Beratungspsychologie WS 2010/11 Prof. Dr. Wilz
Metatheorie der Beratung?
• Es existiert keine übergeordnete Metatheorie der Beratung
• Fast alle Therapierichtungen haben zu ein und demselben Problem bei ein und demselben Klienten ihre eigene, spezifische Sichtweise, aus der eine (schulen-)spezifische Beratungsform folgt:
• Je nachdem, zu welchem Berater der Klient gelangt, wird ihm eine diese vielen möglichen Sichtweisen als die Sichtweise verkauft à welches Bild der Störung ihm vermittelt und welche Therapiemethode in der Therapie durchgeführt wird,hängt hauptsächlich davon ab, ob Klient mit zu Psychoanalytiker, Familientherapeutin, Verhaltenstherapeuten etc. kommt,
Beratung vs. Psychotherapie
• Sander (1975): Beratung verfolgt „bescheidenere“ Ziele, i.d.R. Finden einer Lösung für eine problematische Situation o.Entscheidungsfindung ; eher handlungs- u. situationsbezogener Auftrag
• Therapie fokussiert eher PSKänderung
Beratung & Psychotherapie: historische Unterschiede / Entstehung
• Geschichte der Beratung sehr eng mit der Geschichte der Psychotherapie verbunden
• Professionelle psychosoziale Beratung ist relativ „junger“ Bereich: hat sich in moderner Gesellschaft mit
Beginn der zunehmenden Industrialisierung und Spezialisierung etablier
• schon im Altertum gab es verschiedene Formen der Beratung: Befragung v. Schamanen, Orakel, Weise
• Antike: Beratung bezüglich Ernährung, Fortpflanzung, Schlaf etc. durch Ärzte
• Hetären (Antike, 640 v. Chr.) als Beraterinnen f.Erotik, Körperpflege, Musik, Literatur, Philosophie, Rhetorik
• Ende 19. JH: Ausbildung eines neuen Spezialgebietes i.d. Medizin: Psychotherapie à Entw. der Psycho-analyse um 1890: Freud einer der 1. Vertreter, wendet Hypnose als Behandlungstechnik an
• Psychotherapie entwickelte sich mit Bezug auf die Konzepte von Freud, Adler, Jung relativ abgegrenzt von
den Beratungsstellen
• Psychoanalytisch orientierte Erziehungsberatungsstellen zuerst in Wien gegründet; institutionell im Jugendamt verankert
• Beginn der institutionalisierten Beratung um 1920 als Sexual-, Erziehungs- und Berufsberatung
• das nach dem 1. WK gegründete Berliner Institut f. Sexualforschung (1933 durch Nazis geschlossen) bot ca. 18.000 Beratungstermine an, meist zur Verhütung, auch bei Homosexualität o. sex.Störungen
• 1927 : Einführung der staatl. Berufsberatung durch das Gesetz über die Einrichtung der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsvermittlung
• Auch in USA in 20/30ern im Schul- u. Hochschulsystem verschiedene Beratungsangebote, z.B. Berufsberatung, Beratung bei Anpassungsproblemen an schulische oder universitäre Anforderungen à Entwicklung psychologischer Test- und Bewertungsverfahren sind eng mit diesem Bereich verknüpft
• in den 40/50er Jahren: Beratung als Teil eines autoritären Fürsorgesystems mit normierender Lenkung à Im Mittelpunkt: Leistungsdiagnostik, Berater führten v.a. Tests durch & vermittelten Testergebnisse
• Etablierung der Beratung als spezifisches Berufsfeld etwa Mitte des 20. JHs mit Wurzelnereic des Erziehungs- und Bildungswesens sowie Tradition der Pädagogik
• Ehrenamtliche Beratung war stark von kirchlichen Einrichtungen geprägt
• Beratung eher außerhalb des medizinischen Gesundheitssystems verortet
• Parallel zum Psychoboom der 60er und 70er Jahre wurden psychotherapeutische Beratungskonzepte (v.a. VT- und GT-Konzepte) für die Praxis der Beratungsstellen immer wichtiger, v.a. Gesprächspsycho therapie, die im Kontext der Erziehungsberatung in den USA entstanden ist (u. a auch deshalb, weil eine aufwendige Psychoanalyse in diesem Setting nicht durchführbar ist)
• Sowohl in den USA als auch in DL: stärkere Wirkung der humanistischen Psychotherapieverfahren auf die öffentlichen Beratungseinrichtungen als auf die psychotherapeutischen Praxen
• Gegenwartsorientierung, räumliches Setting (keine Couch), einfache Terminologie, vergleichsweise geringer zeitl. Umfang & Menschenbild ; Orientierung an humanistischen Psychotherapieverfahren
• Möglichkeiten und Nutzen von Psychodiagnostik wurden eher kritisch beurteilt, denn Testdiagnostik passte nicht zur angestrebten hierarchiefreien Beratung
Unterschiede der Beratungspsy in den USA /Kanada/GB/DL
• Etablierung und Institutionalisierung der „Counseling Psychology“ als eigenständiges Anwendungsfeld (>100 akkreditierte Institute i.d. USA und eigene Gesellschaften wie die American Counseling Ass.)
• Deutschland eher randständig im wissenschaftlichen Bereich und in der Ausbildung
• Entwicklungen in der Beratung finden sich vereinzelt in allen Anwendungsbereichen der Psychologie
Theoretische Basis der Beratung
• Anpassung psychotherapeut. Konzepte an die Besonderheiten von Beratung erfolgte fast theorielos,
• Durchführung nach eigenen Vorstellungen der Berater à Schwierigkeiten in der Abgrenzung von Beratung und Therapie haben auch mit diesem Theoriedefizit zu tun
Forschung & Qualifikation
• Beratung galt als „kleine Psychotherapie“, in Wissenschaft aber nur spärlich betrachtet
• einerseits: Absprechung der Psychotherapeutenqualifikation bei Beratern (insbes. bei methoden- übergreifendem und problemorientiertem Vorgehen)
• andererseits: wissenschaftliche Psychologie vermittelte den Beratern „aber auch kein alternatives Selbstverständnis“ (Schröder, 2004, S. 55)
Qualifikationskriterien für professionelle psychosoziale Beratung? Modell der Beratungskompetenz?
• Unterscheidung professioneller v. alltagstyp. Beratung durch explizites Konzept von Beratungskomp. (Hofer, Wild & Pikowsky, 1996): Inhaltliches domänenspezif. Wissen & Handlungskompetenz
• Klärung des Begriffs „Beratungskompetenz“ kann erst nach empir. Analyse beraterischen Handelns befriedigend erfolgen, da sie sich in der Bewältigung domänenspezifischer Anforderungen zeigt.
• Bezüglich der Ausbildung impliziert dies, dass der Abschluss eines Studiums und diverser psychotherapeutischer Zusatzausbildungen nicht gewährleistet, über Beratungskompetenz zu verfügen
• Beratung ist professionell, wenn Prozess und Ziel begründbar sind und wenn sie sich auf Kompetenz- Komponenten stützt, die theoretisch fundiert und empirisch überprüfbar sind
• Wiss. Untersuchungen zum Kompetenzerwerb - erste Ansätze lassen sich klassifizieren nach:
• generellem Kompetenzerwerb in der Beratung
• dem Zusammenhang von Erfahrung und klinischem Urteil
• der Informationsverarbeitung in natürlichen Situationen
• Domänenspezifität à Auseinandersetzung mit relevanten Episoden hilft, das in der Ausbildung erworbene Wissen anzureichern, zu modifizieren und situativ einzubetten.
• Fachliches Wissen steht in dieser Konzeption keineswegs im Ggs. zu Erfahrungswissen, sondern ist notwendige Grundlage für die Reflexion erlebter Episoden & lässt damit "richtige" Erfahrung erst zu.
• Technische Präzision in den Methoden bestimmter therapeutischer Schulrichtungen ist notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Beratungskompetenz
• erfahrungsbedingte Reflektion über Bedingungen der Methodenanwendung zusätzlich für Bewältigung der beruflichen Anforderungen erforderlich
Beispiele für spezielle Beratungsstellen
• Erziehungs- und Familienberatungsstelle
• Drogenberatungsstelle oder Suchtberatungsstelle
• Jugendberatungsstelle
• Migrationsberatungsstelle
• Schulberatungsstelle
• Schwangerschaftskonfliktberatung
• Seniorenberatungsstelle, auch für Angehörige Älterer
• Sexualberatungsstellen
• Studentenberatung
Entwicklung von Beratungskompetenz
• Phasenmodell nach Breuer (Interviewstudie: 1979, 1991): Beschreibung des Zusammenhangs von Erfahrung und Kompetenzentwicklung von psychologischen Beratern
à Drei Phasen der Erfahrungsbildung von Beratern:
Ø Initialphase : Unsicherheit im Sozialkontakt, in Umsetzung und Anwendung erworbener theoretischer und methodischer Kenntnisse, Eindruck eigener Unzulänglichkeit
Ø Problematisierungsphase : größere Geübtheit, damit einhergehendes Selbstvertrauen und Kompetenzerleben à eigenes beraterisches Vorgehen kritisch betrachtet und hinsichtlich funktionaler Kriterien (auf den Gesamtkomplex der Tätigkeit bezogen) bewertet
Ø Etablierungsphase: größere subjektive Tätigkeitssicherheit, realistische Einschätzung eigener Möglichkeiten, methodischer Eklektizismus, größere Flexibilität, Entw. eines persönlichen Stils
• Expertiseforschung zum Verständnis der Rolle von Erfahrung beim Kompetenzerwerb
Ø Untersuchung kompetenter Leistung ist Inhalt der Expertiseforschung
Ø Schwerpunkt : Beschreibung der Merkmale von Psn, die innerhalb eines bestimmten Gegenstandsbereichs exzellente Leistungen hervorbringen.
Ø Forschungsarbeiten mit dem kontrastiven Ansatz vergleichen Leistungen v. Experten& Novizen.
Ø Komplexe Tätigkeiten wie Beratung zeichnen sich häufig durch schlecht definierte Problemstellungen aus, oft gibt es keine von vornherein feststehende Lösungen
Ø Kompetenzerwerb in schlecht definierten Gegenstandsbereichen wurde bisher wenig untersucht
Ø Annahme, dass hier neben Faktenwissen andere Wissensformen von großer Bedeutung sind, die auf Erfahrung mit authentischen Anforderungssituationen beruhen
o Überblicksarbeit von Auerbauch & Johnson (1977): Kennzeichen des Verhaltens von unerfahrenen Beratern/ Novizen:
Ø Bezüglich beruflicher Rolle, Kompetenz und Klientenkontakt unsicher
Ø Aufmerksamkeitsfokussierung stärker auf sich selbst und eigene Wirkung auf Klienten, weniger Zuwendung zu Klienten, verpassen wichtige Informationen
Ø weniger Konfrontation, weniger neue Themen
Ø Beschränkung auf sichere,einfache& bewährte Interventionen, Festhalten an best. Therapiekonzept
• Fragebogenuntersuchung (Margraf & Baumann (1986): Kennzeichen erfahrener Berater/Experten:
Ø geduldiger
Ø aktiver
Ø gute Beziehungen zu Klienten
Ø weniger Sachfragen
• Mögliche Folgerung aus der Expertiseforschung: entscheidender Unterschied zw. Experten & Novizen liegt im Umfang des Wissens das in der Praxis gesammelt wurde
• Erwerb umfangreichen deklarativen Wissens ist notwendige Voraussetzung für Kompetenzerwerb
• zusätzlich wichtig sind erfahrungsbedingte Reflexion überBedingungen ihrer Anwendbarkeit, dieses
Wissen in authentischen Problemsituationen auch tatsächlich anwenden zu können
• Dauer der Berufstätigkeit fördert Kompetenzerwerbs durch Alltagspraxis NICHT per se ; manche Bedingungen beraterischer Praxis verhindern sogar eher das Einschätzen v. Episoden als lernrelevant:
Ø zu weit auseinander liegende Fälle,
Ø gelegentliches Erzielen von Erfolgen auch mit geringem Einsatz,
Ø mangelndes oder sehr selektives Feedback,
Ø hohe Spezifizität einzelner Fälle,
Ø Zeit- und Handlungsdruck,
Ø persönliche Involviertheit
à In solchen Fällen erfolgt keine aktive Bezugnahme auf Vorwissen, diese kann somit nicht elaboriert und um konkrete Erfahrungen in Anwendungskontexten bereichert werden
• Beutler, Machado & Neufeld (1994): Aufgrund nur weniger Studien zur Expertise von Beratern wenig empirische Befunde zum Zusammenhang von Erfahrung und Therapieeffekten
Beispiel: Entstehung anwendungsrelevanten Wissens im Bereich der Medizin
• Hinsichtl. der Entstehung & Modifikation berufl. Erfahrungswissens bisher Befunde v.a. aus der Medizin
• Das Wissen wird unter generalisierte, fallbezogene Strukturen subsummiert
• Illness scripts von Experten: Wissen über Hintergrundfaktoren bzw. Patientencharakteristika ist direkt mit Wissen über Symptome und Beschwerden verknüpft
• schnelle Skript-Aktivierung möglich, frühe Erkennung von Krankheiten im diagnostischen Prozess, relevantes Wissen ist leicht zugänglich.
• Illness scripts (Wissensstrukturen, in die biomedizinische Konzepte im Verlauf des Kompetenzerwerbs integriert werden) haben drei Komponenten:
2. Konzepte über spezifische Störungen
3. Konzepte über Konsequenzen (Symptome, Beschwerden)
• Wissen weniger erfahrener Mediziner ist weniger effizient strukturiert
• Umweg über explizites Störungswissen, um Hintergrundfaktoren und Symptome miteinander verbinden zu können; illness scripts sind fragmentarisch, so dass Verknüpfungen zwischen Wissen und Falldaten immer wieder aktiv und aufwändig hergestellt werden müssen
Instruktionsmodell des fallbasierten Lernens (Kolodner, 1997)
• Modell des dynamischen Gedächtnisses (Kolodner, 1983):
Ø Akzentuierung der Rolle episodischer Speicherung für den Kompetenzerwerb und Erklärung, wie Speicherung, Repräsentation und Modifikation episodischer Information modelliert werden können
Ø "episodische Definitionen“ entscheidend: Bezug auf konkrete, von den Lernenden als relevant eingeschätzte Erlebnisse und Vorschläge dazu, wie Wissen konkret genutzt werden kann
Ø Vermutung: Herausbildung von Wissensstrukturen durch Erfahrungen (i. S. subjektiv bedeutsamen Lernens in Situationen)
Ø erfahrene Praktiker erkennen sowohl best. Konstellationen und Muster immer wiederkehrender Probleme als auch die Besonderheiten von Einzelfällen
Ø Kolodner (1983): zwei unterscheidbare Lernmechanismen
üLernen durch die Analyse von Fehlern
Förderung von Beratungskompetenz
• Wirksame Methoden zur Förderung einzelner Komponenten bzw. Techniken von Beratungskompetenz:
Ø Lernen am Modell,
Ø Geben von gezieltem Feedback,
Ø intensive Praxisanleitung und Supervision,
Ø systematisches Training an Teilaufgaben,
Ø Instruktion
Ø Lernen durch Analyse von Fehlern
Ø sowie allg. praktisches Üben,bes. an sehr schwierigen Fällen (Caspar, 1998; Kuhr, 1998).
Urteilsbildung & Schlussfolgern
• Für diesen Teilbereich von Beratungskompetenz liegen zahlreiche Studien vor
Ø Caspar (1995): Hinweise darauf, dass Erfahrene die Relevanz von Information besser erkennen, leichter Muster identifizieren sowie zu elaborierteren Problemdefinitionen u. ~sichten kommen
Ø Auch im klein. Bereich beachtliche Experten-Novizen-Differenzen bei Verwendung valider Stimuli und funktional bedeutsamer Aufgaben in Entscheidungssituationen (Dawson, Zeitz & Wright, 1989)
Ø Bei schlechter Strukturierung der verwendeten Aufgaben wie in der Praxis zeigen erfahrene Kliniker Vorteile beim Strukturieren und beim Definieren relevanter Variablen
• Im Ggs.zu den zahlreichen Arbeiten zum klein. Urteilen gibt es kaum Untersuchungen, die kognitive Prozesse v. Beratern & Therapeuten in natürlichen domänenspezif. Situationen zum Gegenstand haben
• Ausnahme: naturalistische Studien von Caspar (1997): Registrierung von Gedanken und Gefühlen der Therapeuten und Berater bei Erstgesprächen mittels aufwändiger Rekonstruktionstechnologie
• Ergebnisse bei erfahrenen Therapeuten:
Ø selektiveres Vorgehen
Ø mehr und präzisere Interpretationen
Ø stärkerer und konkreterer Bezug auf wissenschaftliche Theorien
Ø nachhaltigeres Planen
Ø regelgeleitetes, reflektiertes und zugleich automatisiertes Vorgehen
Ø mehr Aufmerksamkeit für nonverbale und analoge Informationen (Caspar, 1997, 1998)
Kompetenzerwerb als Form des Expertiseerwerbs
• Kompetenz wird nicht mehr mit Abschluss einer formalen Ausbildung "endgültig" unterstellt
• Kompetenzerwerb in Beratung und Forschung : kontinuierlicher Prozess über die gesamte berufliche Laufbahn
• zunehmender methodischer Eklektizismus (Vermischungen von Ansätzen unterschiedl. Bereiche9 von Praktikern (Ambühl & Willutzki, 1995; Mahoney, 1991)
• vorgeschlagenes Modell d. Beratungskompetenz (nach Strasser; J. & Gruber, H.) umfasst 4 Komponent
1. Fachliches Wissen um Sachverhalte erlaubt
2. reflektierte Erfahrung, die
3. befähigt, Wissen situationsangemessen und effektiv anzuwenden, was
4. zu beraterischem Erfolg, also dem Erreichen der im Beratungsprozess gesetzten Ziele, führt.
2. VL „Kommunikation“
Definitonsversuche von Beratung (Dietrich, 1983)
• „Beratung ist in ihrem Kern jene Form einer interventiven und präventiven helfenden Beziehung,
• in der ein Berater mittels sprachlicher Kommunikation und auf einer Grundlage anregender und stützender Methoden innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums versucht,
• bei einem desorientieren, inadäquat belasteten oder entlasteten Klienten auf kognitiv-emotionale Einsicht fundierten aktiven Lernprozess in Gang zu bringen,
• in dessen Verlauf seine Selbsthilfebereitschaft, seine Selbststeuerungsfähigkeit und seine Handlungskompetenz verbessert werden können“
Definitonsversuche von Kommunikation
• Mittels Kommunikation wird Identität, Wirklichkeit und eine bestimmte Form der Beziehung zu anderen
zugeschrieben, behauptet, aufgeführt, festgestellt und geändert.“ (Reichertz, 2009, S.95)
Bedeutung von Kommunikation für die Beratungspraxis
• Beispiel: Interventionskonzepte für die Kommunikation mit Demenzkranken: Wirkung von ressourcenorientiertem Vorgehen in der Gesprächsführung
- Leitfaden für ein Erstgespräch hinsichtl. Belastungen & Ressourcen in der häusl. Pflege
12. Was belastet Sie an der Pflegesituation am meisten?
- Pflege kostet viel Kraft: Wie geht es Ihnen selbst gesundheitlich (körperlich/ seelisch)?
- Wie versuchen Sie mit den Belastungen fertig zu werden?
- Stellen Sie sich bitte eine normale Woche vor: Was tun Sie für sich, um sich zu entlasten?
- Wie schöpfen Sie neue Kraft?
- Wenn Sie sich hilflos fühlen, Unterstützung brauchen: Wer gibt Ihnen diese?
- Auch eine belastende Situation kann verschiedene Seiten haben: Welche positiven Erfahrungen haben Sie vielleicht auch bei der Pflege Ihrer/ Ihres … gemacht?
• Beispiel Kommunikation: „Meintankisleer…super!“ (Reichertz, 2009, S.26)
à Handlung verläuft erfolgreich, obwohl Lautfolge aus Sprach- u.Kommunikationswissenschaftl. Sicht falsch bzw. unklar ist
à Satz fehlt konkreter Auftrag
à Mengenangabe fehlt
à Begrüßung und Erwiderung fehlt
à Niemand klärt, um was es geht, niemand verabschiedet sich, niemand vergewissert sich, ob alles richtig verstanden wurde à Dennoch wissen alle, was der Fall ist und was als nächstes zu tun ist
• Bei gelungener Kommunikation (Reichertz, 2009, S. 26)
Ø wird ein Sachverhalt dargestellt (sachlicher Inhalt)
Ø wird eine Äußerung kundgetan, die etwas über den Sprecher aussagt (Selbstoffenbarung)
Ø Fordert der Sprechende sein Gegenüber mit seinem Satz zu einer Handlung auf (Appell)
Ø wird eine Beziehung aufgebaut
Ø wird etwas über die Welt, die soziale Position der Beteiligten ausgesagt und damit Identität zugeschrieben
Ø wird eine Handlung ausgelöst
Kommunikation im Beratungskontext
• Spezifischer Kontext ist assoziiert mit bestimmten Regeln: z. B. Rollendefinition, Schweigepflicht, Assymetrische Kommunikation
Sagen Sie mal, das ist doch Mobbing, der verhält sich doch unkollegial, oder?“à Therapeut:„Ich kenne Ihren Kollegen nicht. Ich kenne auch Ihre Arbeits-abläufe und Ihre Interaktion mit Ihrem Kollegen nicht. Ich kann nicht beurteilen, was sich abspielt und warum, daher kann ich nicht dazu Stellung nehmen. Vielmehr möchte ich versuchen, das Problem mit Ihnen zu analysieren.
Und versuchen, zusammen mit Ihnen eine Lösung zu finden.“
• Kritik am „nachrichtentheoretischen“ Ansatz: man kann Kommunikation nicht auf die Untersuchung von absichtvollen Botschaften begrenzen; sie ist nicht nur Medium zur Übermittlung von Nachrichten
Kommunikationsmodell von Kegel (1997)
• Veranschaulicht Abläufe der Nachrichtenübermittlung; bezieht dabei Intention & Interpretation sowie die jeweilige Kodierung & Dekodierung mit ein
• Jeder Kommunikationsteilnehmer lebt in einem individ. System v. Werten, Weltanschauungen & Vorwissen
•
Implikationen f. Beratungspraxis: nötig sind
Ø Reflektionen eigener Beratungs-gespräche bezüglich Vorerwartungen, Haltungen, Werte, Einstellungen
Ø Reflektionen über kommunikatives Handeln des Klienten
Ø Mittels Selbst- und Fremdbeobachtung nach spezifischen Kriterien
Mittel der Kommunikation:
1. sprachl., Zeichen (paralinguist. Phänomene wie Tonfall, Schnelligkeit, Langsamkeit, Lautstärke, pausen, lachen)
2. Körperhaltung
3. Ausdrucksbewegungen (wie Körpersprache, Mimik, Gestik)
Die Kommunikationstheorie Watzlawicks
Ø menschl. Interaktion als System, das auf Regeln beruht à Axiome Watzlawicks zeigen die Regeln menschlicher Interaktionen auf.
1. Man kann nicht nicht kommunizieren (Auch Schweigen&Nichthandeln haben MitteilungscharakterZ.B. Flucht in Symptome wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Magenverstimmung)
2. Kommunikation hat einen Inhaltsaspekt (Informationen, Daten, Fakten) und einen Beziehungsaspekt. (zwischenmenschl. Beziehung zw. Sender & Empfänger) à Auf der sachlichen Ebene werden die Inhalte mitgeteilt, auf der "Beziehungs-Ebene wird kommuniziert, wie Inhalte aufzufassen sind. Beispiel: Jemand sagt: Du hast im Lotto gewonnen! (Inhalt) und grinst dabei (Beziehung).