt werden, die bisher in der soziologischen Forschung nicht oder nicht genügend berücksichtigt wurden. Das muss drittens dazu führen, dass die bestehenden Theorien sozialer Integration so angepasst oder erweitert werden, dass sie den veränderten Lebensbedingungen gerecht werden.

Diesen Forderungen versuchen die Autoren mit verschiedenen Ansätzen nachzukommen. Klein (2004) beispielsweise meint, dass ‚Jugendlichkeit’ den Platz der Jugend übernommen habe und spielt damit darauf an, dass Jugend bzw. Jung-Sein heute eher ein „zentrales Leitbild der Gesellschaft“ (Klein 2004: 62) darstelle als eine klar abgegrenzte Lebensphase bezeichne.

Hitzler/Bucher/Niederbacher (2005) setzen den Begriff der Szene ins Zentrum ihrer theoretischen Überlegungen und wollen damit die Antwort auf die Frage geben wie die Individuen „unter den gegebenen Bedingungen der (drastisch) erhöhten Komplexität“ (Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005: 17) Werthaltungen, Entscheidungskompetenzen, Verhaltensweisen, Deutungsmuster und Sinnwelten entwickeln können.

Ein weiterer Ansatz kommt von Stauber (2004): Ausgehend vom Konzept der ‚Selbstinszenierung’ will sie „einen Beitrag zu einer handlungstheoretisch revidierten bzw. erweiterten Theorie sozialer Integration“ (Stauber 2004: 14) zu leisten. Weil dieser Ansatz schon relativ weit entwickelt ist und weil sich das Konzept der Selbstinszenierung auch ausserhalb seines Entstehungszusammenhangs fruchtbar anwenden lässt (wie sich zeigen wird), werde ich im folgenden Abschnitt Stauber’s Ansatz erläutern.

2         Stauber’s Ansatz einer Handlungstheorie sozialer Integration

Ausgangspunkt Stauber’s sind die oben erläuterten gesellschaftlichen Veränderungen: „Übergänge junger Frauen und Männer zwischen Jugend und Erwachsensein haben sich verändert – und zwar so grundlegend, dass soziale Integration konzeptionell anders zu fassen ist, als das Sich-Integrieren oder Integriert-Werden in eine wie auch immer schon existierende Gesellschafts.“ (Stauber 2004: 13, Hervorhebungen durch Stauber).

Es gehe deshalb nun darum, die Frage neu zu stellen, wie soziale Zusammenhänge beschaffen sind, wie diese reproduziert werden und sich gleichzeitig verändern, welche Rolle die handelnden Individuen spielen, und worin die Potentiale für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse liegen. Als Ansatzpunkt für die Beantwortung dieser Fragen nimmt Stauber „die kulturellen Ausdrucksformen junger Frauen und Männer, das heisst Handlungsbereiche, in denen sie sich hochmotiviert und engagiert zeigen“ (Stauber 2004: 13), oder genauer: die Selbstinszenierungen, die in diesen Ausdrucksformen stattfinden.

Die negativen Konnotationen, die mit dem Begriff teilweise verbunden sind, spielen bei Stauber keine Rolle, im Gegenteil: sie sieht in den Prozessen der Selbstinszenierung den „Schlüssel für die Analyse der (modernisierungsbedingt) unberechenbarer und risikoträchtiger gewordenen Übergangsprozesse junger Frauen und Männer“ (Stauber 2004: 13). Stauber systematisiert in ihrer Arbeit das Konzept der Selbstinszenierung – das in Arbeiten zu jugendkulturellen Themen imme.....

Ebenso ging der definitive Charakter der Übergänge verloren. Damit einhergehend haben die klassischen Sozialisationsinstanzen wie Schule und Familie ihre Funktion geändert und andere sind hinzugekommen. Junge Frauen und Männer in Übergängen sind also immer grösserer Komplexität ausgesetzt. Stauber zieht daraus folgende Schlüsse: „Die strukturelle Veränderung von Übergängen und der Individualisierungsschub, der mit ihnen einhergeht, bedeuten konkret eine erhöhte Anforderung an Eigenverantwortung und Selbstgestaltung, die jungen Frauen und Männer zugemutet wird [ .]. Es stellt sich also die Frage, die meiner Ansicht nach in der gesamten Forschung zu Übergängen junger Erwachsener noch offen geblieben ist: Wie gehen junge Erwachsene, junge Frauen und Männer mit dieser Dynamik um?“ (Stauber 2004: 26).

Stauber will aufzeigen, „wie junge Frauen und Männer in diesen Übergängen handlungsfähig werden und bleiben“ (Stauber 2004: 26) und bezeichnet dies als die theoretische Lücke, die sie mit ihrer Arbeit schliessen will.

2.2          Neue Inhalte der Gesellschaftsanalyse

Stauber geht mit Bezugnahme auf Autoren wie Zygmunt Baumann und Anthony Giddens von der Annahme aus, dass sich angesichts der rasanten Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen auch die Gesellschaftsanalyse dynamisieren muss. Damit ist insbesondere die Forderung verbunden, dass „eine den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen angemessene Theorie sich mit anderen Inhalten als die herkömmliche Soziologie beschäftigen muss, weil sie die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ernst nimmt und (endlich) anerkennt, dass es wichtige soziale Veränderungsdynamiken auch jenseits der vermeintlich zentralen gesellschaftlichen Institutionen gibt“ (Stauber 2004: 28).

Es könne unter Umständen viel aufschlussreicher sein, sich vermeintlich unbedeutende Lebensbereiche (wie jugendkulturelle Lebenswelten) anzusehen, statt sich auf die Analyse ‚anerkannter’ gesellschaftlicher Institutionen zu verlassen, die nur mit einer gewissen Verzögerung auf die lebensweltlichen Veränderungen reagierten.

Von hier aus gelangt man nun zum Kern der Untersuchung von Stauber: Im Rahmen der Individualisierungsprozesse hat das Symbolische für die Bereitstellung von Sinn einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Wo feste Lebenslaufmuster zur Orientierung und Sinngebung fehlen, da müssen die Subjekte „die eigene Biographie immer mehr nach aussen und nach innen, vor sich selbst, begründen“ (Stauber 2004: 32).

Diese Art der Sinnfindung findet bevorzugt auf der symbolischen Ebene statt: über Selbstdarstellung bzw. Selbstinszenierung. Da Lebenssinn eine zentrale Ressource für die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit darstellt, müssen jene Lebensbereiche, die der Sinnfindung dienen, unbedingt als zentrale gesellschaftliche Bereiche anerkannt werden und ins Zentrum der Gesellschaftsanalyse rücken.

2.3          Das Konzept der Selbstinszenierung

Sich selbst Inszenieren bedeutet, sich als einen Menschen mit bestimmten Interessen, Eigenschaften, Zugehörigkeiten, Fähigkeiten etc. darzustellen. Dies kann auf der realen (Körper, Bewegung) oder auf der virtuellen (in Medien, Internet) Ebene geschehen. Eine Inszenierung kann auffällig sein (z.B. Inszenierung als Zugehörige einer bestimmten Szene), sich aber auch einfach darin ausdrücken, wie eine Person spricht, gestikuliert, steht, sitzt (Stauber 2004: 52).

Diese Selbstinszenierungen ermöglichen jungen Frauen und Männern den Umgang mit dem Problem, dass „basale Voraussetzungen, die sie für die Gestaltung ihrer Übergänge in ein immer unklareres Erwachsenwerden brauchen, systematisch fehlen [ .]. Die Rede ist von solch elementaren Dingen wie Handlungsfähigkeit, soziale Zugehörigkeit, Sinn.“ (Stauber 2004: 53, Hervor.....

Auch hier stellen Selbstinszenierungen einen Ausweg dar: die Bezugnahme auf einen bestimmten Lebensstil oder ein bestimmte (jugendkulturelle) Gruppe kann eine Handlung mit Sinn aufladen, die ohne diese Bezugnahme kaum als sinnvoll empfunden würde. Stauber nennt hier als Beispiel das Jobben in einem angesagten Szeneladen zur Überbrückung von Wartezeiten auf einen Studienplatz (Stauber 2004: 55).

Funktion von Selbstinszenierungen

Mit diesen Ausführungen zu Handlungsfähigkeit, Zugehörigkeit und Sinn sind die An- und Herausforderungen, mit denen sich junge Frauen und Männer in Übergängen konfrontiert sehen, nochmals deutlich gemacht worden. Diese Herausforderungen zu meistern und alle Anforderungen zu vereinbaren ist die „grosse biografische Aufgabe“ der Individuen (Stauber 2004: 61).

Mit dieser Aufgabe gehen sie in ihren Selbstinszenierungen um: „Angesichts der Vieldimensionalität der Anforderungen im Übergang liegt das Potential der Selbstinszenierungen und der Entwicklung von Lebensstilen offensichtlich darin, einen Beitrag zu leisten zur Erfüllung dieser zentralen Aufgabe: Vereinbarkeit und Kohärenz herzustellen, Sinnzusammenhänge zu schaffen, Integrationsleistungen zu erbringen“ (Stauber 2004: 61f.). Selbstinszenierungen sind somit für die Subjekte in hohem Masse integrationsrelevant, aber nicht nur für diese, sondern auch in gesellschaftlicher Hinsicht.

Nämlich dann, „wenn sie ihrererseits integrationsrelevante (Mikro-)Strukturen ausbilden – z.B. Netze in denen andere einen sozialen Halt finden, aber auch Haltepunkte auf der stilistischen/ästhetischen Ebene.“ (Stauber 2004: 62). Hierin zeigt sich das Potenzial des Selbstinszenierungs-Konzepts für eine Theorie sozialer Integration.

Es muss hier angemerkt werden, dass das Konzept der Selbstinszenierungen anlässlich einer Untersuchung der Techno-Szene entstanden ist (Stauber 2004). Die Generalisierbarkeit des Konzepts kann somit nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Im nächsten Kapitel versuche ich deshalb zu zeigen, dass das Konzept der Selbstinszenierungen nicht nur im Zusammenhang mit der Techno-Szene fruchtbar anzuwenden ist und dass auch andere jugendkulturelle Entwicklungen der Postmoderne nahe legen, den Revisions-Forderungen, die Stauber an die Gesellschaftstheorie stellt, nachzukommen.

Ich versuche dies zu erreichen, indem ich aufzeige, dass einerseits Selbstinszenierungen im HipHop eine ganz besondere, höchst zentrale Rolle spielen, und andererseits, dass HipHop zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und für eine grosse Anzahl von Menschen und Menschengruppen für den Umgang mit lebensweltlichen Problemlagen und die Gestaltung ihres Lebens von grösster Bedeutung war und ist.

3         Selbstinszenierungen und HipHop

3.1          Stil, Authentizität, Battles und Selbstinszenierung

Im HipHop dreht sich alles um ‚Stil’, oder – wie es die HipHopper selber formulieren – um ‚style’. Jeder HipHopper ist aufgefordert seinen eigenen ‚style’ zu entwickeln. Ein guter Style ist Voraussetzung dafür, in der HipHop-Gemeinschaft Anerkennung zu erlangen. Damit ein Style für gut befunden wird, muss er sowohl innovativ als auch individuell se.....

Ob in Videoclips, bei Szene-Events, im Jugendheim oder auf der Strasse – im HipHop spielen die Akteure sich gegenseitig was vor. Die Forderungen nach Authentizität und Selbst-Inszenierung gehen Hand in Hand.“ (Klein/Friedrich 2003: 142).

Die wahre Bedeutung von Selbstinszenierungen im HipHop ist aber nicht zu fassen, wenn man nicht auch über ein weiteres zentrales Element der HipHop-Kultur Bescheid weiss – die Battles. Battles sind ein friedlicher Wettstreit zwischen DJ’s, Rappern, Breakdancern oder Graffiti-Künstlern, bei dem es darum geht den Stil der Kontrahenten mit dem eigenen Stil zu übertreffen und bei dem das Publikum darüber entscheidet, welcher Stil der innovativste, individuellste und authentischste ist (Krekow/Steiner/Taupitz 2003: 67f.). Ein Battle kann dabei jederzeit und an jedem Ort stattfinden, und kein Rapper, kein Breakdancer, und sei er noch so berühmt, ist davor sicher, zu einem Battle herausgefordert zu werden.

Wer in diesen Battles bestehen will, ist deshalb zu ständiger Weiterentwicklung seines Stils aufgefordert, denn Innovationen bleiben nicht lange innovativ. „In diesem gegenseitigen und gemeinsamen Wettstreit wurden die Ausdrucksformen der HipHop-Kultur entwickelt und stilistisch verfeinert. Und bis heute ist die Battle der Motor der Bewegung, der sie am Leben erhält“ (Verlan/Loh 2006: 131).

Die Battles wiederum sind nichts anderes als Selbstinszenierungen der eigenen Fähigkeiten, der eigenen Persönlichkeit, des eigenen Stils. Es ist somit nicht übertrieben, zusammen mit den Battles auch die Selbstinszenierungen ins Zentrum des HipHop zu rücken und als Motor für die Entstehung und Entwicklung der Bewegung zu betrachten.

3.2          Entstehung und Verbreitung des HipHop und sein Beitrag zur Bewältigung von Problemlagen

Betrachtet man die Geschichte des HipHop und seine Ausbreitung von einem Viertel New Yorks auf die ganze Welt, wird schnell deutlich, dass HipHop für viele seiner Akteure grosse Bedeutung für die Bewältigung von Problemlagen in allen Lebensbereichen erlangt hat. Dieser Abschnitt liefert deshalb einen Überblick über die HipHop-Geschichte mit besonderem Fokus auf diese durch HipHop ermöglichten Bewältigungsleistungen.

HipHop in New York

HipHop entstand im New Yorker Stadtteil Bronx Anfangs der 70er Jahre. Die Bronx war zu dieser Zeit vor allem von Afroamerikanern und Einwanderern aus Jamaika und Puerto Rico bewohnt. Die Lebenssituation in solchen Vierteln war geprägt durch den Umstand, dass einige Jahre davor die amerikanischen Innenstädte aufgrund verschiedener ökonomischer und politischer Entwicklungen einen generellen Niedergang erlebt hatten.

Die Folge davon war ein rasanter Zerfall der sozialen und ökonomischen Ordnung in den Schwarzenvierteln, der Ende der 60er Jahre seinen Anfang nahm (Cox 2001). Die South Bronx war dabei ein besonderes Notstandsgebiet: Die Situation war so verheerend, dass sogar der Vergleich zum Zustand Deutscher Städte nach dem zweiten Weltkrieg gezogen wird (Cox 2005). Ein ehemaliger Stadtplaner der Bronx beschreibt die Situation folgendermassen: „Es war schlimm. [ .] [Es blieben nur noch jene Bewohner], die n.....

Andererseits hätten die HipHopper auch aktiv das Ende der Gangs eingeleitet, da sie „die Sinnlosigkeit der permanenten Gewalt als erste begriffen und umzulenken versuchten.“ (Farin 1998: 46). Diese oft in nicht ausgearbeiteter Form daherkommenden Erklärungsversuche lassen sich aus der Perspektive des Selbstinszenierungs-Konzepts klar fassen: In der South Bronx der 70er Jahre ist für die jugendlichen Bewohner aufgrund der beschriebenen Umstände die Handlungsfähigkeit noch einiges mehr eingeschränkt, soziale Zugehörigkeit noch deutlich schwieriger herzustellen, und Sinn viel schwerer zu finden als für den ‚Durchschnittsjugendlichen’ einer individualisierten, postmodernen Gesellschaft.

Was bis Mitte der 70er Jahre noch ein gewisses Mass an Handlungsfähigkeit und Zugehörigkeit bieten konnte, waren die Jugendgangs. Sie stolperten aber über ihr Unvermögen, langfristig Handlungssinn zu liefern. Mit ihrer Auflösung entstand die von Nelson bezeichnete Lücke: Handlungsfähigkeit und Zugehörigkeit war jetzt auch bei den Gangs nicht mehr zu finden. In diese Lücke sprang HipHop: Mittels der neuen Ausdrucksformen erlangten die Jugendlichen (im kulturellen Bereich aber auch darüber hinaus) ein grosses Stück Handlungsfähigkeit zurück, und durch die neuen Gemeinschaften entstanden neue Zugehörigkeiten.

Beides zusammen generierte neuen Lebenssinn, ohne jedoch gleichzeitig destruktive Elemente (wie die durch die Jugendgangs bewirkte Gewaltspirale) zu entwickeln, die den Sinn sogleich wieder in Frage stellten.

HipHop in den USA

Mit der ersten professionell eingespielten und vermarkteten Rap-Platte (Rapper’s Delight der Sugar Hill Gang im Jahr 1979) breitete sich HipHop über die Grenzen von New York hinweg in die ganzen USA aus. Nebst dieser Platte spielten dabei insbesondere zwei Filme (‚Wild Style’, ein Graffiti-Film, und ‚Beat Street’, ein Film über zwei Breakdance-Gruppen) eine wichtige Rolle.

Filme wie diese trugen die Identitätssymbole der New Yorker HipHop-Gemeinschaft ins ganze Land (und die ganze Welt) (Klein/Friedrich 2003: 20). So kamen in den ganzen USA – nicht nur, aber vor allem – die afroamerikanischen Bevölkerungsteile mit der neuen Kultur in Kontakt – und auf den Geschmack: Bald bildeten sich weitere HipHop-Szenen ausserhalb von New York, die wichtigste in Los Angeles.

Die Erfolgsgeschichte des HipHop schrieb sich fort.

Diesen Erfolg – angesichts der mit der Platte der Sugar Hill Gang einsetzenden Kommerzialisierung – nur mit der Ausbildung einer mächtigen Vermarktungsindustrie erklären zu wollen, wäre wohl auch hier zu kurz gegriffen, schon nur weil die ersten Szenen ausserhalb New Yorks sich ebenfalls im subkulturellen Bereich entwickelten. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn schwarze Jugendliche, die in ähnlichen (wenn auch nicht ganz so prekären) Verhältnissen wie ihre Altersgenossen in der South Bronx aufwuchsen, gab es in den USA zur Genüge.

Eine Erklärung für die schnelle Verbreitung des HipHop könnte also auch hier sein, dass die jungen Afroamerikaner sein Potential für die Bereitstellung für Handlungsfähigkeit, Zugehörigkeit und Sinn entdeckt hatten und für sich zu nutzen wussten. Eine Untersuchung von Kage (2002) bestätigt diese These: In einer diskursanalytischen Herangehensweise an das Thema richtet er sein Augenmerk auf die Herstellung von .....


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