Literaturwissenschaftliches Forschen (Was für ein Theater? Wolfgang Bauer und Werner Schwab)
510.223 Proseminar, WS 2016/17
LV-Leiter: Univ.-Prof. Mag. Dr.
Aufstieg und Fall des Werner Schwab
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Diese Arbeit macht sich zum Ziel, Werner Schwabs anfängliche Schwierigkeiten bezüglich der Rezeption seiner Werke zu besprechen und danach auf seinen plötzlichen Durchbruch und die damit verbundenen Probleme einzugehen. Zusätzlich werden Aspekte seines Werkes Endlich tot Endlich keine Luft mehr hinsichtlich seiner Einstellung zu Künstlerpersonen und dem Theater an sich analysiert.
In der Arbeit wird zunächst Bezug genommen auf die Tatsache, dass Schwabs Werke zu Beginn seiner Karriere von zahlreichen Menschen abgelehnt wurden und österreichische Theater sich weigerten, diese aufzuführen. Im ersten Kapitel wird zunächst analysiert, welche Probleme Schwabs Werke vor allem dem österreichischen Publikum bereiteten und woran dies zum größten Teil lag.
Das zweite Kapitel behandelt die Zeit, in der Werner Schwab seinen Durchbruch erlangte, und wie er mit dem plötzlichen Aufschwung seiner Karriere umging. Grundlage hierfür bildet Seele brennt von Helmut Schödel1, in dem beschrieben wird, dass Werner Schwabs Durchbruch und sein Image als Shooting-Star ihn unglücklich machten und er sich immer mehr dem Alkohol zuwandte.
Das zweite Kapitel hängt mit dem dritten Kapitel zusammen, in dem Endlich tot Endlich keine Luft mehr analysiert wird. Hierbei liegt der Fokus darauf, wie Schwab seine Einstellung zum Theater und zu sich selbst als Künstler in diesem Werk verarbeitete.
1. Anfänge und erste Rezeptionen seiner Werke
Werner Schwabs Anfänge als Schriftsteller waren alles andere als einfach und er hatte zunächst mit unzähligen Ablehnungen von Theatern zu kämpfen, die seine Stücke nicht aufführen wollten, was nicht zuletzt an der Verwendung seiner spezifischen Sprache, der Schwabischen Sprache, sowie dem Inhalt der Stücke lag. Dieses Kapitel basiert auf Schilderungen und Darstellungen Werner Schwabs Karriere aus Seele brennt von Helmut Schödel,
Er hat zwischen allen Fronten gelebt, viel negative Aufmerksamkeit geerntet. Aber daran war er gewöhnt. Schon in der Grundschule hat ihn die Lehrerin vor die Klasse geholt, sie sollen ihn jetzt anschauen, den rotgeschädelten Hausmeisterbubn, weil so, wie der ausschaut, so darf ma net ausschaun. Nach dem Motto: Was net einipaßt, darfs auch nicht gebn. Es war insgesamt eine schreckliche Zeit für ihn.
Aber mit achtzehn hatte er eine Perspektive gefunden. Daß er Künstler ist, daß er schreibt. Das war so der Weg, den er gehen wollte.2
Werner Schwabs Karriere und Werdegang als Schriftsteller waren sehr stark von seiner traumatischen Kindheit geprägt, in der er vernachlässigt wurde und bereits sehr früh mit Alkohol in Kontakt kam. Vor allem der Konsum von Alkohol wurde bald zu einem fixen Bestandteil in seinem Leben, worauf später in dieser Arbeit noch genauer eingegangen werden wird.
Als Schwab im Alter von 18 Jahren entschied, Künstler zu werden, ging er zunächst nach Wien, um bei Professor Gironcoli Bildhauerei zu studieren, wobei er jedoch nicht sehr erfolgreich war. Laut dem Professor „habe er sich gar nicht besonders mit Bildhauerei beschäftigt; […] mit allem, nur nicht mit Bildhauerei“3 und schrieb während dieser Zeit seine ersten Stücke, brack komma ein und schlagen da zwei.
Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte der unglückliche Schriftsteller damit, Manuskripte an verschiedene Theater zu schicken, negative Antworten zu erhalten und auf höchst negative Weise kritisiert zu werden.
Das war 1989. Ein Jahr später folgte die Uraufführung des ersten abendfüllenden Theaterstücks von Werner Schwab durch eine freie Gruppe im Wiener Künstlerhaus. Aber auch Die Präsidentinnen (Regie: Günther Panak) wurden im Grunde nicht wahrgenommen. Oder falsch. Der ORF-Hörfunk berichtete von einer „Bombendrohung“: „Wenn dieses gotteslästerliche Stück nicht abgesetzt werde, hieß es, habe man mit Aktionen zu rechnen.“ Die Wiener Zeitung hielt das Stück für „menschenverachtend und auch ziemlich frauenfeindlich“, und die Presse fand Die Präsidentinnen: „fad und grauslich“.4
Unermüdlich schickte der Schriftsteller seine Manuskripte an österreichische und vor allem Wiener Theater, welche sich zunächst geschlossen weigerten, seine Stücke aufzuführen. Dies lag zum einen an der Verwendung seiner speziellen Sprache, dem Schwabischen. Schwab legte nicht viel Wert auf Grammatik und angemessene Sprachverwendung, viel eher schrieb er so, wie er es gewohnt war, zu sprechen.
Zusätzlich dazu verwendete er in seinen Stücken unzählige selbst erfundene, zusammengesetzte und in der deutschen Sprache so nicht vorkommende Begriffe und Phrasen, wie im folgenden Zitat deutlich wird:
Schweigen Sie, Rubens, Ihre ekelerregende Homosexualismusausstrahlung vermindert Ihre Sprachausdünstungsberechtigung. Ihre abartige Veranlagung beschäftigt sich offenscheinlich andauernd mit Ihnen, deswegen müssen Sie immerzu Ihren süßlich geschlechtlichen Eindruck verrichten wie eine ewige Notdurft. Verbergen Sie sich endlich vor sich. Entmannen Sie Ihre sächliche Männlichkeit.5
Diese spezifische Schwabische Sprache macht es dem Publikum nicht gerade leicht, den Gedankengängen des Autors zu folgen, was, wie bereits erwähnt, dazu führte, dass viele seine ersten Theaterstücke ablehnten und kritisierten.
Nach jahrelangen schlechten Kritiken und Absagen von österreichischen Theatern, gelang es Schwab schlussendlich, erste positive Kritiken aus Deutschland zu bekommen, was letztlich dazu führte, dass sich österreichische Theater auch für ihn interessierten und sich dazu entschlossen, ihm doch eine Chance zu geben. Die Zeit, in denen seine Stücke hart kritisiert und als „nicht aufführbar“ abgestempelt wurden, nahm langsam ein Ende und Schwab feierte erste Erfolge, was im folgenden Kapitel näher erläutert wird. 6
2. Schwabs Durchbruch und sein damit verbundenes Unglück
„Es hatte sich ein Traum erfüllt, aus dem schön langsam ein Alptraum wurde.“ 7
Werner Schwabs Durchbruch kam plötzlich und unerwartet, nach jahrelangen Absagen folgte auf einmal auf eine Uraufführung die nächste.
Als Schwab Ende 1991 Der Himmel Mein Lieb Meine sterbende Beute schrieb, gab es für ihn schon die günstigsten „Kunstmarktschlagzeilen“. Auf Hans Gratzers Uraufführung von Übergewicht, unwichtig: Unform im Januar 1991 folgte schon im November die Uraufführung von Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos in den Münchner Kammerspielen (Regie: Christian Stückl). Die Schwab-Welle schwappte los.8
Schwab hatte sein bisheriges Leben als Einsiedler gelebt, abgeschottet von seinem potenziellen Publikum, in einer verlassenen Gegend am Land. Als er plötzlich erste Erfolge feiern durfte, wurde er, nicht zuletzt von seiner Agentin Eva Feitzinger, ins Rampenlicht gestellt, was ganz offensichtlich seiner Natur widersprach. Der Schriftsteller musste sich nun mit Theaterleuten treffen, Auftragsarbeiten für Theater schreiben und Interviews geben.
Diese neue Rolle widerstrebte ihm, weshalb er sich immer mehr dem Konsum von Alkohol hingab.9
Schon 1991/92 war Schwab der shooting star der Spielzeit. Er war berühmt, wurde gefeiert und beschimpft, bekam den Mülheimer Dramatikerpreis, und seine Stücke wurden in fast ein Dutzend Sprachen übersetzt. Er hatte es geschafft. So, wie er es seinerzeit versprochen hatte: „Ihr glaubt eh alle, i bring nix zamm. Eines Tages werd ichs schaffen.“10
Schwab lebte jetzt nicht mehr in der Payergasse am Brunnenmarkt, sondern in einer Verlagswohnung in der Schönborngasse, Josefstadt, schrieb und trank immer mehr, anfangs besonders vor Begegnungen mit Journalisten oder dem Theatervolk. Nach mancher Premierenfeier oder am Ende eines Probentages ging er bisweilen zu Boden, rappelte sich wieder auf, und man fand ihn in einem Frühlokal: schreibend.
Es hatte sich ein Traum erfüllt, aus dem schön langsam ein Alptraum wurde.11
Werner Schwab hatte sein gesamtes Leben auf diesen Erfolg hingearbeitet, hatte immer ein erfolgreicher Schriftsteller werden wollen, doch als er es scheinbar endlich geschafft hatte, war er dennoch unglücklich. Er wollte nicht im Rampenlicht stehen, die Aufregung um seine Person war ihm unangenehm und als einzigen Ausweg sah er den Alkoholkonsum. Er begann immer mehr zu trinken und schrieb auch einige seiner Werke in betrunkenem Zustand.
„Schwab haderte schwer mit seiner neuen Rolle und versuchte den verhaßten Kunstbetrieb niederzuschreiben“12 und „erfand sich ein Double, das zu diesem Alptraum paßte“, denn er „modellierte die dunklen Seiten seiner Person heraus und verkaufte den Schatten als den Dichter Werner Schwab.“13 Somit verarbeitete er seine Stimmung und Haltung zum Theater und seinem Beruf als Künstler auch in seinen Stücken.
Obwohl sich Werner Schwabs Traum von einer erfolgreichen Karriere als Schriftsteller schlussendlich erfüllt hatte, war er dennoch nie glücklich mit seiner Rolle. Er verabscheute den Theaterbetrieb und kritisierte den Beruf des Künstlers, war schwerer Alkoholiker und verarbeitete all dies in seinen Stücken. Der Höhepunkt seiner Karriere dauerte nur ca. 4 Jahre an, danach verschwand der Grazer in der Silvesternacht 1994 für immer aus den Reihen der österreichischen Schriftsteller – er starb mit 4,1 Promille im Blut.
Aus dem Bericht der Bundespolizeidirektion Graz, Kriminalpolizeiliche Abteilung. „Betrifft: Ermittlungen zum Tode des SCHWAB Werner. Graz, den 5.1.1994
Schwab ist an einer Alkoholvergiftung verstorben und hat die Untersuchung einen Blutalkoholwert von 4,1 Promille ergeben. Hinweise auf einen Selbstmord des Werner Schwab konnten nicht ermittelt werden.“14
3. Schwabs Einstellung zum Theater und zum Beruf des Künstlers exemplifiziert an Endlich tot Endlich keine Luft mehr
Wie schon in seiner Jugend versuchte Schwab auch jetzt, zu allem, was mit ihm geschah, auf Distanz zu bleiben. Aber die Karrierefalle war zugeschnappt, und er konnte sich nicht befreien, zum ersten Mal im Leben den Speck so dicht vor der Nase. Also schrieb er eine Komödie über den plötzlichen Ruhm des Kunstmalers Wurm (Der Himmel Mein Lieb Meine sterbende Beute) und ein „Theaterzernichtungslustspiel“, einen Theaterkrieg, ein Probebühnenmassaker (Endlich tot Endlich keine Luft mehr). In diesem Stück tritt ein betrunkener Dichter namens Mühlstein auf, ein sarkastischer Selbstverriß Schwabs, genauer: der Verriß eines Dichterbildes, das man auf Schwab projizierte […].15
Dies war bei weitem keine leichte Aufgabe, denn kaum jemand konnte sich in den Verstand des Werner Schwab hineinversetzen.
Seine Meinung zum Theater und dem Theatervolk baute er in unzählige Stücke ein, darunter auch in Endlich tot Endlich keine Luft mehr. In diesem Stück kritisiert er offen das Theater und stellt es so dar, wie es seiner Meinung nach ist, mit Theaterangestellten, die sich gegenseitig nicht respektieren und einander vulgäre Ausdrücke unermüdlich an den Kopf schleudern, und verzweifelten Regisseuren, die versuchen, ein halbwegs vernünftiges Stück auf die Bühne zu bringen.
Den Charakteren seiner Stücke können oft Charakteristika Schwabs selbst zugeschrieben werden, wie zum Beispiel beim betrunkenen Künstler Mühlstein in EndlichtotEndlichkeineLuftmehr deutlich wird.
3.1. Endlich Tot Endlich Keine Luft Mehr
In Endlich tot Endlich keine Luft mehr beschreibt Werner Schwab den Untergang Saftmanns, der als Regisseur versucht, ein Stück Mühlmanns auf die Bühne zu bringen. Dabei wird heftige Kritik an der Theaterkultur und an dem Beruf des Künstlers, in diesem Fall des Dichters, geübt.
Und außerfreilich bin ich gar nicht impotent. Ich bin nur doch zu fett zum Ficken: Mein Körper erobert zu wenig Luftsauerstoff beim Ficken. Und am Ende einer körperpolitischen Wahrheit werden sich die zeitlichen Umstände gezwungen sehen müssen, mich zu zwingen, ein Theaterstück gegen die Verachtung der dicken weichleibigen Menschen anzufertigen.16
Wie Schwab selbst nimmt der Dichter Mühlstein kein Blatt vor den Mund und drückt ohne Umschweife aus, was ihm durch den Kopf geht. Dabei bedient er sich, wie alle von Schwabs Charakteren, der Schwabischen Sprache, mit Ausdrücken wie „außerfreilich“17 , „verantwortungsverwursteten Altbeherrschungsmenschen“18 und „immerzuverkehrte Menschenverstörung“19.
Mühlstein und Schwab gleichen sich außerdem aufgrund der Tatsache, dass beide Schriftsteller einen ausgeprägten Hang zum Alkoholismus haben bzw. hatten. Von Werner Schwab ist bekannt, dass er Zeit seines Lebens ein Alkoholproblem hatte, was letztendlich zu seinem Tod führte, bei Mühlstein kommt sein Alkoholproblem vor allem durch die Regieanweisungen zum Vorschein.
Die meisten von Mühlsteins Aussagen werden mit Bemerkungen wie „(trinkt)“21, „(rülpst)“22 oder „([…] nimmt einen tiefen Schluck)“23 untermalt, wodurch offensichtlich wird, dass er bei der Arbeit am Theater wohl eher selten bzw. nie nüchtern erscheint, was auch bei Werner Schwab der Fall war.
Eine andere Gemeinsamkeit der beiden Schriftsteller wird durch Mühlsteins Reaktion auf die Inszenierung seines Stückes vom Regisseur Saftmann ersichtlich.
Das soll mein Stück sein von mir. Wie merkwürdig sich mein Stück von mir verabschiedet hat. Aufeinmalplötzlich kommt mein Stück bei der Tür herein und stellt die Frage als Theorie: Guten Tag, wer sind Sie momentan? Wie lange bleiben Sie noch immerzu anwesend, und überhaupt: wie heißen Sie alle Tage? Und ich sage schluchzend: Mühlstein, ich bin Ihr Dichter. (Er schlägt sich vor die Stirn und nimmt einen tiefen Schluck.)24
An dieser Stelle des Stückes wirft Mühlstein die Frage auf, inwiefern das von ihm geschriebene Werk denn eigentlich noch ihm gehöre. Durch die Inszenierung des Regisseurs geht offensichtlich sein eigener Geist verloren, wodurch weder er das Stück, noch das Stück, im übertragenen Sinne, ihn wiedererkennt. Diese Frage, inwiefern das Persönliche des Dichters bei der Inszenierung erhalten bleibt, lässt sich allgemein auf Theaterinszenierungen übertragen.
In Endlich tot Endlich keine Luft mehr spricht Mühlstein dieses Thema bereits während den Vorbereitungen an, wird vom Regisseur Saftmann jedoch mehr oder weniger ignoriert. Dass Schwab mit der Rolle des Mühsteins auf diese Problematik aufmerksam macht, kann als Kritik am Theater bzw. der Umsetzung eines Theaterstücks auf der Bühne, bei dem die Persönlichkeit des Dichters wenig beachtet und miteingebaut wird, gesehen werden.
Mühlsteins Einstellung zu Saftmanns Inszenierung wird auch im folgenden Zitat klar:
MÃœHLSTEIN
(springt auf und würgt Saftmann) Drecksau, Liebesverdreher, Beziehungsverbrecher. Warum hast du die Liebe nicht aufkeimen lassen wie eine trockene Sojabohne, so wie’s im Buche steht? Warum hast du die Liebesglut der Sexualheizung nicht verherrlicht, so wie’s zu Buche schlug? Warum hast du der Liebe kein neues Haus gebaut, so wie’s im Buch des großen Mühlstein geschrieben steht, he? 25
Bei den Probenarbeiten wird Mühlsteins Text von den Schauspielern aufgrund der Anweisungen des Regisseurs Saftmann nicht so umgesetzt, wie der Dichter es gerne hätte, was wiederum zeigt, wie sehr Stücke bei der Umsetzung verändert werden können. Mühlstein ist sichtlich unglücklich mit Saftmanns Arbeit und kritisiert ihn, worauf dieser jedoch nur erwidert: „Weil Sie zu fett sind zum Ficken, haha.“ 26 Zusätzlich behauptet der Regisseur, dass Mühlsteins Stück durch seine Arbeit viel besser wird.
Außerdem setzt sich Schwab in Endlich tot Endlich keine Luft mehr mit der Tatsache auseinander, dass zahlreiche Regisseure Probleme mit seinen Stücken hatten, sei es aufgrund der Sprache oder des Inhalts, und dass nicht jeder seine Stücke verstand.
SAFTMANN
Mein Kopf hat aufgehört, diese Katastrophe zu verstehen. Sogar mein Körper ist ratlos. Ich hebe an, vor lauter Ratlosigkeit lüstern zu werden. Kein Schauspieler versteht sich mit Mühlsteins schwachsinnigem Stück. Wer Mühlstein nicht versteht, der versteht überhaupt nichts. Wer Mühlstein nicht kapiert, der ist verloren. 28
Betrachtet man Mühlstein als einen Selbstverriss Schwabs, so wird deutlich, dass der Autor mit diesem Zitat die Problematik der Umsetzung und des Verstehens seiner eigenen Stücke anspricht. Dass viele Theater sich zu Beginn Schwabs Karriere weigerten, seine Stücke aufzuführen, hing u.a. damit zusammen, dass viele Leute diese nicht verstanden. Sich in Schwabs Geist und Absicht seiner Stücke hineinzuversetzen, bereitete seinem Publikum schon immer Probleme, genauso wie es Saftmann im vorliegenden Werk schwerfällt, Mühlstein zu verstehen.
Früher waren die Dichter erfundener und umweltfreundlicher widerlich. Die Widerlichkeit hatte nichtig diesen unsterblichen Niedermut. Sie sind ein Vieh, Mühlstein, ein Vieh, dem sein Viehmarkt gestohlen werden wird müssen. (Manuela Schrei reckt Mühlstein ihre Zunge heraus. Robert Kuß geht zu Mühlstein und spuckt vor ihm aus. Frau Haider tritt mit Besen, Schaufel und Kübel auf.)29
Dieses Zitat lässt darauf schließen, dass Schwab der Meinung war, dass Dichter am Theater nicht immer mit dem Respekt behandelt werden, wie es ihnen zusteht. Die Tatsache, dass in dieser Szene Mühlsteins Kollegen ihm die Zunge herausstrecken und ihn anspucken, zeigt den Umgang, den die Theaterleute untereinander pflegen – zumindest in Endlich tot Endlich keine Luft mehr.
Ob Schwab selbst unzufrieden damit war, wie er behandelt wurde, ist nicht belegt. Seine generelle Einstellung zum Theater lässt jedoch darauf schließen. „Ich hasse das Publikum. Das Publikum ist der Tod des Theaters.“30 meint auch Mühlstein und zeigt ein weiteres Mal die Beziehung, die Schwab selbst zum Theater hatte.
(stellt sich erregt auf einen Sessel)
Auch meine Zunge stellt mir Fragestellungen über das Theater. Was ist denn das Theater als moralische Irrenanstalt mehrheitlich denn mehr als ein versunkener Festsaal in einem Dorfkrug mit lauter sterbeverpackungskünstlich bewachten Sinnlosigkeitsthrophäen. Die eine Seitenwand ist heimgesucht vom Hirschgeweih Bert Brechts und den Krickeln seiner universalistischen Vasallen.
Auf der anderen altersheimeligen Seite baumeln ein paar Absurdisten und ein paar anklagende Sensibilisten. Von der Decke hängen die schwarzgoldenen Klassiker an ihren zerfressenden Schnüren herunter…ach ja…und Mühlstein…Mühlstein ist als Theaterabschießungstrophäe eine getrocknete Fliege. Der Speiserest ist Publikumserbschaft und Erbschaftspublikum. 31
Dieses Zitat des jungen Schauspielers Kusz ist ein weiteres Exempel für Schwabs Haltung gegenüber dem Theaterbetrieb. Kusz kritisiert in dieser Szene das Theater an sich, die Rolle des Theaters in der Gesellschaft und der Dichter, sowie den Sinn von Theateraufführungen.