Charakterisierung
Clara
In dem Roman „Der
Sandmann“ spielt Clara, Nathanaels Adoptivschwester und Verlobte,
eine wichtige Rolle, denn sie spiegelt das typische Bürgertum wider.
Clara ist äußerlich
nicht besonders schön (S.22, Z.36). Dennoch wird sie für ihre
strahlend blauen Augen (S.23, Z.6ff.), ihr langes, welliges Haar
(S.23, Z.3) und ihre schöne Körperform (S.23, Z.2) gelobt. Der
Vater Claras und ihres Bruders Lothar ist verstorben, weshalb
Nathanaels Mutter, eine entfernte Verwandte, die beiden Waisen
aufnahm. Clara nimmt die Rolle einer bürgerlichen Frau ein, die
stets heiter und positiv denkend dem Alltag folgt (S.15, Z.36f.).
Der Name „Clara“
stammt aus dem Lateinischen („clarus“) und bedeutet übersetzt
klar, strahlend oder auch berühmt. Dieser sprechende Name deutet
darauf hin, dass Clara durch ihren „scharf[en] […] Verstand“
(S.23, Z.23f.) eine klare Sicht auf die Geschehnisse hat. Sie ist
fähig, die Geschehnisse objektiv und rational zu bewerten und
versucht, Nathanael die Dinge auf diese Weise zu erklären. Dabei ist
ihr Mystisches und Fantastisches zuwider (S.24, Z. 35) und sie
schenkt diesem wenig Glauben (S.23, Z.28). Ihr Ziel ist dabei, ihm
zu helfen und ihn aus seinem krankhaften Wahn zu befreien.
Mit
der psychischen Störung Nathanaels hat sie sehr zu kämpfen, da ihr
„[H]erzinnigstgeliebter“ (S.18, Z.22) nun zu den Menschen gehört,
mit denen sie eigentlich nichts anzufangen weiß (S. 23, Z.28): den
Romantikern. Von diesen Künstlern und auch von anderen Fremden wird
sie als „kalt, gefühllos [und] prosaisch“ (S.23, Z. 31)
beschrieben. So wird sie auch von Nathanael als „lebloses,
verdammtes Automat“ (S.28, Z.4) bezeichnet. Dies steht im
Widerspruch dazu, wie der klare, liebende Nathanael und auch andere
Leute, die ihr nahestehen, sie beschreiben: als „verständige[s],
kindliche[s] Mädchen“ (S.24, Z.2f.) mit einem „tiefe[n],
weibliche[n], zarte[n] Gemüt“ (S.23, Z.23) und einer
„lebenskräftige[n] Fantasie“ (S.23,Z.21). Claras Umgang mit
Nathanaels Schizophrenie ist einerseits verständnisvoll (S.15,
Z.28ff.), hilfsbereit (S. 18, Z.14ff.) und
einfühlsam (S.16, Z.6ff.), andererseits wiederum entnervt (S.25,
Z.4ff.; Z.24ff.) und teils abweisend (S.25, Z.14f.; S.28, Z.1f.). Sie
macht sich um Nathanaels Erlebnisse tiefsinnige, philosophische
Gedanken (S.18, Z.26f.) und setzt sich mit seinen traumatischen
Erlebnissen intensiv auseinander (S.16, Z.21ff.). Daran erkennt man,
dass sie andere Gedanken nicht grundsätzlich ablehnt, sondern diese
zunächst mit ihrem rationalen Verstand beurteilt. Sie sagt Nathanael
gegenüber, sie glaube ebenfalls, dass es eine dunkle Macht gibt,
diese jedoch in der Psyche ist und nur durch den Glauben stark werden
kann (S. 17). Trotz dieser romantischen Gedankengänge gelingt es ihr
nicht gänzlich, sich in Nathanael hineinzuversetzen. Beispielsweise
ist ihre Aufforderung, Nathanael solle sich Coppelius und Coppola
einfach aus dem Sinn schlagen (S.18, Z.5ff.), nicht so einfach, wie
sie es in dem Brief formuliert. Genauso ist ihr Rat „Sei heiter“
(S.18, Z.14) nicht so leicht umzusetzen und daher nutzlos. Nathanael
braucht intensive, psychologische Betreuung, um sich aus diesem Wahn
zu befreien. Clara fehlen dazu die nötigen tiefenpsychologischen
Kenntnisse. Ihr Glück kann Clara mit Nathanael nicht finden, denn
sie wünscht sich ein „ruhige[s] häusliche[s] Glück“ (S.46,
Z.3f.). Erst Jahre nach seinem Tod kann ein anderer Mann, mit dem sie
schließlich zwei Söhne hat, ihr diesen Wunsch erfüllen.
Clara bewegt sich
zwischen der Welt der Philister und der Welt der Künstler. Sie
versucht, Nathanael mit Verständnis zu begegnen und sich in die
Gedanken eines Künstlers hineinzuversetzen, dennoch schafft sie es
nicht, diese tiefgreifenden, psychischen Prozesse zu durchschauen und
die künstlerische Aura Nathanaels zu verstehen oder zu akzeptieren.
Die mystischen, fantastischen Erzählungen Nathanaels sind ihr zu
diffus und langweilen sie (S.25, Z.34ff.). Dabei ist Langeweile für
sie sehr schwer zu ertragen (S. 25, Z.37f.).
Einer Theorie von
Charles Hayes zufolge ist Clara das Ebenbild Olimpias, die ebenso
eine „schweigsame[] Natur“ (S.23, Z.26) hat und vielmehr durch
Blicke spricht. Dieser Vergleich einer bürgerlichen Frau mit einem
Automaten verdeutlicht, wie gefühlstaub und mechanisiert der
Erzähler das Bürgertum zu seiner Zeit findet.
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