Schreibauftrag: Bahnwärter Thiel
Natur in Gerhart Hauptmanns „Bahnwärter Thiel“
Die Beschreibung der
Natur in der Novelle „Bahnwärter Thiel“ von Gerhart Hauptmann wiederspiegelt
einerseits die Stimmungen des Bahnwärters und andererseits nimmt sie kommende
Geschehnisse voraus. Als sehr einfaches Beispiel kann das Licht genannt werden.
Ist der Himmel blau und hell, geht es Thiel gut. Ist es trüb und dunkel, deutet
dies auf ein schlechtes Ereignis hin. Diese Zusammenhänge werden nachfolgend anhand
von vier Textstellen erläutert.
Thiels Weg zum Wald und
zurück nach Hause, als er sein Brot vergessen hat (S. 14, Z. 32 – S. 18, Z. 22)
Thiels Arbeitsweg führt
durch einen Kiefernforst. An diesem Tag herrscht ein furchtbares Wetter. „Ein
bläulicher, durchsichtiger, mit allerhand Düften geschwängerter Dunst stieg aus
der Erde auf und liess die Formen der Bäume verwaschen erscheinen. Ein
schwerer, milchiger Himmel hing tief herab über die Baumwipfel. Krähenschwärme
badeten gleichsam im Grau der Luft, unaufhörlich ihre knarrenden Rufe
ausstossend. Schwarze Wasserlachen füllten die Vertiefungen des Weges und
spiegelten die trübe Natur noch trüber wieder.“ Die Beschreibung der Natur
lässt nichts Gutes erahnen. Es herrschen nur dunkle Farben vor: rostbraun,
schwarzgrün, grau, blau und schwarz. Der Himmel hängt tief. Die Stimmung ist
trübe und beengend wie im dicht verschlungenen Jungholz. Thiel ist in einer
anderen Welt und als er aus seinem tiefen Nachdenken erwacht und aufschaut, denkt
er, was für ein furchtbares Wetter es ist. Aber nicht nur das Wetter ist
furchtbar, sondern auch das, was er bei seiner Rückkehr zuhause mitansehen
muss. „Er fühlte dunkel, dass er etwas daheim vergessen haben müsse.“ Auch mit
diesem Satz wird das Kommende vorweg genommen. Es wird etwas „Dunkles“ sein.
Bei seiner Rückkehr hört er schon von weitem, wie seine Frau den kleinen Tobias
anschreit und fürchterlich mit ihm schimpft. Dieses Donnerwetter hat sich
bereits im Wald angekündigt. Dort haben Krähenschwärme ihre knarrenden Rufe ausgestossen.
Zuhause ist es seine Frau, die mit kreischender Stimme seinen Sohn anschreit. Doch
Thiel ist nicht imstande einzuschreiten und seinem Sohn zu helfen. Er nimmt
sein Butterbrot und geht zur Arbeit. Dort hat er sodann einen Alptraum. Er kann
es kaum erwarten, bis er wieder nach Hause zu Tobias gehen kann.
Thiels Weg
von der Arbeit nach Hause (S. 26, Z. 3 – 22)
Nach
einer sehr lange erscheinenden Nachtschicht kann Thiel endlich nach Hause gehen.
Um sechs Uhr früh wird er abgelöst. „Es war ein herrlicher Sonntagmorgen.
Die
Wolken hatten sich zerteilt und waren mittlerweile hinter den Umkreis des
Horizontes hinabgesunken. Die Sonne goss, im Aufgehen gleich einem ungeheuren
blutroten Edelstein funkelnd, wahre Lichtmassen über den Forst.“ Der neue Tag
beginnt verheissungsvoll. Das Dunkel in den Gedanken von Thiel ist einer neuen
Klarheit gewichen. Die Lichtmassen haben sich nicht nur über den Forst sondern
auch über Thiel ausgebreitet. Alles soll besser werden. Thiel schöpft neue
Hoffnung. Und als er schliesslich den kleinen Tobias „rotwangiger als je im
sonnenbeschienenen Bette liegen sieht“, verschwinden die
düsteren Bilder aus seinem Alptraum. In diesen Textzeilen dominieren das helle
Licht und die Farbe Rot. Die Sonne und das Rot stehen für Wärme. Das Licht
steht für eine Erkenntnis. Die Beschreibung des Wetters und der Natur auf
Thiels Heimweg kündigen bereits an, dass es Tobias gut geht. Ansonsten wäre es
sicher nicht ein herrlicher Sonntagmorgen gewesen.
Thiels Spaziergang mit
Tobias (S. 28, Z. 22 – S. 29, Z. 37)
Für die Beschreibung der
Beziehung zwischen Thiel und seinem Sohn Tobias werden von Hauptmann ganz
andere Landschaftsbilder gezeichnet. Anstelle des düsteren Kiefernforstes wird
ein Birkenwäldchen beschrieben. Alles ist lieblich, zart und sanft. Das Bild
wird durch Blumen und Schmetterlinge vervollständigt. Der Vater empfindet seine
Zeit mit Tobias als Himmel auf Erden. „Tobias verlangte nach den Blumen, die
seitab im Birkenwäldchen standen, und Thiel, wie immer, gab ihm nach. Stücke
blauen Himmels schienen auf den Boden des Haines herabgesunken, so wunderbar
dicht standen kleine blaue Blüten darauf. Farbigen Wimpeln gleich flatterten
und gaukelten die Schmetterlinge lautlos zwischen dem leuchtenden Weiss der
Stämme, indes durch die zartgrünen Blätterwolken der Birkenkronen ein sanftes
Rieseln ging.“ Thiel liebt seinen Sohn sehr. Die liebliche Beschreibung der
Natur spiegelt ihr Verhältnis. Zwischen ihnen gibt es nichts Böses und keine
harten Worte. Wenn der Vater Zeit für Tobias hat, dann ist es wunderbar. Dann
gaukeln Schmetterlinge und ein sanftes Rieseln geht durch die zartgrünen
Blätterwolken. Die Sonne scheint golden. Tobias meint, dass ein, einen
Baumstamm hinauf kletterndes Eichhörnchen der liebe Gott ist. Das Eichhörnchen
löst durch sein Klettern kleine Birkenborkenstückchen, die Thiel vor die Füsse
fallen. „Närrischer Kerl“, ist alles was Thiel seinem Sohn dazu sagt. Es tönt
so, als wäre es möglich, dass sich Gott ihnen zeigt. Der Moment mit Tobias ist
einfach vollkommen.
Tobias ist unter den Zug
gekommen, Thiel bleibt zurück und beendet seinen Dienst (S. 35, Z. 25 – S. 36,
Z. 7)
Tobias wird mit dem Zug
zum Arzt gebracht. Thiel bleibt zurück, weil er die Bahnschranke nicht einfach
verlassen kann. Seine Frau Lene ist mitgegangen. Er leidet sehr und macht sich
selber Vorwürfe. Seine Gefühle spiegeln sich in der Beschreibung der Natur. Der
Himmel ist kalt und stahlblau. Es fröstelt ihn, denn der Wind ist kellerkalt.
Er spürt seine
Machtlosigkeit und wird langsam verrückt. Es geht dem Ende zu. „ Die Sonne goss
ihre letzte Glut über den Frost, dann erlosch sie. Die Stämme der Kiefern streckten
sich wie bleiches, verwestes Gebein zischen die Wipfel hinein, die wie
grauschwarze Moderschichten auf ihnen lasteten.“ Nicht nur die Sonne ist
erloschen, sondern auch das Leben von Tobias. Auch die Gebeine und die
Moderschichten sind klare Hinweise auf seinen Tod.
Es ist erstaunlich wie
oft die Geschehnisse der Novelle und die Gefühle des Bahnwärter Thiel im
Zustand der Natur veranschaulicht werden. Gerhart Hauptmann muss sich selber
viel in der Natur aufgehalten und diese gut beobachtet haben. Er beschreibt die
Natur zwar sachlich. Doch durch die Wortwahl, die vielen Adjektive und das
Spiel mit den Farben entstehen Stimmungen, die den Leser berühren. Neben der
Sachebene entsteht so eine Gefühlsebene, der man sich nicht entziehen kann.