-Diesseitige Welt (Alltag) und jenseitige Welt in Legende, Sage und Märchen (jenseitige Welt ist nicht fern und kann jederzeit in Diesseits wirken, Vertreter wohnen oft unter Menschen.
Legende/Sage: will Dasein und Wirkung transzendenter Welt offenbaren. Auch die Sage (dumpfer als Legende) blickt nach der anderen Welt. ïƒ Erzählt von Begegnungen mit Jenseitigen (Toten, Unterirdischen, Riesen, Zwergen, Wald-, Wasserwesen, Hauskobolden, Berggeistern). Selbst da, wo es um „historische Sage“ geht, die nur bedeutende Menschen oder Vorgängen schildert, tut sie es um des „unerhörten“ willen.
Wichtig ist, dass die Begegnung mit Jenseitigem im Menschen Schauer, Angst, Neugier erweckt. Die Gefühlsspannung ist spürbar. Der im Guten und Bösen überragende Mensch ist ihr seltsam und im Grunde unfassbar, deshalb befasst sie sich immer wieder mit ihm. ïƒ Also ist das Numinose (das auch im großen Menschen spürbar wird) der bevorzugte Gegenstand der Sage (und Legende).
Märchen: es gibt auch viele Wesen aus dem Jenseitigen oder scheinbar gewöhnliche Tiere beginnen zu sprechen, haben übernatürliche Fähigkeiten.
Aber: Menschen des Märchens verkehren mit Jenseitigen als wären sie Ihresgleichen, ihnen fehlt das Erlebnis des Abstands zwischen sich und jenen anderen Wesen (sie sind wichtig als Helfer/Schädiger, aber nicht als Erscheinung an sich). Im Märchen sieht und erfährt der Held weit Phantastischeres als in der Sage, aber ohne jede innere Bewegung (in der Sage beschäftigt das Geheimnisvolle mehr als die praktische Auswirkung).
Den Märchenheld treibt weder Erkenntnisdurst noch Neugierde, er handelt und hat weder Zeit noch Anlage, sich über Seltsames zu wundern. Seine Neugierde ist profan und richtet sich auf Vorgänge nicht aus Wesensarten. Genauso seine Angst, er fürchtet sich vor Gefahren, nicht vor Unheimlichem (vor Hexen/Drachen genauso wie vor Räubern, Bösewichte). Da dem Märchenheld das Gefühl für das Absonderliche fehlt, scheint es, dass für ihn alles zur gleichen Dimension gehört.
Das Wunderbare ist dem Märchen nicht fragwürdiger als das Alltägliche.
Die örtliche Ferne ist dem Märchen offenbar das einzige Mittel, das geistig Andere auszudrücken (Jenseitiges befindet sich in Jenseitsreichen [Meeresgrund, Wolken, Weltende…], ist für den Märchenheld aber nur örtlich nicht geistig weit entfernt. Das Märchen lässt den geistigen Abstand nicht spürbar werden und neigt dazu Diesseits und Jenseits örtlich zu differenzieren. Es projiziert geistig Differenziertes auf eine Linie, deutet innere Ferne durch äußere Entfernung an. Das Fehlen des numinosen Empfindens ist umso bemerkenswerter, als auch das Märchen Diesseitige und Jenseitige an sich unterscheidet.
Zauberkräfte und Jenseitszüge kommen durchaus nicht allen Figuren zu. Held und seine Geschwister, meist auch Eltern und menschliche Nebenfiguren gehören meist diesseitiger Welt an. Der „Märchendiesseitige“ hat nicht das Gefühl, im Jenseitigen eine andere Dimension anzutreffen, daher die Eindimensionalität.
Dem Märchen fehlt es nicht nur an dem Gefühl für die Kluft zwischen profaner und numinoser Welt, es ist auch ohne Tiefengliederung (Figuren ohne Körperlichkeit, Innenwelt, Umwelt, Beziehung zur Vor- und Nachwelt).
Gegenstände:
Menschen und Tieren fehlt es im Märchen an körperlicher und seelischer Tiefe (es gibt zwar viele kranke Prinzessinnen, aber M. nennt weder die Art des Ãœbels noch seine Wirkung auf den Körperïƒ Die Märchen sehen nicht seine Tiefe und Räumlichkeit sondern nur seine Oberflächlichkeit). Auch eigentümliche Verstümmelungen lassen den Körper des Betroffenen nicht wirklich körperhaft erscheinen.
Wir sehen kein Blut fließen, keine Wunde entstehenïƒ Die Wunde wirkt rein ornamental (symmetrisch verkürzte Beine sind nicht weniger vollkommen als unverkürzte) oder bleiben ganz ohne Wirkung (dreibeiniges Pferd läuft genauso schnell wie vierbeiniges).
Nur wenn es für die Handlung wichtig ist, äußert sich bei Verstümmelungen körperlicher oder seelischer Schmerz.
Das Märchen nennt selten Gefühle um ihrer selbst willen, sondern nur dann, wenn sie die Handlung beeinflussen und auch dann nennt es sie nicht gern bei Namen, sondern spricht sie Handlung ausïƒ sie werden also auf dieselbe Ebene projiziert, wo sich auch alles andere abspielt (Die Gefühlswelt fehlt der Märchenfigur; wenn sich der Held also weinend auf einen Stein setzt, weil er sich nicht zu helfen weiß, dann nur weil gerade diese Reaktionsart des Helden den Kontakt mit den Jenseitigen herstellt.)
Das Märchen zeigt uns flächenhafte Figuren, nicht Menschen mit lebendiger Innenwelt (Im Gegensatz dazu können Menschen in Sage mit unterschiedlichsten Gefühlen ringen).
Eine äußere Anregung treibt den Märchenheld vorwärts (wo das Märchen nur kann, ersetzt es Inneres durch Äußeres, seelische Triebkräfte durch äußere Anstöße)ïƒ es wird keine Gefühlswelt dargestellt, sondern sie wird in Handlung übersetzt; die Innenwelt wird auf die Ebene des äußeren Geschehens gerückt (im Gegensatz dazu treibt in der Sage die numinose Angst, die innere Gefühlsspannung den Menschen oft bis in den Wahnsinn).
Märchenfiguren werden niemals wahnsinnig, da sie nichts haben, was in Wahnsinn umschlagen könnte (da sie keine Tiefe sondern nur Oberfläche besitzen).
Märchenfiguren besitzen auch keine Umwelt! Das Märchen sagt uns nichts von der Stadt oder dem Dorf, in dem der Held aufgewachsen ist, meist übt er keinen Beruf aus, auch dann nicht, wenn einer genannt wird. Er ist isolierte Figur. Es zeigt ihn mit Vorliebe dann, wenn er es verlässt; er ist weder äußerlich noch innerlich an diesen Ort gebunden (viele Gründen zum Auswandern werden erfunden: Not der Eltern, eigene Armut, Bosheit der Stiefmutter, Aufgabe des Königs, Abenteuerlust des Helden, Auftrag .etc.).
Braut oder Gattin interessiert nur als Handlungsbeweger oder –ziel. Mit der Heirat ist das Märchen zu Ende. Vereinigung wird oft hinausgeschoben. Ehe ist in Wahrheit nicht ersehntes Ziel des Helden sondern nur Schlusspunkt der Handlungslinie.
Es gibt keine festen Beziehungen zwischen den einzelnen Märchenfiguren. Eltern, Geschwister, erlöste Nebenfiguren verschwinden, sobald sie keine Bedeutung mehr für die Handlung haben. Jenseitige Helden tauchen unvermittelt aus dem Leeren auf, wo Handlung es erfordert. Dann stehen sie neben diesseitigen Figuren, werden mit derselben Klarheit gezeichnet, ohne sich plastisch abzuheben (sie werden häufig in Gestalt einer Gabe sichtbar.
Die jenseitige Welt ist ebenso wenig plastisch gegliedert wie die diesseitige. Die Jenseitigen tauchen in dem Augenblick auf, wo sie nötig sind, erfüllen ihre Handlungsaufgabe und verschwinden wieder. Warum sie in Besitz ihres Wissens sind, wo sich ihre Macht herleitet, ob sie die Wunderdinge selbst beanspruchen wird nicht gesagt.
Im Märchen ist Jenseitiger wie Diesseitiger nur Handlungsfigur, beide sind klar und flächenhaft dargestellt, nach innen und außen isoliert ïƒ die Gabe, die vom Jenseitigen kommt und zum Diesseitigen geht, und doch mit keinem von ihnen spezifisch verbunden ist, steht zwischen ihnen, sie verbindet und trennt sie zugleich.
Der Held besitzt die ewige Jugend. Die fehlende zeitliche Tiefe steht in Zusammenhang mit seelischer Tiefe. Da Schicksalsschläge den Held nur äußerlich vorwärts bringen, aber nicht in seine Seele hineinwirken, ist er nach dem Kampf derselbe wie davor, er altert nicht. Die Zeit ist eine Funktion seelischen Erlebens. (Ein Zeitverrinnen ist nicht spürbar: Jungen sind jung, Alte alt.
König stirbt nur, damit Held sein Reich erben kann und Handlung Schlusspunkt findet.)
Alle Formveränderungen vollziehen sich mechanistisch, schlagartig, sie lassen kein Gefühl einer Entwicklung, eines Werdens, Wachsens, Vergehens aufkommen.
Das Märchen verzichtet auf räumliche, zeitliche, geistige und seelische Tiefengliederung. Es verzaubert Ineinander in Nacheinander/Nebeneinander, gestattet damit vollkommene Ãœbersicht. Es projiziert die Inhalte verschiedenster Bereiche auf ein und dieselbe Fläche: Körper und Dingeïƒ Figuren; Eigenschaftenïƒ Handlungen; Beziehungen zwischen zwei Wesenïƒ Ã¤ußerlich sichtbare Dinggaben.
Abstrakter Stil
Das Märchen schafft die Welt nicht nach, sondern um.ïƒ Wirklichkeitsferne!
Scharfe Kontur (innerhalb der flächigen Welt). Einzelne Dinge werden nicht geschildert, sondern nur genannt; statt verweilender Schilderungen, wird Held handlungsorientiert von Punkt zu Punkt geführt (entspricht Lessingscher Regel: verwirrende Fülle vermittelt nicht scharfe Bilder, sondern lässt uns die Übersicht verlieren). Nur was handlungswichtig ist, wird erwähnt, nichts um seiner selbst willen!
ïƒ Epische Technik der bloßen Benennung: jeder Ansatz zur Schilderung erweckt den Eindruck, dass nur ein Bruchteil von Sagbarem wirklich gesagt wurde. Die bloße Nennung lässt Dinge zu einfachen Bildern erstarren, umreißt und isoliert mit fester Kontur (Brüder Grimm verlassen Stil des echten Märchens, wenn sie von „roten Augen“ der Hexe, ihrem „wackelnden Kopf“ und ihrer „langen Nase“ berichten; im wirklichen Volksmärchen einfach nur „alte Hexe“, „böse Hexe“, „hässliche Alte“…).
Die Dinge, die an sich schon eine scharfe Umrisslinie haben und aus festen Stoffen sind (Ringe, Stäbe, Schwerter, Haare, Nüsse…), sind im Märchen besonders häufig.
Neigung des Märchens Dinge und Lebewesen zu metallisieren/mineralisieren; auch Wälder, Pferde, Enten, Menschen können golden, diamanten, silbern, eisern sein oder plötzlich zu Stein werden. Innerhalb der Metalle bevorzugt das Märchen die edlen und seltenen (hebt sich ab, steht isoliert!)
Die Wirklichkeit zeigt eine Fülle an Farben und Schattierungen, das Märchen bevorzugt die klare, reine Farbe: gold, silber, rot, weiß, schwarz, seltener blau, aber nur wenige Dinge sind mit Farbbezeichnungen ausgestattet (würde sonst strenge Linearität stören).
Held wird vor bestimmte Aufgabe gestellt (Unheld versagt, büßt oft mit dem Tod, dem Held gelingt das Unmögliche, er begegnet im richtigen Augenblick einem Jenseitswesen, das genau weiß oder gibt, was zur Lösung der jeweiligen Aufgabe nötig ist). Wenn der Held mehrere Aufgaben zu lösen hat, gibt das Märchen ihm oft für jede einen besonderen Helfer/Wunschding. Held benutzt das genau einmal, bzw. dreimal.
Figuren sind nicht nur ohne örtliche und personale, auch ohne dingliche Umwelt!
Alle Fristen werden voll ausgenutzt oder knapp überschritten, aber im Märchen „klappt“ alles. Nicht nur vom Zeitpunkt her, auch inhaltlich erfüllen (oder verfehlen) Held, Unheld, Nebenfiguren, Requisiten genau ihre Aufgaben.
Formelhafte Rundzahlen: tragen vor allem dazu bei, starres Gesicht zu verleihen. Nicht wie in Wirklichkeit Verschiedenheit, Zufälligkeit der Zahl.
Wiederholung: Element des abstrakten Stils, Starrheit entspricht der der Metalle/ Mineralien. Ganze Sätze oder Satzfolgen werden wiederholt, wenn dasselbe eintritt, sie wirken zugleich gliedernd.
Sprüche; formelhafte Anfänge und Schlusssätze: wirken ebenfalls formfestigend.
Einsträngigkeit der Handlung: der Verzicht auf vielschichtiges Miteinander bedeutet, es gibt nur eine scharfe Linie.
Mehrgliedrigkeit der Handlung: als Korrelat zur Einsträngigkeit, scharfe Linie der Märchenhandlung lebt von der Mehrzahl der Episoden. Jedes Ineinander/Miteinander wird gelöst, isoliert und durch Projektion auf Handlungslinie zum Nacheinander!
Märchen liebt Extreme (Königin bringt jedes Jahr ein Kind zur Welt; fällt bei jedem Wort ein Goldstück aus dem Mund…). Die Figuren sind schön und gut oder hässlich und böse; arm oder reich, fleißig oder faul; Pech und Gold; grausame Strafe oder höchster Lohn.
Wunder (als Inbegriff alles Extremen). Je mechanistischer, je extremer die Verwandlung, desto sauberer und präziser ist sie sichtbar.
Die abstrakte Stilisierung gibt dem Märchen Helligkeit und Bestimmtheitïƒ hohe Formkraft! Konsequent durchdringt sie die Elemente des Märchens, verleiht ihnen festen Umriss und sublime Leichtigkeit. Es ist fern von toter Starrheit, da rasches und entschiedenes Fortschreiten der Handlung. Der Held ist ein Wandernder aber mit scharf bestimmten Gesetzen für Form und Richtung.
Funktion und Bedeutung des Märchens
Die Gestalt des Märchens muss seiner Funktion angepasst sein.
Märchen greift Motive von einfachen Erzählungen (Klatsch-Witzgeschichte, Sagas, Sagen, Legenden, Mythen) auf, sublimiert sie und lässt sie Glieder einer weit ausgreifenden Erzählung, die viele Episoden umfassen kann, werden.
Andere Erzählformen lassen sich auf das Grundbedürfnis der menschlichen Seele zurückführen, das Märchen wächst über sie empor.
Das Märchen ist frei von Bindungen, es gibt in seiner Weise beglückende Antwort auf das Sein. Die Welt wird dichterisch bewältigt. Was in Wirklichkeit schwer/vielschichtig ist, wird im Märchen leicht und durchsichtig.
1: Eleganz und Bewegungssicherhei­t dominieren über kämpferische Leistungen 2: Pädag. Fortschritte durch ausgebildete spezialisierte Fachkräfte die methodisch anspruchsvolle Lehrverfahren anwenden. Auch Adel in Graz reagiert auf diese Entwicklung: Ab 1623 eigener Bereiter bei Landständen…
...[weiter lesen]