„Spätherbst in Venedig“ von Rainer Maria
Rilke
Interpretation
Rainer
Maria Rilke war ein bedeutender Schriftsteller und Dichter der Moderne, welche
sich auszeichnet durch den Bruch mit alten Traditionen und einer großen
Subjektivität. Er erblickte am 4. Dezember 1875 in Prag das Licht der Welt. Die
Konfliktreiche Ehe seiner Eltern prägte seine Kindheit so stark, dass sein
Vater ihn mit zehn Jahren auf eine Militärschule schickte. Bereits dort begann
er zu schreiben. Ab 1895 studierte er in Prag Kunst und Literaturgeschichte.
Auf seinen unzähligen Reisen sammelte er sehr viele Eindrücke, die er in seine
Werke mit einfließen lies. So auch in dem Sonett „Spätherbst in Venedig“ Dieses
Sonett würde ich in die Kategorie Erlebnislyrik einordnen .Ich vermute, dass
dieses Gedicht von dem Kampf zwischen den Jahreszeiten handelt. Es wird eine
Machtübernahme der Jahreszeit Herbst, mit kühlen ,nassen Tagen und wenig
Touristen und der Verdrängung des Sommers mit sonnigen, warmen Tagen am
Schauplatz Venedig durchgeführt.
Der Mann und die Frau gehen Hand in Hand durch eine herbstliche Gasse in Venedig.
Das Gedicht ist in vier Strophen
eingeteilt, wobei die erste und zweite Strophe im Kreuzreim verfasst sind,
während die dritte und die vierte Strophe nur einen Reim zweier Verse und einen
Waisenvers aufweisen. Jedoch reimen sich auch jene Waisenverse untereinander(Arsenal,
Vers 10 und fatal, Vers 14). Demzufolge bestehen die ersten beiden Strophen aus
je vier Versen, während die letzten Beiden aus je drei Versen bestehen. Die
Trennung lässt sich auch auf den Inhalt des Gedichtes übertragen. In den ersten
beiden Strophen wird die momentane Situation des Herbstes darstellt. während
der Sommer als Gegenspieler gegen diesen vorgeht. Deshalb wird hier ein Kampf
des Sommers gegen den Herbst dargestellt. Aufgrund der Tatsache, dass der
Herbst acht Verse des Gedichtes einnimmt und der Sommer nur sechs Verse, für
sich verbuchen kann, darf ein Sieg des Herbstes erwartet werden.
Die Überschrift „Spätherbst in
Venedig“ legt diese Vermutung ebenfalls nahe. Als Versmaß benutzte Rilke in
diesem Gedicht den Jambus, was diesem einen stetigen, gleichmäßigen und
marschierenden militanten Charakter verleiht. Innerhalb und zwischen den
Strophen finden sich sehr häufige Enjambements, welche den Zusammenhalt des
Gedichtes bekräftigen. Die ersten beiden Strophen stellen die momentane
Situation dar. Hierbei stehen die ersten beiden Verse für einen Rückblick auf
die Vergangenheit, den Sommer. Durch die Metaphern in den Versen eins und zwei
„Köder“ und „alle aufgetauchten Tage“ wird gezeigt, wie Venedig einst die Sonne
jeden Tag aufs Neue einfing. Die „gläsernen Paläste“ zeigen die ehemalige
Schönheit, den Rum und den Reichtum der Stadt. Im zweiten Satz steht, das diese
Schönheit bereits im Herbst abgeschwächt ist „klingen spröder“. Jeder kann dies
nachvollziehen. Dies wird durch das besitzanzeigende Pronomen „deinen“, welches
den Leser direkt anspricht, bestätigt. Im dritten Satz des Gedichtes werden die
Eigenschaften des Herbstes noch weiter beschrieben. Hierbei setzt Rilke den
Einfluss des Sommers mit Marionetten( Vers 5) gleich, wofür er auch das Versmaß
mit einem Daktylus unterbricht. So hängt der Sommer nur noch an dünnen Fäden,
welche schon vom Herbst gesteuert werden, da dieser Satzteil sich im Bereich
des Herbstes befindet.
Der Eindruck des Sterbens der Natur
wird durch die Wortgruppe „kopfüber, müde, umgebracht“ noch verstärkt. Die
„Waldskelette“(Vers 7), die sich auf dem Grund des Meeres befinden, sind eine
Metapher für die Bäume und Blätter, welche sich über die Jahre auf dem
Meeresgrund angesammelt haben. Diese haben vor, Rache am Herbst zu
nehmen.(„steigt Willen auf“(Vers 8)). Der darauf folgende Doppelpunkt und die
damit verbundene Pause beim lesen steigern die Spannung noch zusätzlich. Der
Leser möchte unbedingt wissen, was weiter passiert. Die darauf folgende,
überraschende Wendung „über Nacht“(Vers 8) zeigt ganz plötzlich und
unvermittelt, dass es zu einem Kampf zwischen dem Sommer und dem bald folgendem
Winter kommen soll. Dies wird durch die militärischen Begriffe „General“ und
„Galeeren“ (Vers 9) und das einheitliche militante Versmaß des Jambus deutlich.
Durch den „General des Meeres“(Vers 9) wird definiert, dass es sich um einen
Angriff des Sommers handelt, da seine Blätter auf dem Meeresgrund liegen.
Im weiteren Verlauf dieses Teilsatzes
werden mit „Galeeren verdoppeln“(Vers 9f.) und „wachen Arsenal“(Vers 10) die
eiligen Vorbereitungen auf diesen Kampf beschrieben, der schon am nächsten
Morgen beginnen soll. Dieser Zeitpunkt wird mit der Metapher „Morgenluft zu
teeren“(Vers 11) ausgedrückt. Die „rudernde Flotte“ in Vers 12 stellt den
Angriff des Sommers dar. Durch die Metapher „Flaggen tagend“ wird das
Siegesgefühl der Sommerflotte dargestellt, und durch den „großen Wind“ in Vers
14 stellt die sehr günstigen Bedingungen für einen Sieg des Sommers dar. Aber
dennoch gewinnt letztendlich der Herbst die Oberhand, wie man in Vers 14 durch
das Adjektiv „strahlend“ und das Wort „fatal“ sieht. Dabei meint fatal nicht
den heute üblichen Gebrauch als grober Fehler, sondern eine vom Schicksal
bestimmte Wendung.
Abschließend kann ich sagen, dass
meine Interpretationshypothese bestätigt wurde, da der Text nach meiner
Interpretation wirklich von dem Kampf der Jahreszeiten Sommer und Herbst
untereinander handelt. Des Weiteren empfinde ich dieses Gedicht als sehr
fließend, vor allem wegen den Zeilensprüngen. Rainer Maria Rilke wollte mit
diesem Gedicht wahrscheinlich ausdrücken, dass die Jahreszeiten sich jedes Jahr
aufs neue wiederholen, und das es nicht schlimm ist, dass eine Jahreszeit
vorbei ist und die nächste anbricht, da jede Jahreszeit ihre ganz Schönheit
besitzt.