Gedichtvergleich
„Ein deutscher Dichter bin ich einst
gewesen“ von Max Herrmann-Neiße
„Ich liege wo am Wegrand“ von Else Lasker-Schüler
Die
Gedichte „Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“ und „Ich liege wo am
Wegrand“ wurden beide zu Beginn des Nationalsozialismus im Exil verfasst. In beiden
Gedichten verarbeiten die Schriftsteller ihre gegenwärtige Lebenssituation
außerhalb Deutschlands. In dem Gedicht „Ein deutscher Dichter bin ich einst
gewesen“ von Max Herrmann-Neiße aus dem Jahre 1933 beschreibt das lyrische Ich
in wehmütig trauriger Weise den Verlust seiner Heimat, der einen gleichzeitigen
Verlust seiner Lyrik bedeutet.
Das
Gedicht besteht aus 4 Strophen mit jeweils vier Versen. Es liegt ein
durchgehender Kreuzreim vor und das Metrum ist ein Jambus. Die Verse haben
abwechselnd jeweils zehn oder elf Silben. Durch diese Regelmäßigkeit bekommt
das Gedicht etwas Harmonisches und wird sofort eindeutig als Gedicht erkannt,
was den Titel, in dem sich das lyrische Ich als Dichter bekennt, unterstreicht.
Der
Titel „Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“ bildet gleichzeitig den
ersten und fünfzehnten Vers des Gedichtes. Diese Wiederholung macht den Verlust,
unter dem das lyrische Ich leidet, noch deutlicher.
Zusätzlich
gibt es die Alliteration „deutscher Dichter“, die einen melodischen Klang in
die Zeile bringt. Das passt besonders zur ersten Strophe, in der das lyrische
Ich seine Dichtung als mit „Melodie“ (Zeile 2) versehenes „Lied“ (Zeile 3)
bezeichnet.
Die
Personifikation seiner Heimat, die ihm die „Treue nicht gehalten“ (Zeile 5) hat
und „sich ganz den bösen Trieben [hingab]“ (Zeile 6), zeigt, wie wichtig ihm
diese ist.
Durch
die Alliteration „fremde Ferne“ in Zeile 9 wird die große Distanz zur Heimat
des lyrischen Ichs unterstrichen und bildet damit einen großen Gegensatz zu dem
Wort „nah“. Die Diskrepanz der Sehnsucht nach seiner Heimat und der Tatsache,
dass er fern von ihr leben muss, wird dadurch besonders betont.
Die
Beispiele „Abendgiebel“ und „Schwalbenflüge“ malen dem Leser konkrete Bilder
seiner Heimat, die ihm zu Herzen gehen.
Die
ersten drei Strophen des Gedichtes handeln überwiegend von der Vergangenheit
des lyrischen Ichs und seiner Heimat. In der vierten Strophe kommt es auf seine
gegenwärtige Situation zu sprechen. Seine Dichtung wird im Exil nicht gelesen,
was ihm wichtig ist, kann er nicht versprachlichen.
Er
benutzt die Metapher „Spuk“ (Zeile), um zu verdeutlichen, dass sowohl sein
Leben, als auch seine Dichtung etwas Unwirkliches bekommen hat.
Max
Herrmann-Neiße floh nach dem Reichstagsbrand aus Deutschland über die Schweiz,
die Niederlande und Frankreich nach England, wo er sich 1933 niederließ. Hier
entstand sein Gedicht, in dem die Schrecken des Nationalsozialismus angedeutet
werden („Die Heimat hat mir ihre Treue nicht gehalten, Sie gab sich ganz den
bösen Trieben hin“ (Zeile 4 f.)) und die Schwierigkeit beschrieben wird, im
Exil zu leben.
Im
Gedicht „Ich liege wo am Wegrand“ von Else Lasker-Schüler aus dem Jahre 1935
beschreibt diese ein dunkle, aussichtslose Situation, in der sich das lyrische
Ich befindet. Hinweise auf eine schöne Vergangenheit lassen die gegenwärtige
Situation umso trister erscheinen.
Das
Gedicht besteht aus vier Strophen. Die ersten drei Strophen bestehen aus
jeweils drei Versen, die letzte aus nur zwei. Das Gedicht hat ein
unregelmäßiges Reimschema. Allerdings treten nur zwei gleiche Reimendungen
durch das ganze Gedicht hindurch auf. Die einzige Ausnahme bildet Zeile 8. Das
Metrum ist fast durchgehend ein Jambus. Eine Ausnahme bildet Zeile 7.
Durch
die immer wiederkehrenden Reimendungen und den fast durchgängigen Jambus erhält
das Gedicht eine gewisse Harmonie. Es gibt jedoch auch Brüche. Zum Beispiel hat
die letzte Strophe nur zwei Verse und in der dritten Strophe wird sowohl das
Reimschema, als auch das Metrum durchbrochen. Außerdem sind die einzelnen Verse
hier kürzer als in den anderen Strophen.
Else
Lasker-Schüler ist 1933 als Jüdin nach Zürich emigriert, unternahm mehrere
Israelreisen und blieb schließlich dort. Ihr Gedicht entstand 1935 und es ist
sehr wahrscheinlich, dass es sich beim „Grauen“ (Zeile 4) und der Finsternis,
die sie beschreibt, um die Vorgänge im dritten Reich handelt.
Die
Metaphern der ersten Strophe (z.B. „finstere kalte Nacht“) schildern die
Schwierigkeit und Ausweglosigkeit der Situation, die rhetorische Frage „Wo soll
ich auch noch hin – von Grauen überschattet [?]“ in der nächsten Strophe
verstärkt das noch.
Neben
dem Grauen steht in diesem Gedicht jedoch auch die Schönheit, die allerdings
zerstört wurde. Else Lasker-Schüler schreibt von schönen „Liedern“ (Zeile 5),
„weite[n] Himmel[n]“ (Zeile 6) und „heilige[r] Liebe“ (Zeile 7). Durch die
Neologismen „übermattet“ (Zeile 1), „blauvertausendfacht“ (Zeile 6) und
„blumumblattet“ (Zeile 11) wird sowohl das Grauen, als auch die Schönheit
intensiviert, wodurch der Kontrast zwischen den beiden verstärkt wird.
In
der dritten Strophe bekommt das Gedicht eine religiöse Dimension und es zeigt
sich, dass die ganze Menschheit und sogar Gott von dem beschriebenen Grauen
betroffen ist. Ihr persönliches Leid wird hier in einen größeren Kontext gestellt.
Dieser Teil des Gedichts scheint mir eine herausragende Rolle zu spielen, da
hier ein starker Bruch vorliegt. Sowohl das Metrum, als auch das Reimschema
werden durchbrochen und die einzelnen Verse sind kürzer als in den anderen
Strophen.
In
der letzten Strophe verändert sich das Gedicht dann zu einen Liebesgedicht. Das
lyrische Ich stellt hier seine Liebesgeschichte in die Menschheitsgeschichte,
in eine enge und dunkle Schachtsituation. Dennoch ist es eine „paradies[ische]“
(Zeile 11) Liebesgeschichte.
In
beiden Gedichten wird die Exilsituation des lyrischen Ichs beleuchtet. Die
Vergangenheit und Heimat wird wehmütig und sehnsüchtig geschildert und die
Hoffnungslosigkeit wird durch Verse wie „Und zähl schon zu den Toten längst
bestattet“ (Ich liege wo am Wegrand, Zeile 3) und „So kann nur ihr Traumbild
noch gestalten“ (Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen, Zeile 7) verdeutlicht.
Die
gegenwärtige Situation in der Heimat wird jedoch in beiden Gedichten negativ
dargestellt. In Max Herrmann-Neißes Gedicht hat „die Heimat [ihm die] Treue
nicht gehalten“ und Else Lasker-Schüler beschreibt, wie „die heilige Liebe […]
blind [zertreten]“ wurde.
Während
das Gedicht „Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“ eine klare, harmonische
Form hat, enthält das Gedicht „Ich liege wo am Wegrand“ wesentlich mehr Brüche,
was auch mit dem Inhalt korrespondiert.
Das
erste Gedicht ist nämlich auch inhaltlich viel deutlicher und einfacher zu
verstehen. Es ist offensichtlich, dass das lyrische Ich sich im Exil befindet
und seine Situation wird klarer und konkreter geschildert als im zweiten
Gedicht.
Im
ersten Gedicht beschreibt das lyrische Ich ausschließlich seine persönliche
Situation im Exil. Im zweiten Gedicht wird diese zwar auch beschrieben, jedoch
kriegt das Gedicht in der dritten Strophe etwas Überpersönliches und in der
vierten Strophe kommt noch eine weitere Person ist Spiel. Das zweite Gedicht
hat also, anders als das erste Gedicht nicht ein, sondern drei Themen (die
persönliche Situation des lyrischen Ichs, die Bedeutung des gegenwärtigen
Grauens für die gesamte Menschheit und Gott und die Liebesbeziehung des
lyrischen Ichs) und deshalb eine unregelmäßigere Form.
Desweiteren
geben die Neologismen bei Else Lasker-Schüler dem Gedicht einen anderen
Charakter. Anders als bei Max Herrmann-Hesse muss der Leser hier bereit sein,
sich auf etwas Neues einzulassen. Möglicherweise spiegelt das ihre Situation im
Exil wieder, in der sie neu anfangen und sich ebenfalls immer wieder auf Neues
einlassen musste.