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Inhalt: Diese Interpretation des Gedichts "Mit leichtem Gepäck" von Hilde Domin liefert tiefe Einblicke in die Thematik des Exils und die emotionale Landschaft, die das Werk umgibt. Sie hilft Lesern, die symbolische Bedeutung und die Ratschläge des lyrischen Ichs zu verstehen und verbindet historische Kontexte mit gegenwärtigen Flüchtlingssituationen.
„Mit leichtem Gepäck“ - Hilde Domin (1962)
Gedichtanalyse
Hilde Domin schrieb das Gedicht “Mit
leichtem Gepäck“ im Jahr 1962, ein Jahr nachdem sie endgültig nach Heidelberg
zurückgekehrt war. Der Leser (eine Person, die kurz vor dem Schritt steht, ins
Exil zu gehen) wird direkt von einem lyrischen Ich angesprochen, dass sich
hauptsächlich mithilfe von Verboten, Ratschlägen und Aufforderungen an ihn
wendet. Es gibt Anweisungen, wie der Leser sich, kurz bevor er ins Exil ginge,
verhalten und sein Gepäck organisieren soll. Dabei wird ihm ans Herz gelegt,
sich vom Großteil materieller Besitztümer zu verabschieden und nie den Gedanken
an Heimkehr zurück ins Vaterland abzulegen. In dem Gedicht wird ein Gefühl von
Heimweh und Sehnsucht, aber auch Hoffnung und Zuversicht vermittelt.
Die beiden Wanderer mit leichtem Gepäck genießen ihre Wanderpause auf einer alten Brücke über einem ruhigen Flusslauf im herbstlichen Tal.
Der Aufbau des Texts besteht aus 5
Strophen á 5 Versen, ist dementsprechend also geordnet und übersichtlich.
Möglicherweise steht diese Form im bewussten Gegensatz zu ihrem kürzlich noch ungeordneten
und unbestimmten Leben. Von der Verwendung von Reimen sieht Domin ab. Zudem
gibt es auch kein direkt ersichtliches Metrum.
Gleich am Anfang des Texts steht eine
Aufforderung. „Gewöhn dich nicht.“ (Z.1) Unterstreichend wird diese Aufforderung
in der nächsten Zeile nochmal wiederholt. Man soll sich nicht an das Exil
gewöhnen, denn die wahre Heimat kann es nicht ersetzen. „Eine Rose ist eine
Rose“, das soll heißen, dass eine Rose immer das gleiche bleiben wird, aber ein
Heim sei kein Heim. Damit wird ausgedrückt wie das alte, bekannte Zuhause nicht
mehr Zuhause sein kann. Dies liegt an den entstandenen widrigen Bedingungen.
Der Absatz nach „Aber ein Heim“ deutet ein Zögern an die Aussage endgültig zu
machen: „ist kein Heim“.
In Strophe 2 wird der materielle
Besitz, den der Leser zurücklassen muss, als Schoßhund personifiziert. Ein
Schoßhund steht für das vertraute und angenehme, an das man seit Jahren gewöhnt
hatte. Das Schaufenster stellt dabei die Trennung dar, die zwischen dem Leser
und all seiner Habe steht. Verlockend kommt einem der Gedanke vor bei seinem
„Schoßhund“ zu bleiben, aber die Situation erlaubt das nicht. Man wird aber vom
lyrischen Ich wegrissen, dass den Angesprochen nochmal direkt erinnert: „Er
irrt. Du riechst nicht nach bleiben“ (Z. 4f).
Ein praktischer Ratschlag wird dem
Leser in der nächsten Strophe gegeben: „Ein Löffel ist besser als zwei“. Denn
der Löffel ist überlebenswichtig, man braucht ihn zur Nahrungsaufnahme. Aber
mehr Löffel sind überflüssig und unnötig. Es folgt wieder eine Aufforderung,
nämlich sich den Löffel um den Hals zu hängen. Dies wär eine gängige Praxis der
in Konzentrationslagerinhaftierten. Nur vor dem Schöpfen mit der Hand wird
abgeraten, da dies sich als unpraktisch und auf Dauer äußerst unhygienisch erweist.
Folglich ist alles was praktisch ist würdig mitzunehmen, aber alles darüber
hinaus nicht.
Dinge, die einem durch die Finger
laufen sind flüchtig. In der vorletzten Strophe wird der Zucker als Metapher
für Reichtum und angenehmen Dinge, die dem lyrischen Ich widerfahren sind. Sie
verlaufen sich genauso wie der Trost, den sie gegeben haben, wie der Wunsch,
sie wieder haben zu können. Es lohnt sich daher nicht an diesen festzuhalten
auf dem Weg ins Exil, man wird sie nicht wiedererlangen können.
Der letzte Absatz fast jene Gegenstände
zusammen, welche in den vorherigen Absätzen zur Mitnahme angeraten wurden. An
erster Stelle steht der Löffel zum Überleben, gefolgt von der Rose. Wie im
Zentrum des ersten Absatzes schon als unveränderbares Ding dargestellt, ist die
Rose, wenngleich zum Überleben unnütz, eine Erinnerung an Dinge der
Vergangenheit, Dinge, die sich nicht mehr ändern lassen, Dinge, die im Kopf
bestehen bleiben sollen. Das Herz erwähnt Domin an dritter Stelle der
Aufzählung nicht nur zum ersten Mal und im letzten Absatz des Gedichtes,
sondern auch verziert sie es mit dem Wort „vielleicht“. Vielleicht darf man
neben Überlebensnotwendigem und Erinnerungen auch ein Herz haben. Ein guter
Mensch zu sein scheint uns in guten Zeiten das höchste, in schlechten dagegen
anscheinend ein durchaus verzichtbares Gut. Und noch abwegiger, an dieser
Stelle spendiert Domin dem „vielleicht“ eine gesamte Zeile, scheint der Gedanke
an ein eigenes Grab. Die an dieser Stelle suggerierte Aufzählung ist nun keine
mehr. Das Grab gehört nicht zu den Dingen, welche man mit auf dem Weg haben
darf, sondern ein Grab welches man am Ende haben darf, ein Grab, welches
liebende Menschen nach der Reise für einen ausheben.
Mich hat das Gedicht zunächst sehr
verstört. Domin beginnt ihr Gedicht mit dem Satz „Gewöhn dich nicht“, fängt
sofort im Befehlston an und vermittelt damit das Gefühl, sofort ihre Aussagen
annehmen und ihnen gehorchen zu müssen. Die Sätze sind kurz und ohne Umschweife
formuliert, es herrscht eine gewisse Eile in dem Gedicht. Sie macht klar, dass
es wenig Möglichkeiten gibt. Auch am Ende der vielen Ratschläge wurde ich durch
die Worte „ein Grab“ nicht beruhigt, obgleich ich diesem Wort bei vorheriger
Analyse eine positive Bedeutung zugeschrieben habe. Möglicherweise ist dies
auch die Intention Domins. Ich kann mir vorstellen, dass sie während ihrer
Ratschläge den Aufbruch und die zu diesem Zeitpunkt vorherrschende Stimmung im
Gedicht mitschwingen lassen wollte.
Auch heute können wir die
Exilproblematik beobachten. In Syrien werden Tausende von Menschen in ihrer
Heimat bedroht und stehen vor eben jenen Entscheidungen, zu denen uns Domin
ihre Ratschläge, ja mehr noch ihre Befehle gibt. Unserer Generation hier in
Europa bleibt diese Gefühlslage, die während einer solchen Situation herrscht,
wohl weitgehend verborgen. Das Gedicht von Domin hat mich konfrontiert mit neuartigen,
ungewöhnlichen Gedanken und Gefühlen, geprägt von Einfachheit, Strenge und
Eile. Ich kann mir vorstellen, dass diese in viel stärkerer Ausprägung damals
vorlagen und auch heute noch bei Flüchtlingen vorliegen. Ein jeder wünscht sich
wohl in dieser Lage einen erfahrenen Ratgeber wie Hilde Domin.