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Aufsatz
Deutsch

Albertus-Magnus-Schule Viernheim

2013

Mario D. ©
3.10

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sternsternsternsternstern
ID# 63407







Es ist Samstag, kurz nach zehn. Träge erwacht das Leben im Einkaufszentrum.

Ich stehe vor der Parfümerie und rücke meine Krawatte zurecht. Über mir bietet das Werbeplakat eine kostenlose Schmink-Sitzung an und ich bin neugierig, wer sich wohl heute meinen Händen anvertrauen wird.

Eine junge Frau schlendert anscheinend ziellos den Gang entlang. Sie ist sportlich angezogen, ihre Turnschuhe tragen sie fast lautlos in meine Richtung, die hellbraunen Haare sind streng nach hinten gebunden.

Sie fällt mir auf, aber ich kann nicht sagen, warum. Also beobachte ich sie weiter. Nur ein halber Meter trennt sie vom Schaufenster, hinter dem Ketten und Ringe verlockend ausgelegt sind, doch sie geht vorbei, ohne den Schmuck eines Blickes zu würdigen.

Und sie hat keine Handtasche dabei. Ungewöhnlich.

Sie schaut mich kurz an, dann fällt ihr Blick auf das Werbeplakat.

Ihr Gesicht wirkt nachdenklich und ich glaube, auch ein wenig Misstrauen darin zu entdecken. Sie taxiert mich. Ich gebe ihr Zeit, einen ersten Eindruck zu gewinnen.

Dann spreche ich sie an und frage in einem freundlichen, ruhigen Tonfall, ob ich ihr ein kostenloses Make-up anbieten dürfe.

Ihr Blick wandert den fast menschenleeren Gang entlang, dann liest sie das Namensschild auf meiner Brust und meint nach kurzem Zögern: "Ich kann's ja mal versuchen."

Ich bitte Sie, sich zu setzen und ihre Brille abzunehmen.

Die Frau ist nicht so jung, wie ich sie auf den ersten Blick geschätzt habe, erste feine Fältchen zeigen sich unter ihren Augen.

Ich nehme Kosmetiktücher mit einer milden Reinigungslotion zur Hand und erkläre ihr Schritt für Schritt, was ich mache. Zuerst wische ich ihr Gesicht ab, dann ihren Hals. Dabei merke ich, wie sie sich verkrampft. Etwas in ihren Augen warnt mich, besonders vorsichtig im Umgang mit ihr zu sein.

Normalerweise fangen meine Kundinnen von sich aus ein Gespräch an. Diese nicht.

Schweigsam lässt sie das Auftragen der Grundierung über sich ergehen. Um das Eis zu brechen, frage ich, wieviel Zeit sie denn hätte. Sie antwortet, dass sie halb elf eine Hose aus der Näherei abholen möchte.

"Welches Make-up benutzen Sie normalerweise?"

"Keins."

"Und welche Creme?"

"Keine."

Für mich als Kosmetiker sind diese Antworten unbegreiflich.

"Ich empfehle Ihnen eine spezielle Creme, damit die ersten Fältchen unter Ihren Augen geglättet werden."

"Wissen Sie," antwortet sie, "unsere Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren und das macht Gesichter meiner Meinung nach erst richtig interessant."

Ich bin verblüfft.

So etwas hat bisher noch niemand zu mir gesagt. Ich denke an William Somerset Maugham, der so treffend bemerkte, dass die Zeit ein schlechter Kosmetiker sei.

Ich reiße mich zusammen und versuche, mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren.

Um die richtige Farbe für den Lidschatten auszuwählen, betrachte ich ihre Iris: graubraun. Auf der linken entdecke ich einen faszinierenden blauen Punkt.

Nun bitte ich sie, ihre Augen zu schließen.

Diesen Anblick lasse ich immer kurz auf mich wirken und fertige im Kopf eine Skizze an.

Ihre Gesichtszüge sind angespannt.

Mit einem leichten Schwung lege ich einen dezenten Goldton auf die Lider. Danach öffnet sie die Augen und ich bürste dunkelblaue, glitzernde Mascara auf ihre Wimpern. Ein angenehmer, unaufdringlicher Parfüm-Geruch umhüllt sie.

Was ist denn nur in mich gefahren! 'Konzentriere Dich!', ermahne ich mich streng.

Ich verwende Lipgloss in der selben Farbe wie ihre Lippen.

Dann schaue ich auf ihre Hände. Sie sehen breiter aus, als ich erwartet hatte. Ihre Nägel sind sauber und kurz geschnitten. Kein Ring.

Ich frage, ob sie auch den passenden Nagellack für ihre Fingernägel wünscht, doch sie lehnt ab, weil der Lack nicht lange halten würde in ihrem Jobb. Sie setzt ihre Brille wieder auf.

Jetzt bin ich wirklich neugierig geworden: "In welchem Beruf arbeiten Sie, wenn ich fragen darf?"

Ich hebe die Augenbrauen.

Sie fügt hinzu: "Wir verlegen Kabel in Flugzeugen, montieren elektronische Geräte, schließen sie an und testen sie."

Den Spiegel in meiner Hand habe ich völlig vergessen.

Sie tippt ihn an und erinnert mich daran. Ich reiche ihn ihr. Prüfend betrachtet sie mein Werk.

"Schön," urteilt sie und lächelt, "es gefällt mir. Es ist ungewohnt. Dankeschön!"

"Gerne. Ich gebe Ihnen eine Probepackung einer Tagescreme mit, extra entwickelt für zarte Haut.

Möchten Sie einige der Produkte erwerben, die ich bei Ihnen verwendet habe?"

Sie steht auf und mir wird klar, dass ich sie wahrscheinlich nie wieder sehe, wenn sie jetzt geht.

Ich gebe ihr meine Visitenkarte.

Dann nehme ich meinen Mut zusammen und frage sie, ob ich sie heute Nachmittag auf eine Tasse Kaffee einladen dürfe.

Ãœberraschung macht sich auf ihrem Gesicht breit: "Danke, das ist nett. Aber ich bin verheiratet."

Ich sehe ihr in Gedanken versunken hinterher.

Sie dreht sich noch einmal um, winkt zum Abschied und ist verschwunden.

Zusammen mit der Maske, die ich ihr aufs Gesicht gelegt habe.


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