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Aufsatz
Politik

Gymnasium Landau

14 Punkte, 2013

Anton B. ©
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Der Fall Thilo Sarrazin - Ein Missbrauch des öffentlichen Amtes?

Das Spannungsverhältnis zwischen Person, Werk und Praxis


Sozialkunde LK 12 – – 15.01.2013


Um politische Aussagen und ihre Wirkung einer Analyse unterziehen zu können, ist es oftmals wichtig, sie im Kontext zu ihrem Verfasser zu betrachten.

Das beste Beispiel hierfür ist Thilo Sarrazin und sein im Jahr 2010 erschienenes Buch „Deutschland schafft sich ab“. Mit seinen provokanten Thesen rund um die Immigrationsdebatte in Deutschland wurde Sarrazin von der politischen Klasse stark kritisiert.

Doch mehr als 1,5 Millionen verkaufte Exemplare, welche das Buch zu einem Bestseller werden ließen, zeigen klar auf, dass Sarrazin auch auf Sympathisanten in der deutschen Gesellschaft gestoßen ist.

Wäre ein mit ähnlichen Thesen aufgemachtes Buch vom braunen Rand des politischen Spektrums erschienen, hätte es wohl nicht nur einen Hauch der Aufmerksamkeit erhalten, die Sarrazin mit seinem Buch geerntet hat.

Doch genau hier liegt der Punkt: Sarrazin ist eben kein NPD-Funktionär, sondern mit dem Erscheinen seines Buches noch Spitzenbeamter und langjähriges Mitglied der SPD. Hieraus ergeben sich verschiedene Perspektiven: Zum einen lassen seine berufliche akademische Laufbahn und sein hoher Erfahrungsschatz seine Thesen bei einem breiten Teil der Bevölkerung ankommen, zum anderen aber ergibt sich eine Kontroverse zwischen den Aussagen Sarrazins und seiner politischen Stellung in einem öffentlichen Amt.

Um Ersteres nachvollziehen zu können sind Kenntnisse über den Werdegang des Autors notwendig:

Thilo Sarrazin wurde 1945 in Gera geboren. Nach seinem Abitur promovierte er 1973. In dieser Zeit trat er der SPD bei und ist seither Mitglied. In den Jahren 1975 bis 2010 verfolgte Sarrazin Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, darunter Posten wie der Referatsleiter im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung oder Referent im Bundesministerium der Finanzen.

In den Jahren 2000 bis 2001 war er im Führungswesen der Deutschen Bahn tätig. In den folgenden Jahren war Sarrazin Berliner Finanzsenator. Ab 2009 bis zu seinem erzwungenen Ausscheiden im September 2010, also einen Monat nach der Veröffentlichung seines Buches, war Sarrazin ein Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbank. 1

Das hinter der Person Thilo Sarrazin also ein ehemaliger Spitzenbeamter mit nicht geringem Einfluss, vor allem auf die Berliner Politik steht, lässt sich auch von Sarrazin Kritikern nicht abweisen. Sarrazins Werdegang hat also maßgeblich zu der Aufnahme seiner umstrittenen Thesen in der Bevölkerung beigetragen.

Gleichzeitig, und nun komme ich auf die weitere Perspektive des Verhältnisses zwischen Person und Werk bei Sarrazin zu sprechen, ist Sarrazin mit seinen Äußerungen sowohl in Interviews vor der Erscheinung seines Buches, als auch direkt in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ nicht dem erwarteten Auftreten nachgekommen, welches man sich bei einem Politiker in einem öffentlichen Amt vorstellt.

§ 33 Grundpflichten

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.


Daraus folgt, dass sich ein Beamter bei seiner Wortwahl zurückhalten muss und plakative, überspitzte Formulierungen, oder in reißerischer Form verfasste Kritik, unterlassen sollte.

Dass nicht nur die Umstände um die Person Einfluss auf Werk nehmen können, sondern auch das Werk auf die Person, zeigt der erzwungene Austritt Sarrazins aus dem Vorstand der Bundesbank und auch zwei gestartete Ausschussverfahren aus der SPD nach Erscheinen seines Buches.

In diesem konkreten Fall wirkt sich der Werdegang der „Person Sarrazin“ also positiv auf sein Werk „Deutschland schafft sich ab“ aus. Nur auf Grund dieser Einwirkung wurde das Buch zumindest in Teilen der Bevölkerung ernst genommen. Gleichzeitig aber wurde versucht Sarrazin von seinem öffentlichen Amt in der Bundesbank zu entledigen.

Wie sich allerdings auch Außenstehende das Verhältnis der Äußerungen zur gescheiterten Immigrationspolitik eines Spitzenbeamten zu Gute legen können, zeigt die Reaktion des Parteivorsitzenden der NPD Udo Voigt. In einem Interview sieht er mit den Äußerungen Sarrazins die Chance für erfolgreiche Verfahren, seine Partei wegen Verfassungsfeindlichkeit zu belangen, schwinden.

Mit den Äußerungen Sarrazins, einem etablierten Politiker wie ihn Voigt bezeichnet, sieht der NPD-Parteivorsitzende die Aussagen seiner Partei als „salonfähiger“ an. 2

Im bisherigen Verlauf meiner Ausführungen bin ich auf das Verhältnis zwischen der Person Thilo Sarrazin und seinem Werk „Deutschland schafft sich ab“ eingegangen. Nun werde ich sowohl auf den praktischen Einfluss, also die direkte Politik Sarrazins, als auch auf die Folgen seines Werkes in der Praxis eingehen.

Doch in seiner Position als Berliner Finanzsenator hatte Sarrazin definitiv praktischen Einfluss in die Finanzpolitik Berlins. Es ist unklar in welchem Maße Sarrazins Denken bezüglich seiner Kritik am Deutschen Sozialstaat in sein politisches Wirken eingeflossen ist.

Die Folgen seines vor zwei Jahren erschienen Buches hingegen sind leichter ersichtlich. Sarrazins provokante Thesen, zu bisherigen Tabu-Themen der Deutschen Politik, die in einer Kooperation mit der Bild-Zeitung bereits vor dem eigentlichen Erscheinen des Buches veröffentlicht wurden, haben eine Immigrationsdebatte in der Bevölkerung ausgelöst.

Viele Menschen sympathisierten mit Sarrazin, weil er Themen ansprach, zu dessen sich öffentlich die Politische Klasse nicht äußern wollte. In der politischen Umsetzung, also der politisches Praxis, ist keine Wirkung, welche sich auf sein Buch zurückführen lässt, ersichtlich.

„Als Karl Marx das Kapital geschrieben hatte, wäre die Frage ein Jahr danach ob sich was verändert hat, eine verfehlte geworden. Diese Frage konnte man dann 60 Jahre später stellen. Als die Grünen gegründet wurden, haben sie 40 Jahre gebraucht bis die ersten Kernkraftwerke abgeschaltet wurden.“ 3

Die Einflüsse auf die Praxis, ausgelöst durch Sarrazins Werk, sind, wenn sie überhaupt existieren, sehr gering. Die Gedanken vieler Menschen in der Bevölkerung wurden allerdings durch die Immigrationsdebatte sehr wohl beeinflusst.

Inwiefern dieses beeinflusste Denken sich in die Politik einwirken wird, kann, und hier muss man Sarrazin in gewisser Weise zustimmen, nur die Zukunft zeigen.

Ob nun hinter dem Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine erfolgreiche Marketingstrategie zum mehrfachen Millionär steht, bei der sich Sarrazin seinem seriösen Berufsumfeld bedient hat, oder der Ansatz einer ernst gemeinten, bedeutenden Debatte über die Zukunft und Immigration Deutschlands, darüber kann und muss sich jeder selbst eine Meinung bilden.

2 NPD-Vorsitzender Udo Voigt im Interview mit dem Ersten, Report Mainz am 30.08.2010, abgerufen unter: zuletzt geprüft: 13.01.2013, 20:06

3 Talkshow Markus Lanz vom 07.09.2011, abgerufen unter zuletzt geprüft: 14.01.2013, 18:40


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