Analyse „Die Physiker“:
Schlussmonologe (S.85-87)
Die vorliegende Szene stammt aus der
Komödie „Die Physiker“, die im Jahr 1962 von Friedrich
Dürrenmatt verfasst wurde. Das Drama spielt im Salon einer, zu einer
Irrenanstalt umfunktionierten, Villa und thematisiert die
Verantwortung der Wissenschaft gegenüber der Menschheit. Im
Mittelpunkt stehen drei Physiker, die, um ihre Ziele zu verfolgen, im
Sanatorium leben, das von der verrückten Irrenärztin Mathilde von
Zahnd geleitet wird. Im Verlauf des Dramas stellt sich heraus, dass
keiner der drei Patienten verrückt ist. Herbert Georg Beutler,
genannt Newton, da er sich für diesen hält, und Ernst Heinrich
Ernesti, Einstein genannt, sind in Wahrheit Spione zweier
Geheimdienste, die an den Forschungsergebnissen des Mitpatienten
Möbius interessiert sind. Auch Johann Wilhelm Möbius gibt seinen
labilen Geisteszustand lediglich vor, um seine Genialität zu
verbergen. In der zu analysierenden Szene finden sich die drei
Wissenschaftler, nach der Vereinbarung in der Nervenheilanstalt zu
bleiben, mit ihrem Schicksal ab. Sie nehmen ihre gewohnten Rollen,
als Sir Isaac Newton, Albert Einstein und König Salomo endgültig an
und schildern ihren Lebenslauf. In der folgenden aspektorientierten
Analyse wird näher auf das zum Ausdruck kommende
Wissenschaftsverständnis der drei Figuren und die Bedeutung der
Selbstvorstellungen in Bezug auf das gesamte Stück eingegangen.
Durch die Reihenfolge, in der sich die Physiker vorstellen, werden
die negativen Entwicklungen der Wissenschaft und die Konsequenzen für
die Menschheit verdeutlicht.
Zu Beginn der
Szene stellt sich Alec Jasper Kilton als Newton vor. Isaac Newton
verkörpert die reine Wissenschaft (S.86). Zu seiner Zeit werden
lediglich die Ergebnisse der Forschung betrachtet und nicht, wie
diese angewendet werden sollen. Wissenschaftliche Resultate gelten
als unumstrittene Erfolge für die Menschheitsentwicklung (S.86).
Kritische Folgen werden nicht bedacht oder berücksichtigt, obwohl er
als Universalgelehrter die Theologie miteinbezieht und somit eine
Einheit aus Wissenschaft und Moral bildet, zwei Bereiche, die sich
gegenseitig ausschließen (S.86). Darauf folgen der Monolog von
Joseph Eisler und eine Entwicklung des Wissenschaftsverständnisses.
Eisler sagt, dass er Albert Einstein sei (S.86). Einstein ist
Vertreter der pragmatischen, angewandten Physik. Als Philanthrop
(S.86) beschäftigt er sich intensiv mit den Folgen, die seine
Forschungsergebnisse mit sich bringen, allerdings erst nachdem er
seine Erfindung, die Atombombe, an politische Machthaber abgab
(S.86). Es entsteht der erste Zwiespalt zwischen Wissenschaft und
ihrer Politisierung. Die Auswirkungen der Forschung kommen zum
Vorschein und Albert Einstein gerät in einen Gewissenskonflikt, weil
seine Ergebnisse nicht mehr kontrollierbar sind und auf seine
Empfehlung hin gebaut und somit als Machtmittel genutzt werden. Dies
ist der Auslöser dafür, dass er sich intensiv mit der moralischen
Verantwortung des Wissenschaftlers auseinandersetzt. Beim dritten
Physiker Johann Wilhelm Möbius findet die endgültige Resignation
mit dem König Salomo statt: „Ich bin Salomo. Der arme König
Salomo.“ (S.86). Es kommt zu einem Rückblick auf die „Zeit des
Friedens und der Gerechtigkeit“ (S.86). Wobei die Zukunftsvision
eine desolate Lage voll Selbstzerstörung und der Erfüllung des
Raumfahrerpsalms (S.40) darstellt. Jegliches Bewusstsein für die
Verantwortung der Menschheit kommt zu spät. Die Katastrophe kann
nicht mehr verhindert werden. Der einst reiche, weise und mächtige
König Salomo ist arm und elend geworden. Wie er hat auch die
Wissenschaft ihre ursprüngliche Kraft und Macht verloren. Sie hat
ihre ethische Verantwortung zu spät erkannt und die Menschheit ins
Elend geführt. In Bezug auf das gesamte Stück symbolisiert die
Schlussszene nicht nur den weiteren Verlauf des Dramas, sondern auch
die Handlung, die bereits eingetreten ist. Newton und Einstein, oder
auch Kilton und Eisler, waren zunächst nur an der reinen
Wissenschaft interessiert ohne die Folgen ihres Handelns zu
bedenken. Bis bei ihnen, durch Möbius, ein Sinneswandel eingetreten
ist. Sie werden sich ihrer Verantwortung bewusst, auch die Folgen
ihrer Forschungsergebnisse zu hinterfragen, ihnen wird klar, dass,
wenn sie die Erfolge von Möbius veröffentlichen, es ihnen nicht
mehr möglich ist diese zu revidieren (S.77). Durch die habgierige
Ärztin Mathilde von Zahnd wird es in naher Zukunft zur Katastrophe
kommen. Sie ist sich keiner Verantwortung bewusst (S.83), daher wird
es zur Zukunftsvision des Physiker Möbius kommen. Diese zeigt die
Menschheit und ihre wissenschaftliche Erfolge im Endzeitstadium. Es
kommt zur Erlöschung der Menschheit, auch wenn sich die Menschheit
ihrer Verantwortung bewusst wird. Jeglicher Sinneswandel kommt zu
spät.
Abschließend lässt sich sagen,
dass die Schlussmonologe eine zentrale Rolle im Drama Friedrich
Dürrenmatts spielen. Sie fassen das Geschehen der Hauptthematik, die
Verantwortung der Wissenschaft gegenüber der Menschheit, in wenigen
Seiten metaphorisch zusammen. Durch die Schlussszene wird deutlich,
dass wir uns während der Entstehungszeit der Komödie in der dritten
Stufe der Entwicklung der Wissenschaft beziehungsweise der
Menschheitsentwicklung befinden. Die Wissenschaft kann durch die
Abgabe der Atombombe an die Machthaber die gesamte Menschheit
zerstören. Jegliches moralisches Bewusstsein wird ab einem
bestimmten Zeitpunkt zu spät kommen.
Sende den Text als PDF kostenlos an mich
| |
|
|