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Seminararbeit
Geschichte / Historik

Ruhr-Universität Bochum - RUB

Michaela U. ©
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Das Betriebsrätegesetz von 1920 zur Zeit der Weimarer Republik

Das Betriebsrätegesetz von 1920

1)   Einleitung

In dieser Seminararbeit werde ich mich mit der betrieblichen Mitbestimmung in den Anfängen der Weimarer Republik beschäftigen, in diesem Zusammenhang scheint es mir ratsam zunächst auf die Entstehung des Räteartikels 165 und die ihm vorausgegangene Verfassungsproblematik einzugehen.

Den Artikel 165 der Weimarer Reichsverfassung  werde ich dann in seinen Bestimmungen näher erläutern bevor ich dann auf das für die betriebliche Mitbestimmung grundlegende Ergänzungsgesetz, das so genannte Betriebsrätegesetz von 1920, eingehen möchte, dessen Vorläufer das Hilfsdienstgesetz von 1916 auch erwähnt werden muss. Dieses soll dann als Basis für den Schwerpunkt der Arbeit fungieren, denn ich werde mich im Folgenden mit der Frage beschäftigen, wie Unternehmer, Arbeiter und Staat auf dieses Gesetz reagierten und im Weiteren untersuchen, wie das Gesetz in der direkten Folgezeit umgesetzt wurde.

Im speziellen werde ich mich diesbezüglich  mit der Mitbestimmung in der Schwerindustrie, im Besonderen im Ruhrbergbau, und der Chemieindustrie am Beispiel des Bayer-Konzerns befassen.

Die Ausführungen über den Räteartikel und das Betriebsrätegesetz halte ich für wichtig, um die Entwicklung der betrieblichen Mitbestimmung, auch gesellschaftlich und arbeitspolitisch, nachvollziehen zu können. 

Zur verwendeten Literatur möchte ich sagen, dass spezielle Literatur zur betrieblichen Mitbestimmung selten ist und ich mich daher beschränken musste. Zur Mitbestimmung in der chemischen Industrie, im Besonderen zur Thematik des Bayer-Konzerns ist jedoch in letzter Zeit einiges veröffentlicht worden, ausführlich mit diesem Thema beschäftigt hat sich Werner Plumpe, dessen Veröffentlichungen mir auch hauptsächlich diese Arbeit ermöglicht haben.

In Bezug auf die Mitbestimmung im Ruhrbergbau war seine Monographie mit demselben Titel fast ausschließliche Quelle für diese Seminararbeit.

 

2)   Nationalversammlung oder Rätewesen? -  Die Entstehung des    

              Räteartikels 165                                            

     a) Die politische Ausgangssituation

Mit dem Kieler Matrosenaufstand am 4.11.1918 kam es innerhalb weniger Tage zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten im ganzen Reich, sie entstanden aus der Revolution heraus. Die Notwendigkeit der Räte ergab sich aus der Regierungstreuen Linie von SPD und den Gewerkschaften, denn da sie sich anti-revolutionär verhielten, sah die Massenbewegung der Arbeiter ihre Forderungen durch sie nicht geäußert[1].

In Anlehnung an die russischen Sowjets sahen sie in der Bildung von Räten die passende Ausdrucksform ihres Protests gegenüber der Staatsgewalt.

Politisch dominierte in den Räten die SPD, nicht wie zu vermuten ist die linke USPD oder der Spartakusbund, die SPD war immer noch die Partei der Arbeiter[2].

 Von den Mehrheitsparteien ausgehend wollte der Großteil der Deutschen eine Parlamentarisierung und im Zuge dessen eine Änderung der Reichsverfassung. Es ging ihnen hierbei besonders darum die Stellung und die Rechte des Reichtags zu stärken und um ein Mitspracherecht des Parlaments in militärischen Angelegenheiten.

Diese Forderungen wurden in  der so genannten „Oktoberreform“ umgesetzt, mit ihr entstand die parlamentarische Demokratie[3]. Aber das deutsche Parteiensystem war durch Kontinuität geprägt und es kam somit kaum zu weiteren Veränderungen des Systems. Mit dem Ende der Monarchie war der Großteil der Parteien für eine demokratisch legitimierte republikanische Staatsform und lehnte den Rätegedanken ab, die Idee den Rätegedanken zur berufsständischen Vertretung zu integrieren kam erst später auf.

Nur der Spartakusbund forderte, das Rätesystem als ausschließliches Staatssystem einzuführen[4], dem gegenüber standen die Mehrheitssozialdemokraten und die USPD, sie waren für die schnelle Einberufung einer Nationalversammlung.

Die ablehnende Haltung gegenüber dem Rätesystem resultierte aus der Bolschewismusfurcht, die durch die Ereignisse in Russland aufkam.

Auch die Räte selbst sahen sich als vorläufige Revolutionsorgane und traten für die Einberufung einer Nationalversammlung ein. Diese wenig radikale Forderung resultierte daraus, dass die meisten Rätemitglieder Mehrheitsdemokraten waren, die Räte sollten nur vorübergehend Regierungsaufgaben erfüllen bis zur statuierten Parlamentarischen Verfassung.

Der radikale Teil der Arbeiterbewegung war auch nicht stark genug um eine diktatorische Instrumentalisierung der Räte nach Russischen Vorbild zu organisieren. Die Debatte über die Frage Rätewesen (direkte Demokratie) oder Nationalversammlung (parlamentarische Demokratie) war dementsprechend heftig aber kurz.

 Ein weiteres erwähnenswertes Ereignis war der Abschluss des „Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen“ zwischen Unternehmern und den Gewerkschaften, durch das die Gewerkschaften als Arbeitnehmerinteressenvertretung auf sozialpartnerschaftlicher Basis akzeptiert wurden[5].

Man einigte sich auf den 19.01.1919 als Termin der Wahl zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung, das Wahlergebnis zeigte allerdings keine starke Mehrheit auf, weshalb es zur so genannten Weimarer Koalition kam, aus SPD, Zentrum und Liberalen

Der erste Verfassungsentwurf stammte von Hugo Preuß, die Räte fanden in diesem Entwurf, wie auch in den ersten Debatten der Nationalversammlung, keine Erwähnung. Kritik daran kam nur von einigen wenigen SPD und USPD Anhängern, Richard Fischer zum Beispiel, von der MSPD, forderte die organisierte Arbeiterschaft solle als „politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor“ auch in der Verfassung anerkannt werden, Mitwirkung im Betrieb bei Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse war eine seiner Vorstellungen das Rätesystem betreffend[6].

Die USPD forderte ausdrücklich auch weitreichende politische Funktionen der Räte und außerhalb der Nationalversammlung äußerten sich einige Anhänger für ein „reines Rätesystem“.

Die innenpolitische Situation jedoch spitzte sich zunehmend zu, im Januar 1919 kam es in vielen Teilen des deutschen Reiches zu Streiks, die teilweise auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen  eskalierten[7]. Grund für die Unruhen war die Unzufriedenheit der Arbeiterbewegung, die keine Veränderung und im Besonderen keine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Arbeitersituation im Reich feststellen konnten, auch der Kompromisskurs der SPD sorgte für Enttäuschung, denn so konnten sie

keine Änderung der bestehenden gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen bewirken. Diese Enttäuschung führte zu einer Radikalisierung der Rätebewegung, und zu einer Welle neuer Anhänger, die dadurch erreichte Stärkung der Bewegung, wurde von den führenden Kräften gegen die parlamentarische Demokratie eingesetzt, für die Einführung des Rätesystems.

Auch die Verankerung eines Räteartikels in der Verfassung wurde zugesagt.

Zwar entsprach die wirtschaftlich und sozialpolitisch ausgerichtete Funktion, die die Räte erfüllen sollten, nicht den Forderungen der Streikenden, doch die Aufnahme eines Räteartikels brachte zunächst den Abbruch des Streiks[8]. Die Zusage der Regierung wurde durch Einfügung des Zusatzartikels 34a konkretisiert.

Die Regierung schafft also unter enormem innenpolitischem Druck  einen Artikel, der die Streikaktion stoppt und den Rätegedanken von der politischen auf die wirtschaftliche Ebene verschiebt[9], es scheint mir aber nicht verwunderlich, dass sich die Streikenden mit dieser Form des Rätesystems zufrieden gaben, da ein großer Teil der Arbeiterbewegung die Räte nur als provisorische Institution betrachteten.

Der Artikel 34 a sieht die Schaffung von Wirtschafts- und Arbeiterräten vor, die nach dem Territorial- und Wirtschaftsprinzip zu errichten waren. Er bildete die Grundlage für den in der Reichsverfassung am 14.08.1919 verabschiedeten Artikel 165[10]

    b)  Der Artikel 165 der Weimarer Reichsverfassung

Ein wichtiger Aspekt des Artikels 165 betont die  Koalitionsfreiheit der Sozialpartner auf privatrechtlicher Basis, dies wird auch schon in Art. 159 derselben statuiert. Grund für diese Wiederholung war die Befürchtung der Gewerkschaften, dass durch die Anerkennung der Räte ihre Bedeutung abnehmen würde und die zuvor von ihnen getroffenen Vereinbarungen, wie zum Beispiel das Stinnes-Legien-Abkommen, sollten durch den Artikel 165 anerkannt werden.

Die Funktion der Räte war eindeutig beschränkt auf den wirtschaftlichen Sektor. Grundlage dieses rein wirtschaftlichen Rätesystems bildete das Paritätsprinzip, dass heißt das gleichberechtigte sozialpartnerschaftliche Zusammenwirken zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Das schon oben angesprochene „Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen“ vom 15.November 1918 wurde in Artikel 165 also staatsrechtlich anerkannt[11].

Der Aufbau der Räteorganisation sollte also dualistisch erfolgen.

Die beiden Räte sollten in der Art ihrer Zusammensetzung und in ihren Aufgaben und Funktionen verschieden sein. Die Arbeiterräte sollten nur aus Arbeitnehmern bestehen, die ihre sozialen und wirtschaftlichen Interessen gegenüber den Unternehmern vertreten.

Ihnen wurde jedoch keine Exekutivbefugnis im Rahmen der Unternehmensleitung zugesprochen.

Die Schaffung von Bezirksarbeiterräten und des Reichsarbeiterrates jedoch waren umstritten, da man der Meinung war, dass die Gewerkschaften außerbetrieblich zur Arbeitnehmervertretung genügten[12].

Die Wirtschaftsräte sollten zweistufig  aufgebaut sein, auf betrieblicher Ebene waren keine Wirtschaftsräte vorgesehen

Bezirkswirtschafträte und Reichswirtschaftsrat sollten sich aus Betriebsarbeiterräten und Reichsarbeiterrat, Unternehmervertretungen und sonstiger beteiligter Volkskreise (z.B. Konsumenten) zusammenschließen,

die Arbeitnehmervertreter in den Wirtschaftsräten gingen demnach  aus den jeweiligen Arbeiterräten hervor. Mit dieser Regelung wollte man deutlich machen, dass die Arbeiterräte ausschließlich öffentlich-rechtlich waren im Gegensatz zu den privatrechtlichen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Arbeiterräte sollten die Privatrechtlichen ergänzen nicht ersetzen[13].

Aufgabe der Wirtschaftsräte war es die Produktivität zufördern und die Produktion untersozialen Gesichtspunkten zu gestalten, sie waren ein Ausdruck der Produktionsgemeinschaft der am Wirtschaftsleben Beteiligten[14].

Der Artikel 165 WRV war allgemein formuliert, den Räten wurden auf den ihnen übertragenen Gebieten Kontroll- und Verwaltungsbefugnisse zugestanden, nähere Erläuterungen sollten durch Ausführungsgesetze erfolgen.

Von dem in Artikel 165 erläuterten Rätesystem wurden nur zwei Organisationsstufen konkret umgesetzt und sind auch praktisch angewendet worden, zum einen  die Betriebsarbeiterräte, zum anderen der Reichswirtschaftsrat. Die betrieblichen Arbeiterräte wurden in der Weimarer Republik zu dauerhaften Einrichtungen, was ich im weiteren Verlauf dieser Seminararbeit noch erläutern werde.

              3)       Das Betriebsrätegesetz vom 04. Februar 1920

   a)  Das Hilfsdienstgesetz 1916

Nun möchte ich kurz das Hilfsdienstgesetz von 1916 erläutern, da es den ersten Schritt zum Betriebsrätegesetz darstellt. Der Kriegsverlauf  des Ersten Weltkriegs erforderte eine straffe  Zusammenfassung aller vorhandenen Kräfte und Mittel, so sollten alle nicht im Heerdienst stehenden Männer zwischen 17 und 60 Jahren zu einem Pflichtarbeitsdienst herangezogen werden und unter Umständen den Arbeitsplatz in einen kriegswichtigen Betrieb wechseln, dies bedeutete den Verzicht auf einen freien Arbeitsvertrag  und das Recht auf Freizugigkeit[15].

Daher musste man den Industriearbeitern einen Ausgleich bieten, um gleichzeitig Streikaktionen zu verhindern. Das am 02.Dezember 1916 verabschiedete „Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst“ führte zu einer Beschränkung der Freizügigkeit, dass heißt ein Wechsel der Arbeitsstelle war nur mit einem Abkehrschein möglich. Doch das Gesetz brachte auch einen sozialpolitischen Fortschritt, denn es sah die Errichtung von Arbeiter- und Angestelltenausschüssen vor, ihre Aufgabe war es Unternehmer  über die Anträge, Wünsche und Beschwerden der Arbeiter und Angestellten zu unterrichten, und sich bei Problemen gutachtlich zu äußern[16].

Das Hilfsdienstgesetz war ein wichtiger Eckpfeiler in dem System organisierter Mitwirkung der Arbeiterschaft in den Fragen des Arbeitsverhältnisses und kann als Vorreiter des Betriebsrätegesetzes verstanden werden. Die Ausführung des Gesetzes war zahlenmäßig auch erfolgreich, dennoch gab es einen Kritikpunkt, denn viele der Arbeiterausschüsse schlossen sich den Gewerkschaften an und waren nicht wie geplant von der Arbeiterbewegung unabhängig[18].

            b)  Das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920

Die im Artikel 165 der Weimarer Reichsverfassung beschlossenen Betriebsarbeiterräte und ihre Funktionen sollten durch ein Ausführungsgesetz näher definiert werden, in der Folgezeit kam es zu vielen Debatten über das so genannte Betriebsrätegesetz, denn man konnte sich nicht auf die Rolle einigen, die die Betriebsräte erfüllen sollten.

Streitpunkte waren besonders die Vertretungen der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, die Bilanzeinsicht und besondere Vertretungen der Angestellten[19].

Die Revolutionäre Betriebsrätebewegung, in der sich die zu Beginn 1919 geschlagenen Anhänger eines reinen Rätesystems erneut sammelten, wollten wiederholt die unzufriedenen Massen mobilisieren, da abzusehen war, dass ihre Forderungen durch das Betriebsrätegesetz  nicht erfüllt werden würden. Sie wollten, dass die Betriebsräte die Sozialisierung der Wirtschaft nicht nur vorbereiten, sondern diese auch ausführen sollten[20].

Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf das Betriebsrätegesetz, es blieb unverändert und gewährte den Betriebsräten lediglich eine sozialpolitische Schutzfunktion für die Arbeiter[22].

In erster Linie ging es um eine Kooperation von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen zum Wohle des Betriebs, wobei die Planungs-, Organisations- und Leitungskompetenzen der Arbeitgeber unangetastet blieben. Den Betriebsvertretungen wurden in wirtschaftlichen Angelegenheiten nur  Informations- und Beratungsrechte zugestanden

Im personellen Bereich und in Betriebsbezogenen Sozialeinrichtungen erhielten sie ein Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrecht[23]. Ein Mitentscheidungsrecht bestand nur für die so genannte Arbeitsordnung und für Dienstvorschriften, die durch Betriebsvereinbarungen zu erlassen waren.

Ein Betriebsrat musste in Betrieben mit wenigstens 20 Arbeitnehmern gewählt werden in kleineren Betrieben sollte ein Betriebsobmann gewählt werden.

Das Betriebsrätegesetz wollte und konnte in dieser Form die Klassengegensätze nicht abbauen, aber es war neben dem Hilfsdienstgesetz ein weiterer Schritt für die innerbetriebliche Mitbestimmung und erfüllte den Auftrag den die Verfassung in Artikel 165 dem Gesetzgeber gestellt hatte.

Bevor ich mich jetzt mit der aus diesem Gesetz resultierenden Mitbestimmung in der Industrie beschäftige, möchte ich ein  kurzes Zwischenfazit ziehen. Man kann aus dieser Entwicklung erkennen, dass die Aufnahme des Räteartikels in die Weimarer Verfassung aus dem Druck resultiert, der auf der Regierung lastete, ausgelöst durch die massive Streikbewegung Anfang 1919. Der Räteartikel ist demnach als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Neugeschaffenen parlamentarischen Demokratie zu verstehen.

4)  Betriebliche Mitbestimmung in Schwerindustrie und Chemieindustrie

  a)  Betriebliche Mitbestimmung in der Chemieindustrie am Beispiel des

        Bayer-Konzerns                 

Auf die Geschichte und die Strukturen des Bayer-Konzerns kann ich hier nicht eingehen, denn das würde den Rahmen der Arbeit sprengen, aus diesem Grund werde ich direkt auf die Haltung des Unternehmens gegenüber der Mitbestimmung eingehen.

Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Carl Duisberg befürwortete schon im Kaiserreich eine Mitbeteiligung der Arbeiter in der Sozialpolitik des Unternehmens, allerdings auf freiwilliger Basis. Ziel dieser für damalige Verhältnisse modernen Unternehmensführung war die Arbeiter für sich zu gewinnen und eine Kontrollmöglichkeit zu schaffen[25].

Das Unternehmen reagierte mit kleineren Lohnerhöhungen trotz laufender Tarifverträge, da man parallel zur innenpolitischen Streiksituation im Betrieb die Arbeiter besänftigen wollte und Streiks zu vermeiden versuchte.

In diesem Zusammenhang war das Unternehmen dazu bereit den Arbeiterausschüssen ein umfangreiches Informationsrecht bei Einstellungen und Entlassungen zuzugestehen, wobei sie hiermit dem Betriebsrätegesetz vorgriffen, dass im Sommer 1919 zwar geplant war, aber noch nicht in Kraft getreten war[28].  Für den Arbeiterausschuss bedeutete dies eine große Neuerung, denn sie konnten nun Mitwirken in ihrem Betrieb.

Der Bayer-Konzern zeichnet sich durch die frühe Einführung von Arbeiterausschüssen als fortschrittliches Unternehmen aus[29].  Die gewünschte Wirkung dieser Zugeständnisse blieb aber zunächst aus, denn das Arbeitsleben wurde weiterhin durch Lohnforderungen, Unzufriedenheit der verschiedenen Arbeitergruppen die sich benachteiligt fühlten und von mangelnder Disziplin bestimmt.

Der neue Kurs der Unternehmensführung wurde demnach durch das neue Selbstverständnis der Arbeiter, die ihre betriebliche demokratische Mitwirkungsrolle erfüllten, eingeschränkt. Zudem kommt, dass  auch für das Unternehmen diese Maßnahmen unerprobt waren und man durch den großen Widerstand der Arbeiter gegen die Kontrollen eine Gefahr für den Betriebsfrieden sah, den man nicht weiter gefährden wollte.

Außerdem war die Konjunktur zu diesem Zeitpunkt auf ihrem Höhenpunkt, die Kohlennot war überwunden und man konnte sich aus diesem Grunde keine unnötigen Entlassungen leisten, die Arbeitskraft wurde benötigt[31].

Die Atmosphäre im Betrieb litt aber unter diesen Auseinandersetzungen, dies möchte ich an einem Zitat deutlich machen, dass die Einstellung der Werksleitung meiner Meinung nach klar ausdrückt: „Wir haben uns ganz auf den Boden der neuen Zeit gestellt und deshalb den Vertretungen unserer Werksangehörigen gerne Rechte eingeräumt, die über das von dem Gesetz verlangte noch hinausgehen, - wir erkennen ferner die Arbeit des Ausschusses an und werden auch in Zukunft gerne mit ihm arbeiten: Gedeihlich kann diese Arbeit aber nur werden, wenn alle ihren Stolz darein setzen, einem Werk anzugehören, wo nicht nur Recht, sondern auch die Ordnung herrscht“[32].

Ende Juli 1920 verabschiedete die Reichsarbeitsgemeinschaft Chemie vorläufige Grundsätze über die Einstellung von Arbeitern, in denen den Betriebsvertretungen Informations- und Einspruchsrechte zugesprochen wurden. In Streitfrage sollte der Schlichtungsausschuss einberufen werden, es kam also kaum zu Neuerungen, da der Bayer-Konzern wie oben schon erwähnt dem Betriebsrätegesetz voraus handelte, in weiser Voraussicht auf das kommende Gesetz, im Interesse des Unternehmens[33].

Nur die Akkordarbeit betreffend wurde die Mitarbeit des Arbeiterrates vorgeschrieben, was eine Neuerung darstellt[34]. Zuvor nahmen auch Vertreter der Werksleitung an den Sitzungen des Arbeiterausschusses teil, dies wurde nun untersagt, kommuniziert wurde fortan zwischen den Parteien anhand eines Mittelsmannes, dem Leiter der Sozialabteilung. Diese Bestimmungen entsprachen in ihren Aussagen den Grundsätzen des Betriebsrätegesetzes, dem Betriebsrat, wie die Arbeiterausschüsse nun genannt wurden, standen nur beratende Funktionen und keine Exekutivgewalt zu.

1922 erfolgte das Gesetz über die Vertretung der Betriebsräte in den Aufsichtsrat, welches im Bayer-Konzern dazu führte, dass im September 1922 zwei Betriebsratsmitglieder in den Aufsichtsrat des Unternehmens gewählt wurden[35]. 

Die schon vor Eintreten des Betriebsrätegesetzes bemängelte Leistungsfähigkeit im Betrieb, wurde Mitte 1920 wieder thematisiert und man suchte nach Lösungen zur Leistungssteigerung. Man beschloss ein Leistungslohnsystem einzuführen, Gruppenakkorde sollten nun anstelle von Einzelakkorden angewandt werden.

Vorteil dieser Regelung, so versprach sich die Werksleitung, waren motivierte Arbeiter, die sich selbst kontrollieren und einen Nutzen aus schneller Arbeit ziehen. Die Umsetzung gestaltete sich aus verschiedenen Gründen jedoch als unmöglich[36]. Auch in Fragen der Lohnabschlüsse kam es zu keiner grundlegenden Lösung, die Arbeiter waren weiter unzufrieden und die Arbeitsmoral sank stetig.

Die Unternehmensführung hielt sich mit Lösungsvorschlägen zurück weil sie den Widerstand der Arbeiter und ihrer Räte befürchtete und ein entsprechender Musterentwurf des Reichsarbeitsministeriums noch nicht vorlag. Motiviert dazu waren die Arbeiter auf Grund der steigenden Inflation und der Lebensmittelknappheit[37]. Die Situation eskalierte weiter durch die Einführung des zehnprozentigen Lohnsteuerabzugs, auf Beschwerden der Arbeiterschaft reagierte das Unternehmen in dem es vorschlug jedem Arbeiter ein Pfund Speck im Wert von fünf Mark zu liefern, um sie zu beruhigen.


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