Analyse und Interpretation der Ballade
Der preußische Ikarus – Wolf Biermann
In
der „Ballade vom preußischen Ikarus“ von Wolf Biermann geht es um das Leid der
Bürger der DDR. Die Ballade lässt uns in die Gedanken derer blicken, die es in
Erwägung zogen das Land zu verlassen und auch in die Gedanken derer, die es
tatsächlich taten. Es befasst sich auch mit den eventuellen Folgen.
Das
Lied ist auf drei Strophen aufgebaut, die jeweils aus sechs Versen bestehen.
Sie folgen, genau wie der Refrain, dem Reimschema aabccb. Der Refrain besteht
aus sechs Versen. Man findet vorwiegend den Hakenstil welcher sich hin und
wieder auch mit dem Zeilenstil abwechselt. Die männlichen Kadenzen dominieren
und das Metrum ist recht stabil, allerdings sind die meist vierhebigen Verse
vereinzelt mit Dreihebigen versetzt.
Die
Ballade wird vorwiegend durch die vielfach vorkommenden sprachlichen Bilder
gelenkt. Einen starken Einfluss besitzt das Bild des Ikarus, welches hier einerseits
als Symbol für Tatendrang und Übermut sowie andererseits auch als Symbol des
Versagens fungiert. Ein anderes Symbol welches man im Text vorfinden kann, ist
der preußische Adler (Z 5), der für die Staatsmacht steht. Darüber hinaus kann
man zahlreiche Metaphern finden, wie zum Beispiel in Zeile 15 in welcher beschrieben
wird, dass der „Stacheldraht langsam einwächst“. Dies soll verdeutlichen, dass die
Bürger abgeschnitten von jeglichem Kontakt von außerhalb sind. Im Übrigen ist
die Wortwahl „Stacheldraht“ hierbei interessant gewählt, da die Grenze der DDR hier
mit einem Gefängnis verglichen wird. Auch die Metapher „Inselland“ (Z 19) soll
die totale Isolation transparent machen. Weiterhin ist von „bleiernen Wellen“
(Z 20) die Rede. Wenn man dies genauer analysiert so erkennt man ein Oxymoron,
da Wasser dafür bekannt ist immer in Bewegung zu sein, wohingegen Blei unbeweglich
und starr ist. In Zeile 11 lässt sich ein Parallelismus finden, der
verdeutlicht, dass der Adler weder von hier fliehen kann aber auch nicht
abstürzen möchte. Die Akkumulation ab Zeile 16 zeigt, dass der Stacheldraht
überall hin sticht, besonders in die wichtigsten Organe und Extremitäten,
jedoch nicht in das Herz des Bürgers. Durch die Antithetik in Strophe drei, in
der ein Ich einem Du gegenüber gestellt wird, wirkt die Zeile eher erzählend
und persönlich. Dadurch passt es sehr gut in die Epik, welche ungeachtet dessen
mit dramatischen und lyrischen Elementen versetzt ist.
Der
lyrische Ich-Erzähler in dieser Ballade wirkt, als spreche er sich alles von
der Seele oder jemanden direkt an. Er beklagt den Zustand seines Heimatlandes,
zeigt mit dem Finger auf den Staat und lässt in das Leid seiner Mitbürger
blicken, ist allerdings nicht gewillt wegzugehen, obwohl er dies sogar befürchtet
tun zu müssen.
Schon
im Titel wird auf die griechische Mythologie und die Sage von Ikarus und Dädalus
verwiesen. In diesem Mythos geht es um einen Vater und seinen Sohn, die beide
verbannt wurden. Um zu flüchten erfand der Vater Flügel und brachte sie an
beiden an. Er ermahnte Ikarus nicht zu hoch und nicht zu tief zu fliegen, nach
einiger Zeit aber packte Ikarus der Übermut und er flog zu hoch und stürzte
ab.
Bereits
seit Anfang der ersten Strophe wird die Person des Ikarus als preußischer Vogel
in die Ballade hinein interpretiert. Dort hängt er an der Weidendammer Brücke,
welche in diesen Zeilen beschrieben wird. Diese Brücke befindet sich an der
Grenze Westberlins. Hier sitzt er nun und beobachtet; mehr nicht. Dies ist
eigentlich ein untypisches Verhalten, da er doch eigentlich explorieren und
fliegen sollte.
In
der zweiten Strophe geht Biermann mehr auf das Leiden und die Pein in der DDR
ein. Die DDR wird als vollkommen isolierte Insel beschrieben, von der niemand fliehen
kann, da jeder durch den Stacheldraht, also die Staatsmacht, zurückgehalten
wird. Durch diesen Druck der auf die Menschen ausgeübt wird, werden die
Menschen sowohl innerlich als auch äußerlich beschränkt und zerstört.
In
der dritten Strophe spricht das lyrische Ich mit jemandem, der dem Ganzen entfliehen
will. Er macht ihm klar, dass er ruhig gehen könne und er schon viele gesehen
hat die flohen. Gleichzeitig erfährt man, dass er sich dieser Person aber auf
irgendeine Art und Weise verbunden fühlt und es somit schade fände wenn dieser
flieht. Er beschreibt aber ebenso, dass er Angst hat von dem Adler über den
Rand getrieben zu werden, also aus der DDR ausgewiesen werde könnte, womit er
dann das Schicksal des preußischen Ikarus übernehmen würde - nur ohne dessen
Leichtsinnigkeit.
Setzt
man dies mit Biermanns Biografie in einen Kontext kommt raus, dass dieser
tatsächlich überlegte die DDR zu verlassen, aber dann trotzdem lieber bleiben
wollte und daher große Angst vor dem Rauswurf hatte. Dennoch traute er sich zu
viel Kritik zu und gab bei allem seine Meinung zum Besten. Er flog zu hoch und
sein Übermut wurde ihm zum Verhängnis. Biermann wurde aus der DDR ausgewiesen.
In dieser Ballade verarbeitete er sein Leid und das anderer DDR Künstler,
Intellektueller und anderer Bürger, die nicht gehen konnten.
Als
Sänger, Dichter und Denker übernahm Biermann mit seinen Werken eine Schlüssel-
und Katalysatorfunktion in der DDR. Im Großen und Ganzen ist „Der preußische
Ikarus“ ein überaus mutiges und außerordentlich gut geschriebenes Lied von
einem ehrlichen und vom Leben gezeichneten Menschen.