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Endarbeit

Das Brecht­sche Drama und Dramen­theorie Manfred Pfister. Das Epische Drama

1.598 Wörter / ~10 Seiten sternsternsternsternstern_0.25 Autorin Anna E. im Dez. 2013
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Endarbeit
Deutsch

Universität, Schule

Karl-Franzens-Universität Graz - KFU

Note, Lehrer, Jahr

2, Prof. Kernmayer, 2013

Autor / Copyright
Anna E. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.39 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern_0.25
ID# 35912







Das Brechtsche Drama und Dramentheorie Manfred Pfister

 

Das Epische Drama

Bertolt Brecht entwickelte in zahlreichen Schriften, Aufsätzen und Anmerkungen ein neuartiges Theaterkonzept, welches das Epische (auch dialektische) Theater genannt wird. Diese Form des Theaters soll das Publikum in einen Zustand der Reflexion und Kritikfähigkeit gegenüber dem Dargestellten versetzen, was einen grundlegenden Bruch mit der aristotelischen Form des Theaters, welche zu der Zeit vorherrschte, bedeutete. Die Beweggründe Brechts waren hauptsächlich die Veränderungen in der Gesellschaft und der Politik, die sich zu seinen Lebzeiten ergaben (zum Beispiel das NS-Regime unter Hitler, das Brecht 1933 zur Flucht ins Exil zwang), weshalb er versuchte durch seine Stücke die sozialen und politischen Missstände seiner Zeit aufzuzeigen. Das epische Theater sollte eine Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst herstellen und Zuschauern einen Einblick in die "realen" gesellschaftlichen Verhältnisse gewähren. In seiner  dramentheoretischen Werk "Schriften zum Theater 3" zeigt Brecht auf, dass für Dramatiker vor allem die Wissenschaft der Psychologie von großer Bedeutung ist in dem er ausführt

        "Die moderne Psychologie von der Psychoanalyse bis zum Behaviourismus verschafft         Kenntnisse, die mir zu einer ganz anderen Beurteilung des Falles verhelfen, besonders,         wenn ich die Ergebnisse der Soziologie berücksichtige und die Ökonomie sowie die   Geschichte nicht außer acht lasse" (vgl. Brecht 1936, S. 61)

 

In diesem Sinne und mithilfe seiner Stücke wollte Brecht die "Gesetzmäßigkeiten menschlichen Handelns demonstrieren und dokumentieren" (ebd. S. 41) dadurch Kritik an der gesellschaftlichen Situation üben, und damit das Publikum zum Handeln ermutigen. Durch die gesellschaftlichen Veränderungen sollten, laut Brecht "Die wichtigsten Vorgänge unter Menschen nicht mehr so einfach dargestellt werden", weshalb er es als notwenig erachtet die Umwelt der Menschen realistisch darzustellen und selbständig in Erscheinung treten zu lassen. (53f.) Daher war es für Brecht zentral die Bühne "erzählen" zu lassen und somit auch das Konzept der "vierten Wand" in den Hintergrund zu drängen. Im epischen Theater soll daher eine "kritische Distanz des Zuschauers" ausgelöst werden, welche z.B. durch Chöre, Spruchbänder, zusätzliche Informationen der einem kommentierenden Erzähler erfolgt (Pfister: 103). Dieser "Verfremdungseffekt" (in Brechts Schrift "Entfremdung" genannt) ist eines der Hauptbestandteile des epischen Dramas, da er beim Zuschauer ein gewisses Maß an eigenem Handeln hervorrufen soll, was den Sinn verfolgt durch Reflexion auf die dargestellten gesellschaftlichen Missstände eine Lösung dagegen zu finden zu wollen. Aber auch durch das gezielte Einsetzen von Kulissen und Requisiten wird von Brecht als Stilmittel benutzt, um dem Publikum einen "neuen Zugang" zum Drama zu ermöglichen. Brecht wollte nicht, dass sich die Zuschauer einfach nur in die Figuren "einfühlten" (= im Sinne von Mitgefühl) und eine "Katharsis"(Reinigung) nach dem Ansehen eines Stücks erfuhren, sondern sich "aktiv" mit dem Geschehen auseinandersetzen sollten. Brecht wandte sich damit entschieden gegen die aristotelische Form des Dramas, indem er es dem Zuschauer nicht mehr ermöglichen wollte sich "kritiklos (und praktisch folgenlos) Erlebnissen hinzugeben " sondern von ihnen erwartete, sich (kritisch) mit dem Auseinandersetzen was ihnen auf der Bühne dargeboten wurde. Dafür durfte das, was auf der Bühne geschah "verfremdet" werden und somit die Illusion einer perfekten Darstellung, die bis dahin auf den Bühnen vorherrschte zerstört werden. Brecht macht diesen Kontrast zwischen aristotelischem und epischen Drama auch in seiner Schrift ganz konkret, indem er schrieb das das Publikum im dramatischen Theater sagt:

        Ja, das habe ich auch schon gefühlt. So bin ich. Das ist natürlich. Das wird immer       so sein. Das Leid dieses Menschen erschüttert mich, weil es keinen Ausweg für ihn       gibt. Das ist große Kunst: da ist alles selbstverständlich. Ich weine mit den         Weinenden, ich lache mit den Lachenden.

Im Gegensatz dazu beschrieb er die Zuschauer des epischen Dramas wie folgt:

        Der Zuschauer des epischen Theaters sagt: Das hätte ich nicht gedacht. So darf man es      nicht machen. Das ist höchst auffällig, fast nicht zu glauben. Das muß aufhören.        Das Leid dieses Menschen erschüttert mich, weil es doch einen Ausweg für ihn gäbe.    Ich lache mit den Weinenden, ich weine über den Lachenden." (S. 54f.)

 

Diesen (für diese Zeit) radikalen Bruch mit der bis dahin vorherrschenden aristotelischen Form des Dramas zeigt er auch in seinen Anmerkungen zur Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny auf, indem er eine tabellarische Beschreibung der Unterschiede zwischen der traditionellen und der epischen Form des Theater darstellt:

 

Episches Drama anhand des Beispiels: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

In Brecht (1938) Anmerkungen zur Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (überarbeitete Fassung)

 

 

„Gewichtsverschiebungen vom dramatischen zum epischen Theater“

Aristotelische Form des Theaters

Epische Form des Theaters

handelnd

erzählend

verwickelt den Zuschauer in eine Bühnenaktion

macht den Zuschauer zum Betrachter

verbraucht seine Aktivität

weckt seine Aktivität

ermöglicht ihm Gefühle

erzwingt von ihm Entscheidungen

Erlebnis

Weltbild

Der Zuschauer wird in etwas hineinversetzt

er wird gegenübergesetzt

Suggestion

Argument

Die Empfindungen werden konserviert

bis zu Erkenntnissen getrieben

Der Zuschauer steht mittendrin

Der Zuschauer steht gegenüber

miterlebt

studiert

Der Mensch als bekannt vorausgesetzt

Der Mensch ist Gegenstand der Untersuchung

Der unveränderliche Mensch

Der veränderliche und verändernde Mensch

Spannung auf den Ausgang

Spannung auf den Gang

Eine Szene für die andere

Jede Szene für sich

Wachstum

Montage

Geschehnisse linear

in Kurven

evolutionäre Zwangsläufigkeit

Sprünge

Der Mensch als Fixum

Der Mensch als Prozeß

Das Denken bestimmt das Sein

Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Denken

Gefühl

Ratio (Verstand, Vernunft)

Idealismus

Materialismus

 

 

Theoretischer Teil

 

Epische Kommunikationsstrukturen im Drama (Pfister 2001, S 103ff)

 

Die "Episierung" des Dramas

Wichtigste Eckpunkte - Gegensatz von Epik und Dramatik

·         Aufhebung der Finalität:

ü  Das "Epische" eines Werkes liegt in der "Selbstständigkeit seiner Teile" -> Im epischen Drama wird auf schlüssig geführte Intrigen verzichtet -> stattdessen -> Aneinanderreihung einer Folge (relativ) selbständiger Einzelszenen, Episoden oder Stationen.

ü  „Spannung auf den Gang“ anstatt die bis dahin übliche „Spannung auf den Ausgang“

ü  Es soll eine kritische Distanz des Zuschauers auslösen -> dadurch -> Zuschauer sollen reflektiert "Vergleichen und Werten" -> Relativierung und Verfremdung der Einzelszenen

·         Aufhebung der Konzentration:

ü  Epische Werke arbeiten sehr detailliert und "breit(gefächert)" demgegenüber steht die "Konzentration" des Dramatischen (Hegel)

ü   Realität soll in ihrer Gesamtheit -> bis ins letzte Detail dargestellt werden -> strebt durch eine "panoramische Raum- und Zeitstruktur" und umfangreiches Personal (auf und hinter der Bühne) eine "extensive Totalität" an.

·         Aufhebung der Absolutheit:

·         Gegensatz von Bericht und Darstellung -> systematrische Einsatz dramaturgischer Techniken z.B. durch Prolog, Epilog, Chor, Song, Montage, Spruchbänder, Projektionen, Spielleiterfiguren, Aus-der-Rolle-Fallen, Bloßlegen des theatralischen Apparats -> dadurch soll das Publikum "desillusioniert" -> das wiederum soll bewirken, dass sich die Zuschauer nicht mit den Figuren identifizieren und so den Figuren und Situationen kritisch gegenüber stehen.

Daher kann man zusammenfassend sagen, dass Episierung meist ein "Fiktionsbruch" bedeutet, eine Unterbrechung des szenischen Fortgangs so zusagen einen Perspektivenwechsel sowie den Aufbau einer Distanz zum Stoff bzw. der Handlung des Dramas. Die Bühne wird für das Publikum "geöffnet" meistens durch einen kommentierenden bzw. erläuternden Darstellungsstil. Allerdings ist die Tendenz zur Episierung je nach Art des Dramas (Tragödie, Komödie etc.) unterschiedlich ausgeprägt, was schon Brecht in seinen Anmerkungen zur Dreigroschenoper hervorhob, indem er anmerkte:

"Überall aber, wo es Materialismus gibt, entstehen epische Formen in der Dramatik, im Komischen, das immer materialistischer, “niedriger” eingestellt ist, am meisten und öftesten"

 

Techniken epischer Kommunikation

1.   Auktoriale Episierung:

ü  Auktorialer Nebentext wird erweitert -> Ausweitung ins "Deskriptive und Kommentierende"

ü  äußere Textschicht -> auf keine Figur als Aussageobjekt bezogen -> z.B. durch Szenentitel, Spruchbänder, Projektionen etc. (soll z.B. expliziten Aussagen im Haupttext entgegenwirken)

ü  Montage-> Ausdruck aus der Filmkunst -> Aufbrechen raum-zeitlicher Kontinuität der Darstellung durch Rückblenden -> Einblenden con Gleichzeitigen bzw. in die Zukunft schauen -> -> analog zum auktorialen Erzähler in narrativen Texten-> dadurch wird dem Publikum bewusst, dass es eine Instanz gibt die diese Umstellungen vornimmt -> durch die neu geschaffene "Kontrast- und Korrespondenzbezüge" (108f.)

2.   Episierung durch spiel-externe Figuren:

ü  epische Kommunikationsstrukturen die durch die Figuren (als fiktive Aussageobjekte) getragen werden

ü  Einerseits: Prologe, Epiloge -> von Figur vorgetragen, die sich nicht im inneren Kommunikationssystem befinden (z.B. anonymer Sprecher, allegorische Personifikation, Götterfigur oder auktoriale Selbststilisierung) -> Reflexion und Kommentar-Funktion. Chor (wenn er außerhalb der inneren Spielebene) -> der Chor kann Zukünftiges vorwegnehmen bzw. hat die Möglichkeit des Exkurses)

ü  Andererseits: Regiefigur (diese Figur kann jederzeit ins Geschehen eingreifen, umstellen, Zeiträume aussparen, zusammenfassen u.v.m.)-> ist dem Chor und den Prolog- und Epilogfiguren ähnlich -> aber ->  Regiefigur hat gegenüber allen anderen Figuren einen Informationsvorsprung -> ist aber im Gegensatz zu den anderen eine Individualfigur

3.   Episierung durch spiel-interne Figuren:

Stehen selbst in der dramatischen Situation -> bilden Interferenzen zwischen innerem und äußerem Kommunikationssystem

ü  entweder Einzelfigur oder Chor

ü  Äuivalent zum Chor -> der Song(von Brecht in Theorie und Praxis des epischen Theater propagiert) -> durchbricht die innere Kommunikationsebene -> richtet sich ad spectatores = direkt an das Publikum

ü  Aus-der-Rolle-Fallen -> Schauspieler löst sich aus seiner Rolle-> wird Träger eines "vermittelnden Kommunikationssystem"

ü  "Beiseitesprechen"-> eine Figur richtet sich direkt an das Publikum -> teilt seine Meinung mit -> drammatische Illusion wird aber nicht zerzört -> ad spectores bezieht eine fiktive Zuschauerrolle ein (E2) -> diese ist aber weder mit impliziten (E3) noch dem realen (E4) Publikum ident.

ü  Illusionsdurchbrechung geschieht dann, wenn der Schauspieler aus seiner Rolle fällt -> ex persona ("aus der Maske sprechen") -> Sprecher ist keine fiktive Figur mehr sondern Schaupieler -> dient dazu um Aufführung bewusst zu machen = zu "verfremden"

ü  Monologische oder dialogische Kommentare und Reflexionen -> abstrahieren dramatische Situation, vor allem wenn sie den Bewusstseinsstand der Figur überschreiten

 

 

4.   Außersprachliche Episierung:

ü  Gestus des Zeigens, Brechtsche Theorie des "anti-identifikatorischen Schauspielerstils" ( vor allem in Commedia dell’Arte), betrifft Bühnengestaltung -> Bloßlegen des theatralischen Apparats, soll Kulissen als Kulissen und Requisiten als Requisiten bewusst machen -> illussionszerstörend -> z.B. Brecht-Gardine = Zuschauer können den Umbau verfolgen (121)

 

Überblick

 


(Pfister 2001, S 123)

Literatur:

Brecht, Bertolt: Schriften zum Theater Berlin: Surkamp

Pfister, Manfred (2001): Das Drama. Theorie und Analyse. München: Wilhelm Fink (11. Aufl.)

Knopf, Jan (1996): Brecht-Handbuch: eine Ästhetik der Widersprüche. Theater. Stuttgart (et al): Metzler.


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