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Fachbereichsarbeit
Politik

Technische Universität Darmstadt

1,3, Dr. David Salomon, 2010

Josefine C. ©
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ID# 44854







Technische Universität - Institut für Politikwissenschaft


Analyse der Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert als Unterrichtsgegenstand


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sachanalyse des Unterrichtsgegenstands „Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert“

3. Klafkis Theorie der kategorialen Bildung und das Konzept der diaktischen Analyse

4. Didaktische Analyse des Unterrichtsgegenstands „Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert“

5. Lernzielbestimmung und Bildungsstandards des Landes Hessen für den Politik- und Wirtschaftsunterricht

5.1 Politik und Wirtschaft, Klasse 10: Die Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert

5.2 Die Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert und der Bezug zu den hessischen Bildungsstandards

6. Reflexion und Ausblick

Literaturverzeichnis

 

1. Einleitung

In dieser Hausarbeit werde ich mich mit der Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert als Unterrichtsgegenstand beschäftigen. Ziel dieser Hausarbeit soll einerseits eine strukturierte Darstellung der Entstehung von Gewerkschaften in Deutschland in Form einer Sachanalyse sein, andererseits, durch eine didaktische Analyse nach Klafki, die Herausarbeitung des „Bildungsgehalts“ dieses Bildungsinhalts.

Auf diese Weise soll geklärt werden, welches größere, gesellschaftspolitisch bedeutende Prinzip anhand dieses Gegenstands durch die SchülerInnen und den Lehrenden erschlossen werden kann.

Zunächst erfolgt im 2. Abschnitt dieser Hausarbeit eine Sachanalyse des Gegenstands „Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert“ ohne didaktische Reduktion. Im 3. Abschnitt werde ich Klafkis Theorie der kategorialen Bildung und sein dazugehöriges Konzept der didaktischen Analyse vorstellen, welches noch heute zur Unterrichtsvorbereitung genutzt wird und auch die pädagogisch-didaktische Grundlage dieser Hausarbeit darstellen soll.

Im 4. Abschnitt werde ich erst meine (geplanten) Unterrichtsvoraussetzungen vorstellen und anschließend Klafkis Grundfragen der didaktischen Analyse auf den Unterrichtsgegenstand „Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert“ anwenden. Im 5. Abschnitt werde ich die Lernziele dieser Unterrichtseinheit festlegen und eine Verbindung zwischen der Thematik und den vom hessischen Kultusministerium geplanten Bildungsstandards für das Fach Politik und Wirtschaft an Gymnasien setzen.

Im 6. und letzten Abschnitt werde ich die Ergebnisse dieser Analyse reflektieren und einen Ausblick darauf geben, in welcher Weise die Vorbereitung des Gegenstands für den Unterricht noch ergänzt werden könnte.

Den methodischen Aspekt der Unterrichtsvorbereitung lasse ich in dieser Hausarbeit außer Acht und konzentriere mich in erster Linie auf die didaktisch-inhaltliche Vorbereitung und Reflexion der Thematik.


2. Sachanalyse des Unterrichtsgegenstands „Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert“

Es ist verständlich, dass in diesem Rahmen nur eine verkürzte Darstellung der Gewerkschaftsentstehung erfolgen kann, widmeten doch bereits zahlreiche Autoren der detaillierten Betrachtung dieser Entwicklung umfangreiche Bücher[1].


Bei der Betrachtung der ersten Entwicklungsjahre der Gewerkschaften in Deutschland scheint es zunächst sinnvoll, ein Entstehungsjahr festzulegen und sich anschließend mit den Ereignissen der darauf folgenden Jahre zu beschäftigen. Leider lässt sich jedoch kein exaktes Gründungsjahr der deutschen Gewerkschaftsbewegung angeben, da der Entstehungsverlauf über Jahrzehnte hinweg von zahlreichen ökonomischen, sozialen und rechtlichen, sich verändernden Bedingungen beeinflusst wurde.

Grundsätzlich lässt sich jedoch ein grober Entstehungszeitraum der gewerkschaftlichen Interessenvertretung zwischen den 1840er und 1970er Jahren feststellen, so Schönhoven[2]. Ich werde mich in dieser Hausarbeit auf den Entstehungszeitraum zwischen 1840 und 1862 konzentrieren.

Die Tatsache, dass grundsätzlich der Glaube an die Macht der Selbsthilfe erst gefasst, die solidarische Interessenvertretung erst erlernt und institutionelle Formen der gewerkschaftlichen Willensbildung erst gefunden und getestet werden mussten, gibt einen ersten Hinweis darauf, warum eine sprunghafte Evolution von Zünften zu Gewerkschaften im 19. Jahrhundert nicht möglich war[3].

In den Jahren zwischen 1830 und 1870 vollzog sich ein rasanter Aufstieg des deutschen Industriekapitalismus, was für die Menschen eine in allen Lebensbereichen einschneidende Umbruchphase bedeutete. Sie mussten sich an völlig neue Existenzbedingungen und Erwerbssituationen anpassen und tradierte Alltagsgewohnheiten ablegen, während sich gleichzeitig die bis dato relativ stabile Gesellschaftsordnung auflöste.

Die Durchsetzung der industriellen Lohnarbeit, die Verdrängung der traditionellen Gewerbe und der Übergang zur technisch-mechanischen Massenfertigung sorgte in diesem Rahmen für eine völlige Veränderung der bisherigen wirtschaftlichen Umwelt in Deutschland und letztendlich auch zur Marktabhängigkeit der Arbeit. Folgen dieses schwerwiegenden Wandels waren neben massivem Bevölkerungswachstum auch Binnenwanderungsprozesse und Urbanisierung.  All diese Merkmale der kapitalistischen Modernisierung wirkten auf die hilflose und zunehmend verarmende Bevölkerung desorientierend und beängstigend ein[4].

Die damals massenhaft auftretenden freien Lohnarbeiter kennzeichneten sich dadurch, dass sie zwar rechtlich frei waren, jedoch keinerlei Eigentum besaßen und deshalb darauf angewiesen waren, ihre an ihre Person gebundene Arbeitskraft, also ihre Produktionsmittel, zu den jeweils vom Markt diktierten Konditionen zur Verfügung zu stellen.

Zu diesem Zeitpunkt wurde die menschliche Arbeitskraft unter rein kommerziellen Aspekten bewertet und als Ware beurteilt, während die sozialen Beziehungen innerhalb der Produktionsprozesse weg rationalisiert wurden.

Die Problematik des Proletariats bestand nun darin, dass es seine Produktionsmittel, namentlich sein Angebot an Arbeitskraft, nicht zurückhalten konnte, um bessere Marktbedingungen auszuhandeln, da es keinerlei Vorrat an Konsumgütern besaß und soziale Versorgungseinrichtungen im Fall von Arbeitslosigkeit noch nicht vorhanden waren.

Auch die Vertragsabsprachen zwischen  Unternehmer und Arbeiter wurden durch keinerlei rechtlichen Rahmen reguliert, was das willkürliche Verhalten der ökonomisch überlegenen Prouktionsmitteleigentümer zusätzlich unterstützte[5].

So war der damalige Arbeiter der jeweiligen Marktsituation vollends unterworfen und musste trotz prinzipiell rechtlicher Freiheit immer wieder erfahren, dass sein Leben in allen Bestandteilen fremdbestimmt wird. Aus dieser elenden und bedrückenden Lage, die sich auch auf die Kinder vererbte, konnte sich das Proletariat nicht befreien, da es niemals bessere Lohnbedingungen hätte aushandeln können, ohne zuvor durch einen der anderen massenhaften, anspruchsloseren Arbeiter ersetzt zu werden, obwohl der angebotene Lohn nicht einmal für die kargsten Bedürfnisse ausreichend war.

Dies gründete sich auf einer völlig unreflektierten und mechanischen Interpretation des Liberalitätsprinzips, das zur damaligen Zeit vorherrschend war. So wurde grundsätzlich jede staatliche Regulierung, die die unabhängige Absprache zwischen Unternehmer und Arbeiter betraf, als abträglich für die Wirtschaftsentwicklung und die natürliche Preisbildung angesehen[6].

Breuer unterstellt hierbei auch, dass diese Ideologie den Unternehmern dabei half, trotz eindeutig einseitiger Interessenstandpunkte mit ihrem Gewissen ins Reine zu kommen[7].

Fundamental für die Entwicklung der Gewerkschaften in Deutschland war nach Schönhoven in jedem Fall der soziale Konflikt, wobei jedoch zwischen protoindustriellen, kurzfristig angelegten Revolten, Arbeitsniederlegungen oder Protesten, modernem Konfliktverhalten und klassenspezifischen Konfrontationen unterschieden werden muss, auch wenn sich der Übergang als fließend erweist[8].

Wie bereits erwähnt wuchs die Massenarmut der besitzlosen Unterschichten in den ersten 50 Jahren des 19. Jahrhunderts massiv an, weswegen die Kette spontaner (illegaler) Tumulte, Hungerkrawalle und Maschinenstürmereien im Zuge des wirtschaftlichen und sozialen Umbruchs bald nicht mehr abzureißen schien.


Der Unterschicht hatten die Folgen der Industrialisierung bislang nur Orientierungsverlust und Existenzunsicherheit beschert, weswegen diese durchweg mit Aggressivität und uneingeschränkter Ablehnung auf die Veränderungen reagierte. Besonders in der Zeit des Vormärz ist eine klare Zuordnung der Konflikte zu sozialen Protesten oder streikähnlichen Auseinandersetzungen nicht mehr möglich, was das neben- und ineinander Verlaufen der Entwicklungslinien untermauert[9].

Die langwierige Entwicklung von unorganisierten Gewaltausbrüchen aus Verzweiflung des Proletariats zu „solidarischen, disziplinierten und längerfristig angelegten Kampfformen“[10] vollzog sich in den unterschiedlichen Gewerben jedoch keineswegs analog. Die ersten Schritte in Richtung einer geregelten Willensbildung und organisierten Interessenartikulation gingen im Grunde die städtischen Handwerker mit zünftiger Konflikterfahrung, wie Schuster, Maurer, Setzer oder Drucker, und die aus dem Industrialisierungsprozess entstandenen neuen Berufsgruppen, wie die Tabak- und Maschinenarbeiter.

Die Zunfttradition wirkte im handwerklichen Gewerbe als Grundlage für z.B. Unterstützungs- und Sterbekassen und für erste Mittel der Selbsthilfe, sofern Petitionen und Verhandlungen mit dem Arbeitgeber keine Wirkung zeigten. Da ständische Leitbilder und die Zunftgemeinschaft zu dieser Zeit an Bedeutung und Funktion einbüßten und sich der Gesellenstatus als Dauerzustand etablierte, begannen die Gesellen, ein neues und diffenzierteres Problembewusstsein zu entwickeln und ihre Organisation zu verbessern, was u.a. den Anstoß für den Aufbau von gewerkschaftsähnlichen Solidargemeinschaften und die Formulierung von Mündigkeits- und Selbstbehauptungsvorstellungen bot.

Daran wird deutlich, dass Gewerkschaften nicht allein aus Armut und Elend hervorgehen konnten[11].

Im Jahr 1848 wurde im Zuge der Märzkämpfe das Koalitions- und Versammlungsrecht gelockert, was den legalen Handlungsrahmen von bereits existierenden Vereinen etwas erweiterte, während sich in der Bevölkerung gleichzeitig eine gewisse Aufbruchstimmung breit machte und sie sich von der erzwungenen Bevormundung und Unterdrückung durch die Obrigkeit befreien wollte.

Die ersten Anstöße für eine tatsächlich permanente Organisation erfolgten auch in den Revolutionsjahren zwischen 1848 und 1849 und gingen nicht vom Not leidenden Frühproletariat, sondern von den relativ wohlhabenden und angesehenen Arbeitern und Handwerkern des Druckgewerbes und der Tabakindustrie aus.

Die Zigarrenarbeiter und Buchdrucker schafften es über lokale und regionale Ansätze hinaus einen in ganz Deutschland verzweigten Dachverband zu gründen, was sicherlich auch mit der Tatsache zusammenhing, dass zumindest die Tabakindustrie als zunftfreies Gewerbe eine starke räumliche Konzentration auf wenige Regionen aufwies und diese Arbeiter über relativ gute Kommunikationsbedingungen an ihren Arbeitsplätzen verfügten.

Die Motivation, organisatorisch an die bereits bestehenden Unterstützungs- und Bildungsvereine anzuschließen, schöpften die Arbeiter der Tabakindustrie einerseits aus dem Bewusstsein, ungesunde Arbeit zu verrichten, andererseits aus dem Drang, eine soziale Absicherung zu schaffen und eine Steigerung der gesellschaftlichen Wertschätzung ihres Berufes zu erreichen.

Aus diesem Verein stammte auch der Vorstand der im Jahr 1848 neu gegründeten Assoziation der Zigarren-Arbeiter Deutschlands, die nach etwa einem Jahr Organisationszeit rund 1000 Mitglieder in mehr als 70 lokalen Standorten zählen konnte[12].

Seit 1846 wurde auch die Buchdruckerzeitschrift Typographia herausgegeben, die bereits für soziale Reformen warb und erste gewerkschaftliche Charakterzüge aufwies. Im Jahr 1848 wurde mit starkem Zunftbezug der Nationale Buchdruckerverein gegründet, der sich jedoch eher für ein friedliches Miteinander zwischen Prinzipalen und Gesellen stark machte. Dennoch sah er wegen fortschreitenden Rationalisierungsprozessen durch die Erfindung der Schnellpresse ein nationales Tarifsystem für Drucker und Setzer vor[13], was zu Arbeitskämpfen in mehreren Städten und letztendlich auch zum Zerfall des Verbandes führte.

Zum Ende des Jahres 1848 wurde dann der Gutenbergbund gegründet, der schnell rund 3000 Mitglieder in 148 Ortschaften innehatte, sich als Assoziation des Stands der Arbeiterklasse definiert und offensiv Forderungen sozialer Natur vertrat. Wichtig ist es hierbei zu erwähnen, dass weder die Buchdrucker- noch die Tabakarbeiterorganisationen eine soziale Revolution erreichen wollten, sondern sich vielmehr als berufsbezogene Fachvereine verstanden und immer noch einen starken Zunftbezug aufwiesen.

Die Entwicklung ihres programmatischen Profils und ihrer Politik wurde aber dennoch zunehmend klassenspezifischer[14].

Zusätzlich schufen beide Berufsgruppen Zentralisationen auf nationaler Ebene,  statuarisch geregelte Organe der Willensbildung, Vorstände, geregelte Finanzierungen durch Mitgliederbeiträge, Sozialleistungen für ihre Mitglieder, um deren Lebensgrundlage zu sichern und organisierten ihre Arbeitsmarktpolitik und kollektive Streiks.

Aus diesem Grunde kann man die Buchdrucker und Zigarrenarbeiter als Pioniere der deutschen Gewerkschaftsbewegung bezeichnen. Ähnliche Bestrebungen anderer Berufsgruppen dieser Zeit, wie z.B. die der Maschinenbauer, wurden entweder zerschlagen oder blieben in ihrer Entwicklung stecken[15].

Nach langen Diskussionen trat im Jahr 1850 der Zigarrenarbeiterverband, im Gegensatz zu den Buchdruckern, der nationalen und berufsübergreifenden Arbeiterverbrüderung bei, die 1848 während der Revolution gegründet wurde, rund 18.000 Mitglieder zählte und auch die Gewerkschaftsfrage in ihr gesamtgesellschaftliches Reformprogramm aufzunehmen beabsichtigte.

Alle Organisationen dieser Art erlitten 1850 mit der Reaktion der Obrigkeit einen niederschmetternden Schlag, als diese grundsätzlich alle Organisationen als staatsgefährdend definierte, rigoros verbot und 1854 auch das Koalitions- und Streikrecht aufhob. Diese politische Entwicklung überlebte schließlich keiner der drei Dachverbände. Die Etablierung eines Bewusstseins der Lohnarbeiterschaft über Berufsgrenzen und Betätigungsfelder hinweg konnte die staatliche Repressionspolitik der 1850er Jahre aber dennoch nicht bändigen, sondern nur teilweise offen gewerkschaftliche oder politisch organisierte Arbeiterbewegungen unterdrücken.

An dieser Stelle lässt sich noch einmal die Entwicklung der auf nationaler Ebene aufgelösten Verbände der Zigarrenarbeiter und Buchdrucker aufgreifen, deren lokales Fortbestehen ebenfalls nie völlig unterbunden werden konnte und die gemeinsam mit den Schneidern und Schuhmachern die aktivsten Berufsgruppen in der Zeit nach dem Ende der Revolution bildeten.

Aus diesen Kreisen wurden auch ab 1862 führende Funktionäre für die sich neu aufbauenden Arbeiterbewegung rekrutiert. Auch an den sich trotz Androhung drakonischer Strafen vermehrenden Arbeitsniederlegungen, Streiks und Arbeitskämpfen in der Zeit des industriellen Wachstums wird deutlich, wie stark der Behauptungsdrang und wie ungebrochen die soziale Widerstandskraft der Gesellen zu dieser Zeit war.

Auf diese Weise wurde zwischen 1850 und 1860 auch das stetig wachsende Protestpotential der relativ gut verdienenden Arbeiter der sich entwickelnden Fabrikindustrie und die Interessendiskrepanz zwischen Kapital und Arbeit immer deutlicher, während sich die sozialen Konflikte der polizeistaatlichen Beherrschung immer weiter entzogen[17].



Bei der Definition von Didaktik beziehe ich mich auf Jank und Meyer, die diese der Pädagogik zugehörige Wissenschaft als die „Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens“ [19]verstehen, deren Aufgabe es ist, „den Lehrerinnen und Lehrern praktisch folgenreiche Handlungsorientierungen zu geben“[20]. Nach diesen Autoren beschäftigt sich die Didaktik auch mit der Frage, „wer, was, von wem, wann, wo, wie, womit und wozu lernen soll.“[21].

Als pädagogisch-didaktische Grundlage für die Analyse des Unterrichtsgegenstandes „Entstehungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland im 19. Jahrhundert“ habe ich Wolfgang Klafkis bildungstheoretischen Ansatz der kategorialen Bildung und das dazugehörige Konzept der didaktischen Analyse gewählt.

Obwohl die didaktische Analyse und der Ansatz, in den sie eingebettet ist, schon rund fünfzig Jahre alt sind[22], werden sie heute noch wegen ihrer praktischen Anwendbarkeit zur didaktischen Vorbereitung von Unterrichtseinheiten genutzt.

Klafkis Grundlage für seine Theorie der kategorialen Bildung stellten die klassisch-bildungstheoretischen Überlegungen dar, wobei er die Frage aufgriff, mit welchen Inhalten und Gegenständen sich Lernende auseinandersetzen müssten, um schließlich zu selbstbestimmten, vernunftgeleiteten, freien, glücklichen und selbsterfüllten Menschen heranwachsen zu können.[23]



Ferner kann Bildung „jede/jeder nur für sich selbst erwerben, der Bildungsprozess erfolgt aber in einer „Gemeinschaft“. “[26].

Klafkis Verständnis von Allgemeinbildung begründete sich auf drei Charakteristika, die ebenfalls der Tradition der klassischen Bildungstheorie entstammen. Erstens, so Klafki, soll Allgemeinbildung für jeden Menschen ohne Selektion aufgrund von Herkunft, Besitz oder ähnlichem zugänglich sein.

Zweitens soll es sich nach Klafki um allseitige Bildung handeln, also um Bildung, die jedes Individuum im Hinblick auf seine physischen und psychischen Fähigkeiten möglichst vielfältig fördert. Drittens, so Klafki, soll Allgemeinbildung Bildung „im Medium des Allgemeinen“ sein, also jene Bildung, die das Individuum im Zuge einer Auseinandersetzung mit und in Aneignung von neuzeitlichen und vergangenen menschlichen Kulturfähigkeiten, die Ausdruck von humaner Selbstbestimmung, Vernunftentwicklung und Freiheit sind, erwirbt.

Allerdings ist es an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass diese drei Charakteristika niemals vollständig realisiert wurden[27].

Zur materialen Bildungstheorie gehören der bildungstheoretische Objektivismus und die Bildungstheorie des Klassischen, während die Theorie der funktionalen Bildung und die der methodischen Bildung den formalen Bildungstheorien zuzuordnen sind. Materiale Bildungstheorien gehen von einer Vielzahl von relevanten Sachverhalten aus der unendlich vielfältigen Realität aus und fragen danach, welche davon es Wert sind, den Heranwachsenden vermittelt zu werden, um schließlich einen mehr oder weniger vollständigen enzyklopädischen Fächer- und Inhaltskanon für Allgemeinbildung zu erstellen.

Formale Bildungstheorien gehen hingegen vom betroffenen Subjekt, seinen gemutmaßten subjektiven und objektiven Ansprüchen aus und stellen die Frage nach den benötigten Methoden und Kompetenzen, damit Menschen handlungs- und entwicklungsfähig werden und bleiben   können[28].

Der bildungstheoretische Objektivismus, der zu den materialen Bildungstheorien gehört, nimmt, wie der Name bereits offenbart, eine völlig objektive Perspektive ein und sieht schlicht angehäuftes enzyklopädisches Wissen als Allgemeinbildung an. Die ebenfalls zu den materialen Bildungstheorien gehörende Bildungstheorie des Klassischen hingegen sieht denjenigen als gebildet an, der sich möglichst viele typisch klassische Bildungsgüter, wie wichtige literarische oder musische Werke, angeeignet hat und an ihnen sittlich gereift ist.

Das Problem, das sich durch diese zwei völlig konträren bildungstheoretischen Ansätze ergibt und dessen sich auch schon die klassischen Bildungstheoretiker bewusst waren, besteht darin, dass keine der beiden Strömungen alleine eine erschöpfende Entfaltung der Persönlichkeit des Individuums ermöglichen kann.

Gegen Ende der 1950er Jahre widmete sich Wolfgang Klafki dieser Angelegenheit und versuchte durch seinen Ansatz der kategorialen Bildung eine dialektische Verflechtung dieser beiden Ansätze zu erreichen[30].

In Klafkis Theorie der kategorialen Bildung steht Bildung als Inbegriff für Vorgänge, innerhalb derer sich die Inhalte einer materiellen und geistigen Realität „erschließen“ und gleichzeitig das Sich-Erschließen eines Menschen für genau diese Inhalte und ihren Zusammenhang als Wirklichkeit erfolgt.

Ein Zitat Klafkis erläutert dieses Theorem näher: „Bildung ist kategoriale Bildung in dem Doppelsinn, dass sich dem Menschen eine Wirklichkeit 'kategorial' erschlossen hat und dass eben damit er selbst – dank der selbst vollzogenen 'kategorialen' Einsichten, Erfahrungen, Erlebnisse – für diese Wirklichkeit erschlossen worden ist.“[31]

Allerdings unterschied er zwischen dem Bildungsinhalt und dem Bildungsgehalt, wobei er die Aufgabe von Lehrenden darin sieht, den jeweiligen Bildungsgehalt der Bildungsinhalte unter Beachtung der Lerngruppe, der Schulform, der Bildungsstufe usw. - wie eine Art Bildhauer - auf kreative Weise freizulegen.

Ein derartiger Erschließungsprozess ist nach Klafki allerdings nur möglich, wenn der betreffende Bildungsinhalt stellvertretend für viele Kulturinhalte steht, also allgemeine Prinzipien, Gesetze, Werte o.ä. sichtbar macht. Demnach birgt nach Klafki jeder besondere Bildungsinhalt einen allgemeinen Bildungsgehalt[32].

Ein hilfreiches Instrument für Lehrende, um den Bildungsgehalt der zu behandelnden Bildungsinhalte freizulegen, stellt Wolfgang Klafki mit seinem Konzept der fünf Grundfragen der didaktischen Analyse bereit. Die didaktische Analyse steht im Mittelpunkt von Klafkis bildungstheoretischer Didaktik und soll eine didaktische Strukturierungs- und Interpretationshilfe bei der Vorbereitung des Unterrichts darstellen und den Lehrenden bei der Beantwortung der Frage unterstützen, ob der Unterrichtsgegenstand, den er den SchülerInnen anbieten will, für die Heranwachsenden überhaupt lohnenswert ist.


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