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Bakkalaureatsarbeit
Deutsch

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

2014

Nicole K. ©
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ID# 41566







"Von Paul zu Pedro" von Franziska zu Reventlow - Modernes Hetärentum und Ironisierung von Geschlechterverhältnissen im Briefroman. Eine Form-Funktions-Analyse mit Diskussion zum Aktualitätsbezug

Inhalt



Literaturverzeichnis

Anhang

Eidesstattliche Versicherung


1. Einleitung


Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Briefroman "Von Paul zu Pedro" von Franziska zu Reventlow, der 1912 im Erstdruck erschien. Die Autorin ist die wichtigste weibliche Vertreterin der Schwabinger-Bohème, ihr außergewöhnliches Leben wurde in der Forschungsliteratur ausgiebig reflektiert. Sie war eine außergewöhnlich selbstbewusste Frau, die ihre Ideale in einer patriarchalischen Gesellschaftsstruktur lebte.

Ihre Romane weisen durchgehend starke autobiographische Züge auf und reflektieren den Kampf nach Selbstverwirklichung. "Von Paul zu Pedro" behandelt das Verhältnis der Geschlechter und ermöglicht eine kritische Betrachtung der Rollenverteilung unter aktiver Bezugnahme des Rezipienten. In der Forschungsliteratur findet sich vorwiegend Material, dass das Werk vor dem Hintergrund der Autorin untersucht.

Die umfassendsten Beiträge zu dem Roman werden von Vera Jost und Johannes Székely geleistet, wobei sich die Untersuchungen von Székely nah an der biographischen Interpretation halten. Jost dagegen erörtert den Roman unter dem Aspekt der Prostitution und lässt das Leben Reventlows nicht in ihre Abhandlung einfließen. Das literarische Prinzip der Ironie wird ausführlich von Isabelle Stauffer erörtert, allerdings beschränkt sie sich dabei auf die Darstellung der Protagonistin als Dandy.

Die vorliegende Arbeit soll die Problematik der Geschlechterverhältnisse aufarbeiten und zeigen, wie die strukturelle Form und die inhaltliche Darstellung gemeinsam den Rezeptionshintergrund für eine heute noch aktuelle Problematik bilden. Der Interpretationsansatz über den Autor wird bei der Textanalyse ausgespart, da durch die starken Parallelen zum Leben der Autorin die Ergebnisse zum Untersuchungsgegenstand, insbesondere im Hinblick auf die Aktualitätsdiskussion, verfälscht werden könnten.

Um das ironische Konzept, auf dem das Werk aufgebaut ist, herauszuarbeiten, muss der Kontext, in den das Werk eingebettet ist, ausführlich dargelegt werden. Die ersten zwei Kapitel geben eine umfassende Übersicht zum sozialhistorischen Hintergrund und dem Begriff der Hetäre. Aufbauend auf diesem Wissensstand wird im vierten Kapitel die Textanalyse vorgenommen. Quellenverweise aus dem Primärwerk "Von Paul zu Pedro" werden nicht durch eine Fußnote, sondern durch eine eckige Klammer am Ende des Zitats angegeben.

Die Untersuchungen werden an Textbeispielen verdeutlicht und in den Kontext eingeordnet. Die wichtigsten Aspekte der relevanten Rezeptionsästhetik werden aufgezeigt. Die einzelnen Abschnitte im vierten Kapitel können sich inhaltlich teilweise überschneiden, da die Interpretation unter dem ganzheitlichen Aspekt der Ironie nur schwierig voneinander abgegrenzt werden kann.

Das letzte Kapitel unterstreicht den Aktualitätsanspruch und greift die Problematik der Geschlechterverhältnisse unter dem Aspekt der Sexismusdebatte aus dem Jahr 2013 auf. Die Zeitungsartikel befinden sich als Anlage am Ende der Arbeit. Unter den Primärwerken finden sich neben dem Briefroman noch zwei Aufsätze der Autorin, da diese für das Bild der modernen Hetäre unabdingbar sind.

Im Ergebnis soll nachgewiesen werden, dass der Roman "Von Paul zu Pedro" von Franziska zu Reventlow ein Thema behandelt, das auch hundert Jahre später noch aktuellen Diskussionsstoff bietet und in seiner Konzeption so gestaltet ist, dass die Lektüre auch ohne engen Bezug zur Autorin zur kritischen Auseinandersetzung mit den behandelten Motiven animiert.


2. Sozialhistorischer Hintergrund


2.1. Geschlechtermodell einer patriarchalischen Gesellschaftsstruktur


Die Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert beruhen auf der hme einer naturgegebenen Ungleichheit der Geschlechter. Im Zuge der Industrialisierung, zunehmenden Verstädterung und dem aufkommenden Bildungsbürgertum entwickelte sich ein neues Familienideal1. Im Gegensatz zur vorindustriellen Haushalts- und Familienform, in der Mann und Frau in der Ehe ein "Arbeitspaar" bildeten und es prinzipiell keine generelle Unterordnung der Frau gab, brachte die industrielle Revolution eine Ausdifferenzierung des Familien- und Erwerbsleben mit sich, aus der die Geschlechtsvormundschaft des Mannes resultierte.

Während der Mann einem Beruf nachging und die finanzielle Existenz der Familie sicherte, war "die Frau am Erwerb nicht mehr unmittelbar beteiligt [ .], sondern nun für das Funktionieren des Haushalts, für die Aufsicht über das Gesinde, für die Erziehung der Kinder und die emotionale Geborgenheit aller Familienmitglieder zuständig".2

Die zeitgenössisch exakten Naturwissenschaften Medizin und Biologie propagierten die natürliche Rollenverteilung von Mann und Frau. Demnach waren den Geschlechtern auch naturgegebene geschlechtsspezifische Merkmale zuzusprechen. Das männliche Geschlecht charakterisierte sich durch Aktivität und Rationalität. Eigenschaften wie "Energie, Willenskraft, Festigkeit, Kühnheit, Selbstständigkeit [, .] Zielstrebigkeit, [ .] Denkfähigkeit, Abstraktionsvermögen, Wissen und Urteilsfähigkeit"3 waren dem Mann vorbehalten.

Die Frau dagegen war naturgemäß ein passives und emotionales Wesen mit körperlicher und seelischer Schwäche. Ihr schrieb man Charakteristiken wie "Ergebung, Wankelmut [, .] Bescheidenheit, der Wunsch nach einer abhängigen Existenz, [ .] ein Ausgeliefertsein an die Emotionalität [ .], Religiosität [ .], schließlich die Tugenden Schamhaftigkeit und Keuschheit, Liebenswürdigkeit, Taktgefühl, Verschönerungsgabe und Anmut bzw.

Schönheit"4 zu. So ergab sich ein natürliches Tätigkeitsfeld für die Geschlechter, das die Frauen aus der Erwerbstätigkeit theoretisch verbannte. Der Mann erhielt innerhalb familiärer und gesellschaftlicher Strukturen eine naturgegebene Vorherrschaftsposition, die wissenschaftlich legitimiert wurde. Die Frau verfügte über keine politischen Rechte, die Verfügungsgewalt über ihre Besitztümer lag ebenso bei ihrem männlichen Vormund.

Während der Mann am politischen und gesellschaftlichen Leben mitwirkte, fand die Frau ihre Erfüllung in der Rolle der Hausfrau und Mutter. Als verständnisvolle und gehorsame Ehefrau nahm sie eine emotionale Entlastungsfunktion ein, die im Gegensatz zur leistungsorientierten Gesellschaft stand, in der sich ihr Mann bewegte. In der Öffentlichkeit wurde die Frau in wohlhabenden Kreisen auf eine männliche Accessoire-Funktion reduziert.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts konnte der gesellschaftliche Rang des Mannes insbesondere anhand des modischen Auftretens seiner Frau und Töchter ausgemacht werden. Des Weiteren konnte eine Frau die soziale Stellung ihrer Familie durch die Pflege von Abendgesellschaften demonstrieren. Die Ehe war besonders für Frauen bis auf wenige Ausnahmen das einzig erstrebenswerte und gesellschaftlich anerkannte Lebensmodell.

Die Bildungspolitik wirkte unterstützend darauf ein, die geschlechtlichen Unterschiede in der Gesellschaft zu verinnerlichen. So erhielten Jungen und Mädchen jeweils zielgerichtete Erziehung, um ihre natürlichen Interessen und Fähigkeiten zu fördern. Die Ausbildung von Mädchen war demnach beschränkt auf elementare Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen, die Vermittlung von typischen weiblichen Tätigkeiten im Haushalt, wie Kochen, Putzen oder Nähen und bei ausreichender sozialer Stellung kam zusätzlich noch eine höhere Ausbildung im kulturellen Bereich dazu.

Diese Kultivierung konnte allerdings nicht als weibliche Errungenschaft gewertet werden, da die gesellschaftliche Wertschätzung von Literatur, Malerei und Musik weitestgehend nicht im individuellen Ausdruck oder sogar im revolutionärem Gedankengut lag, sondern vielmehr als rein ästhetischer Lebensbereich verstanden wurde, der sich bestenfalls positiv auf die rollenspezifische Entwicklung ausübte.

Nach der Ausbildung galt es dann für junge Frauen auf eine "gute Partie" zu warten. Normalerweise wurden sie meist nahtlos aus der Obhut der Familie in die Obhut eines Ehemanns übergeben. Junge Männer indessen hatten nach der Ausbildung, sofern der finanzielle Hintergrund nicht schon durch die sozialen Verhältnisse gesichert war, die Aufgabe eine ansehnliche und familiengerechte Position zu erarbeiten, um die Kriterien für eine "gute Partie" zu erfüllen.

Obwohl die Liebesheirat im 19. Jahrhundert immer mehr an Popularität gewann, war die Mitgift der zukünftigen Ehefrau weiterhin eine entscheidende Prämisse für den Vollzug der Ehe. Liebe wurde nicht verstanden als Ausdruck von leidenschaftlichen Gefühlen und sexueller Anziehung, sondern als Ausdruck von Kameradschaft, Solidarität und der Erfüllung und gegenseitigen Unterstützung ehelicher Verpflichtungen.

Zum Thema Sexualität ist herauszustellen, dass der Frau eine von der Natur gegebene Abwesenheit des Geschlechtstriebs unterstellt wurde, die man im Verlauf des 19. Jahrhunderts durch eine Fülle von Abhandlungen wissenschaftlich zu belegen versuchte.5 Dadurch resultierte auch die gleichzeitige gesellschaftliche Diffamierung der triebhaften Frau, die den negativen Gegenentwurf zur braven Hausfrau darstellte.

Diese Ideologie stützte auch die bürgerliche Doppelmoral, nach der Prostituierte höchste gesellschaftliche und politische Achtung erfuhren, die Inanspruchnahme ihrer Dienste seitens der Männer jedoch nicht nur geduldet wurde, sondern mehr noch im Stillen als Notwendigkeit erachtet wurde.


2.2. Organisierte Frauenbewegung und ihre Ziele


Mit der wirtschaftlichen Misslage aller Gesellschaftsschichten Mitte des 19. Jahrhunderts und der Märzrevolution 1848/49 wurde erstmals eine Diskussion um die gesellschaftliche Position der Frau in die Öffentlichkeit getragen. Persönlichkeiten wie Louise Otto-Peters, Ida Hahn-Hahn oder Mathilde Franziska Anneke prangerten die Rollenzuweisungen für Frauen in Publikationen, die anfangs oft unter Pseudonymen erschienen, öffentlich an.

Zu weit entfernt bewegte sich das Familienideal von der gesellschaftlichen Alltagsnormalität, in der immer mehr Frauen, auch aus den höheren sozialen Schichten, unverheiratet blieben oder der Mann nicht mehr alleine in der Lage war die Familie zu ernähren. Auf Grund fehlender oder mangelnder Schul- und Berufsausbildung und fehlender Angebote auf dem Arbeitsmarkt wurden die Stimmen für die Reformierung der Frauenbildung und -arbeit immer lauter.

1865 gründeten Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt den Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF), den ersten überregional agierenden Frauenverein. Als auch die Zahl der regionalen Frauenorganisationen weiterhin stieg, gründete sich 1894 der Bund deutscher Frauenvereine (BDF) als Dachorganisation der Frauenbewegung. Auguste Schmidt wurde als erste Vorsitzende gewählt.

Im Jahr 1908 gab es mehr als 7000 regionale Frauenvereine. Doch die Ziele und Forderungen der Mitglieder separierten die Frauenbewegung, Emanzipation bedeutete nicht für alle das Gleiche.


2.2.1. Bildung und Erwerbstätigkeit


Die Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und junge Frauen waren weitestgehend auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter an der Seite eines Ehemanns angepasst. Mädchen aus wohlhabenden Familien konnten nach der Volksschule die "höheren Töchterschulen" besuchen, erhielten dadurch jedoch keine ausreichende Qualifikation für eine angemessene Erwerbstätigkeit, zumal der Arbeitsmarkt dies für Frauen auch gar nicht vorsah.

Der Zugang zu Hochschulen war Frauen allgemein untersagt. "Angeregt durch die pädagogischen Vorstellungen von Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) und Friedrich Fröbel (1782-1852) traten die seit den 1860er Jahren entstehenden Frauenvereine in erster Linie für eine verbesserte Mädchenbildung und die Erschließung von Erwerbsmöglichkeiten für Frauen ein."6 Abgesehen von den Niedriglohnarbeiten, meist im Textilgewerbe, denen Frauen aus dem Proletariat nachgingen, gab es für Frauen der höheren Gesellschaftsschichten als einzige akzeptable Möglichkeit, den Beruf der Lehrerin zu ergreifen.

Durch Lehrerinnenseminare erhielten sie die Qualifikation zu unterrichten, standen ihren männlichen Kollegen aber in Vielem nach. Obwohl der ADF seit den 1880er Jahren vermehrt Fachzeitschriften zur Mädchenbildung veröffentlichte, lieferte Helene Lange entscheidende Anstöße für die Reformierung der Frauenbildung. Lange, die selbst das Lerhrerinnenseminar abgeschlossen hatte, arbeitete darauf hin, Mädchen eine den Jungen gleichwertige Ausbildung zukommen zu lassen, die dabei selbst in den Händen von Frauen liegen sollte.

Diese Forderung machte sie 1887 in einer Petition, gerichtet an den preußischen Unterrichtsminister und das preußische Abgeordnetenhaus, öffentlich. Die Begleitschrift, die unter dem Namen "Gelbe Broschüre" bekannt wurde, löste in der Öffentlichkeit eine heftige Debatte aus. 1890 gründete Lange, u.a. gemeinsam mit Auguste Schmidt, den Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein (ADLV), der für die Hebung des Lehrerinnenstandes kämpfte.

Der ADLV erhielt überregionale Aufmerksamkeit und organisierte regionale Frauenbildungsvereine. Obwohl die Frauenbildungsbewegung keine revolutionären Erfolge erzielte, setzte in der Öffentlichkeit und vor allem in den Kultusministerien ein langsames Umdenken ein. 1894 erwirkte der ADLV einen verbindlichen Lehrplan für höhere Mädchenschulen und eine wissenschaftliche Prüfung für Lehrerinnen. 1896 konnten erstmals sechs junge Frauen die von Lange eingeführten Gymnasialkurse mit Abitur absolvieren.

Mit der preußischen Mädchenschulreform erhielten Frauen 1908 die Möglichkeit zur Immatrikulation an den Universitäten.

Trotz der neuen Bildungsmöglichkeiten für Frauen stand die tatsächliche Erwerbstätigkeit weiterhin unter der Geschlechterdifferenz und zusätzlich in Konkurrenz zur Mutterrolle. Im anwachsenden Dienstleistungssektor boten sich zwar immer mehr Arbeitsfelder für Frauen, aber die Berufe teilten sich nicht nur in typische Männer- und Frauenberufe, sondern die Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten entsprachen auch der geschlechtsspezifischen Hierarchie.

Die proletarische Frauenbewegung setzte sich jedoch früh von diesem Standpunkt ab. Frauen aus der Arbeiterschicht mussten, trotz des Familienideals der heimischen Hausfrau, zur Existenzsicherung Ihrer Familie dazu verdienen. Unter der Führung von Clara Zetkin stellten sie die Forderung nach einheitlichen Löhnen, Mutter- und Arbeitsschutz, sowie politischer Gleichberechtigung.

Ihre wichtigste theoretische Grundlage stellte das 1878 erschienene Werk "Die Frau und der Sozialismus" von August Bebel, das die gesellschaftlichen Missstände von Arbeiterfrauen und ihre zweifache Unterdrückung auf Grund der Klassenzugehörigkeit und des Geschlechts thematisiert.


2.2.3. Politische Gleichberechtigung


Da die proletarische Frauenbewegung schon früh gegen die politische Ungleichheit der Frau ankämpfte und sich von dem liberalen BDF abgrenzte, versuchten sie ihre Forderungen über die Arbeiterpartei SPD oder die Freisinnige Volkspartei geltend zu machen. Bereits 1891 nimmt die SPD die Forderung nach dem Frauenwahlrecht in ihr Parteiprogramm auf, während sich die bürgerliche Frauenbewegung mit Aufgabengebieten der "Wohlfahrtspflege, [ .] Sittlichkeits- und Mäßigkeitsbewegung, [ .] Rechtsschutzbestrebungen sowie [der] Gründung weiterer Berufsorganisationen"7 betraut sieht.

Wieder gibt Helene Lange den entscheidenden Anstoß für den liberalen Flügel der Frauenbewegung, als sie erstmals in einer öffentlichen Rede 1894 das Frauenwahlrecht verlangt und 1896 in einer schriftlichen Publikation. 1902 findet die Forderung Einzug in das Programm des BDF, der ADF nimmt das Frauenwahlrecht 1905 auf.

Den ersten Frauenstimmrechtsverein gründeten 1902 Anita Augspurg und Lida Gustav Heymann (beide treten 1903 in die Freisinnige Volkspartei ein) unter dem Namen Deutscher Verein für Frauenstimmrecht (ab 1903: Deutscher Verband für Frauenstimmrecht). Es folgten zahlreiche Frauenstimmrechtsvereine, als das neue Reichsvereinsgesetz 1908 Frauen die Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen offiziell gestattete.

Doch erst als das liberale Lager und die sozialistischen Frauenrechtlerinnen gemeinsame Aktionen zur politischen Gleichstellung der Frau unternehmen, wird das Wahlrecht für Frauen 1918 eingeführt.

Zwar brachte das Frauenwahlrecht keine revolutionäre Geschlechterneuordnung in der Gesellschaft, legte jedoch den Grundstein für die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frau. Die Frauen mussten weiter für ihre Rechte kämpfen. 1912 gründete sich der Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, dessen Mitglieder zu rund einem Viertel Frauen aus dem bürgerlichen oder adeligem Stand waren.


2.2.4. Sexualmoral und Mutterschutz


Das Thema der sexuellen Selbstbestimmung war eine entscheidende Forderung, die die Frauenorganisation in verschiedene Lager spaltete. Die Sexualmoral im deutschen Kaiserreich fundierte auf christlich moralischen Vorstellungen. Die öffentliche Meinung war weiterhin von vermeintlichen wissenschaftlichen Darstellungen geprägt, dass die Frau im Gegensatz zum Mann keinen Geschlechtstrieb besitzt oder wenn, ihr Kinderwunsch als dieser auftritt.

Bebel war einer der ersten, der in seinem Buch "Die Frau und der Sozialismus" auch Frauen das Recht auf geschlechtliche Befriedigung zusprach. Der Kampf um sexuelle Selbstbestimmung blieb also vorerst im radikalen Lager der Frauenorganisation und spiegelt sich besonders in der Diskussion um Prostitution wider. Bevor Augspurg 1989 nach einem Kongressbesuch der Internationalen Abolitionistischen Föderation in London die erste deutsche Zweigstelle in Hamburg gründete, scheiterte Gertrud Guillaume-Schack in ihren Bestrebungen um eine kritische Betrachtung der Sittlichkeitsfrage in der Öffentlichkeit. 1882 wurde ihr Vortrag über die Behandlung der Prostituierten durch die Behörden abgebrochen und es folgte ein gerichtlicher Prozess.

Auch den Abolitionistinnen erging es häufig ähnlich, wenn sie in öffentlichen Vorträgen auf die Missstände der Sexualmoral aufmerksam machten. Das Ziel der Abolitionistischen Föderation war die Entkriminalisierung der Prostitution und damit die Autonomie der Sexualität. Erfolge erzielten sie mit dem Einsatz von Polizeipflegerinnen und Fürsorgerinnen für Minderjährige, sowie der Einführung von Jugendgerichten.

Die Thematik Mutterschutz war eng an die Diskussion um freie Liebe geknüpft, da sich die Dringlichkeit der Reformation an der Anzahl unehelich geborener Kinder zeigte. Der Bund für Mutterschutz kämpfte jedoch nicht nur gegen die gesellschaftliche Diffamierung und für die soziale Unterstützung von unehelichen Müttern, sondern setzte sich auch für würdige Verhältnisse von außerehelichem Geschlechtsleben zwischen Mann und Frau ein.

Diese Bestrebungen wurden von der bürgerlichen Frauenbewegung weitestgehend strikt abgelehnt. Derweil vertrat Augspurg eine Bewegung, die sich gegen die traditionelle Eheschließung aussprach, "denn die Eheschließung bedeutet für die Frau den gesetzlichen Verzicht auf ihre Rechtsexistenz"8.

Zur Jahrhundertwende wurden Schriften über die gesundheitlichen Schäden von sexueller Abstinenz und unzählige Publikationen zu Themen der sexuellen Selbstbestimmung und zur Reform der sexuellen Ethik veröffentlicht. Die neue Ethik sollte sich an der Realität orientieren, denn längst war es nicht mehr zu leugnen, dass Sexualität gemeinhin auch außerhalb der Ehe stattfindet.


Das Frauenbild und Geschlechterverhältnis nach der Auffassung der Gräfin Franziska zu Reventlow wird besonders an ihren Aufsätzen "Das Männerphantom der Frau" (1898) und "Viragines oder Hetären" (1899) deutlich. Nicht zuletzt hat sie jedoch selbst ihr Leben an ihren eigenen Idealen ausgerichtet.

Reventlow selbst stammte aus adeligem Hause und hat die typische Mädchenerziehung für höhere Töchter durchlaufen. Die naturgegebenen Unterschiede zwischen Mann und Frau, die die patriarchalische Gesellschaftsstruktur des Kaiserreichs rechtfertigt, erkannte sie kritiklos an. Dabei unterschied sie zwischen der körperlichen Konstitution und den geistigen Fähigkeiten, die die geschlechtliche Hierarchie untermauerten.

Die physische Überlegenheit des Mannes ist eine kaum zu leugnende Tatsache, während ein Vergleich der intellektuellen Leistungen schwieriger nachzuvollziehen ist. Ob die Frau dem Mann auf geistiger Ebene tatsächlich unterlegen ist, spielte für Reventlow eher eine zweitrangige Rolle, da die Frau durch übermäßige Bemühungen auf diesem Gebiet ihre wahre Bestimmung und Natur verleugnete. "Das Weib, mag es geistig hoch oder tief stehen, normal oder exzeptionell veranlagt sein, seinem physischen Bau nach bleibt es doch immer zur Mutter geschaffen".9 Die Mutterschaft war für sie die höchste Erfüllung der weiblichen Natur.

Ebenso bestand darin aber auch keine Herabwürdigung des Mannes, da in solchen Fällen die Frau eben ganz pragmatisch ebenso Mittel zum Zweck für den Mann war, nämlich zur Befriedigung vom Urinstinkt des Mannes. "Und wenn die Frau in solchem Fall verständig genug ist, wird sie den Mann dafür segnen, dass ihr durch ihn das höchste Gut ihres Lebens zuteil geworden ist. [ . und] wird in dem Mann, der ihr ein Kind geschenkt und sie dann verlassen hat, nicht den Verführer und Verräter sehen."10 Reventlow selbst brachte 1897 ihren unehelichen Sohn Rolf zur Welt und ging ganz auf in der Rolle als Mutter.

Den Namen des Vaters gab sie nie preis.

Die Befreiung der Sexualität war eines der wichtigsten Ideale von Reventlow. Die, der Gesellschaft zu Grunde liegende, christliche Sexualmoral hielt sie für überlebt und sah besonders im Phänomen der Prostitution einen Widerspruch zur zeitgenössischen und eine Bekräftigung ihrer eigenen Moralvorstellung. Wie könne die Frau auf der sittlichen Seite monogam veranlagt sein, während der andere Teil der Frauen in der Prostitution zur Polygamie gezwungen würde, um den Trieben der Männer gerecht zu werden? Während die Sexualität in der Ehe zur Pflicht würde, würde sie außerhalb dieser verpönt.

Diese passive Rolle durfte jedoch nicht als negativ, sonderm ganz im Gegenteil als Siegesgefühl der erotisch empfindenden Frau verstanden werden. Die Frau ist nach der Auffassung von Reventlow ein Luxusobjekt, ihrem Wesen nach dafür geschaffen Männer zu lieben und Kinder zu zeugen. Damit hat sie ihrer Natur Genüge getan und verdient, dass man ihr das restliche Leben so angenehm und leicht wie möglich gestaltet, damit sie in ihrer Weiblichkeit vollends erblüht.

Von der organisierten Frauenbewegung distanzierte sich Reventlow ausdrücklich. Obwohl sie "Das Streben, die Frauen der arbeitenden Klassen aus Ihrer Misere zu befreien, ihnen bessere Lebensbedingungen, höhere Löhne zu schaffen, sich der Kinder und Wöchnerinnen, besonders der unehelichen, anzunehmen"12 als berechtigten Kern der Bewegung befürwortete, kritisierte sie das Streben nach Gleichstellung als Vermännlichung des weiblichen Geschlechts.

Ebenso beanstandete sie die Stigmatisierung vom Mann als Gegenspieler oder Feind der Frau.


3. Das Hetärentum


3.1. Der Mythos der griechischen Antike


Bis heute ist das Phänomen des Hetärentums, das seinen Ursprung in der griechischen Antike hat, in der Forschung umstritten. Die Beurteilungen reichen von gehobener und kultivierter Prostitution bis zu emanzipatorischen Ansätzen, obgleich wohl auch damals die Grenzen fließend waren. Die Hetäre ist ein immer wiederkehrendes Motiv der Kunst und Literatur beginnend in der archaischen Zeit des antiken Griechenlands und reicht weit übers römische Kaiserreich hinaus.

Zweifelsohne hat sich im Laufe der Jahrhunderte Tradition und Wesen des Hetärentums verändert, im Folgenden soll jedoch der ursprüngliche Mythos der Hetäre, wie er sich auch bis in die zeitgenössische Vorstellung gehalten hat, herausgearbeitet werden.

Das Wort Hetäre, griechisch hetairai, bedeutet "Gefährtin" und belegt das Phänomen schon etymologisch-semantisch durchweg positiv. Die Bezeichnung muss allerdings im historischen Kontext betrachtet werden und ermöglicht besonders im Vergleich zur griechischen Ehefrau interessante Erkenntnisse. Obgleich die Ehefrau im antiken Griechenland hohes Ansehen genoss, war sie vom gesellschaftlichen und politischen Leben ausgeschlossen und stand stets unter der Verantwortung ihres männlichen Vormunds.

So mögen manche Frauen sich in ihrer Darstellung besonders geschickt angestellt haben, sodass sie im Ansehen der Männer stiegen und ihre Gesellschaft und auch ihre Zuneigung zusätzlich mit materiellen Gütern wertgeschätzt wurden. Unzählige Darstellungen solcher Symposiums-Szenarien finden sich heute auf antiken Vasen und Trinkgefäßen. "Hier wie auch in der übrigen Öffentlichkeit, die den Gattinnen und Bürgertöchtern weitgehend verschlossen war, übernahmen Hetären als Begleiterinnen, Gesellschafterinnen und Mitspielerinnen den Part einer Ersatzfrau, die die gebotenen Vergnügen teilt[e] und den Genuss durch Unterhaltungskünste ihrerseits erhöht[e]."14 Es ist nicht verwunderlich, dass hoch angesehene Männer, die sich in der Öffentlichkeit mit solchen Frauen schmückten, diese nicht als geringschätzige Prostituierte wahrnahmen, sondern ganz im Gegenteil ihre Wertschätzung in der Öffentlichkeit etablierten.

Oftmals kamen Hetären aus der Sklaverei und wurden im Laufe der Zeit von ihren Verehrern freigekauft. Der Mythos der Hetäre wird besonders beflügelt durch solche, die es während ihrer Laufbahn sogar zu erheblichem Reichtum bringen konnten. Eine Hetäre wurde nicht explizit für ihre Dienste entgeltlich belohnt, doch sie bestritt ihren Lebensunterhalt stets durch die materielle Wertschätzung ihrer Verehrer.

Obwohl die überlieferte und erhaltene Hetärenliteratur fast ausnahmslos fiktiv ist, lässt sich doch ein Bild der typischen Hetäre rekonstruieren. Noch heute erhalten sind uns Lukians "Hetärengespräche" und eine fiktive Briefsammlung von Alkiphron. Besonders aufschlussreich scheint jedoch die fast beiläufige Erwähnung der Hetäre Theodote in dem Werk Xenophons zur Verteidigung des berühmten Philosophen Sokrates.

Als einziger weiblicher Charakter tritt sie dort in einem fiktiven Gespräch mit dem besonnenen Philosophen ins Gespräch und wird ihm mindestens als intellektuell ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen dargestellt. Die hohe Bildung der Hetären mag ebenso historisch fragwürdig sein, zumal viele Vertreterinnen nachweislich aus dem Sklaventum stammen, aber der Mythos Hetäre beinhaltet neben außerordentlicher Schönheit und Eleganz ein gewisses Maß an Klugheit.

Wohlwissend, wie sie ihre Reize gewinnbringend einsetzen konnte, zeichnet sich die Hetäre durch Charme und praktische Intelligenz aus. Während Xenophon seine Theodote zudem sittsam und empathisch auftreten lässt, erfahren wir aus anderen Quellen, dass trotz ihrer reizenden Erscheinung auch Habgier und Vergnügungslust wesentliche Charakteristiken der Hetäre sind.


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