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Seminararbeit / Hausarbeit

Bertold Brechts auto­bio­gra­fi­sche Texte als biogra­fi­sche Quellen

2.735 Wörter / ~11 Seiten sternsternsternsternstern Autorin Friederike B. im Nov. 2018
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Dokumenttyp

Seminararbeit
Deutsch

Universität, Schule

Freie Universität Berlin - FU

Note, Lehrer, Jahr

2015

Autor / Copyright
Friederike B. ©
Metadaten
Preis 5.30
Format: pdf
Größe: 0.15 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern
ID# 77652







Bertolt Brechts

autobiographische Texte

als biographische Quelle


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

2. Brecht als Chronist seines eigenen Lebens und literarischen Wirkens 2

3. Das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit 4

4. Das Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität 5

5. Brechts Selbstentwurf als Schriftsteller 7

6. Fazit: aus Produktions- und Rezeptionsperspektive 8

Literaturverzeichnis 10

Selbständigkeitserklärung 11

1. Einleitung

Man hat mir gesagt, ich soll etwas über mich schreiben, aber ich tue es nicht. Denn wenn es auch nur einigermaßen wahr ein soll, was ihr über mich lest, dann müßtet ihr erkennen können, auf was für Irrtümer ich verfallen bin, als ich über mich schrieb. Aber das kann ich euch nicht zumuten, weil ihr viel zu dumm dazu seid, meine Lieben! Wenn ihr aber die Meinung eines bedeutenden Mannes über mich hören wollt, brauche ich euch nur zu sagen, daß ich eine ausgezeichnete Meinung von mir habe1

Trotz dieser Aussage Bertolt Brechts, er würde nichts über sich selbst schreiben, geben die überlieferten Aufzeichnungen des „Stückeschreiber[s]“2, der nach eigener Aussage eigentlich gern Tischler geworden wäre, einen breiten Einblick sowohl in sein (Privat-)Leben als auch in seine Gedankenwelt. Brecht begann schon als Fünfzehnjähriger, wenn nicht weit früher, sein Leben schriftlich festzuhalten.

Sein Tagebuch mit der Kennzeichnung „No 10“ lässt darauf schließen, dass er bereits vor 1913 Selbstzeugnisse dieser Art tätigte, die jedoch nicht überliefert sind. Ein eindeutiges Indiz dafür sind Brechts Verweise auf frühere Tagebücher mit den Nummerierungen „6B“3 und „No 5“4. Trotz der lückenhaften Lebens- und Arbeitsdokumentation bieten die vorhandenen Tagebüchern, Briefe, Notizbücher, Journale und andere Schriften umfangreiche Anhaltspunkte für eine Analyse.

Den spezifischen Umgang Brechts mit seinem Leben und wie sich darin seine Haltung zum Verhältnis von eigener Lebensdokumentation und literarischem Schreiben ausdrückt, kann in besonderer Weise nachgezeichnet werden. Anhand ausgewählter autobiografischer Texte erläutere ich diesen Aspekt unter Berücksichtigung der Fragen, in welcher Relation Privatheit und Öffentlichkeit sowie Faktizität und Fiktionalität stehen.

Außerdem soll Brechts schriftstellerischer Selbstentwurf aufgezeigt werden.


2. Brecht als Chronist seines eigenen Lebens und literarischen Wirkens

Brecht bediente sich in seinen literarischen Werken kaum der eigenen Biografie, wie Siegfried Unseld in seiner Einführung zu Bertolt Brechts Tagebuch No 10 mit dem Verweis auf Werner Mittenzwei angibt5. Andererseits stellt Brechts literarische Arbeit einen grundlegenden Gegenstand in seinen autobiografischen Texten dar. In dem frühesten erhaltenen Tagebuch hält der junge Brecht seine literarischen Ideen fest.

Am Sonntag, den 25. Mai 1913 schrieb er:

Vorm. 10h. Ich soll ins Bad! Ich glaube nicht, daß es viel nutzen wird. Ich gedenke einen ganzen Zyklus ,Leben.` zu schreiben6.

Den Plan einen Gedichtzyklus zusammenzustellen greift er im Tagebuch mehrmals auf. Ein weiteres Beispiel für Brechts Dokumentation der eigenen Arbeitsplanung zeigt sich im Eintrag vom 23. Oktober 1913, in dem er vermerkte:

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Will Pflanzelt Text zu einer Oper schreiben. – Die Zeitung blüht. Schade, müssen aufhören. Herz sehr gut, Ebenso Kopf. Nerven schlecht7

Die Arbeitsideen stehen nicht für sich allein und sind stets kurz gehalten. In diesem Beispiel folgt zudem eine persönliche Bemerkung zu seiner Gesundheit. Das Tagebuch enthält neben solchen teilweise telegrammartigen Einträgen auch eine Vielzahl von Gedichten, Entwürfen, Szenen aus Dramen, Märchen, Romanen und anderen Textsorten. Die Aneinanderreihung von privaten Ereignissen, Zuständen und seinen „beruflichen“ Ambitionen bzw.

Ergebnissen zeigt, dass der junge Brecht sein Leben und sein schriftstellerisches Schaffen nebeneinander stellte. In der Dokumentation der verschiedenen Lebensbereiche ließ er beiden gleichermaßen viel Raum. Auch in Brechts Briefen stehen die Dokumentation literarischer Tätigkeiten und sein Privatleben oft dicht beisammen. In der Korrespondenz mit Marianne Zoff erstattet er regelmäßig Bericht über das Voranschreiten seiner Arbeit:

[I]ch sitze hier immer in meiner Kammer und arbeite – an der «Postille», die schwierig ist, und dem «Gösta» und mit George an einer neuen Komödie; […] Übrigens habe ich etwas Kopfweh und bin etwas traurig8

Anhand der Briefe können zum einen die Lebensstationen und –phasen und zum anderen sein schriftstellerischer Werdegang nachvollzogen werden. Viele der überlieferten Dokumente Brechts geben aber auch Auskunft über den zeitgeschichtlichen Kontext, in dem er wirkte. Er hat also nicht nur über persönliche Belange geschrieben und die, die das unmittelbare Lebensumfeld betrafen, sondern auch gesellschaftliche und politische Ereignisse festgehalten.

Brechts Journale, die zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht blieben, dokumentieren einen Zeitraum von 17 Jahren (1938-1955). Der Eintrag vom 1.4.1941 beispielsweise liefert eine geschichtliche Erläuterung seines Stückes Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui:

Im «Ui» kam es darauf an, einerseits immerfort die historischen Vorgänge durchscheinen zu lassen, andrerseits die «Verhüllung» (die eine Enthüllung ist) mit Eigenleben auszustatten […] Unter Umständen wäre eine zu enge Verknüpfung der beiden Handlungen (Gangster und Nazihandlung), […] schon dadurch unerträglich, weil man dann unaufhörlich nach der «Bedeutung» dieses oder jenes Zuges suchen würde, bei jeder Figur nach dem Urbild forschen würde.

Brecht erklärt hier nicht nur die Bedeutung des Stückes, sondern auch die Schwierigkeit für ihn die Parabel zu erarbeiten. In den Einträgen der darauffolgenden Tage vertieft er die Darstellung seines Arbeitsprozesses hinsichtlich des Versmaßes des Stückes, das ihn aufhielt. Als Grund für seine nachlässige Konzentration auf den Jambus nennt er seine Annahme, dass das Stück ohnehin nur in englischer Sprache aufgeführt würde.10 In Einträgen wie diesen können die Arbeitsbedingungen und ihre Auswirkungen nachvollzogen werden.

Ein früherer Eintrag vom 19.09.1940 im Arbeitsjournal reflektiert, wie schwer es ihm fiel, seine Gefühle über das Fortschreiten des Krieges bei gleichzeitiger literarischer Tätigkeit zu formulieren:

es wäre unglaublich schwierig, den gemütszustand auszudrücken, in dem ich am radio und in den schlechten finnisch-schwedischen zeitungen der schlacht um england folge und dann den PUNTILA schreibe. dieses geistige phänomen erklärt gleichermaßen, daß solche kriege sein können und daß immer noch literarische arbeiten angefertigt werden können. der puntila geht mich fast nichts an, der krieg alles; über puntila kann ich fast alles schreiben, über den krieg nichts. ich meine nicht nur ›darf‹, ich meine auch wirklich ›kann‹. es ist interessant, wie weit die literatur, als praxis, wegverlegt ist von den zentren der alles entscheidenen geschehnisse11

Der Eintrag verbindet Privatheit, literarische Dokumentation und Zeitgeschehen, die in unmittelbarem Verhältnis zueinander stehen, die Brecht aber doch voneinander zu trennen versucht.

Möchte man der Frage nachgehen, wieso Brecht Leben, Werk und Zeit so akribisch notierte, können Selbstaussagen des Autors, wie folgende, einen Hinweis geben:

Auch Szenen, die zwischen Menschen vorfallen, schreibe ich eigentlich nur auf, weil ich mir sie sonst nur sehr undeutlich vorstellen kann12

Mangelnde Vorstellungskraft als Erklärung kann nicht der einzige Grund gewesen sein. In der Brecht-Forschung herrscht der Tenor, dass Brecht schon als junger und noch unbekannter Autor darauf bedacht war berühmt zu werden und er daher all seine Schriften mit dem Gedanken an eine spätere Publizierung erstellte. Dieser Auffassung waren auch andere Personen in Brechts unmittelbarem Umfeld. Schon als er 15 war, wurde sein Talent erkannt:

Zehn Jahre später, 1923, geht aus der Nachschrift Marianne Zoffs in einem Brief an Arnolt Bronnen hervor, dass auch sie auf die Veröffentlichung der privaten Schriften Brecht hoffte:

O diese wunderbaren Briefe – bitte wirf sie nicht weg – lieber Freund, hebe sie gut auf – ich will damit noch einmal viel Geld verdienen14


3. Das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit

Brechts Umgang mit seinem Erfolg und der intellektuellen Selbstverwirklichung ist eingebettet in die private, familiäre und gesellschaftliche Geschichte. Eine Abgrenzung zwischen den Bereichen besteht nicht. Es gibt keine Trennung zwischen dem Schriftsteller Brecht und seiner Darstellung als Privatperson. Jan Knopf zeigt anhand einiger Beispiele in den Journalen, dass Brecht das Private nicht losgelöst von öffentlichen Ereignissen darstellt, sondern es bewusst miteinander verknüpft.

Ein weiteres Beispiel für diese Vorgehensweise ist der Eintrag vom 19.08.1940, in dem er zunächst aus privater Perspektive über die finnische Sauna schreibt und dann mit dem Satz schließt, dass auch die finnischen Soldaten an der Front Saunen bauten.16 Dem entgegenzusetzen ist die Bemerkung im Arbeitsjournal vom 21.04.1939 zu seiner Haltung, Privates und Öffentliches zu vereinen:

daß diese Aufzeichnungen so wenig privates enthalten, kommt nicht nur davon, daß ich mich für privates nicht eben sehr interessiere (und kaum eine Darstellungsart, die mich befriedigt, dafür zur verfügung habe), sondern hauptsächlich davon, daß ich von vornherein damit rechnete, sie über grenzen von nicht übersehbarer anzahl und qualität bringen zu müssen. Der letztere gedanke hält mich auch davon ab, andere als literarische themen zu wählen17

Darum schließt sich die nächste Frage an, wie authentisch und inwieweit fiktionalisiert die Texte Brechts sind.


4. Das Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität

Überhaupt, wenn man so lügt, so daß man selbst alles glaubt, was man sagt – das ist auch Kunst. Gewiß – die Kunst. Und ist es dann vielleicht nicht die Wahrheit, und wer kann auch im Sommer lügen […] Bert Brecht kann es – Bert Brecht kann alles!18

Diese Ausführung verrät möglicherweise einen Charakterzug Brechts, den Zoff durch das bloße Beherrschen desselben rechtfertigt, obgleich ihren Worten eine gewisse Ironie mitschwingt. Lüge und Wahrheit sind in Brechts Texten nicht eindeutig voneinander zu trennen. Selbst in vermeintlich privaten Momenten seines Lebens ist er Schriftsteller, einer der erfindet, wenn es passt.

Didi-Hubermann vergleicht diese Form der Darstellung mit einer „Werkstatt, in der vorläufig noch Unordnung herrscht“20.

Jan Knopf erklärt die Montagetechnik Brechts anhand eines Fotos von Brechts Sohn, das er neben ein Bild des zerbombten Londons setzt und so einen Kontrast herstellt, der eine ganz bestimmte Wirkung erzielen soll. Er wirft Fragen auf zur Zukunft der sich jetzt entwickelnden Erwachsenengeneration, der nach dem Faschismus.21 Dieser Aspekt gehört natürlich auch zum vorangegangenen Punkt der Verbindung von Historik und Privatem, aber er zeigt vor allem, dass Brecht keine nüchterne Nacherzählung seines Tagesgeschehens anstrebt.

Er überwindet die Gattungsgrenze des Tagebuchs durch das Erzeugen von Widersprüchen und Verfremdung, aber auch durch Fiktionalität und erreicht damit einen „Effekt der Objektivierung“22. Gewissermaßen bastelt er alles so zusammen, dass es eine für ihn sinnvolle Einheit ergibt. Dass am Ende das Verhältnis von Realität und Dokumentation nicht mehr stimmt, muss er nach einer Prüfung selber feststellen:

Brechts autobiografische Schriften dürfen daher nicht identifikatorisch gelesen werden. In seinen Tagebüchern bedient er sich literarischer Topoi und inszeniert sich selbst so, dass einzelne Darstellungen seines privaten Lebens artifiziellen Romanauszügen gleichen; in dem Eintrag vom 1.5.1921 beispielsweise, in dem er Shakespeare zitiert, sich und Personen seines Umfeldes in die indianische Kultur und griechische Mythologie versetzt sowie im Christentum verortete Wendungen benutzt.

Brecht schreibt das eigene Schicksal in große literarische und menschheitsgeschichtliche Zusammenhänge ein. Durch die Verbindung von Selbstzeugnis und Literatur ist es daher schwer, Rückschlüsse auf das tatsächliche Seelenleben zu ziehen. Augenscheinlich wird jedoch, in welchem Licht er sich als Schriftsteller darzustellen versucht.





5. Brechts Selbstentwurf als Schriftsteller

In seinen autobiografischen Schriften kommentiert Brecht die eigenen Werke nicht kritiklos. Zum Teil geht er sogar sehr hart mit sich ins Gericht:

Ich sehe es ein: Es hat kaum Wert. Meine ganze Dichterei ist ein Gefühlsfusel. Ohne Form, Stil u. Gedanken24

Allerdings ist Brecht zu diesem Zeitpunkt erst 15 Jahre alt. Doch auch später lassen sich in seinen Ego-Dokumenten Momente der Selbstreflexion finden. In Brechts Briefen äußert er sich mehrmals negativ zu seinen Fähigkeiten sich schriftlich in dieser Form zu artikulieren:

Du schreibst, ich schreibe wenig, aber Du mußt denken: ich kann mich schwer auf dem Papier ausdrücken, ich bin ein Schriftsteller. […] Aber das Papier ist so sensationslüstern. Es klingt alles nur im Forte und dann steht es, das Gefühl, nackt und hilflos da, allein wie ein Waisenkind und fängt an zu lügen, oder verlogen auszusehen25

Seine Zurückhaltung könnte hier auch als Bescheidenheitstopos verstanden werden. In anderen Texten präsentiert sich Brecht vergleichsweise weitaus weniger selbstkritisch.

Im Juni 1921 schreibt er Marianne Zoff:

ich habe die dunkle Erinnerung, Dir einen humoristischen Brief geschrieben zu haben, und ich fühle dementsprechend deutliche Gewissensbisse, denn ich glaube, daß Du dergleichen jetzt vielleicht nicht objektiv würdigen kannst. Obgleich ich ein gewisses historisches Verdienst dafür in Anspruch nehmen kann26

Das Eigenlob schwingt in diesem Brief ebenso mit wie die Erwartungshaltung einer Würdigung seines Schriftstückes. Schon 1920 formuliert Brecht den oft zitierten Satz: „Vierzig Jahre, und mein Werk ist der Abgesang des Jahrtausends“27. Brecht sah sich als „neuerer“28 seines Gebietes, auch wenn eine eher abgeklärte Betrachtung seiner Selbst um 1953/54 lautet:


6. Fazit

Brecht selbst war es, der sein Leben seit seiner Kindheit archivierte. Die meisten privaten Notierungen stammen aus dem Jahre 1920. Danach werden sie bis zu seinem Tod immer reduzierter. Die Rezeption seines autobiografischen Nachlasses verlangt nach einem detaillierten Erfassen der Produktionsweise. Da Brecht schon in sehr jungen Jahren davon überzeugt war, dass seine Schriften eines Tages veröffentlicht würden, müssen sie unter Berücksichtigung genau dieser Tatsache betrachtet werden.

Lebensdokumentation und literarisches Schreiben stehen jedoch immer in einem engen Verhältnis. Sein Leben besteht aus dem Schreiben und dem Dokumentieren seines literarischen Schaffens. Dabei ist er bestrebt, dem privaten Brecht immer weniger Raum zu lassen, obgleich die erhaltenen Briefe umfang- und detailreiche Dokumente seines Privatlebens darstellen. Stattdessen stellt er das Persönliche in Bezug zur Öffentlichkeit, zu den Geschehnissen in der Welt.


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