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Seminararbeit
Deutsch

Universität Rostock

1,3 (2017)

Hanna A. ©
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ID# 66985







Universität Rostock

Philosophische Fakultät

Institut für Germanistik

Wintersemester 2016/17

Grundkurs: Drama und Dramatik

Leitung: Dr.


Thema der Hausarbeit:

Die sozialpolitischen Darstellungen der sozialen Ungleichheit und der Armut im naturalistischen Drama „Vor Sonnenaufgang“ von Gerhart Hauptmann


Inhaltsverzeichnis


Einleitende Worte 3

Die historisch-sozialen Hintergründe des Naturalismus 5

2.1 Vorläufer und Entstehungshintergrund 5

2.2 Wirtschaftliche und politische Ausgangssituation 7

2.3 Gestalterische Merkmale 9

3. Die inhaltliche Betrachtung des Werkes „Vor Sonnenaufgang“ 11

3.1 Entstehungshintergründe und Rezeption des Werkes 12

3.2 Inhaltliche Ausrichtung des Werkes auf die Merkmale des Naturalismus 13

4 Die sozialpolitische Kritik im dramatischen Werk 15

4.1 Soziale Ungleichheit in der Gesellschaft 15

4.2 Verteilungsgerechtigkeit und Armut 19

5 Fazit 22

6 Literatur- und Quellenverzeichnis 24

6.1 Literaturverzeichnis 24

6.2 Quellenverzeichnis 24

7 Selbstständigkeitserklärung 25


  1. Einleitende Worte


Das 19. Jahrhundert kennzeichnete sich mit vielerlei Veränderungen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und sozialer Natur. Der stetige technische Fortschritt und die naturwissenschaftliche Forschungsbereitschaft führten zur zunächst langsamen und später explodierenden Urbanisierung und der Verelendung der Menschen auf dem Land. Dieser Problematik widmete sich die Literaturepoche des Naturalismus, der sich auf die Zeit von 1880 bis 1990 datieren lässt.

Aus den genannten Hintergründen beinhalten die naturalistischen Werke meist Themen, die das soziale Elend und die soziale Ausstoßung betrachten. Einhergehend mit diesen beiden Hauptinhalten werden weitere Aspekte mit sozialpolitischer Relevanz in die Werke einbezogen. Aus diesem Grund hält die Autorin dieser Hausarbeit die Betrachtung der eben jenen sozialpolitischen Darstellung für besonders bedeutend.

Da sich der Naturalismus vor allem mit der Verelendung der Menschen auseinandersetzte, sind die Betrachtungen der Armut und der Verteilungsungerechtigkeit sehr naheliegend. Daher stellt sich innerhalb dieser Hausarbeit die Frage, inwiefern die Aspekte der Armut und der Verteilungsungerechtigkeit innerhalb der Bevölkerung im naturalistischen Drama „Vor Sonnenaufgang“ von Gerhart Hauptmann einbezogen werden.

Jenes wurde im Rahmen dieser Arbeit ausgewählt, da es das erste, deutliche Werk der naturalistischen Literaturepoche war und sich daher sehr gut ein Übergang vom vorher existierenden Realismus kennzeichnen lässt.

Bevor eine Übertragung der genannten Aspekte auf das vorliegende Werk geschieht, werden zunächst die Entstehungshintergründe des Naturalismus darlegt sowie des Vorläufer thematisiert. Dies ist nötig, da somit eine Erklärung dessen erfolgen kann, weshalb die Betrachtung der sozialpolitischen Darstellung in einer so bewegten Zeit wie im 19. Jahrhundert lohnenswert und bedeutend ist.

Daraus ableitend sind ebenso die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausgangssituationen verdeutlicht, um einen übergreifenden Blickwinkel auf das Bild der Zeit zu erlangen und um später eine entsprechende Beurteilung innerhalb des Werkes vornehmen zu können. Dabei rücken weiterhin auch die politischen und wirtschaftlichen Faktoren in den Vordergrund, um die soziale Situation der Bevölkerung um 19. Jahrhundert nachempfinden und damit die Einordnung des in dieser Hausarbeit betrachteten Werkes verstehen zu können.

Im Anschluss daran erfolgt die Differenzierung der naturalistischen Merkmale in Werken. Dies ist für die spätere Analyse unabdinglich. Nach der Darlegung der Grundlagen erfolgt die Auseinandersetzung mit „Vor Sonnenaufgang“ von Gerhart Hauptmann: Dies beläuft sich auf die Entstehungshintergründe und Rezeption des Werkes sowie weiterhin auch die Anwendung naturalistischer Merkmale im Werk.

Um der inhaltlichen Bearbeitung der Verteilungsungerechtigkeit sowie der Armut nichts vorwegzunehmen, wird der Inhalt des Werkes nur grob dargestellt. Die Betrachtung beider Teilaspekte, die in dieser Hausarbeit beleuchtet werden, ermöglicht eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Werk.

Der vierte Teil dieser Hausarbeit beschäftigt sich mit der Übertragung der naturalistischen Merkmale auf die Darstellung der Armut und der Verteilungsgerechtigkeit, um somit die beschriebene soziale Ungleichheit in der Gesellschaft umfangreich erörtern zu können. Dies impliziert die Klärung, inwieweit soziale Ungleichheit, bestehend aus der Einteilung in Milieus und Schichten sowie Chancengleichheit, im Werk eine Rolle spielt.

Hierbei soll anhand von Beispielen, die aufgeschlüsselt und diesbezüglich interpretiert werden, gearbeitet werden. Im Gegensatz hierzu resultiert aus der Verteilungsgerechtigkeit die Verteilung von finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen auf verschiedene Individuen einer Gesellschaft, die davon ableitend einen negativen oder positiven Effekt erfahren können.

Gerade die Schere zwischen Arm und Reich findet in „Vor Sonnenaufgang“ eine besondere Position, daher soll dieser Aspekt neben der sozialen Ungleichheit ebenfalls hervorgehoben werden.

Zur Analyse der vorliegenden Fragestellung wurden sowohl Sigfrid Hoeferts „Das Drama des Naturalismus“ als auch „Einführung in die Literatur des Naturalismus“ von Wolfgang Bunzel verwendet. Weiterhin ist Grundlagenliteratur wie beispielsweise „Einführung in die Dramenanalyse“ (Bernhard Asmuth) zu Rate gezogen worden, um eine entsprechende Aufarbeitung die Hintergründe naturalistischer Werke und noch dazu Dramen vornehmen zu können.

Darüber hinaus wurde auch „Vor Sonnenaufgang“ von Gerhart Hauptmann und entsprechende Lektüreschlüssel genutzt. Die verwendete Literatur wird im Quellen- und Literaturverzeichnis aufgeschlüsselt.

Es ist weiterhin anzumerken, dass in dieser Hausarbeit die Form des Gender*Sternchens erfolgt, die eine Einbeziehung aller Geschlechter ermöglicht. Hierbei sind eindeutig nicht nur Frauen und Männer gemeint, sondern vielmehr weiblich und/oder männlich sozialisierte Menschen sowie diejenigen, die eine Geschlechtszuschreibung für sich ausschließen.


  1. Die historisch-sozialen Hintergründe des Naturalismus


Die Literaturepoche des Naturalismus begegnete Themen wie Armut, Ausbeutung und gesellschaftlicher Not wie bisher keine andere Epoche zuvor. Die stetige Abhängigkeit des menschlichen Lebens von der Soziallage, dem Milieu und der sozialen Rolle an sich wurden im Naturalismus aufgegriffen und vor allem auf das Großstadtleben, die Determiniertheit des menschlichen Denkens und Handelns und das Verhältnis von Mensch und Technik bezogen.

Die Konfliktlinie setzte sich zunehmend aus der Gegenüberstellung des verelendeten Proletariats und der reichen Bourgeoisie zusammen. Aufgrund der verschiedenen konfliktreichen Themen des Naturalismus wurden als Figuren zumeist dramatische Personen aus der Bevölkerung gewählt, die als Ausgestoßene, Verbrecher oder Süchtige dargestellt wurden. Es handelte sich daher meist um benachteiligte Menschen, um die sich die verschiedenen Geschichten spannten.

Der Naturalismus ist als Epoche bekannt, die stark auf die Objektivität und tatsächliche Darstellung der Ereignisse ausgerichtet war, d.h. der*die Dichter*in sollte die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit sichtbar machen und keinen Stil nutzen, der zur Verschleierung oder Verschönerung beigetragen hätte. Doch jene Auseinandersetzung mit dem menschlichen Leben erfolgte nur durch die Weiterentwicklung der Vorläufer.


2.1 Vorläufer und Entstehungshintergrund


Den Naturalismus prägte vor allem der stetige technische sowie naturwissenschaftliche Fortschritt, aber auch die Entwicklung des Sozialismus in verschiedenen Regionen des westlichen Europas. Letzteres führte zur Verbreitung der deterministischen Theorien und somit auch zur weitführenden Skepsis gegenüber religiöser Fragestellungen.1 Als Vorläufer des Naturalismus werden sowohl der Sturm und Drang als auch das Junge Deutschland angesehen: „Genieästhetik und Vormärzdichtung boten sich vor allem deshalb als Referenzgrößen an, weil sie auf ganz unterschiedliche Weise Problemlösungsoptionen für die gegenwärtige Misere der Lyrik eröffneten“2.

Die Literaten jener Zeit spürten eine Veränderung in der Schreibweise und erhofften sich eine klarere Ausdrucksweise mit Bedienung der sozial sowie gesellschaftlich relevanten Themen. Um dieses Verlangen zu bedienen, kam es zur Gründung der „Freien Bühne“. Die preußische Zensur der damaligen Zeit machte es den Autor*innen unmöglich, sozialkritische Werke aufführen zu lassen.

Auch hierfür war die Freie Bühne ein Anker: Es war ein Literaturverein, in dem innerhalb geladener geschlossener Veranstaltungen naturalistische Werke aufgeführt werden konnten; für die Aufführung außerhalb eines Vereins benötigte man eine entsprechende Zulassung. Im Zuge dessen wurde auch eine Zeitschrift mit demselben Namen initiiert, die bis heute existiert.3

Mit der Erstaufführung von „Vor Sonnenaufgang“ war der Naturalismus im deutschen Theater geboren: „Hauptmanns Stück schien jetzt die Erfüllung dessen, was man sich vom neuen Drama erhofft hatte“4. Es ist als Wendepunkt in der Entwicklung der deutschen Dramatik anzusehen.

Obgleich im folgenden Unterkapitel die Ausgangssituation wirtschaftlicher und politischer Art konstituiert werden, sollte die Entwicklung des Naturalismus einem kurzen Exkurs gegolten werden: Jener durchlebte eine dreiphasige Entwicklung, „die jeweils durch wechselnde Leitfiguren, verschiedenartige Institutionalisierungsbestrebungen, abweichende Gattungspräferenzen und eigenständige ästhetische Akzentsetzungen gekennzeichnet sind“5.

So nahm der Naturalismus mit der Herausstellung politisch-polemischer und auch lyrischer Texte seinen Anfang, während in der Mitte der 1880er Jahre vielmehr die Erzählprosa zum Tragen kam und schließlich ab den 1890er Jahren eine Etablierung des Dramas vollzogen worden ist. Je länger die Epoche des Naturalismus andauerte, desto stärker richtete sich die Literatur auf die anti-institutionelle Gestaltungsweise aus.

Die affrontartige Haltung gegenüber den metaphysischen oder religiösen Denkansätzen vermochte dem*der Leser*in, eine Entscheidung zwischen der Kunst und den genannten Richtungen zu treffen. Als Gegenpol zu den bisher relevanten Ansätzen fungierte der Naturalismus und dessen Dramen daher als „diesseitsorientierter Empirismus, der gleichwohl nicht beim bloßen Augenschein stehen bleiben, sondern die Funktionsmechanismen aufspüren will, welche das positiv Gegebene organisieren“7.

Dies impliziert weitgehend die Aushebung jedweder Schicksalsgedanken und somit die vorbestimmten Handlungen sowie Lebensweisen jedes Individuums: Die angeborene Einordnung ist das soziale Gesellschaftsmodell und Beziehungsgefüge macht es jedem Menschen unmöglich, eine andere Position einzunehmen als diejenige, die bereits von den anderen Personen jener Umgebung für diesen als determiniert wahrgenommen worden ist.

Darüber hinausgehend beschreibt dies die Unmöglichkeit einer Veränderung.8

Die später noch eingehend beschriebene Entwicklung des Nationalpatriotismus nahm einen bedeutenden Einfluss auf die Konstitutionalisierung der naturalistischen Gestaltungsmerkmale. Als unmittelbare Vorläufer des naturalistischen Dramas sind die lyrischen Texte im Rahmen der naturalistischen Zeitgeistes anzusehen, der sich in der absolut realistischen Darstellung der Wirklichkeit widerspiegelte: „Das historische Dekor sollte gewahrt und bis in Details hinein genau wiedergegeben werden.

Natürliche Sprache statt Deklamation, ein der Wirklichkeit angepaßtes [sic!] Agieren der Schauspieler war das Ziel“9. Den bedeutenden Unterschied zwischen Realismus und Naturalismus findet man jedoch nicht in Differenzen bei den Darstellungen der Wirklichkeit, sondern vielmehr in der Thematik. Während sich der Realismus eher für eine vom Menschen dominierende Vernunft und daraus entstehende Handlungsveränderungen schloss, beschreibt der Naturalismus hingegen die Dominanz der gesellschaftlichen Verhältnisse.



Die Herausbildung einer neuen Literaturepoche um 1880 ist angesichts der wirtschaftlichen und politischen Ausgangssituation keine Verwunderung, wenn auch die Initiierung des Naturalismus. Mit der Gründung des Deutschen Reichs im Jahre 1871 führte zur plötzlichen politischen Bedeutung der bisherigen Einzelstaaten, denn erstmals war eine Nation, eine politische Einheit, besiegelt.

Dies erfolgte u.a. aufgrund des deutsch-französischen Krieges 1870/71. Im Zuge dessen erleichterten die Reparationszahlungen von Frankreich wirtschaftliche Hochkonjunktur in Deutschland, aufgrund derer die Industrialisierung und schließlich die Urbanisierung eine entsprechende Entwicklung erfuhren. Der Wirtschaftsaufschwung führte somit zum Aus- und Neubau von Fabriken, Wohn- und Geschäftshäusern und schließlich zur Wanderung von Arbeitskräften vom Land in die Stadt.

Der Aufschwung kam jedoch nur den Großbetrieben zugute, gesellschaftlich führte die Industrialisierung zum sozialen Elend. Trotz akuter Relevanz wurden die Themen der Arbeiterschicht und der restlichen Bevölkerung lang nicht in der Literatur gesprochen - ein weiterer Grund für die Initiierung der Freien Bühne und für die Entstehung des Naturalismus. Die Schwierigkeit zur Entwicklung jenes Stils deckt sich mit den Schilderungen der Autor*innen jener Zeit: „Die beherrschenden Autoren der Zeit lebten meist in großbürgerlichem Ambiente, verkehrten mit den wohlhabenden Honoratioren ihrer Zeit und unterhielten im Allgemeinen auch gute Kontakte zu den jeweiligen Höfen“10.

Dies äußerte sich vor allem in der veröffentlichten Literatur kurz vor der offiziellen Entstehung des Naturalismus: So wurden weder „die einsetzende Massenproduktion von Lebensmitteln und Konsumgütern, die Entstehung von Metropolen bei gleichzeitiger Veränderung der überkommenen urbanen Strukturen“11, die Entstehung des Proletariats im Rahmen der Industriearbeiter*innen noch die „meist an den Lebensraum der Großstadt gekoppelte Erfahrungen (wie wachsende Kriminalität, Prostitution und Alkoholismus)“12 in den Veröffentlichungen der Zeit gewürdigt.

Dies führte unweigerlich dazu, „dass diese von der nachwachsenden Generation von Autoren als überholt, rückwärtsgewandt und verlogen empfunden wurde“13.

Die Konfliktlinie zwischen der steigenden Bedeutung wissenschaftlicher Analyse und der beschreibenden Kunst der Literatur wuchs: Es schien einer Abwägung gleich, zwischen beiden Polen zu wählen. Dies führte zwangsläufig zu einer Veränderung der literarischen Arbeit und aus allen in diesem Kapitel dargelegten Gründe entwickelte sich der Naturalismus als literarische und zur literarischen Neuheit.



Nach den literarischen Enttäuschungen der Gründerzeit versprach sich der Naturalismus eine realistischere Darstellung der Wirklichkeit, die nicht nur eine vollständige Abbildung der Lebensrealitäten, sondern vielmehr auch die Enttabuisierung aller Erfahrungswelten garantiert. Diese Schonungslosigkeit ist das Markenzeichen des Naturalismus. Die Gegenwartsorientierung ermöglichte es den Autor*innen der damaligen Zeit, alle gesellschaftlich relevanten Themen anzusprechen und in ihren Werken zu verarbeiten.

Eine große Differenz zu den bisher existierenden Literaturepochen ist weiterhin die Neuinterpretation bislang vorgegebener Gestaltungsnormen, die zwangsläufig zu einer Neuausrichtung führte und die „nach neuen und umreglementierten Ausdrucksmustern sucht“14. Obwohl dies die Hauptelemente darstellt, spielt gerade zu Beginn des Naturalismus die Verwendung nationalistischer Symbole eine weitere, entscheidende Rolle.

Diese ist auf die Reichsgründung 1871 zurückzuführen und klang bereits zur Mitte der 1880er Jahre weitgehend ab. An dessen Stelle rückte schnell die Überzeugung, dass die Langlebigkeit und der Erfolg des Deutschen Reichs nur insofern möglich sein könne, wenn die Literatur einen entsprechenden Einfluss ausübt. Die Subventionierung durch den Staat wurde rigoros abgelehnt, sodass sich die Autonomie des Schriftstellertuns entwickelte.

Auch die ablehnende Haltung des Besitzbürgertums gegenüber literarischen Werken sowie die technische Weiterentwicklung in Bild und Ton gefährdeten die Anerkennung der Literatur.

Die Gestaltungsmerkmale des Naturalismus ergeben sich daher ganz konkret aus den einzelnen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen. Ein weiterer bedeutender Punkt in der Entwicklung dieser Literaturepoche sind ebenfalls philosophische Hintergründe, deren neuartige Interpretation des menschlichen Zusammenlebens und Beurteilung dessen zu einer Stilneuheit innerhalb des Naturalismus führten: Der Positivismus, entwickelt von August Comte, legte dar, dass lediglich „die minutiöse Beobachtung und das kontrollierte Experiment“16 menschliches Handeln erläutern können; Spekulationen und Interpretationen würden Verurteilungen und Vorurteile initiieren: Es sei erforderlich, dass alle Erkenntnisse ihre Daseinsberechtigung nur mit einer stetigen Überprüfbarkeit erlangen könnten.17

Die Naturalist*innen werteten soziale Umstände als Zustände, die keinerlei Veränderungen durch die Menschen selbst ermögliche, sondern vielmehr als unumstößliche Ausgangsvoraussetzungen wahrgenommen werden müssten. Daher werden im Naturalismus auch sozialdarwinistische und deterministische Komponenten einbezogen.

Die daher resultierenden sozialen Dramen decken sich mit der Auswahl deutscher und explizit der entstandenen Werke Gerhart Hauptmanns. Zumeist stellte Ibsen die Familie und auch die Konflikte innerhalb jener sozialen Institutionen besonders heraus - ebenso, wie es auch in „Vor Sonnenaufgang“ getätigt wird. Als Ausgangspunkt der literarischen Texte des Naturalismus, auch, wie es von Ibsen initiiert wurde, resultieren die entstehenden Konflikte zumeist aufgrund eines „Boten aus der Außenwelt“19, der sich beispielsweise in Besucher*innen oder auch Wiederkehrern äußert.

Zuhauf wird diese Person als Katalysatorfigur beschrieben, die einen Konflikt startet, ohne dies explizit zu beabsichtigen. Der Zusammenprall zweier Welten wird zumeist der Grund für die Entstehung und die Entwicklung anhand der Konfliktlinien(n): „Ihre Spezifik erhält sie im naturalistischen Drama dadurch, dass es sich hier jeweils um eine zu einem feststehenden Figurenensemble hinzutretende Person handelt, die von ihrer Herkunft, ihrer Sozialisation oder ihrem Bildungsstand her in einem Kontrastverhältnis im Geschehensablauf bewirkt“20.

Auch das Gestaltungsmerkmal der Tatsachenabbildung und der genauen Beschreibung des sozialen Umfelds ist auf Henrik Ibsen zurückzuführen. Besonderer Wert gilt daher auch der Bühnenbeschreibung, sodass nicht selten konkrete Spielanweisungen der Werke oder gar genaue Aufbaupläne vorliegen. Weiterhin verzichtet der Naturalismus weitgehend auf narrative Formulierungen, d.h. statt erzählerischer Aspekte übernehmen die Dialoge oder Monologe jene Darstellung.

Dies impliziert eine subjektive Form der Erzählerperspektive. Von der Beschreibung des Seelenlebens nehmen die naturalistischen Werke Abstand, sodass die narrative Perspektive entfallen muss. Als Ersatz treten weiterhin die beschreibenden Bühnenanweisungen auf. Dies wird auch als „Mimik der Rede“22 bezeichnet.

Im Zuge dessen sind im konsequenten Naturalismus nicht nur die exakten Beschreibungen ein Merkmal, sondern vielmehr auch die konkrete Aufzeichnung der Interpunktion: „Um Pausen oder das Stocken mündlicher Rede im Text wiederzugeben und Phrasierungen des Gesprochenen erkennbar zu machen, werden in großem Umfang Interpunktionszeichen wie Gedankenstriche, Auslassungspunkte, Frage- und Ausrufezeichen eingesetzt“23.

Dialekts sowie eine explizite Milieudarstellung vor.

Die minutiöse Nachbildung mündlicher Sprache nahmen die Naturalist*innen als Sekundenstil in ihr Schaffen auf. Neben der vollständigen Abbildung der Realität und somit auch die gestische und mimische Begleitung von Konversationen ermöglicht dies ebenso eine Veranschaulichung des Habitus eines sozialen Milieus.


3. Die inhaltliche Betrachtung des Werkes „Vor Sonnenaufgang“


Die bisher dargestellten Informationen umfassen Fakten zur Thematik des Naturalismus. Lebendig werden diese erst mithilfe der Transformation auf tatsächliche Werke. Daher erfolgt diese auf das naturalistische Werk „Vor Sonnenaufgang“. Die Gründe für die Auswahl jenes Dramas können der Einleitung entnommen werden. Bevor eine entsprechende Analyse getätigt werden kann, erfolgt nun eine knappe Darstellung der Entstehungshintergründe und der Rezeptions des Werkes sowie eine Übertragung der naturalistischen Gestaltungsmerkmale auf „Vor Sonnenaufgang“.

Darüber hinaus erfolgt eine kurze inhaltliche Einordnung des analytischen Dramas.



Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ gilt als erstes Drama des Naturalismus und somit auch als Wegbereiter für alle folgenden Werke. Der Zeitpunkt der Erstaufführung und der Veröffentlichung der Werkes sind somit als Beginn des Naturalismus anzusehen. Als bedeutsam für die Entstehung von „Vor Sonnenaufgang“ werden eher die Inhalte und Themen einiger Werke angesehen als besondere Autor*innen an sich; beispielsweise trifft dies auf „Die Macht der Finsternis“ von Leo Tolstoi zu.

Die thematische Verarbeitung von Wohlstand, Profit- und Habgier sowie Alkoholismus in „Vor Sonnenaufgang“ sind stofflich jenem Dramentext entnommen und auf die Gestaltungsmerkmale des Naturalismus übertragen worden. Neben der sozialen Folgen der Alkoholsucht widmete sich Hauptmann innerhalb seines Werkes nun auch der degenerativen Schäden, die langfristiger Konsum nach sich ziehen kann.

Dies bezieht sich explizit auf die Entstehung psychischer Krankheiten, Süchten, Angstzuständen oder physische Konsequenzen wie beispielsweise Leberversagen, suizidales Verhalten und Totgeburten.


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