Aufgabe
1)
Setzen
Sie den folgenden Text von Nora Bossong, der 2007 unter dem Titel
Besuch als Gedicht publiziert wurde, wieder in Versform (ohne den
Wortlaut des Textes hierbei zu verändern). Begründen Sie
anschließend kurz Ihre jeweiligen Entscheidungen (Umfang der
Begründung: zwei Drittel bis eine DIN-A4-Seite).
Der Text „Besuch“
von Nora Bossong geschrieben im Jahr 2007 handelt von einer einsamen
alten Damen, die die Welt wie eine Fernsehserie vom Fenster aus
beobachtet. Sie bekommt von einer Figur der Fernsehserie Besuch. Es
kommt zwischen den Beiden zu einem Dialog über die Vergänglichkeit
der Zeit und des Lebens.
Im
Folgenden werde ich den Text „Besuch“ von Nora Bossong wieder
zurück in eine Versfassung setzen und diesbezüglich meine
Entscheidungen begründen.
Besuch
(Nora Bossong)
Die
alte Frau sitzt tagelang am Fenster,
hält
ein Taschentuch zu träg, 2
hinaus
in eine weite Welt zu winken,
die
sich nicht mehr betritt. 4
Das
Draußen ist ein Fernsehbild.
Wie
es mir glückt, 6
von
dort ihr Zimmer zu betreten,
bleibt
ihr ein Rätsel. 8
Sie
fragt mich nicht danach, sagt nur:
es
gibt so vieles, das ich nicht verstehe, 10
ach
Mädchen, weißt,
die
Klügste bin ich nicht. 12
Und
hinter ihrem Schatten klafft die Wohnung
die
zu große Schale einer Muschel, 14
vergraben,
in dem Zeitschlick
der
nicht mehr zur Stadt gehört. 16
Es
begann damit, dass sie verzwergte
Jahr
um Jahr, nicht mehr zu finden 18
ihr
mondäner Gang, ihr Blinzeln,
als
brenne ihr verrauchte Luft eines Kiosks in den Augen. 20
Vielleicht
sagt sie und irgendwann
und
will ich nicht weg von ihrem Fenster, 22
sie
ist so dünn geworden,
dass
sie keinen Tag mehr spürt. 24
Ach
Mädchen sagt sie,
weißt,
wir ham ja Zeit. 26
Zunächst
habe ich mir über die Kriterien der Lyrik Gedanken gemacht und die
wesentlichen Aspekte herausgenommen. Ausschlaggebend, um ein Gedicht
als ein Gedicht zu identifizieren, ist unter anderem die äußere
Form. Typische Gedichte sind in Strophen und Verse gegliedert.
Allerdings gibt es auch Ausnahmen, bei denen uns ein Gedicht
vorliegt, es aber nicht die klassischen Merkmale der äußeren
Gestaltung aufweist. Zu Beginn habe ich dementsprechend den Text von
Nora Bossong in Strophen und Verse eingeteilt. Hierbei habe ich auf
die inhaltlichen Aussagen Bezug genommen, da es keinerlei
Reimschemata oder metrische Strukturen gibt, nach denen man sich
richten könnte. Bei jedem neuen thematischen Abschnitt habe ich eine
neue Strophe begonnen. Bei der Einteilung der Verse bin ich ebenfalls
auf die Thematik eingegangen und habe vermehrt darauf geachtet, die
Sätze ordentlich zu trennen, sodass immer ein Sinnabschnitt einem
Vers entspricht. Außerdem war es mir wichtig, dass das Gedicht
flüssig zu lesen ist. Grundlegend für das Gedicht sind freie
Rhythmen und Verse mit unterschiedlicher Länge. Die von mir
erstellte Variante des Gedichtes besteht insgesamt aus sieben
Strophen, wobei sechs davon mit vier Versen bestückt sind und eine
Strophe nur aus 2 Versen besteht.
Die
erste Strophe, die aus vier Versen besteht, habe ich so gestaltet, da
es hier um die Situationsbeschreibung der alten Dame geht. Man
bekommt einen groben Überblick über die Thematik des Gedichtes. Die
alte Dame wird hier als eine Person dargestellt, die sehr einsam und
träge ist. Sie traut sich nicht mehr, die wahre Welt zu betreten und
schaut stattdessen aus dem Fenster, um sie zu beobachten. In der
zweiten Strophe wird die Thematik der ersten Strophe im ersten Vers
noch genauer definiert, danach tritt das lyrische – Ich aktiv ein.
Es kommt aus der Außenwelt, welche mit einem „Fernsehbild“
(V.6)
beschrieben wird, zu Besuch. Für die Dame bleibt es ein „Rätsel“
(V. 8), wie der Besuch von der Welt draußen in ihre Räumlichkeiten
gelingt. In der dritten Strophe beginnt eine Art Dialog zwischen der
alten Dame und dem lyrischen – Ich. Es geht darum, dass die alte
Dame viele Dinge nicht versteht und sich dann selbst als „nicht die
Klügste“
(V.12)
bezeichnet. Möglicherweise spricht sie hier von vergangenen
Handlungen oder Dingen, die sie getan oder auch nicht getan hat und
nun bereut. Die vierte Strophe bringt ihre Einsamkeit und
Abgeschiedenheit von den Menschen und der Welt, außerhalb ihrer
Räume zum Ausdruck. Sie lebt in ihrer viel zu großen Wohnung,
völlig abgegrenzt in einem Bezirk, „der nicht mehr zur Stadt
gehört.“ (V.16). Die fünfte Strophe beschreibt, wie es überhaupt
dazu gekommen ist, dass die alte Dame heute so einsam ist. Sie hat
sich stark zurückgezogen und mit der Zeit hat sie ihren „mondäne[n]
Gang“ (V.19) verloren und ihren attraktiven Körper. Die sechste
Strophe bringt zum Ausdruck, dass die alte Dame sich nur unterbewusst
darüber im Klaren ist, dass ihre Lebenszeit nicht endlich ist. „Sie
ist so dünn geworden, dass sie keinen Tag mehr spürt“
(V.23
+ 24). Aber dennoch spricht sie von „vielleicht […] und
irgendwann“
(V.21),
was verdeutlicht, dass sie eben doch davon ausgeht, sie habe genügend
Zeit, Dinge zu erleben. Die letzte Strophe besteht aus lediglich 2
Versen. Diese zwei Verse beinhalten, nach meinem Empfinden, die
wichtigste Aussage des ganzen Gedichtes und sollen wie eine Pointe
wirken. Hier kann man an zwei verschiedenen Seiten ansetzen und
interpretieren. Auf der einen Seite wird zum Ausdruck gebracht, dass
die alte Dame sich tatsächlich über ihre eigene Vergänglichkeit
nicht bewusst ist. Sie geht davon aus, sie habe noch genug Zeit, um
vielleicht versäumte Dinge nachzuholen oder gar neue Erfahrungen
noch zu machen. Auf der anderen Seite könnte man die Aussage aber
auch so deuten, dass sie sich der Vergänglichkeit der Zeit bewusst
ist, sie aber unterschätzt hat. Sie wollte „vielleicht […] und
irgendwann“
(V.
21) etwas ausleben. Hier könnte man Bezüge zur Liebe nehmen. Sie
wollte „vielleicht [..] und irgendwann“
(V.21)
die Liebe genießen, aber hatte die Vergänglichkeit der Zeit und des
Lebens nicht im Blick. Des Weiteren kann man den Inhalt und die Form
in Beziehung bringen. Zuerst ist die Form, wie auch ihr Leben, eher
monoton und eintönig. Es passiert nichts Spannendes. Tag um Tag
vergeht mit dem gleichen Ablauf, die Dame sitzt am Fenster und
beobachtet, aus ihrer Abgeschiedenheit heraus, die Menschen und die
Welt. Genauso ist auch die äußere Form aufgebaut, jede Strophe
besteht gleichermaßen aus 4 Versen. Doch mit dem Besuch und der
vorgestellten Unterhaltung mit dem lyrischen – Ich wird die alte
Dame etwas aktiver. Am Ende des Gedichtes sagt sie: „wir ham ja
Zeit“
(V.26).
Diese Aussage wirkt fast so, als würde sie versuchen sich selbst
davon zu überzeugen, sich wieder in die Welt zu integrieren, soziale
Kontakte zu pflegen und wieder ein Teil der Menschen in der Zukunft
zu sein. So könnte sie natürlich viele verpasste Dinge nachholen.
Aufgabe
2)
Der
Schluss des Textes rekurriert auf den Vers „Wir haben Zeit“ des
in der Vorlesung behandelten Gedichts „Ach Liebste, lass uns eilen“
von Martin Opitz an. Führen Sie kurz aus, welche Funktion dem Vers
im Rahmen des Gedichts von Opitz zukommt und welche Bedeutung er im
Rahmen des Gedichts von Nora Bossong erhalten kann. (Umfang: eine
halbe bis zwei Drittel DIN-A4-Seite)
Bei
dem Gedicht von Martin Opitz „Ach liebste lass uns eilen“ kommt
dem Vers „Wir haben Zeit“ eine andere Bedeutung, im Vergleich zu
dem Text „Besuch“ von Nora Bossong, zu.
Bei
Opitz soll der Vers „Wir haben Zeit“ nicht ausdrücken, dass die
Protagonisten tatsächlich viel Zeit haben und nicht eilen müssen,
sondern das Gegenteil. Es soll vermittelt werden, dass die Zeit
begrenzt ist und sie sich deshalb beeilen müssen. Es wird ein
enormer Zeitdruck übermittelt, eine gewisse Sache in möglichst
kurzer Zeit zu erledigen. Es wirkt so, als wäre es dem lyrischen –
Ich ein großes Anliegen, diese Sache möglichst schnell zu beenden.
Hinsichtlich des Kontextes des Gedichtes wird klar, dass der Mensch
der Zeit unterliegt und an diese gebunden ist. Mit der Zeit schwindet
die Schönheit und die Jugend. Aufgrund dessen ist es den
Protagonisten wichtig, die Zeit zu nutzen. Bei Nora Bossong ist der
Vers „Wir haben Zeit“ anders zu deuten. Es gibt meiner Meinung
nach zwei Ansätze der Interpretation. Man könnte davon ausgehen,
dass die Frau sich ihrer Vergänglichkeit nicht bewusst ist. Sie ist
sich nicht im Klaren darüber, dass ihre Zeit begrenzt ist und dass
alles, was sie erleben will, zu Lebzeiten tun muss, da das Leben
endlich ist. Andererseits könnte man auch interpretieren, dass die
Frau sich ihrer Vergänglichkeit bewusst ist, sie allerdings
unterschätzt hat. Sie wollte viele Dinge erleben, hat dies aber
verpasst zu tun. Nun neigt sich ihre Zeit dem Ende zu und ihr wird
immer bewusster, was sie alles versäumt hat, da sie sich ihrer
Bestimmung nicht bewusst war. Aufgrund dieser Fehleinschätzung
regiert nun die Einsamkeit ihr Leben.
Interessant
dabei ist, dass bei beiden Gedichten die Vergänglichkeit eine große
Rolle spielt. Hier ist ein barockes Motiv nachzuweisen. Den Gedanken,
den man mit „carpe – diem“ umschreibt, ist in beiden Gedichten
spürbar. Es geht darum, die Zeit und den Augenblick zu genießen und
nichts zu versäumen. Diese Wortfolge soll eine Art Apell sein und
dazu auffordern seine verbliebene Zeit sinnvoll zu investieren. Die
Zeit ist ein wertvolles Gut, welches man wertschätzen und ausnutzen
sollte. Allerdings scheint dieser Gedanke bei Opitz deutlicher
formuliert und erkannt, als bei Nora Bossong.
Aufgabe
3)
Lesen
Sie das folgende Gedicht mehrmals und legen Sie exemplarisch unter
Rekurs auf konkrete Textpassagen kurz dar, welche Wirkung es auf Sie
hat (welche Vorstellung oder Imagination, Stimmung oder Gedanken es
bei Ihnen wachruft). Begründen Sie ausgehend hiervon anschließend,
weshalb Georg Trakl den umarmenden Reim und keinen Paar- oder
Kreuzreim gewählt hat. (Umfang: eine halbe DIN – A4 – Seite)
Georg Trakl: Im
Winter (1913)
Der Acker leuchtet
weiß und kalt.
Der Himmel ist
einsam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über
dem Weiher
Und Jäger steigen
nieder vom Wald.
Ein Schweigen in
schwarzen Wipfeln wohnt.
Ein Feuerschein
huscht aus den Hütten.
Bisweilen schellt
sehr fern ein Schlitten
Und langsam steigt
der graue Mond.
Ein Wild verblutet
sanft am Rain.
Und Raben plätschern
in blutigen Gossen.
Das Rohr bebt gelb
und aufgeschossen.
Frost, Rauch, ein
Schritt im leeren Hain.
Das Gedicht „Im
Winter“ von Georg Trakl wirkt auf mich zunächst sehr distanziert.
Ich fühle mich nicht direkt angesprochen oder betroffen. Ich denke
der Leser bekommt diesen Eindruck aufgrund des beobachtenden
lyrischen – Ichs. So wird eine Distanz zwischen dem Leser und der
Gedichtsaussage geschaffen. Dennoch bringt es eine düstere Stimmung
in mir zum Vorschein. Auffällig ist die Häufung negativ
konnotierter Begriffe, die die Kälte oder Leblosigkeit beschreiben.
Beispiele lassen sich in Strophe eins, Vers eins und zwei „weiß
und kalt“ und „ungeheuer“ oder in Strophe zwei Vers zwei
„schwarze Wipfeln“ und Strophe drei Vers eins „verblutet
sanft“, finden. Wenn ich dieses Gedicht lese, stelle ich mir zu
jeder Strophe ein anderes Bild vor, welches immer im Hintergrund
einer weiß bedeckten Winterlandschaft spielt. Bei der ersten Strophe
erscheint mir eine mit Schnee bedeckte Waldlandschaft. Dort fliegen
Vögel und die Jäger sitzen auf ihren Hochsitzen und warten auf
Wild, das sie schießen können. Es geht eher um das stille
Beobachten und nicht um eine aktive Handlung, die gerade durchgeführt
wird. Bei der zweiten Strophe stelle ich mir ein belebteres Bild
vor, es passiert etwas. Das Schweigen ist in die Ferne gerückt und
die Bewegung steht im Vordergrund, Flammen dringen aus den Hütten,
man hört einen fahrenden Schlitten und der Mond beginnt am Himmel
empor zu steigen. Die dritte und letzte Strophe verstärkt das Bild
der Bewegung. Wild verblutet, was bedeutet, dass das ganze Blut aus
dem leblosen Körper des Tieres austritt. Auch die Beschreibung der
Raben, die in blutigen Gossen plätschern, zeigt Dynamik. Das Gefühl
der Bewegung wird für mich durch das Versmaß unterstützt. Hier
liegt ein Jambus vor. Auf eine unbetonte Silbe folgt eine betonte.
Dadurch kommt es für mich zu einem dynamischen Lesen. In diesem
Gedicht zeigt sich eine sehr bildhafte Sprache. Eine Metapher findet
sich direkt in der ersten Strophe im zweiten Vers „Der Himmel ist
einsam und ungeheuer“. Ein weiteres Beispiel zeigt sich in Strophe
zwei Vers eins „Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt“. Diese
Darstellungen führen dazu, dass man sich selbst Bilder vorstellt,
wie das Gedicht in einem Bild zusammengefasst dargestellt werden
kann. Die eigene Vorstellung und auch die Interpretation wird durch
solche Bilder angeregt. Man ist gewillt, auf einzelne Textpassagen
näher einzugehen und zu überlegen, was sie einem sagen wollen.
Georg Trakl hat hier als Reimschema einen umarmenden Reim gewählt,
welcher auch wieder zu meiner Vorstellung der drei Strophen mit
jeweils einem anderen Vorstellungsbild passt. Ein umarmender Reim
bildet eine Einheit. Es grenzt die Strophen noch einmal deutlicher
voneinander ab. Darüber hinaus trägt er auch zur Erzeugung der
düsteren Stimmung bei. Hätte er ein anderes Reimschema, wie einen
Paarreim gewählt, fände ich dies nicht passend. Ein Paarreim hat
für mich immer etwas mit Harmonie zu tun. Er wird oft bei Gedichten
verwendet, die von der Liebe handeln. In diesem Gedicht geht es aber
nicht um schöne und freudige Situationsbeschreibungen, sondern eher
um eine düstere und bedrohliche Darstellung des Winters, weshalb der
umarmende Reim sehr passend ist.