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Endarbeit
Geschichte / Historik

Alte Kantonschule Aarau

Hodler, 2014

Christian B. ©
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ID# 39263







Europa um 1900 - Der Erste Weltkrieg


Europa vor dem 1. WK


Die Situation Europas um 1900 lässt sich durch folgende 3 miteinander verstrickten Themen beschreiben:


Industrialisierung: Um 1900 handelte es sich um eine „Hochphase“ der Industrialisierung -> war noch nicht der grosse Schub, der zum Konsumboom führte. Allerdings gab es zu jener Zeit wichtige Errungenschaften v. a. in der Stahl- und Textilindustrie und dem Eisenbahnbau. In der Zeit um 1850 beginnt sich bereits die Wirtschaftsentwicklung in einigen europäischen Regionen (v.a. Nordwesteuropa, wobei England als Mutterland der Industrialisierung führend ist) von andern Weltregionen deutlich abzusetzen.

England und Nordwesteuropa werden für mehrere Jahrzehnte das wirtschaftliche und politische Weltzentrum. Aber wieso England und nicht der Ferne Osten (v.a. China, Japan, Indien)?

-          Absolutismus und Grundherrschaft waren früher gelockert als in restlichen Europa und im Gegensatz zu den deutschen Ländern gab es auch lange keinen Zunftzwang mehr -> gute Voraussetzungen für die freie Ausbreitung des Handels, der Kapitalbildung und der technischen Erneuerung.

-          Meilensteine für die technischen Erneuerungen legten englische Erfinder wie Newcomen und Watt (Dampfmaschine) anschliessend die Erfindung des mechanischen Webstuhls, der Spinnmaschine, das Puddelverfahren bei der Eisengewinnung und zu guter Letzt die Dampflokomotive mit der ersten öff. Eisenbahn -> Stockton & Darlington Railway Company (S&DR)

-          Infrastruktur: In England wurde wesentlich früher als in anderen Staaten die Bedeutung der Nutzung von Wasserwegen (Kanalbau) und der Eisenbahn erkannt. Infolgedessen, und aufgrund der Insellage von England, hatte dieses früher als jedes andere Land ein gut ausgebautes Kanalnetz.

-          Ausreichendes Angebot an Arbeitskräften. Der Wandel in der Landwirtschaft entzog zahlreichen Kleinbauern die Lebensgrundlage, die daraufhin in die sich entwickelnden Industriezentren zogen.

-          Unterdrückung von wirtschaftlicher Konkurrenz in seiner Position als Welt- und Kolonialmacht, wie beispielsweise der indischen Baumwollindustrie.

-          Grosse Handels- und Kriegsflotte, die zur Verschiffung von Gütern und Rohstoffen und den Seemachtinteressen diente.

-          Zudem begünstigte die calvinistische Religion vieler Menschen fortdauernde Bestreben zu arbeiten und nach Möglichkeit reich zu werden. -> protestantische Arbeitsethik

Asien zog erst im 20. Jhd nach. In der asiatischen Industrialisierung war v.a. Japan führend. Grund hierfür war das Isolationsende Japans (führte zuvor eine Isolationspolitik) im 19. Jahrhundert, das durch die westlichen Grossmächte erzwungen wurde. Nachdem die sogenannte Tokio-Dynastie schliesslich zerfallen war und Japan als weltoffen galt, folgte ein Bürgerkrieg, der die Absetzung des letzten Shoguns bewirkte. 1868 übernahm schliesslich der Kaiser Mutsuhito die Macht und kurbelte neue Zeiten an.

Diese Zeiten werden heute oft sowohl als Restauration als auch als Revolution bezeichnet. Denn während dieser Zeit veränderten die Japaner ihren Blick auf die Welt und auf den fernen Westen, der sich so schnell und stark verändert hatte. Eine Entwicklung, die den Japanern “Angst” bereitete, weshalb sie sich vornahmen gemeinsam mit dem Westen zu wachsen. Ziel war es, ganz den westlichen Vorbildern nach, zur führenden Macht in Asien zu werden.

Diese Zeit wird in Asien übrigens oft als Meiji-Zeit (zu Deutsch: Zeit der erleuchteten/aufgeklärten Regierung) genannt. China strebte ebenfalls nach der asiatischen Führung und versuchte sich nach dem westlichen und auch japanischen Vorbild weiterzuentwickeln und zu industrialisieren. Allerdings konzentrierte man sich hier lange Zeit eher auf die Stahlindustrie, in der China bereits seit der Song-Zeit (ca. 1080) versierte Erfahrungen gesammelt hatte.

Damals produzierte man in China bereits weit mehr Stahl als in allen anderen westlichen Ländern.

„Soziale Frage“, „Pauperismus“: Die soziale Frage bezeichnet die sozialen Missstände die durch die industrielle Revolution entstanden sind. Sie sind so zusagen Begleit- und Folgeprobleme des Übergangs von der Agrar- zur urbanisierenden Industriegesellschaft. Die erste Hälfte des 19. Jhd war geprägt von einer wachsenden Bevölkerung, dem Niedergang des alten Gewerbes (Heimgewerbe und Handwerk) und einem Aufkommen der Fabrikindustrie.

Kernprobleme der sozialen Frage waren der Pauperismus (= Strukturell bedingte Massenarmut z.Z. der Vor- und Frühindustrialisierung in ländlichen Gebieten) und die Existenzunsicherheit der Bauern und Handwerkern. Die Zeit der Hochindustrialisierung war v.a. vom Übergang zur Industriegesellschaft geprägt. Die soziale Frage wurde zur Abreiterfrage. Massenhafte Abwanderung vom Lande in die städtischen Industriezentren, Begleiterscheinungen der Grossstadtbildung und die gesellschaftliche Integration der Industriearbeiterschaft beschäftigten die politisch Verantwortlichen ebenso wie die bürgerliche Öffentlichkeit.

Die Arbeiterschaft lebte unter unmenschlichen wirtschaftlichen (Tiefe Löhne -> Überangebot an Arbeitern wegen starken Bevölkerungswachstum und Verstädterung/Landflucht) und sozialen Bedingungen am Rande des Existenzminimums. Sie waren gesellschaftlich diskriminiert, politisch ohnmächtig, die Bedingungen am Arbeitsplatz und die Gesundheit waren gefährdet und Schutz gegen Risiken wie Unfälle, Krankheit, Tod und Arbeitslosigkeit fehlte -> kein Sozialstaat der für sie sorgte.

Die revolutionäre Systemkritik (Sozialismus) gewann ihre Überzeugungskraft aus der dauernden Präsenz der sozialen Frage. Deren Exponenten propagierten als vorläufiges Mittel zur Besserung der Lage die Organisation der Arbeiter->Gewerkschaften, die von den Arbeitgebern erbittert bekämpft wurden, weil sie von den Arbeitgebern als unzulässige Einschränkungen des liberalen Wirtschaftssystems gesehen werden und sozialdemokratische Parteien (Arbeiterbewegungen).

Allerdings ist die Not so offensichtlich, dass auch in „bürgerlichen“ Kreisen Reformbemühungen unterstützt werden: Ärzte, Pfarrer, fortschrittliche Unternehmer setzen sich für Reformen ein, Bsp. CH-Fabrikgesetz 1877 (u.a. 11h Arbeitstag, Haftpflicht- und Krankenversicherung, Schutzbestimmungen für Frauen und Kinder); Kosthäuser für die Arbeiter, z.B. Bally in Schönenwerd.

Es gibt auch Verbindungen zur Frauenbewegung, die sich um 1900 gegen den grassierenden Alkoholismus einsetzt ->Arbeiter suchen Zuflucht im Alkohol (Abstinenzbewegungen, Gründung von alkoholfreien Restaurants). Rochat, ein freikirchlicher Pfarrer aus VD, gründete nach dem Vorbild der englischen Abstinenzbewegung 1877 das „Blaue Kreuz“.

Aufkommende Nationalbewegungen: Ziel? Menschen wollen sich in einer Gruppe/Gemeinschaft zusammenhörig fühlen->Nationalstaat gründen. Im 19. Jhd gibt es noch viele Nationen ohne Staat z.B. Tschechen->Vielvölkerstaat Ö-U. Ein interessantes Beispiel ist die griechische Nationalbewegung-> 1820er Philhellenische Bewegung, die 1. grosse Nationalbewegung die Resonanz und viele Sympathisanten findet.

Viele von ihnen schlossen sich im Zuge der griechischen Revolution sogar den Truppen an und zogen in die Schlacht. Viele Philhellenen waren mit Auslandsgriechen befreundet, oder entwickelten im Kontakt mit Griechen ein grosses Interesse für das Griechentum im Allgemeinen. Die Bewegung benötigte Geld um die Staatsgründung zu verwirklichen. Kapodistrias war zu jener Zeit an der Spitze der Bewegung.

Er setzte sich 1814/15 im Wiener Kongress für die Schweiz ein. Deshalb unterstützte ihn sein Freund der Genfer Bankier Eynard finanziell. Erfolgreiche Nationalstaatengründungen gibt es danach beispielsweise in Belgien (1830)-> Unabhängigkeit von Niederlande, der Schweiz (1847/48)->Siehe Skript vorher, Italien (1861), Deutschland (1871)…

Etwas Theorie dazu: Der Begriff „Nation“ ist alt und mehrdeutig (lat. „natio“: Geburt, Herkunft. Das Deutsche Reich, das bis 1806 Bestand hatte, nannte sich bekanntlich „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“. An den europäischen Universitäten organisierten sich die Studenten nach „nationes“, hier vermutlich als Gruppen mit gemeinsamer Muttersprache zu verstehen.

In der Französischen Revolution wird der Begriff in neuartiger Weise verwendet (1789: Die „Etats Généraux“ werden ersetzt durch die „Assemblée Nationale“). Nun entsteht eine neuartige, moderne Vorstellung von „Nation“. Was genau ist darunter zu verstehen? Es existieren im 19./20. Jhd. unterschiedliche Konzepte: a) Das der „subjektiven Willensnation“ bzw. „Staatsnation“ (Renan: „Un plébiscite(=Volksabstimmung) de tous les jours“, Habermas: „Verfassungspatriotismus“ (= Werte wie Demokratie, Meinungsfreiheit statt Abstammungs- und Sprachgemeinschaft), die auf demokratische Zustimmung zu einer bestimmten Art des Zusammenlebens abstellt.

In einer Willensnation leben zwar ethnisch verschiedene einheimische Volksgruppen, die sich aber dem gemeinsamen Staatswesen, dem Vielvölkerstaat, zugehörig fühlen. Solche Länder werden in diesem Sinne auch als Staatsnationen bezeichnet. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Willensnation ist eine dezentralisierte, von unten aufgebaute Demokratie, die nach dem Subsidiaritätsprinzip funktioniert und damit vor allem den verschiedenen Minderheiten die grösstmögliche Selbstbestimmung gewährt->Föderalismus als Staatsform; und (b) das der „objektiven Kulturnation“, die auf (tatsächliche oder vermeintliche) Gemeinsamkeiten abstellt (Sprache, Religion, Bräuche, …).

Die Einheit der nationalen Sprache wird meist durch eine Nationalliteratur geprägt. Die real existierenden Nationen entziehen sich einer schematischen Zuordnung. Anders gesagt: In der Regel finden wir „subjektive“ und „objektive“ Elemente. Interessant ist das Konzept der „invented traditions“: Wer nach nationalen Gemeinsamkeiten sucht, der findet oder schmückt zumindest ein wenig aus; Bsp.

McPhersons Ossian, Schottenröcke und –„althergebrachte“ Muster ). Wichtiger Hinweis hier: Schon die Begriffe „subjektiv“ und „objektiv“ sind hier leicht irreführend: So ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprachgruppe gar nicht immer so „objektiv“ klar, wie es auf den ersten Blick erscheint. Noch im 19. Jhd. haben Pariser Reisende in Südfrankreich Mühe gehabt, das dort gesprochene Französisch zu verstehen; ähnlich erging es Norddeutschen in Bayern.

Der Entscheid darüber, ob wir es mit einer regionalen Ausprägung oder mit einer eigenständigen Sprache zu tun haben, ist oft stark politisch beeinflusst. Aktuelle Beispiele dafür gibt es viele (z.B. Weissrussland)…


Diskussionen zum Verhältnis Religion – Staat:

•      Religion kann nationale Identität stärken (Armenien? Iran? Israel?)

->Auch hier wird der Nationenbegriff häufig als religiöser Zusammenschluss verwendet (Religionsstaat-> Staatsgewalt ist allein religiös legitimiert, Staatsreligion). Häufig ist eine gemeinsame Religion konstituierendes Element, z. B. für Israel, die islamische Republik Iran oder die irische (Katholiken und Protestanten) oder kroatische Nation (kroat. Katholisch, serb. Christlich Orthodox)

•      Es gibt aber auch Beispiele dafür, dass sich liberale Nationalstaaten einen offenen Streit mit der Kirche geliefert haben (Italien in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens)

•      Viele moderne Nationen verstehen sich als laizistische, nachreligiöse Gebilde (F?)

•      Nationalstaaten nutzen Symbole, deren religiöse Herkunft unschwer zu erkennen ist (Hymnen, Gedenkstätten, Feiertage)…


Entstehung moderner Nationalstaaten: „nation building“


These: Dort, wo die jungen Nationalstaaten auf eine längere Tradition anknüpfen konnten (z.B. England), war der Umbau zu modernen Nationalstaaten im 19. Jhd. weniger konfliktreich als dort, wo solche institutionellen Kontinuitäten weitgehend fehlten. Dies gilt weitgehend für südosteuropäische Regionen, in denen nationale Strömungen, nach Jahrhunderten der osmanischen Herrschaft, sich oft am jeweiligen kulturellen Erbe (Sprache, Geschichte, Lieder) orientierten.

Die Härte, mit denen seither um die Frage gekämpft wird, wem gewisse historische Heldengestalten (z.B. Orpheus, Alexander d.Gr. etc), ja gewisse Lieder (vgl. dazu den Film „Wem gehört dieses Lied“ von Adela Peeva) gehören, ist nur vor diesem Hintergrund zu erklären.


Das Beispiel Italien: Politik, Kultur, Wirtschaft

Italien ist seit der Renaissance immer wieder Spielball europaweiter Machtkämpfe gewesen, besonders zwischen Frankreich und den Habsburgern. Mitte 19. Jhd. existieren mehrere mittelgrosse Territorien, z.B. Königreich Sardinien-Piemont unter dem Haus Savoyen, der Kirchenstaat (unter dem Papst), das Königreich beider Sizilien unter der Dynastie der Bourbonen.

Italien vor der nationalen Einigung:

Die italienische Nationalbewegung läuft unter dem programmatischen Namen „Risorgimento“: Die staatliche Einigung aller Territorien auf der Appeninenhalbinsel wurde verstanden als „Auferstehen“ nach jahrhundertelanger Unterdrückung und Fremdherrschaft (Lombardei wurde z.B. von Habsburgern regiert, gab auch noch Kirchenstaat).

Getragen wurde das „Risorgimento“ von unterschiedlichen Gruppen, wobei zunächst vor allem die Liberalen die Hauptrolle spielten: Die Bewegung war gegen die Restauration gerichtet und nahm Bezug auf die Ideale der Französischen Revolution. Unter ihren Anhängern fanden sich viele Angehörigen von Gewerbe und Handel, also des Bürgertums. Ein Teil dieser Bewegung organisierte sich in einem Geheimbund („Carbonari“, also „Köhler“), der einige Aufstandsversuche unternahm, ohne durchschlagenden Erfolg.

Seit den 1830er Jahren gelang es, trotz Zensur und Unterdrückung eine breite Diskussion über die Zukunft Italiens zu lancieren. Hier spielte Giuseppe Mazzini eine Rolle, der vom Exil aus (teilweise aus der Schweiz) mehrere bewaffnete Umsturzversuche organisierte. Mazzini verkörpert den demokratisch-republikanischen Weg zum Nationalstaat. Ab der Mitte des 19. Jhd. verlief der Weg zur Einigung anders, als es Mazzini gehofft hatte.

Aber auch er muss sich schliesslich der Dominanz von Sardinien-Piemont beugen. Italien wird 1861 in Turin zur Monarchie ausgerufen. Vittorio Emanuele wird König, Cavour erster Ministerpräsident. Demokratische Elemente sind im jungen Nationalstaat schwach ausgebildet. Das Wahlrecht ist in der ersten Phase auf eine kleine Gruppe (zuerst nur ca. 2%) beschränkt…

1861 ist aber nur eine Etappe, vieles bleibt im Fluss: 1870/71 gelingt (im Windschatten des deutsch-französischen Kriegs) die Besetzung des Kirchenstaates, was zu einer lang anhaltenden Verstimmung zwischen katholischer Kirche und dem italienischen Nationalstaat führt. Auch sonst sieht sich der Nationalstaat noch als unvollendetes Gebilde: So wird das Südtirol als „Terra Irredenta“ (unerlöstes Gebiet) betrachtet, das erst nach dem 1. Weltkrieg zu Italien geschlagen wird.


Fazit: Die italienische Einigung geschieht autoritär (von oben nach unten) und nicht demokratisch ->Kriege, Entscheidungen von wenigen Leuten = Demokratiedefizit.


Beispiel Deutschland:

Auf dem Wiener Kongress stellten europäische Staatsmänner die politische Neuordnung und stellten den Frieden sicher. Die deutschen Einzelstaaten waren bis dahin im Rheinbund (=1806 von Napoleon infolge seiner Vorherrschaft in Europa gegründet. In diesem Staatenbund waren viele deutsche Einzelstaaten zusammengeschlossen, die Frankreich militärische Hilfe leisten mussten) verbündet und wurden nach dem Zusammenbruch in einem neuen Staatenbund zusammengeschlossen: Dem Deutschen Bund.

Um einen Ausgleich der Grossmächte in Europa zu schaffen, waren die Monarchen auf dem Wiener Kongress nicht daran interessiert, einen deutschen Nationalstaat zu gründen. Mit dem Deutschen Bund schufen sie ein Modell, in dem die vielen Einzelstaaten ihre Souveränität. Eine einheitliche Aussen- oder Wirtschaftspolitik wurde in diesem Staatenbündnis nicht verfolgt. Der Deutsche Bund ist eher eine Übergangslösung.

Die territoriale, rechtliche, politische Zersplitterung wird zunehmend als anachronistisch (nicht mehr zeitgemäss) erlebt. Nationalökonomen wie Friedrich List  arbeiten in Richtung Freihandel. Durch Abschaffung der Binnenzölle soll Deutschland zunächst einmal wirtschaftlich modernisiert werden (Deutscher Zollverein 1834). Soll nun auch auf der politischen Ebene modernisiert werden, also ein deutscher Nationalstaat entstehen, sind mehrere Fragen zu klären: Soll dieser Staat in einem demokratischen Prozess, „von unten“ oder autoritär „von oben“ geschaffen werden? Zu dieser Zeit herrschten eine starke liberal-demokratische und autoritär-konservative Strömungen, wobei sich die zweite eher durchsetzen konnte (Demokratiedefizit).

Preussen setzt sich schliesslich in mehreren Kriegen (1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870 gegen Frankreich->Preussen hat bessere Verwaltung, stärkeres Militär) als Führungsmacht durch und dementsprechend wird bei der Reichsgründung 1871 der preussische König zum neuen deutschen Kaiser (Wilhelm I.), der preussische Ministerpräsident Bismarck zum deutschen Reichskanzler, Berlin wird Hauptstadt.


Bilanz:

Der deutsche Fall ist dem italienischen in gewisser Hinsicht ähnlich. Auch hier geht die Einigung von einem wirtschaftlich weit fortgeschrittenen Territorialstaat aus; gibt es demokratische und autoritäre Tendenzen, wobei sich letztere schliesslich durchsetzen; ist das „nation building“ von kriegerischer Gewalt begleitet; gibt es neben den „Gewinnern“ auch „Verlierer“.

Die Gruppe der „Verlierer“ ist sehr heterogen (vielgestaltig). Und gleichzeitig stellt sich die Frage, wie stark denn die Identität der jungen Nationen, abseits von  emotionalen Feierlichkeiten und Appellen, tatsächlich war -> Interessante These von Fritz Stern in seinem Werk „Gold und Eisen“ über Bismarck und seinen jüdischen Bankier Bleichröder: Deutschland nach 1870 war im Grunde genommen eine unsichere Nation, die es verpasste, sich ihrer selbst zu vergewissern.


Das Ende des „langen 19. Jhd“: 1. WK


Der unmittelbare Auslöser ist bekannt (Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo durch den bosnisch-serbischen Nationalisten Gavrilo Princip am 28. Juni 1914, woraus Österreich-Ungarn ein Ultimatum an Serbien stellt, das dieses ablehnt)->Klären ob G.P. Serbe ist.

Für ÖU ist das Ziel klar->Serbien will sich vergrössern (grosse serb. Bevölkerung auf bosnischem Gebiet) Schwieriger ist die Frage nach den Ursachen. Wesentliche Punkte sind:

•Extremer Nationalismus in mehreren Ländern, weiter intensiviert im Zeitalter des Imperialismus, verstärkt durch sozialdarwinistische Vorstellungen-> Menschen sind von Natur aus ungleich und nur die Stärksten können im gesellschaftlichen Konkurrenzkampf bestehen. Abgeleitet von Tier- und Pflanzenwelt "Naturgesetz der Selektion".

•Ungelöste Streitigkeiten um Grenzregionen (z.B. Elsass, Südtirol), ganz besonders in Südosteuropa (Griechenland, Serbien, Bulgarien, Rumänien, Albanien, Osmanisches Reich; vgl. dazu die eigenständige Recherche zu den zwei Balkankriegen 1912/13), zahlreiche „nationale Fragen“ (z.B. Polen, Irland).

2.   Balkankrieg: Unstimmigkeiten der von den Osmanen befreiten Gebiete führten zu Krieg untereinander. Streitigkeiten um die Grenzlegung. Auch Streitigkeiten um die Anerkennung der Unabhängigkeit Mazedoniens.->12/13 Beginn der „ethnischen Säuberungen“, Vertreibung+Deportationen

•Verbreitete Frustrationen und Verunsicherung grosser Teile der Bevölkerung im Zuge der Modernisierung. Die Fremdenfeindlichkeit, die in Teilen der Bevölkerung im August 1914 offen gezeigt wird (z.B. auch in Frankreich), hat hier eine längere Vorgeschichte.

•In den meisten Ländern Europas: Gravierende Demokratiedefizite. Ein kleiner Kreis (Monarchen, Berater, Generalstäbe) hat enorme Handlungskompetenzen; Direkte Einflussmöglichkeiten der Zivilgesellschaft auf politische Grundsatzentscheide sind sehr begrenzt.


Grundwissen zur Vorgeschichte von „1914“ (BBC-Film „Die Explosion“):


Rückblende: Der Film schildert Deutschland vor 1914 (seit 1871 ein Kaiserreich unter der preussischen Hohenzollern-Dynastie) als verspätete und dementsprechend verunsicherte Nation. Unter der Führung des Kaisers Wilhelm II., der den geschickten Aussenpolitiker Bismarck als Reichskanzler entlassen hat, strebt Deutschland rücksichtslos einen „Platz an der Sonne“ an, also eine starke Stellung, ebenbürtig zu der Grossbritanniens (vgl. dazu das Kapitel Imperialismus).

Die Idee war, im Konfliktfall durch einen Blitzkrieg zuerst Frankreich in die Knie zu zwingen, bevor die russische Armee überhaupt einsatzbereit sein konnte. Anschliessend sollten die Truppen von der Westfront in die Ostfront übergehen.

Dass militärische Überlegungen so dominant werden konnten, hängt mit dem Demokratiedefizit (nicht nur in Deutschland) und einer gravierenden Modernisierungskrise zusammen: Fast überall in Europa herrschten traditionsbewusste Monarchen, welche den Herausforderungen einer dynamischen Industriegesellschaft (Entstehung von Grossstädten, soziale Bewegung->Abeiterbewegungen, Frauenbewegung->Suffragetten für Frauenwahlrecht) abwehrend gegenüberstanden.

In Österreich-Ungarn verkörperte der alte Kaiser Franz Joseph, in Russland der Zar Nikolaus II. einen autoritären Staat, der immer „anachronistischer“ wirkte, weil er mit der Moderne wenig anfangen konnte.-> Beispiel: Im Roman „Radetzkymarsch“ von Joseph Roth wird das illustriert mit dem Hinweis auf den k.u.k Hof, an dem immer noch ohne elektrische Beleuchtung getafelt wird: Die Eliten verschliessen sich dem wirtschaftlichen und technischen Wandel um sie herum, finden keinen produktiven Umgang mit der Moderne, bleiben dem biederen Idealbild einer ländlich-patriarchalischen, vorkapitalistischen Gesellschaft verhaftet, kurz: Sie verlieren die Tuchfühlung mit der Gesellschaft, die zu führen sie beanspruchen.



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