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Interpretation

Beispiel­in­ter­pre­ta­tion `Augen­bli­cke` Walter Helmut -Fritz S. Renner

1.957 Wörter / ~6 Seiten sternsternsternsternstern_0.5 Autorin Ellen R. im Okt. 2016
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Interpretation
Deutsch

Augenblicke Interpretation

Universität, Schule

Universität Leipzig

Note, Lehrer, Jahr

2016

Autor / Copyright
Ellen R. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.93 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern_0.5
ID# 59428







Inhalt: Die Inter­pre­ta­tion analy­siert die Kurz­ge­schichte "Augen­bli­cke" von Walter Helmut Fritz, die den Konflikt zwischen einer Mutter und ihrer Tochter Elsa thema­ti­siert. Elsa fühlt sich durch die über­für­sorg­liche Art ihrer Mutter einge­engt und versucht, ihr zu entkom­men, indem sie ausziehen will. Der Text beleuchtet Elsas innere Zerris­sen­heit und das Schei­tern der Kommu­ni­ka­tion zwischen den beiden. Es wird aufge­zeigt, dass die Mutter nach dem Tod ihres Mannes Einsam­keit erlebt und Kontakt zu Elsa sucht, während Elsa Unab­hän­gig­keit anstrebt. Die Inter­pre­ta­tion hebt hervor, dass eine Lösung des Konflikts offene Kommu­ni­ka­tion erfor­dert, lässt aber das Ende bewusst offen.
#Generationenkonflikt#Mutter-Tochter-Beziehung#Kommunikationsprobleme

Beispielinterpretation „Augenblicke“

Walter Helmut Fritz

 

Einleitung: HinführungBasissatz

„Erwachsenwerden ist die Zeit, wenn die Eltern anfangen, anstrengend zu werden.“ Dieser Satz verdeutlicht mit einem Augenzwinkern, welche Probleme und Herausforderungen das Älterwerden mit sich bringen – für beide Seiten. Wenn Eltern den wachsenden Freiheitsdrang ihrer Kinder nicht respektieren und sie stattdessen mit überbehütender Vorsorge gängeln und einengen – der Begriff „Helikopter-Eltern“ bringt es auf den Punkt – sind Auseinandersetzungen vorprogrammiert. Die Kurzgeschichte „Augenblicke“ von Walter Helmut Fritz aus dem Jahr 1964 greift die geschilderte Problematik auf und thematisiert einen Mutter-Tochter-Konflikt. „Augenblicke“ zeigt die ambivalenten Gefühle der Tochter im Generationenkonflikt auf, die sich durch die Distanzlosigkeit ihrer Mutter so eingeengt fühlt, dass sie durch Flucht der Situation zu entkommen versucht. Letztlich scheitert ihr Versuch, da sie Mitleid ihrer Mutter gegenüber empfindet. Die Lösung des Konflikts scheitert auch an Unehrlichkeit und der mangelnden Kommunikation zwischen Mutter und Tochter.

 

Hauptteil: Inhaltsangabe

Die Kurzgeschichte beginnt unvermittelt damit, dass die Mutter ins Badezimmer tritt, in welchem sich die zwanzigjährige Tochter Elsa gerade schminkt. Elsa fühlt sich bedrängt und verlässt sofort das Bad, um der Mutter Platz zu machen. Diese bemerkt gar nicht, dass sich Elsa von ihr eingeengt fühlt. Ohne Verabschiedung verlässt Elsa kurz darauf die gemeinsame Wohnung, um eine Wohnungsvermittlung aufzusuchen. Da sie aber keine Adresse hat versucht sie sich durchzufragen, aber am Samstagabend kurz vor Weihnachten öffnet ihr niemand und sie streift ziellos durch die Stadt. Sie beschließt, die Wohnungssuche nach Weihnachten erneut anzugehen und verzweifelt zunehmend über die belastende Situation zu Hause. Am Ende erfährt man, dass ihre Mutter seit dem Tod ihres Mannes allein lebt und sich oft langweilt. Sie liebt und verwöhnt Elsa und versucht in den kurzen Momenten, die sie aufgrund Elsas Arbeit nur selten gemeinsam haben, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Als Elsa von ihrem erfolglosen Versuch eine Wohnung zu finden kurz vor Mitternacht zurückkehrt ist es still in der Wohnung. Sie denkt fast mitleidig an ihre Mutter und wird von der in der Wohnung herrschenden Stille und Gelassenheit als Gegensatz zu ihrer inneren Anspannung so überwältigt, dass sie am liebsten schreien möchte.

 

Der Text weist einige Merkmale der Kurzgeschichte auf, was im Folgenden exemplarisch gezeigt wird. Zunächst gibt es einen unmittelbaren Einstieg ins Geschehen. Als Leser findet man sich direkt vor dem Badezimmerspiegel wieder. Weiterhin gibt es ein begrenztes Figurenpersonal – Elsa und ihre Mutter und die Handlung begrenzt sich auf wenige Schauplätze: die Wohnung und die nicht näher spezifizierte Stadt. Die handelnden Personen bleiben weitgehend anonym. Zwar erfährt man den Namen der Tochter, Elsa (vgl. Z. 12), aber schon der Name der Mutter oder auch einen Nachnamen erfährt man nicht. Die Handlung verläuft stringent ohne Nebenhandlungen, was ebenfalls charakteristisch für Kurzgeschichten ist. Auch das Thema der Kurzgeschichte – es wird eine alltägliche Situation geschildert –ist konstitutiv für die Textsorte der Kurzgeschichte.

Betrachtet man den Aufbau der Kurzgeschichte, so ist sowohl inhaltlich als auch von den Schauplätzen her betrachtet eine Dreiteilung erkennbar. Die Kurzgeschichte beginnt im Bad der gemeinsamen Wohnung. Das Bad gehört in einer Wohnung zu den Orten, an denen man am liebsten ungestört ist. Das Eindringen der Mutter in diesen Raum symbolisiert also gleichsam ihr Eindringen in Elsas Privatsphäre und ihren „Sicherheitsbereich“. Elsas Kommentar „Aber es ist doch so eng“ (Z. 26) verweist bereits auf die nicht nur räumlich, sondern auch seelisch empfundene Enge und Bedrängung. Nachdem sich Elsa von der plumpen Kontaktaufnahme ihrer Mutter derart gestört fühlt, dass sie das Bad verlässt (vgl. Z. 26f), flüchtet sie „ohne ihrer Mutter adieu zu sagen“ (Z. 39f) aus der Wohnung. Die Flucht, die dem Zweck der Wohnungsfindung dient, scheitert allerdings, da Elsa vor lauter Verzweiflung vergessen hat, eine Adresse der Wohnungsvermittlung aufzuschreiben (vgl. Z. 43 f). Das Verlassen der Wohnung nach draußen schafft auch räumlich eine Art Befreiung für Elsa. Die Schauplätze der Stadt werden allerdings nicht näher spezifiziert, z.B. „in die Gegend der Post“ (Z. 41f), was ihre Orientierungslosigkeit außerhalb der eigenen vier Wände zeigt. Schließlich muss sie unverrichteter Dinge wieder in die gemeinsame Wohnung zurückkehren. Die Geschichte endet gewissermaßen, wie sie begann, in der Enge der Wohnung, wo sich Elsa in ihren Sessel „kauert“ (Z. 83), hier also der seelisch empfundenen Enge auch körperlich Ausdruck verleiht. Die Gefühle von Elsa sind nach dem gescheiterten Versuch des Ausbruchs ungleich aufgewühlter, sodass sie am Ende „unartikuliert“ (vgl. Z. 84) hätte schreien mögen.

Warum ihre Verzweiflung sich nochmals steigert, wird deutlich, wenn man die Erzähltechnik genauer untersucht. Die Kurzgeschichte weist als Erzählform einen Sie-Erzähler auf. Das vorherrschende Erzählverhalten ist auktorial. Hierbei ist aber auffällig, dass hauptsächlich Gedanken und Gefühle aus der Sicht Elsas geschildert werden, was v.a. zu Beginn der Kurzgeschichte eine Identifikation mit Elsa ermöglicht. Als Leser empfindet man es selbst als distanzloses Eindringen der Mutter, wenn sie die Privatsphäre Elsas, in die man als Leser mit hineingenommen wird, stört. Durch erlebte Rede, z.B. „Also doch!“ (Z. 10) oder „Ruhig bleiben!“ (Z. 15), bekommt man einen anschaulichen Eindruck in Elsas Gefühlleben und kann ihre körperlichen Reaktionen, die der allmorgendliche Besuch hervorruft (vgl. Z. 12-14) verstehen. Nicht nur fühlt sich Elsa ihrer Mutter gestört, sie fürchtet sich sogar vor ihren Besuchen im Bad (vgl. Z. 21). Entgegen ihrer eigentlichen Gefühle lächelt sie aber ihre Mutter an und sagt, sie mache ihr Platz (vgl. Z. 22f). Elsa täuscht – um sich abzulenken – anderweitige Beschäftigungen vor, doch ihre Mutter nimmt „die Verzweiflung ihrer Tochter nicht einmal als Ungeduld wahr.“ Dieser Einblick, den der auktoriale Erzähler hier in die Gedanken der Mutter gewährt, zeigt das eklatante Missverstehen auf Seiten der Mutter und erklärt den Grund des Konflikts. Elsas Mutter kann die nonverbalen Zeichen ihrer Tochter nicht deuten und versteht sie „nicht einmal als Ungeduld“, was ihre Unfähigkeit dahingehend noch einmal unterstreicht. Da sie nicht merkt, dass Elsa sich bedrängt fühlt, hört sie nicht auf, Kontakt zu Elsa zu suchen. In einem zeitraffenden Erzählerbericht erfährt man anschließend, wie Elsas Versuch verläuft, eine Wohnungsvermittlung aufzusuchen (vgl. Z. 41- 67). Da sie unvorbereitet und überstürzt das Haus verlässt, sie hatte nicht daran gedacht die Adresse zu notieren (vgl. Z. 43-46), kann sie die Wohnungsvermittlung nicht finden. Der Hinweis darauf, dass es „später Nachmittag, Samstag, zweiundzwanzigster Dezember“ (Z. 54f) ist, unterstreicht abermals die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens. In einem Gedankenbericht erfährt man anschließend die Gedanken Elsas, die voller Verzweiflung und Unnachgiebigkeit ihrer Mutter gegenüber sind (vgl. Z. 59-67). Im Anschluss erfolgt ein auffälliger Wechsel in der Perspektivierung. Hatte man bisher die Geschehnisse vor allem über die Innenperspektive Elsas wahrgenommen, so erfährt man nun Näheres über die Lebensumstände der Mutter (vgl. Z. 68-73). Sie ist verwitwet und verspürt oft Langeweile (vgl. Z. 68f). Zudem verspürt sie das Bedürfnis mit ihrer Tochter zu sprechen, denn „[s]ie liebte Elsa“ (Z. 73). An dieser Stelle erfährt man als Leser, dass es nur wenige Augenblicke – hier ist auch der Bezug zum Titel deutlich – für die Mutter gibt, mit ihrer Tochter Kontakt aufzunehmen, da Elsa Arbeit vorschützt (vgl. Z. 71). Aus diesem Grund bleibt der Mutter kaum etwas Anderes übrig, als sie auf dem Flur oder im Bad anzusprechen. Was zu Beginn der Geschichte noch als unverschämtes Eindringen wirkt, erscheint an dieser Stelle eher als verzweifelter Versuch der Kontaktaufnahme. Es bleibt allerdings bei diesem kurzen Einblick in die Gefühlswelt der Mutter. Elsas Verzweiflung, die der Gedankenbericht offenbart, wird nun plausibel. Sie erkennt, dass ihre Mutter ihre Zuwendung braucht. Elsa, die sich davon aber so eingeengt fühlt, dass sie dem Kontaktbedürfnis der Mutter nicht entsprechen kann, muss über diesen Gewissenskonflikt verzweifeln.

Der Konflikt zwischen den beiden Figuren in der Kurzgeschichte liegt in der mangelnden Kommunikation begründet, was an verschiedenen Stellen deutlich wird. So fürchtet sich Elsa zwar vor dem Endringen der Mutter ins Bad, lächelt ihr aber zu (vgl. Z. 23). Ihr Satz „Aber es ist doch so eng“ (Z. 26) lässt sich nach dem Vier-Ohren-Modell von Friedemann Schulz von Thun auf verschiedenen Ebenen deuten. Auf der Inhaltsebene ist nur die Enge des Bades gemeint. Die Selbstaussage und die Beziehungsebene, die Elsa aber auch anspricht, d.h. dass sie sich von der Mutter eingeengt fühlt, bemerkt die Mutter gar nicht, ganz abgesehen von dem damit verbundenen Appell, das Bad wieder zu verlassen. Die gestörte Kommunikation der beiden wird auch deutlich, wenn man betrachtet, dass Elsa sich zurückzieht, weil sie sich bedrängt fühlt, ihre Mutter aber aufgrund der wenigen Zeit, die sie zusammen haben, verstärkt versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Dieses von Paul Watzlawick beschriebene Reiz-Reaktionsmuster in der menschlichen Kommunikation verläuft in einem Teufelskreis, aus welchem die beiden Figuren in der Geschichte nicht ausbrechen können. Elsa ist unfähig, ihre Verzweiflung zu verbalisieren – dies zeigt sich auch an der Wortwahl „unartikuliert schreiben“ (vgl. Z. 84), ihre Mutter kann ihre nonverbalen Äußerungen nicht deuten. Hinzu kommt ihre Unterschiedlichkeit. Die Tochter ist jung und arbeitet (vgl. Z. 63f), die Mutter hingegen langweilt sich und ist oft krank. Die Entfremdung der beiden verdeutlicht auch der Umstand, dass Elsa zu den „vielen Leuten, zwischen denen sie ging“ (Z. 78f) Zuneigung empfindet. Fremde Menschen sind ihr vertrauter, als ihre eigene Mutter.

Auf sprachlich-stilistischer Ebene werden die dargelegten Befunde weiter unterstützt. Die Abneigung Elsas in dem Moment, in dem die Mutter sie im Bad besucht wird durch die Klimax „behext, entsetzt, gepeinigt“ (Z. 19f) zum Ausdruck gebracht. Ihre Verzweiflung wird so noch in gesteigerter Art und Weise dargestellt und verstärkt den Kontrast zu ihrem Lächeln, als die Mutter schließlich eintritt. Die Antithese „fürchtete“ (Z. 21) und „lächelte“ (Z. 23) zeigt dies auch sprachlich an. Im ersten Teil der Geschichte bis zum kopflosen Aufbruch Elsas weist der Text einen überwiegend hypotaktischen Satzbau auf. Der kompliziertere Satzbau versinnbildlicht die komplizierte Situation und das Gefühlschaos von Elsa, was sich schlagartig ändert, als sie „draußen“ ist. Hier herrschen Parataxen vor (vgl. Z. 56-66), was bedeuten könnte, dass sie nun den Kopf frei hat und ihre Gedanken ordnen kann. Auffällig sind in diesem Zusammenhang auch die Anaphern „Sie […]. Sie […]“ (vgl. ebd.). Nun steht Elsa im Mittelpunkt des Geschehens. Sie bestimmt, was passiert, sie ist „ihr eigener Herr“. Ihre Gedanken drehen sich um die Zukunft und was sie alles machen „würde“ (vgl. Z. 59, 60, 62, 66). Dieser Konjunktiv lässt ihre Zweifel erkennen. Zwar nimmt sie es sich vor, die konjunktivische Setzung des Geschehens zeigt aber, dass es zunächst nur ein Gedankenspiel ist und noch nicht Realität. Die Wiederholung der Wortgruppe „Kein einziges Mal“ (Z. 64, 66) zeigt im Gegensatz dazu ihre Verbitterung und ihre mangelnde Kompromissbereitschaft.

Betrachtet man die Untersuchungsergebnisse an dieser Stelle so muss festgestellt werden, dass die eingangs aufgestellte Deutungshypothese in Teilen ergänzt werden muss. Ob der Versuch von Elsa endgültig scheitert, kann der Kurzgeschichte nicht entnommen werden. Zwar kehrt Elsa zunächst ohne unterschriebenen Mietvertrag zurück, ob sie einen erneuten Versuch unternimmt, erfährt man aber nicht. Der Beweggrund ihrer geschilderten Verzweiflung ist zudem nicht nur auf Mitleid zurückzuführen, sondern auch auf der Einsicht, dass es zwischen dem Bedürfnis der Mutter nach Kontakt zu Elsa und ihrem eigenen – ganz natürlichem Drang – nach Unabhängigkeit keinen Kompromiss gibt. Aufgrund des beschriebenen Teufelskreises sieht sie keine Lösung des Konflikts.

Abschließend lässt sich sagen, dass in Zeiten, in denen der familiäre Zusammenhalt aufgrund von steigender Mobilität und Flexibilität mehr und mehr schwindet, die Kurzgeschichte hohe Aktualität besitzt. Es zeigt die Gefühle der Tochter, mit welcher ich mich als Leserin schnell identifizieren konnte.

Die Perspektive der Mutter hat mir aber auch die andere Seite der Medaille gezeigt, wodurch ich zum Nachdenken angeregt wurde. Das Spannungsfeld zwischen elterlicher Fürsorge und kindlichem Drang nach Unabhängigkeit ist für viele Heranwachsende und Eltern eine große Herausforderung. Kinder können die Lücke, die bspw. ein verstorbener Partner hinterlassen hat, nicht füllen. Zwar ist das Verhalten der Tochter verletzend für die Mutter, sie muss aber erkennen, dass ihre Tochter ihr eigenes Leben führen will. Eine Lösung des Konflikts wird aber nur möglich, wenn auch Elsa ihre Leben selbstbewusst in die Hand nimmt und ehrlich ihre Gefühle der Mutter offenbart. Ob beide den Mut zur offenen Kommunikation aufbringen lässt die Kurzgeschichte wohl bewusst offen. Jeder Leser ist dazu angehalten eigene Lösungen zu finden, auch wenn das manchmal sehr schwerfällt.    

 

 

 


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