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Das Kaugummi als Werkstoff und Kunstobjekt

 

- Von der Kausubstanz zum Kult- und Kunstobjekt -

 

 

Hausarbeit

 

M. Grerhard

Inhaltsverzeichnis:

 

 

  1. Einleitung                                                                                                       Seite 01
  2. Das Kaugummi zwischen (Un-) Kultur und Kunstobjekt                                  Seite 02
    2.1 Zur Geschichte der weichen Kaumasse                                                     Seite 02
    2.2 Kult- und Kunstobjekt                                                                             Seite 03
  3. Das Kaugummi als Werkstoff und Basis künstlerischer Arbeit              Seite 05
    3.1 Das Kaugummi als Material                                                                      Seite 05
    3.2 Das Kaugummi in der Unterrichtspraxis                                        Seite 07
  4. Ästhetische Erfahrungsmöglichkeiten mit dem Kaugummi                                 Seite 09
  5. Resumee                                                                                                        Seite 11
  6. Literaturliste                                                                                                   Seite 13
  7. Anhänge                                                                                                        Seite 14

 

 

 

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1. Einleitung:

 

Das Kaugummi selbst und das Kauen eines solchen, zählen nicht zuletzt aus eigener Erfahrung zu den Dingen des Alltagslebens, die in der Schule generell als wenig erwünschte Erscheinungen betrachtet werden können. Speziell im Unterricht ist das Kaugummikauen unter den Lehrkräften verpönt, in der Regel durch die Schulordnung gänzlich untersagt. Somit birgt das Kaugummikauen, inklusive der damit nicht selten einhergehenden schmatzenden Geräusche ein gehöriges Konfliktpotential in sich.

Um mit und um das Lebensmittelprodukt Kaugummi einen künstlerischen Prozess unter den Schülern zu generieren, gilt es dieses Spannungsverhältnis zu überwinden und institutionelle Regeln und Normen für einen begrenzten Zeitraum zu brechen. Das dies jedoch mit unbeabsichtigten und ärgerlichen Folgeerscheinungen verbunden sein kann, insbesondere wenn der Weg allzu direkt zur Kunst führt, spiegelt sich in der folgenden Nachricht vom 02.03.2006 wider:

 

„Beim Klassenausflug kann man schon mal auf alberne Ideen kommen. Für einen
amerikanischen Schüler gipfelte eine solche jetzt sogar in einem Schulverweis: Der Zwölfjährige hatte im Museum [in Detroit] seinen angelutschten Kaugummi auf ein Gemälde [von Helen Frankenthaler] geklebt. Ein Museumswärter bemerkte die süße Kaumasse auf dem Kunstwerk [„Die Bucht“], nahm die Verfolgung der Schulklasse auf und stellte den jungen Kunstbanausen zur Rede. Dieser gestand die Tat sofort. Dass das Gemälde, das er mit seinem Kaugummi verzierte, 1,5 Millionen Dollar wert war, war dem Schüler nicht bewusst. Die klebrige Masse hinterließ einen unübersehbaren Fleck auf dem modernen Kunstwerk, der nun mit Hilfe von Reinigungsmittel entfernt werden muss. Nach dem Schulverweis und hoher Rechnung hat der zwölfjährige seine Lektion beim Museums-Besuch gelernt: Kaugummi ist keine moderne Kunst!“[1]

 

Das ein Kaugummi in seiner primären Funktion vielleicht weniger mit Kunst in Verbindung zu bringen ist erscheint eindeutig. Jedoch gibt es eine Vielzahl von Künstlern, die sich intensiv in ihren Arbeiten mit dem Kaugummi auseinandersetzen.

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Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht in Kapitel 3 die analytische Betrachtung einer auf den ersten Blick eigentümlich anmutende Verwendung der Kaumasse als Werkstoff und Ausgangsbasis einer künstlerischen Auseinandersetzung in der ästhetischen Bildung.

Vorab liefert Kapitel 2 in einem knappen Abriss einen Einblick in die Geschichte der weichen Kaumasse, geht zudem auf deren Verbreitung in der Welt und ihrer Bedeutung für die Menschen ein; befasst sich insbesondere mit seiner Stellung als Kult- und Kunstobjekt.

Kapitel 4 beschreibt unterschiedliche Erfahrungsmöglichkeiten für Schüler in der künstlerischen Praxis mit der weichen Kaumasse. Im Anhang werden einige Werke von Künstlern sowie Schülerarbeiten aus unterschiedlichen Jahrgangsstufen der Alexander von Humboldt Schule in Giessen präsentiert. Abgerundet wird die Arbeit in Kapitel 5 mit einem kurzen Resumee und einer Reflexion persönlicher Erfahrungen, die in bisherigem Umgang mit dem Werkstoff „Kaugummi“ in den unterschiedlichen Klassen und einer Kunst AG in oben genannter Schule gemacht wurden.

 

 

2. Das Kaugummi zwischen (Un-) Kultur und Kunstobjekt

 

Folgender Abschnitt befasst sich in knappen Zügen mit der Geschichte der weichen Kaumasse und mit deren Entwicklung hin zu einem Kult- und Kunstobjekt, da sich insbesondere hier unterschiedliche Anknüpfungspunkte ergeben, die in einem Unterrichtskonzept motivierend eingesetzt werden könnten, wie zum Beispiel das Sammeln unterschiedlicher Kaugummisorten oder des jeweiligen Verpackungsmaterials dieser.

In welcher Form solch geschichtlichen Aspekte als Auslöser/ motivierende Anregung zur praktischen Auseinandersetzung dienen können, wird im Einzelnen weiter unten ausgeführt.

 

 

2.1 Zur Geschichte der weichen Kaumasse

 

Das Kauen gummiähnlicher Stoffe ist nicht neu in der Geschichte der Menschheit. Bereits seit Uhrzeiten werden aus Substanzen wie (Baum-) Harzen oder aus Latex weiche Kaumassen hergestellt und unter anderem zur Reinigung der Zähne oder Erfrischung des Atems gebraucht.

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Ausgrabungen von Archäologen brachten den bislang ältesten Kaugummifund zu Tage. Das Stück wurde in einer Siedlung in Südschweden entdeckt und sein Alter wird mit 9000 Jahren beziffert.

Weitere Funde belegen, dass „auf allen Kontinenten der Erde, in allen Kulturen, über alle Epochen hinweg“[2] die Kaumasse zum Alltag der Menschen gehörte. Die alten Griechen kauten vor rund 2000 Jahren Substanzen des Mastix Baums, die Indianer Nordamerikas griffen zurück auf Fichtenharz und die Mayas aus Mittelamerika kauten „Chicle“, einen eingedickten Saft des Sapotillbaums.[3]

Die uns in ihren heutigen Formen bekannte und vertraute Kaumasse hat ihren Ursprung in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten und erlangte seine Verbreitung in Europa mit dem Einmarsch der amerikanischen Soldaten im 2. Weltkrieg. Die frühen Klassiker Wrigley’s Spearmint, Doublemint, Big Red und Juicy Fruit erreichten in den 50er Jahren, auch in Deutschland, bedeutende Verkaufserfolge.

Neue Marken, die neben den bereits Genannten den Markt eroberten, sind unter anderem Orbit, Hubba Bubba, Airwaves, etc. Auch sie sind neben vielen Anderen aus dem heutigen Sortiment an Kaugummis nicht mehr wegzudenken.

Einen beachtlichen Anteil an der weiten Verbreitung und Erfolgsgeschichte des Kaugummis ist der Firma Wrigley zuzuschreiben. Unter anderem war es William Wrigley, der als einer der ersten Geschäftsunternehmer überhaupt in Zeitungen, Magazinen und auf Plakaten warb, aufwendige Verpackungsverfahren entwickelte und somit für eine professionelle Vermarktung seiner Produkte sorgte.[4]

 

 

2.2 Kult- und Kunstobjekt Kaugummi

 

In Folgendem stehen Wandlungen des Kaugummis vom Kult zum Kunstobjekt im Blickpunkt. Unbestritten zählt das Kaugummi neben Rock`n Roll, Pop, Jeans und Coca-Cola zu den Alltagsobjekten, die lange Zeit ein amerikanisch inspiriertes Lebensgefühl symbolisierten.

 

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Nicht zuletzt dieser mit dem Kaugummikauen, insbesondere in den 50er und 60er Jahren verbundene, durch die Werbung suggerierte und bis heute transportierte „New Way of Life“ trug und trägt noch immer zu einem Spannungsverhältnis zwischen Kauenden und diesen Vorgang schmähenden Menschen bei.

Vor allem Kinder und Jugendliche kauten und kauen die zuckrig süße Masse gerne. Ob damit auch heute noch der „American Spirit“ verbunden werden kann oder darf, möchte ich an dieser Stelle bezweifeln. Trotzdem wäre darüber zu diskutieren in welcher Art und über welchen Zeitraum mit dem Kauen eine Form von Aufbegehren oder gar revolutionäre Gedanken von Jugendlichen verbunden waren bzw. noch sind.

Auf jeden Fall ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Kaugummi und das lässige Kauen für viele, nach der Verbreitung durch die US Armee nach dem Zweiten Weltkrieg, als amerikanische Unkultur definiert und als solche „gebranntmarkt“ wurde.

Zu einer Art „kultigem“ Objekt kann die ausgelutschte Kaumasse unter Umständen werden, wenn sie oder ihre Überreste einer Berühmtheit oder besonderen Begebenheiten zuzuordnen sind. So wurden im Internetauktionshaus Ebay die ausgespuckten Kaugummis von Jens Lehmann oder Franz Beckenbauer gehandelt. Wodurch die beiden Sportberühmtheiten unbewusst zu Createuren echter und einmaliger Kultobjekten mutierten und ihre Abfallprodukte zu Zeitzeugen persönlicher Befindlichkeiten wurden, die Gefühlsregungen in Form von mehr oder weniger intensiven Gebissabdrücken transportieren.

Erstaunlich wirken die Preise, die mit der Versteigerung erzielt bzw. zu erzielen versucht wurden. Lehmanns „Werk“ erlangte einen Verkaufspreis von 608,00 Euro. Der Startpreis für Franz Beckenbauers „eingefrorene“ Gebissabdrücke betrug 4999,00 und der Sofortkaufpreis 9999,00 Euro und erzielte letztlich einen Kaufpreis von 5050,00 Euro[5]

Neben dem gestalterischen Kauprozess werfen auch die Preise Parallelen zur Kunst, eher aber zum Kunstmarkt auf. Die gehandelten Objekte verharren aus meiner Sicht jedoch auf der Ebene eines Kultstatus, da sie nicht in künstlerischer Absicht entstanden und somit als Zufallsprodukte anzusehen sind. Wobei allerdings hier angemerkt sei, dass gerade der Aspekt der Zufälligkeit im künstlerischen Akt von nicht zu vernachlässigenden Bedeutung ist.

 

 

 

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Auf der Ebene von Kunstobjekten sind die Werke/ Arbeiten der Künstler, welche an dieser Stelle lediglich in tabellarischer Form aufgeführt werden, anzusiedeln:

 

  • Biefer, Marcel ( )
  • Friedman, Tom
  • Harben, Ben ( )
  • Kronenwald, Jason ( )
  • Savini, Maurizio
  • Schwander, Markus
  • Szapocznikow, Alina[6]
  •  

    Auf die Künstler selbst und ihre Arbeiten wird weiter unten noch näher eingegangen. Einige Objekte sind den Anlagen beigefügt, bzw. sind unter oben angeführten Links im Internet zu betrachten (Tipp: Bubblegum Alley in San Luis Obispo, siehe: youtube)

     

     

    3. Das Kaugummi als Werkstoff und Basis künstlerischer Arbeit in der ästhetischen Bildung

     

    Unter den oben genannten Künstlern wird das Material Kaugummi zumeist gezielt zur Gestaltung kunstvoller Objekte eingesetzt. Ob dabei die Form des Kaugummis welches den Mundraum gerade verlassen hat beibehalten wird, oder ob das Kaugummi als Masse das Auftragen von Farbe auf Leinwänden ersetzt, oder es in skulpturale Objekte verwandelt wird, spiegelt dabei die Vielfalt seiner Einsatzmöglichkeiten, aber auch den Ideenreichtum der Künstler wider. Mit einer Einordnung des Kaugummis in bestehende Materialordnungen und seiner Einbettung in den Kunstunterricht beschäftigen sich die nächsten Punkte.

     

     

     

     

     

     

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    3.1 Das Kaugummi als Material

     

    Die weiche Kaumasse bietet sich in ähnlicher Weise wie Ton als formbares Basiselement und Grundstoff für gestalterische Prozesse an. Wie dieser ändert sich die Konsistenz des Materials mit der Zeit.

    Zu Beginn noch dehnbar und nachgiebig, wird es spröde und brüchig. Was im Arbeitsprozess und Umgang mit Ton jedoch durch die Zugabe von Wasser leicht vermieden werden kann. Die träge Kaugummimasse ist wie dieser, je nach künstlerischem Ziel/ Vorhaben vorab formbar zu machen. Im Vergleich zu Ton schmeckt das zähe Zeug aber, macht Appetit auf mehr, ist anpassungsfähiger und ermöglicht zudem die Fertigung von Blasen.

    In einer hierarchischen Materialordnung dürfte das Kaugummi als Werkstoff bei den wenigsten eine ähnliche Bedeutung bzw. Stellung wie Marmor, Gold etc. erlangen können. Zudem erscheint eine eindeutige Zuordnung der Kaumasse in eine bestimmte Materialgruppe eher schwierig. Man könnte sie aufgrund der Materialeigenschaft Kautschuk (Gummi) zuordnen, ebenso aber auch der Gruppe von Nahrungsmitteln, obgleich der Nutzen bezüglich einer Sättigung nicht vorhanden ist.

    Die Dehnbarkeit und Spannkraft des Materials verweist auf seine potentielle Beweglichkeit. Wie bei der Verwendung von Kautschuk durch Künstler wie Naumann, Serra und Saret, die sich mit den unterschiedlichen Stadien des entropischen Zurücksackens eines ehemals beanspruchten Materials beschäftigten,[7] könnte genau dies einen Ansatzpunkt des künstlerischen Prozesses mit dem Kaugummi bilden. Unterschiedliche Stadien der Dehnung oder des Zurücksackens könnten fotografisch festgehalten werden. Diese Bilder könnten anschließend z. Bsp. digital weiter bearbeitet werden, aber auch Ausgangspunkt zeichnerischer Studien bilden.

    Zugleich erfolgt durch den spielerischen Umgang mit dem Lebensmittelprodukt, durch Umherwerfen, Verschmieren oder Zerkauen etc. eine Auflösung körperlicher Grenzen. Spuren der Kaubewegung oder Finger- und Schuhabdrücke zeichnen sich auf der Oberschicht der Kausubstanz ab. Beim Kauen werden körpereigene Strukturen, Substanzen (Zahnoberfläche, Speichel) in der Kaugummioberfläche eingeprägt bzw. in dem Objekt selbst absorbiert. Diese Prägungen und Spuren können als individuelle Merkmale eines jeden Einzelnen den jeweiligen Körper verlassen.

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    Das zerkaute Produkt wird zum Unikat körperlicher und zeitlicher Spuren. Während des Kau- und Gestaltungsprozess nimmt der Körper die rohe Substanz auf, überführt sie in Energie und macht diesen Vorgang durch den Akt des Ausspuckens des Objektes wieder rückgängig.[8]

    In der Auseinandersetzung mit der Kaumasse lassen sich Anknüpfungspunkte und Zugangsmöglichkeiten an Materialaktionen von Künstlern wie Schneeman oder McCarthy entwickeln, denn auch in der künstlerischen Arbeit mit dem Kaugummi verschwindet dieses als Nahrungsmittel nicht im Verdauungstrakt, sondern wird spätestens in solchen Arbeiten, wie in denen von Harben oder Kronenwald zwar nicht in gleicher Intensität, aber doch auch „lustvoll“ verschwendet.[9]

     

     

    3.2 Das Kaugummi in der Unterrichtspraxis

     

    Die Schüler zur künstlerisch – praktischen Auseinandersetzung mit dem Kaugummi zu motivieren erscheint auf den ersten Blick relativ einfach, da nun im Unterricht offen und hemmungslos auf der süßen Zuckermasse herumgekaut werden darf. Was aber soll der Einzelne mit seinem Kauprodukt als praktisches Endergebnis anstreben?

    Schwierig gestaltete sich in einer Vorbesprechung der Versuch, den Schülern das Kauprodukt an sich als Kunstobjekt näher zu bringen. Allein durch Betrachtung von Szapocznikows skulpturalen Objekten waren kaum, bis keine Motivationsmomente unter den Schülern hervorzurufen. Insbesondere in einer eingehenden Diskussion über die fotografierten Objekte wurden schnell Stimmen unter den Schülern laut, die diese Arbeiten nicht als Kunstobjekte betrachten mochten.

    Nicht nur unter den Schülern, auch in einschlägigen Diskussionsforen zur documenta XII stellen viele mit Äußerungen wie: „[...] da stellt eine Künstlerin die erstaunliche „Plastizität“ von Kaugummi fest, dass der immer wieder neu aussieht, wenn man ihn aus der Gosche nimmt, und deshalb bappt sie diese Klumpen auf ein Mäuerchen und fotografiert sie.

    Ja, mein Gott, wäre das Zeug nicht plastisch, hätten sich Millionen von Amis die Zähne ausgebissen [...]“[10], die Arbeiten in Frage.

     

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    Erst als Vergleiche angestellt wurden, zu den ausgespuckten Stücken von Lehmann und Beckenbauer, waren einige Schüler der Ansicht, dass zwischen diesen und den als Kunst präsentierten Objekten unterschieden werden muss.

    Sie verwiesen darauf, dass sich die Künstlerin mit dem Material und auch seinen Eigenschaften bewusst und intensiv auseinandergesetzt habe. „Das machen die Künstler doch auch mit anderen Materialien, wie Farbe und so!“

    Die Vergleiche zwischen dem Kaugummi als banalem achtlos weggeworfenem Kauobjekt bzw. Abfallprodukt von Menschen und der angeführten Äußerung einer Schülerin lieferten den Ansatzpunkt für erste praktische Arbeiten, in denen die Schüler alten eingestampften Kaugummis auf dem Schulhof ein Gesicht geben sollten, welches das Gefühl von imaginären Personen widerspiegelt, die den ganzen Tag einer unzähligen Menge an Schuh- und Fußtritten ausgesetzt sind.

    Bild 01 zeigt im Anhang ein trauriges Gesicht, der Kaugummi weint vor Schmerzen. Bild 02 hingegen zeigt ein ärgerliches Kaugummi, welches bedrohlich nach oben schaut, so Passanten abschrecken will weiter auf ihm herumzutrampeln. Bild 03 zeigt ein Kaugummi welches vor Kopfschmerzen fast platzt.

    Als besonders witzig und gelungen empfand ich die Arbeit (SW Bild 04) in der eine Schülerin alte und neue Kaugummis kombinierte. „Auf das süße Schäfchen tritt niemand, und wenn doch hat es jetzt Beine zum Weglaufen.“ Die Arbeiten wurden von den Schülern selbst fotografiert.

    Das Thema „Gefühle“ wurde in weiteren Arbeiten mit dem Kaugummi intensiviert/ ausgebaut. Es ging darum Empfindungen mit dem Material Kaugummi in freien Arbeiten zu transportieren. Es entstanden unter anderem Blumen wie in Bild 05, die Liebe und Zuneigung symbolisieren sollten.

    Weniger komplex, jedoch nicht weniger ideenreich und eindrucksvoll präsentieren sich so genannte „Liebesperlen“ (Bild 06) aus Kaugummi. Bild 08 zeigt nach Angaben des Schülers zwei traurige Kaugummis, die gerne so schön rund wären wie das Loch um das sie sich versammeln. Das Objekt „Fußballtor“ (Bild 07) erinnerte ein Schüler daran, dass er an vorhergehendem Wochenende selbst kein Torerfolg in einem Fußballspiel hatte und er darüber sehr traurig war.

     

     

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    Begeistert zeigten sich die Schüler von Kaugummifiguren Savinis oder der Bilderserie „gumblondes“ von Kronenwald. In Anregung an diese Arbeiten entstand unter anderen das „Kaugummispiegelei“ (Bild 09) und der „Blumenteller“ (Bild 10).

    Zu einem späteren Zeitpunkt in der Kunst AG, in der auch über die Geschichte des Kaugummis gesprochen wurde, hat man dann noch mal das Thema „Alte Kaugummis“ auf dem Schulhof aufgegriffen.

    „Man könnte doch mal nach dem ältesten Stück auf dem Hof forschen und es dann in einer Vitrine ausstellen,“ verlautete es. Eine weitere Schülerin merkte in Anlehnung an den Biologieunterricht an, dass ein solches Forschen genau so ist „wie wenn Archäologen nach Fossilien buddeln.“ Als dann ein Bild von fossilen Saurierknochen auf dem Tisch landete, wollten einige Schüler versuchen diese mit dem Material Kaugummi nachzustellen. Bilder 11 bis 14 zeigen die entstandenen Resultate.

    Momentan wird in der Kunst AG auch über größere Aktionen, im Giessener Innenstadtbereich, in der die Passanten auf die wahre Flut von alten zertretenen Kaugummis aufmerksam gemacht werden sollen, diskutiert. Evtl. soll dann auch hier den Kaugummis ein Gesicht gegeben werden, mit dem die große Verschmutzung der Wege deutlicher in den Blick rückt. In dieser Aktion würde, wie bei bisherigen Arbeiten auf dem Schulgelände, die oben angesprochene Grenze zwischen dem Kaugummi als ausgespucktem Rest- und Abfallprodukt und künstlerischem Objekt aufgelöst. Mehrere Personen wären an der Entstehung des Objekt und der Aktion, wenn auch nicht alle mit bewusster Absicht, beteiligt.

     

     

    4.  Ästhetische Erfahrungsmöglichkeiten mit dem Alltagsgegenstand Kaugummi

     

    Die Frage, ob mit dem Kauen von Kaugummi, ein aufbegehrendes oder gar revoltierendes Schülerverhalten gleichzusetzen ist, kann für diese Arbeit als zweitrangig aber nicht vollständig zu vernachlässigender Punkt angesehen werden, da es gilt, ein bestehendes Spannungsverhältnis zwischen den allgemeinen Verbotsbestimmungen gegenüber dem Kaugummikauen während des Unterrichts, der mit dem Verstoß gegen diese institutionellen Regel einhergehenden Bestrafungen und den vielfältigen Möglichkeiten mit dem Kaugummi als Werkstoff in einen künstlerischen Prozesses treten zu können, aufzulösen.

     

    -10-

     

    Denn neben spezifischen Wahrnehmungsmustern zeichnen kollektive Normen und Konventionen verantwortlich für Empfindungen, darüber ob Dinge als hässlich, schön und ebenso als lecker, eklig oder verächtlich angesehen werden.[11]

    Was eben noch als unschicklich galt und nicht erlaubt war, wird nun für die Schüler zur Grundvoraussetzung um im Unterricht in einen ästhetischen und gestalterischen Prozess eintreten zu können.

    Der physische Vorgang des Kauens, welcher primär der Zerkleinerung von Nahrungsmitteln dient, kann hier als erste, wenn auch wenig zielgerichtete, eher durch den Zufall geführte, so zu sagen „blinde“ gestalterische Einflussnahme auf den Werkstoff Kaugummi angesehen wer-den.

    Das sinnliche Erfahrungsfeld der Schüler wird in dieser Phase durch die Möglichkeit das Arbeitsmaterial schmecken zu können erweitert. Durch die Bewusstmachung des vorgenommenen gestalterischen Vorgangs in Form des Kauprozess werden insbesondere die eintretenden Veränderungen der Materialeigenschaft (Konsistenz) gezielt erleb- und beobachtbar. Ebenso die vorherrschenden und den Prozess mitbestimmenden Gemütszustände, welche die Intensität des Bisses entscheidend steuern können.

    Dieser Gestaltungsakt an sich und die daraus resultierenden Objekte sind in das Denken und in die Vorstellungen von Joseph Beuys bezüglich eines plastischen Vorgangs einzuordnen, den dieser als Übergang unbestimmter Energien, über den Prozess der Bewegung (hier Kaubewegungen des Kiefers) hinweg, in bestimmte Formen definierte.[12] Der Energiefluss sich demnach immer wieder auch in Gestalt von Formen und Zuständen manifestiert und beobachten lässt.

    Der Gestaltungsprozess des Kauens und Resultat spiegeln demnach beide fundamentale Aspekte der Plastischen Theorie von Beuys wider, welche insbesondere den Weg von Wärme (mundwarme Kaumasse) zur Kälte betont und auf die Skulptur (hier ausgespucktes Objekt) verweist, welche Chaos, Prozess und Form in sich birgt.[13]

    Der künstlerische Akt an sich muss für die Schüler nun nicht mit dem Kauvorgang enden. Obwohl nach einer dem Zufallsprinzip folgenden Gestaltung im Kauvorgang des Gebisses bereits die eigentümlichsten Formen und skulpturalen Objekte entstanden sind, spricht nichts dagegen weitere Arbeits- und Gestaltungsprozesse anschließen zu lassen.

    -11-

     

    Die entstandenen Objekte können dann einem eher gezielten Handeln durch die Schüler unterzogen werden. Dabei schließen sich nun mit den Nachbearbeitungsmöglichkeiten, auch weitere ästhetische Erfahrungsmöglichkeiten an.

    Das Fühlen/ Spüren der weichen evtl. noch zuckrigen und klebrigen Masse mit den Händen, ihre mit zunehmender Kauzeit rückläufige Dehnfähigkeit und insbesondere die zeitlich eingegrenzte Modellierbarkeit des Materials, beeinflussen nun die künstlerische Arbeit als solche.

    Wie weit die Arbeits- und Erfahrungsfelder mit dem Kaugummi sind, zeigen im Anhang einige Kopiervorlagen und Fotografien von Künstler- und Schülerarbeiten.

    Die Arbeiten der Schüler orientieren sich nur begrenzt an Werken und Themen von den oben angeführten Künstlern, sie sind in der Hauptsache Ergebnisse von in Gesprächs- und Diskussionskreisen entwickelten Ideen innerhalb der Kunst AG.

     

     

    5. Resumee:

     

    Die ausgedehnten sinnlichen Erfahrungsmomente im künstlerischen Gestaltungsakt mit dem eigentümlichen Werkstoff, kommen der Forderung nach, dass es im Kunstunterricht mehr als die Kunst an sich zu berücksichtigen gilt.[14] Gleichbedeutend sind auch in diesem Arbeitsprojekt die ästhetischen Erfahrungsprozesse der Kinder und Jugendlichen. Es generiert eine Vielzahl von Möglichkeiten individueller Wahrnehmungen auf allen Sinnesebenen, fordert und fördert ebenso eigenverantwortliches Handeln und Denken.

    Die Arbeit mit dem besonderen Werkstoff erweitert die Wahrnehmungsgewohnheiten der Schüler, sie irritiert und weckt Interesse, insbesondere durch die Beschäftigung mit dem Alltäglichen und Banalen. Sie eröffnet darüber hinaus durch den prozessuralen Umgang mit Bekanntem und einem an die Lebenswelt der Schüler anknüpfenden Zugang die Entwicklung eines Verständnisses (der Toleranz) gegenüber moderner und zeitgenössischer Kunst.

    In der reflexiven Betrachtung und Beurteilung ihrer eigenen Arbeiten zeigten die Schüler weit mehr Achtung, Respekt und auch Interesse gegenüber den bereits zu Anfang vorgestellten Kunstwerken.

     

     

    -12-

     

    Dabei lösten die Arbeiten Savinis immer noch die größte Begeisterung unter den Schülern aus. Im Vergleich konnte die fotografische Bildserie „Fotozezba“ von Szapocznikow weiterhin weniger „punkten“, was hier nicht näher beurteilt werden soll, zum einen evtl. an deren geringen Größe und auf deren weniger ins Auge springende Figürlichkeit, im Vergleich zu Savinis Arbeiten, liegen mag. Vielleicht aber auch an der fehlenden Farbigkeit ihrer Objekte.

    Desweiteren ermöglicht das Projekt den Schülerinnen und Schüler sich im Kunstunterricht von einem evtl. vorherrschenden Zwang naturalistischer Nachbildungen lösen zu können und so eine zu selbstkritische und abwertende Haltung gegenüber eigenen Werken zu vermeiden.

    Die Auseinandersetzung mit Alltäglichem in unüblichen und fremden Zusammenhängen führt zu neuen Assoziationen und Gedanken. Die Stimulation der Schüler durch gezielte Aufträge, hier insbesondere in der Arbeit mit alten Kaugummiresten, eröffnet völlig neue Wahrnehmungsmöglichkeiten.

    Die Schülerideen entsprangen bzw. entwickelten sich in Gesprächsrunden in denen die Beteiligten ihre Gedanken der Kritik der anderen und einer allgemeinen Diskussion aussetzten. (siehe oben: Fossilien aus Kaugummi. Idee entwickelte sich aus der Arbeit mit den Kaugummiresten auf dem Schulhof und Gelerntem im Biologieunterricht).

    Im Arbeitsprozess überschritten die Kinder und Jugendlichen übliche Denk- und Auffassungsmöglichkeiten bestehender Situationen und Begebenheiten. Den auf der Straße befindlichen Kaugummis wurde eine völlig neue und innovative Aussage zugeschrieben. Aus ihnen entstanden Dinge, die es so vorher nicht gegeben hatte.[15]

    Erste Aufmerksamkeit und Neugier für das Projekt ist durch eine Präsentation unterschiedlicher Arbeiten mit und um das Kaugummi hervorgerufen worden. Zum Gebrauch des Kaugummis als Werkstoff führten letztlich auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kaumasse, dem eigentlichen Gebrauchsmuster des Objekts und insbesondere die Frage nach einer unorthodoxen neuen Sinngebung und der veränderten Betrachtung des banalen Dings.[16]  

    Obwohl die Arbeits- und Kauphasen hier und da wahrscheinlich recht chaotisch anmuten dürften und eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Kaugummis ihr Ende erst gar nicht in der  künstlerischen Arbeit findet, hat mich das Engagement der Schüler im Umgang mit dem unüblichen Material insgesamt äußerst positiv überrascht, so dass mein Rat am Ende nur lauten kann: „Auch in der Schule öfter kauen für die Kunst!“

     

    -13-

     

    6. Literaturliste:

     

     

  • Buschkühle, Carl-Peter (2007): Die Welt als Spiel. II. Kunstpädagogik: Theorie und Praxis künstlerischer Bildung. Oberhausen
  • Ermen, Reinhardt (2007): Joseph Beuys. Hamburg
  • Harlan, Volker (Hrsg.) u.a.(2006): Was ist Kunst? Werkstattgespräch mit Beuys. Stuttgart
  • Kämpf-Jansen, Helga (2001): Ästhetische Forschung. CD mit Texten und Arbeiten von H. Kämpf-Jansen. Buchbeilage. In: Blohm, Manfred u.a. (Hrsg.) (2006): Über ästhetische Forschung. München
  • Peez, Georg (1994): Einführung in die Kunstpädagogik. Unna
  • Schuster, Martin (1997): Wodurch Bilder wirken. Psychologie der Kunst. Köln
  • Selle, Gert (2003): Kunstpädagogik und ihr Subjekt. Entwurf einer Praxistheorie. Oldenburg
  • Selle, Gert (Hrsg.) (1990): Experiment ästhetische Bildung. Aktuelle Beispiele für Handeln und Verstehen. Hamburg
  • Stachelhaus, Heiner (2006): Joseph Beuys. Berlin
  • Wagner, Monika (2002): Lexikon des künstlerischen Materials. Werkstoffe der modernen Kunst von Abfall bis Zinn. München
  • Wagner, Monika (2001): Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne. München
  • Wetzel, Tanja (2005): Geregelte Grenzüberschreitung. Das Spiel in der ästhetischen Bildung. München
  •  

     

     

     



    [1]

    [2]

    [3] Vgl. Ebda

    [4] Vgl. Ebda

    [5]

    [6] Die angeführte Liste hegt keinen Anspruch auf Vollständigkeit

    [7] Vgl. Wagner 2002, S.133

    [8] Vgl. Ebda, S.182

    [9] Vgl. Wagner 2002, S.183

    [10]

    [11] Vgl. Kämpf-Jansen 2001, S.33

    [12] Vgl. Ermen 2007, S.57

    [13] Ebda, S.57

    [14] Vgl. Peez  2002, S. 19 (Definition des modernen Kunstunterrichts nach Kirchner und Otto)

    [15] Schuster 1997, S.144

    [16] Kämpf-Jansen 2001, S.S31


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